Abdurehim Heyit (uigurisch: ئابدۇرېھىم ھېيىت; geboren 1964[A 1] in Kaxgar) ist ein bekannter und einflussreicher uigurischer Sänger, Musiker und dutar-Spieler.[1] Er soll während des Vorgehens der chinesischen Behörden gegen die uigurische Minderheit in Xinjiang im April 2017 in Ürümqi interniert worden sein.[1][2]
Leben und Werk
Abdurehim Heyit stammt aus einer religiösen Familie der Stadt Kaxgar.[1][3] Im Alter von sechs Jahren begann er, das Spielen mit der dutar zu erlernen.[3][4] Im Alter von 17 Jahren wurde er in einer staatlich betriebenen Musikschule aufgenommen (Kashgar Arts College).[3][4][1] 1980 entsandte ihn die Musikschule zur Central Minorities Song and Dance Troupe nach Peking, zu deren Aufgaben es gehörte, Chinas Diversität an Völkern zu präsentieren.[3][4] Dort führte er zwei Jahrzehnte lang an der Seite anderer Minoritätenkünstler auf.[3][5][4] Da seine Truppe strikter Kontrolle vom staatlichen Propaganda-Ministerium unterlag, konnte er jahrelang nicht das Instrument seiner Wahl spielen.[3][4] Zwischen 1986 und 1993 arbeitete er im renommierten Central Nationalities Ensemble in Peking.[1] Im Jahr 2000 kehrte er nach Xinjiang zurück und veröffentlichte seine zwölfte Kollektion von Liedern, die nur seine Stimme und sein dutar-Spiel enthielten.[4] Obwohl Abdurehim Heyit selbst praktizierender Muslim ist,[5][4] gestattete der von der Provinzregierung kontrollierte Verlag es ihm dabei nicht, religiöse Lieder zu veröffentlichen.[4] Abdurehim Heyit schloss sich in Ürümqi der staatlichen Unterhaltungstruppe Xinjiang Song-and-Dance Troupe (oder: Xinjiang Uyghur Autonomous Region Song and Dance Troupe) an,[1][5] wo er viele Lieder aufführte, die die Einheit und Freundschaft zwischen den Völkern Chinas bewarben.[1] Als er im Jahr 2000 für das Coverbild von Uçraşqanda (engl. Transkription: Uchrashqanda; türk.: Karşılaşma) mit traditioneller uigurischer Kleidung sowie einem im islamischen Stil getragenen Bart fotografiert wurde, ließen ihn die Parteiführer seiner Arbeitseinheit (die Gesangs- und Tanzgruppe in Ürümqi) den Bart nachträglich entfernen, da dieser ihnen als zu religiös für eine „Stimme der Uiguren“ erschien.[4][3] Abdurehim Heyit arbeitete auch als unabhängiger Künstler und veröffentlichte mehrere Solo-Musikalben mit uigurischen Volksliedern sowie eigenen Kompositionen.[1] Im Jahr 2011 erschien sein gesamten Repertoire als neun CDs umfassende Kollektion unter dem Titel Duttarim (deutsch: „Meine dutar“) bei der renommierten Nationalities Recording Company.[1]
Abdurehim Heyit entwickelte sich zu einer der beliebtesten und einflussreichsten Künstlern beim uigurischen Publikum und zu einem führenden Vertreter des „New Folk“-Stils der 1990er Jahre.[1] Über das Medium „New Folk“, das eine Art kommerziell einträglicher Volksmusik in Xinjiang darstellte, wurde ab den frühen 1990er Jahren uigurische nationalistische Botschaften transportiert.[5] Viele der Lieder von Abdurehim Heyit geben die Geschichte und Kultur der Uiguren wieder. Abdurehim Heyit nutzte dabei seine „durchdringende Stimme“, um Texte mit Kultsymbolcharakter von angesehenen modernen uigurischen Dichtern wie Abdurehim Ötkürs Uçraşqanda (dt. etwa: „Als wir uns trafen“ oder: „Beim Treffen“) mit Leben zu erfüllen.[1] Da seine Lieder nahezu ausschließlich in einer Moll - (und modal heptatonischen) Tonalität gesungen werden, macht seine Stimme laut Joanne Smith Finley in einigen Fällen den Eindruck von Zerbrechlichkeit und Trauer und in anderen Fällen von Wut und Frustration und kann im Zusammenwirken mit affektiven lyrischen Inhalten starke Emotionen hervorrufen.[6]
Abdurehim Heyit ist dafür bekannt, mit einigen Liedern nur wenig verhüllt auf politische Themen anzuspielen und auch Volk und Heimat thematisierende Lieder zu singen.[2][7] Er war einer der ersten uigurischen Musiker, die über das Leben in Xinjiang unter chinesische Kontrolle schrieben.[2][7][8] Einigen seiner Liedern wurde schon Ende des 20. Jahrhunderts nachgesagt, Hymnen und Quellen des Stolzes für die Bevölkerung der damals wirtschaftlich weniger entwickelten Stadt Kaxgar gewesen zu sein. Während zu dieser Zeit die Tonträger (Kompaktkassetten) seiner Aufführungen traditioneller uigurischer Gedichte und Musik vom Staat produziert und vertrieben wurden, wurden die Tonträger seiner selbst komponierten Lieder in privater Hand hergestellt. Gegenüber der New York Times sagte Abdurehim Heyit im Jahr 1999, die Musik sei „einer der wichtigsten Bestandteile der uigurischen Kultur“ und weil sie „solch ein Symbol des Herzens“ sei, verändere sie sich langsam und unterliege keiner flüchtigen Mode wie es beispielsweise in der Kleidung der Fall sei.[7][8]
Muikkassetten wurden in den 1990er Jahren von ihren Produktionsstätten in die größeren Städte Xinjiangs transportiert und dann durch uigurische Händlern von den städtischen Distributoren abgekauft und auf kleinen ländlichen Märkten verkauft und darüber hinaus in Form von Raubkopien weitergegeben.[9] In dieser Zeit nahmen die „New Folk“-Sänger Abdurehim Heyit und Ömärjan Alim jeweils eine führende, aber miteinander rivalisierende Rolle als „Stimme der Uiguren“ ein[10][5] und versuchten ähnlich dem mongolischen Musiker Teng Ge'er, die Kontrolle der chinesischen Regierung über die Künste mit einer alternativen, ethnisch und national orientierten Ausrichtung zu unterlaufen. Die staatliche Zensur, die Künstler und Produzenten seit 1995 dazu verpflichtete, Neuerscheinungen dem Kulturbüro zur politischen Kontrolle vorzulegen wurde jedoch auf sie aufmerksam. Ihre Kassetten wurden zeitweise beschlagnahmt und sie erhielten während der 1990er Jahre oftmals Geldstrafen und Auftrittsverbote.[9][11]
Abdurehim Heyit galt bereits Ende des 20. Jahrhunderts als einer der bedeutendsten zeitgenössischen uigurischen Komponisten und Musiker[7] und zählt auch heute zu den bekanntesten und einflussreichsten uigurischen Sängern, ist bekannt als virtuoser Spieler der uigurischen dutar und hat zudem zahlreiche Lieder einflussreicher uigurischer Sänger komponiert.[1][7] Er erhielt teils aufgrund seiner Stimme und teils aufgrund der großen Popularität des von ihm komponierten und mit einem Text von Abdurehim Ötkür gesungenen Liedes Chillang Khorizim (dt. „Krähe, mein Hahn!“) den Beinamen „Hahn von Xinjiang“.[7][12] Seine dutar-Virtuosität brachte ihm zudem den Beinamen „uigurischer dutar-König“ ein.[1] Über seine Heimat hinaus erlangte Abdurehim Heyit in der gesamten turksprachigen Welt Bekanntheit für seine Aufführungen traditioneller uigurischer Musik.[2] Laut Adrian Zenz verkörperte Abdurehim Heyit „die kulturelle Verbindung zwischen Uiguren und dem türkischen Kulturraum“.[8]
Verhaftung 2017
Im Herbst 2017 gelangte der prominente uigurische Dichter Tahir Hamut in den USA an und verbreitete in der uigurischen Diaspora die Nachricht, dass Abdurehim Heyit im April 2017 verhaftet und seitdem ohne Anklage in Ürümqi festgesetzt worden sei.[1] Es wurde vermutet, seine Verhaftung könne in Verbindung mit dem Lied „atilar“ (deutsch: „Väter“) stehen,[1][13] das den Ausdruck „Märtyrer des Krieges“ mit Bezug auf die Opfer der uigurischen Vorfahren verwendet.[13] Abdurehim Heyit war einer der ersten einer ganzen Reihe von uigurischen Musiker und Kulturschaffenden, die in Xinjiang inhaftiert wurden.[2][7][13]
Nachdem das türkische Außenministerium in einer Stellungnahme[14] am 9. Februar 2019 behauptete hatte über Informationen zu verfügen, dass Abdurehim Heyit im zweiten Jahr einer aufgrund eines seiner Lieder gegen ihn ausgesprochenen achtjährigen Haftstrafe gestorben sei,[2][14] veröffentlichte die türkische Ausgabe des staatlichen chinesischen Radio China International am 10. Februar 2019 ein auf den selben Tag datiertes, 25 Sekunden langes Video, das augenscheinlich Abdurehim Heyit zeigt, der in dem mit Untertiteln ausgestatteten Video sagt, er befinde sich wegen „angeblichen Verstoßes gegen nationale Gesetze“ in Untersuchung, sei „jetzt bei guter Gesundheit“ und sei „nie missbraucht“ worden. Be dem Video handelte es sich laut dem The Guardian um das erste öffentliche Erscheinen von Abdurehim Heyit seit einem Zeitraum von rund zwei Jahren. Zwar gelten laut Guardian für China erzwungene Geständnisse im Fernsehen nicht als Seltenheit, doch war das Video insofern ungewöhnlich, als es einen der seltenen Fälle darstellte, in denen die chinesische Führung direkt auf konkrete Fälle von Personen reagierte, von denen angenommen wurde, dass sie in Xinjiang inhaftiert wurden. Zudem wies das Video darauf hin, dass sich Abdurehim Heyit zu diesem Zeitpunkt seit über einem Jahr ohne offizielle Anklage in Haft befand.[2]
Diskografie (unvollständig)
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p Rachel Harris, Aziz Isa Elkun: “Uyghur Dutar King” detained in China. In: freemuse.org. 1. November 2017, abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b c d e f g Lily Kuo: China releases video of Uighur poet said to have died in custody. Beijing hits back at Turkey over Abdurehim Heyit after criticism of Uighurs’ treatment. In: theguardian.com. 11. Februar 2019, abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b c d e f g h Joanne N. Smith Finley: The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang (= Michael R. Drompp, Devin DeWeese [Hrsg.]: Brill's Inner Asian Library. Band 30). Brill, Leiden & Boston 2013, ISBN 978-90-04-25491-6, 4.5. Abdurehim Heyit: The Intellectuals’ Choice, 206–221, doi:10.1163/9789004256781 (S. i–xxx, 1-454).
- ↑ a b c d e f g h i Matthew Forney: Man of Constant Sorrow. One Uighur makes music for the masses. In: time.com (Time Asia). 25. März 2002, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 12. Juni 2008; abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b c d e Joanne N. Smith: Chapter 6: The Quest for National Unity in Uyghur Popular Song: Barren Chickens, Stray Dogs, Fake Immortals and Thieves. In: Ian Biddle, Vanessa Knights (Hrsg.): Music, National Identity and the Politics of Location: Between the Global and the Local (= Ashgate popular and folk music series). Ashgate, Aldershot & Burlington 2007, ISBN 978-0-7546-4055-4, S. 115–141, hier S. 140 (S. i–xv, 1-251).
- ↑ Joanne N. Smith Finley: The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang (= Michael R. Drompp, Devin DeWeese [Hrsg.]: Brill's Inner Asian Library. Band 30). Brill, Leiden & Boston 2013, ISBN 978-90-04-25491-6, hier S. 188, doi:10.1163/9789004256781 (S. i–xxx, 1-454).
- ↑ a b c d e f g Neil Strauss: MUSIC; In a Far-Flung Corner of China, a Folk Star. In: nytimes.com. 7. Februar 1999, abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b c Amy Qin: Turkey Urges China to End Mass Detention of Muslims. In: nytimes.com. 10. Februar 2019, abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b Joanne N. Smith Finley: The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang (= Michael R. Drompp, Devin DeWeese [Hrsg.]: Brill's Inner Asian Library. Band 30). Brill, Leiden & Boston 2013, ISBN 978-90-04-25491-6, hier S. 190, doi:10.1163/9789004256781 (S. i–xxx, 1-454).
- ↑ Joanne N. Smith Finley: The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang (= Michael R. Drompp, Devin DeWeese [Hrsg.]: Brill's Inner Asian Library. Band 30). Brill, Leiden & Boston 2013, ISBN 978-90-04-25491-6, hier S. xxiv f., doi:10.1163/9789004256781 (S. i–xxx, 1-454).
- ↑ Joanne N. Smith: Chapter 6: The Quest for National Unity in Uyghur Popular Song: Barren Chickens, Stray Dogs, Fake Immortals and Thieves. In: Ian Biddle, Vanessa Knights (Hrsg.): Music, National Identity and the Politics of Location: Between the Global and the Local (= Ashgate popular and folk music series). Ashgate, Aldershot & Burlington 2007, ISBN 978-0-7546-4055-4, S. 115–141, hier S. 120 (S. i–xv, 1-251).
- ↑ Joanne N. Smith Finley: The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang (= Michael R. Drompp, Devin DeWeese [Hrsg.]: Brill's Inner Asian Library. Band 30). Brill, Leiden & Boston 2013, ISBN 978-90-04-25491-6, hier S. 211, doi:10.1163/9789004256781 (S. i–xxx, 1-454).
- ↑ a b c Joanne Smith Finley: Islam in Xinjiang: “De-Extremification” or Violation of Religious Space? In: theasiadialogue.com (University of Nottingham, Asia Research Institute). 15. Juni 2018, abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b QA-6, 9 February 2019, Statement of the Spokesperson of the Ministry of Foreign Affairs, Mr. Hami Aksoy, in response to a question regarding serious human rights violations perpetrated against Uighur Turks and the passing away of folk poet Abdurehim Heyit. In: mfa.gov.tr (Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs). 9. Februar 2019, abgerufen am 5. Mai 2021.
- ↑ a b Joanne N. Smith: Chapter 6: The Quest for National Unity in Uyghur Popular Song: Barren Chickens, Stray Dogs, Fake Immortals and Thieves. In: Ian Biddle, Vanessa Knights (Hrsg.): Music, National Identity and the Politics of Location: Between the Global and the Local (= Ashgate popular and folk music series). Ashgate, Aldershot & Burlington 2007, ISBN 978-0-7546-4055-4, S. 115–141 (S. i–xv, 1-251).
Anmerkungen
- ↑ Einige Quellen gaben abweichend als Geburtsjahr 1962 an (zum Beispiel: Matthew Forney: Man of Constant Sorrow. One Uighur makes music for the masses. In: time.com (Time Asia). 25. März 2002, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 12. Juni 2008; abgerufen am 5. Mai 2021. ) Die Online-Datenbank Rate Your Music nennt als seinen Geburtstag den 1. Juni 1962 (Abdurehim Heyit. In: rateyourmusic.com. Abgerufen am 6. Mai 2021. ).
Personendaten | |
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NAME | Heyit, Abdurehim |
ALTERNATIVNAMEN | Dutar, Abdurehim |
KURZBESCHREIBUNG | uigurischer Sänger, Musiker und Dotar-Spieler |
GEBURTSDATUM | 1964 |
GEBURTSORT | Kaxgar |