Intertextualitätstheorie

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"Wer schreibt, schreibt ab." Viele Romane, Gedichte und Dramen wären nie geschrieben worden, hätten Schriftsteller stets alles völlig originär formulieren und formen müssen. Literatur, das lehrt die moderne literaturwissenschaftliche Forschung, besteht zu einem erheblichen Teil aus Übernahmen, Variationen, Umdeutungen und Verfremdungen früherer Texte. Dies beginnt mit der stillschweigenden Übernahme bestimmter formaler Gattungskonventionen, wird fortgesetzt in thematischen, motivischen oder stofflichen Übernahmen aus früheren Texten und kulminiert in offenen oder verschlüsselten Anspielungen auf Autoren, Werktitel oder bestimmte Passagen aus früheren Werken sowie in der unmittelbaren Übernahme von wörtlichen Zitaten.

Das literaturwissenschaftliche Fachgebiet, das sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mit solchen Fragen textueller Transpositions- bzw. Transformationsprozesse beschäftigt, trägt den Namen Intertextualitätsforschung. Geprägt wurde der Begriff von der bulgarisch-französischen Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva in ihrem Aufsatz "Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman" (1967), in dem sie Michail Bachtins Dialogizitäts-Modell auf den textuellen Status von Literatur im Ganzen übertrug. Bei Kristeva heißt es programmatisch: "jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Trans-formation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache läßt sich zumindest als eine doppelte lesen."

Im Gefolge von Kristeva entstanden in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Studien, die die intertextuellen Bezüge von Literatur genauer zu erforschen versuchten (vgl. Bloom, 1973; Riffaterre, 1980; Lachmann, 1982; Broich/Pfister, 1985; Clayton/Rothstein, 1991; Plett, 1991). Den wohl umfangreichsten Versuch einer Systematisierung des Forschungsfeldes legte Anfang der 80er Jahren Gérard Genette mit seinem Buch "Palimpsestes. La littérature au second degré" (1982) vor. Genette unterschied fünf verschiedene Formen intertextueller bzw., wie er es nannte, transtextueller Beziehungen:

  • die Intertextualität selbst, das heißt "die effektive Präsenz eines Textes in einem anderen" in Form von Zitaten (ausdrücklich deklarierte Übernahmen), Plagiaten (nicht deklarierten Übernahmen von Zitaten) oder Anspielungen (Aussagen, deren volles Verständnis die Kenntnis des vorhergehenden Textes voraussetzen).
  • die Paratextualität. Damit wird alles bezeichnet, was einen Text dezidiert einrahmt: Titel, Untertitel, Vorworte, Nachworte, Fußnoten usw., aber auch Gattungszuweisungen oder Prätexte wie Entwürfe und Skizzen zu Werken.
  • die Metatextualität, das heißt Kommentare, die wesentlich kritischer Natur sind und vor allem das Gebiet der Literaturkritik betreffen.
  • die Architextualität, die eng mit der Paratextualität verwandt ist. Allerdings handelt es sich hierbei um nicht dezidiert deklarierte Gattungszuweisungen. Das heißt, man weist einem Text (als Kritiker) die Bezeichnung einer Gattung zu. Auch dies lenkt die Rezeption in erheblichem Maße.
  • die Hypertextualität. Hierbei handelt es sich um eine Weise der Überlagerung von Texten, die nicht die des Kommentars ist. Hypertextualität heißt, dass der spätere Text ohne den ersten nicht denkbar ist, wie es bei James Joyces Roman "Ulysses" (1922) der Fall ist, der ohne Homers "Odyssee"-Epos niemals entstanden wäre.

Literatur

  • Bloom, Harold: The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry. New York 1973.
  • Broich, Ulrich/Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen. Funktionen. Anglistische Fallstudien. Tübingen 1985.
  • Clayton, Jay/Rothstein, Eric (Hrsg.): Influence and Intertextuality in Literary History. Madison 1991.
  • Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Übers. v. Wolfram Beyer und Dieter Hornig. Frankfurt/Main 1993.
  • Heinrich F. Plett (Hrsg.): Intertextuality. Berlin, New York 1991.
  • Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Bd. 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft II. Hrsg. v. Jens Ihwe. Frankfurt/M. 1972, S. 345-375.
  • Lachmann, Renate (Hrsg.): Dialogizität. München 1982.
  • Pfister, Manfred: Intertextualität. In: Moderne Literatur in Grundbegriffe. Hrsg. v. Dieter Borchmeyer u. Viktor Žmegač, 2. neu bearb. Aufl. Tübingen 1994, S.215-218.
  • Riffaterre, Michael: Semiotics of Poetry. London 1980.