Ratheim ist mit ca. 9.000 Einwohnern (Stand: 2006) der zweitgrößte Stadtteil der Stadt Hückelhoven (ehemals "Hückelhoven-Ratheim"). Die Ortschaft liegt im Kreis Heinsberg, dem westlichsten Landkreis von Nordrhein-Westfalen, und ist nur etwa 10 km von der deutsch-niederländischen Grenze entfernt.
Ursprünglich geprägt durch Landwirtschaft und die traditionellen Handwerksbetriebe des Rurtals (Schuhmacher, Korbflechter, Klompenmacher), im 19. Jahrhundert dann auch durch Heimweberei und Schuhindustrie, wurde die Entwicklung des Ortes im 20. Jahrhundert stark durch die Zeche Sophia-Jacoba beeinflusst.
Geografie
Lage
Ratheim liegt in der Flussniederung der Rur in einer Höhenlage von ca. 40-60 m über NN und erstreckt sich vom Rurufer im Südwesten bis zum Anstieg des Rurgrabens im Nordosten. Der Bereich dieses ca. 50 m hohen Geländeanstiegs ist in großen Teilen bewaldet und durch Bachtäler gegliedert; er gehört zum Landschaftsraum des Wassenberger Riedellandes.
Nachbargemeinden
Im Uhrzeigersinn liegen um Ratheim herum die Orte Altmyhl, Kleingladbach, Schaufenberg, Millich, (westlich der Rur:) Porselen, Bleckden, Oberbruch, Unterbruch, (wieder östlich der Rur:) Luchtenberg und Wassenberg.
Gewässer
- Im Rahmen des RIPARIA-Projektes wurden 2001 im Bereich Ratheim / Millich zwei Wehre rückgebaut und der Flusslauf naturnäher gestaltet, wodurch zusätzlicher Retentionsraum für Hochwasser entstanden ist. Die beiden Flussabschnitte, die je einen Altarm der Rur beinhalten, wurden dabei für eine natürliche Auen-Entwicklung vorgesehen. [1]
Geschichte
Alte Geschichte
Die Besiedlung des Ratheimer Gebietes reicht bis in die Römerzeit zurück (vor 450 n. Chr.). Eine von Venlo über Düren bis zur Mosel führende Römerstraße querte bei Ratheim die Rur. Funde römischer Münzen zwischen Ratheim und Myhl und die Entdeckung alter römischer Fachziegel im Unterbau der Ratheimer Kirche "St. Johannes der Täufer" sind indirekte Belege der Besiedlung. Eine Beziehung zwischen dieser Besiedlung und dem mittelalterlichen Dorf Ratheim kann aber nicht belegt werden.
Die den Römern folgenden Franken kamen etwa im 6. Jahrhundert in unseren Raum. Als viehzüchtende Bauern ließen sie sich bevorzugt auf leichteren Böden und in der Nähe von Wasser nieder. Diese Bedingungen fanden sie im Ratheimer Gebiet an den Rändern der Rurterrassen und in den kleinen Bachtälern, von der sumpfigen und von jährlichen Überschwemmungen bedrohten Ruraue hielten sie sich dagegen fern. Der Fund eines fränkischen Knicktopfes zwischen Haus Hall und Ratheim-Busch sowie der als fränkisch geltende Ortsname belegen direkt bzw. indirekt diese Besiedlung.
Der alte Ortskern Ratheims ist der Bereich zwischen Mühlenstraße und Kirchstraße und schließt die auf einem Geländesporn stehende Pfarrkirche ein. Daneben gab es aber eine Vielzahl weiterer Siedlungskerne, die z. T. erst im 20. Jahrhundert weitgehend miteinander verschmolzen sind: Berg, Busch, Faulendriesch, Garsbeck, Gendorf, Hagbruch, Kobbenthal, Krickelberg, Mahrhof, Ohof, Venn und Vogelsang). Auch die benachbarten Siedlungen Millich und Schaufenberg gehörten bis ins 20. Jahrhundert zu Pfarre bzw. Bürgermeisterei Ratheim.
Die füheste indirekte Nennung Ratheims datiert aus einer Kölner Urkunde des Jahres 1176, in der ein Johannes von Rotheim genannt wird. Diese Nennung ist nicht eindeutig dem Dorf zuzuordnen, spätere Namensnennungen dagegen schon (z. B. von 1202). Ratheim selbst wird in einer Urkunde aus dem Jahre 1296 als villula dicitur Rotheym (Dörfchen genannt Ratheim) erstmalig erwähnt. [3]
Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gehörte Ratheim zum Amt Wassenberg im Herzogtum Jülich, die Pfarre zum Bistum Lüttich.
Franzosenzeit
1794 eroberten die Franzosen das Rheinland, u.a. mit dem Ziel, den Rhein als ihre "natürliche" Grenze zu gewinnen. 1801 nach dem Frieden von Lunéville wurde diese französische Annektion völkerrechtlich anerkannt − Ratheim gehörte damit bis 1814 offiziell zu Frankreich; Amtssprache wurde auch hier Französisch.
Die Verwaltung war bereits 1798 nach französischem Muster reformiert worden. Ratheim erhielt eine eigene Bürgermeisterei (Mairie), die zum Rur-Departement (Département de la Roer − Arrondissement Aachen − Kanton Heinsberg) gehörte. Die Pfarre wurde 1802 dem neu gegründeten ("ersten") Bistum Aachen zugeordnet, das auf französische Veranlassung und wohl gegen den Willen des Papstes eingerichtet worden war. Am 16. Juli 1821 wurde dieses Bistum vom Papst durch die Bulle De salute animarum wieder aufgelöst und − natürlich zusammen mit der Ratheimer Pfarre − dem Erzbistum Köln angegliedert.
Nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses kam der Ort 1815 unter preußische Herrschaft und wurde Teil des neu gebildeten Kreises Heinsberg, der zunächst zur Provinz Jülich-Kleve-Berg, ab 1822 dann zur Rheinprovinz gehörte.
Jüngere Geschichte
Am 1. Oktober 1932 wurde Ratheim aus dem Kreis Heinsberg ausgegliedert und dem Landkreis Erkelenz zugewiesen, der 1972 aufgelöst und Teil des heutigen Kreises Heinsberg wurde.
1935 wurde Ratheim, das damals 5.282 Einwohner hatte, in die neue Gemeinde Hückelhoven aufgenommen. 1950 erhielt diese Gemeinde den Namen Hückelhoven-Ratheim, die 1969 zur Stadt erhoben wurde. 1972 wurde der Doppelname aufgegeben, und die Stadt heißt seitdem Hückelhoven.
1983 entstand auf einem großen Areal zwischen Ratheim und Wassenberg die Zentralschachtanlage der Zeche Sophia-Jacoba, damals "die modernste Zeche Europas". Am 27. März 1997 wurde das Steinkohlenbergwerk geschlossen. Heute erinnert als eine der wenigen übriggebliebenen Gebäude die Kohlenwäsche an diesen Abschnitt Ratheimer Geschichte.
Religion
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Ratheim ca. 2200 Einwohner. Die weitaus überwiegende Mehrzahl davon war katholisch; es gab nur wenige evangelisch-reformierte und zwei jüdische Familien. Mit dem durch die Gründung der Zeche Sophia-Jacoba verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung des Ortes kam es zu einer verstärkten Ansiedlung ortsfremder Arbeiter, von denen viele auch aus protestantisch geprägten Regionen Deutschlands stammten.
Heute (Stand 2006) ist das zahlenmäßige Verhältnis von Katholiken zu Protestanten in Ratheim etwa 2:1. Die katholische Kirche ist St. Johannes dem Täufer geweiht, das evangelische Kirchengebäude trägt den Namen Friedenskirche.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Bauwerke
- Pfarrkirche Sankt Johannes der Täufer. Das Alter der Kirche ist unklar; das heutige Gebäude steht auf den Fundamenten einer Saalkirche, die aus fränkischer Zeit stammen dürfte [4]
- Haus Hall ist ein Herrenhaus mir einer Vorburg. [5] Die früheste urkundliche Erwähnung datiert von 1262 (Wilhelm "de Halla" genannt Schilling). [6]
- Altes Rathaus von 1868 (seit 1985 unter Denkmalschutz) [7]
- Die ehemalige Kohlenwäsche der Zeche Sophia-Jacoba ist kreisrund und hat einen Durchmesser von 110 Metern.
Regelmäßige Veranstaltungen
- Schützenfest / Vogelschuss der Ratheimer Schützenbruderschaften (an Christi Himmelfahrt)
- Reitturnier des "Reit- und Fahrvereins Ratheim" mit überregionaler Bedeutung (am Pfingstsonntag und -montag)
- Pfarrfest der Pfarrgemeinde "St. Johannes der Täufer" (alle zwei Jahre im Sommer)
- Spätkirmes (am letzten Sonntag im August; die traditionelle Frühkirmes wurde von der Stadtverwaltung Hückelhoven abgesetzt)
- Marienwallfahrt nach Ophoven (am ersten Sonntag im September)
- Siedlerfest der Interessengemeinschaft Busch-Bammisch (im September)
Musik
- Kirchenchor "St. Johannes der Täufer"
- Der Kirchenchor wurde als "Gesangverein Cäcilia" im Jahre 1834 [8] gegründet, nach einer anderen Nennung im Jahre 1850 (beide Nennungen sind unsicher, da die alten Chroniken des Chors verschollen sind)
- Musikverein "St. Josef" Ratheim e. V. von 1910
- Singekreis der ev. Kirchengemeinde Ratheim-Gerderath von 1969
- Trommler- und Bläsercorps "Vorwärts" Ratheim-Busch e. V. von 1950
Sportgelegenheiten
In Ratheim existiert eine Vielzahl von öffentlich oder privat bewirtschafteten Sportanlagen, z.B.
- Adolfosee (Segeln, Windsurfen, Tauchen, Angeln)
- Kegelbahnen (Kegeln)
- Kohlenwäsche (Modellflug)
- Mehrzweckhalle (Schulsport, Turnen, Ballsportarten etc.)
- Ohofstadion (Fußball, Leichtathletik)
- Reitplatz und Reithalle (Springreiten, Hallen- und Geländereiten, Voltigieren)
- Rur (Angeln, Fliegenfischen, Boot- und Kajakfahrten)
- Schützenkeller im Pfarrheim (Kleinkaliberschießen)
- Schwimmhalle (Schulsport)
- Sportfabrik (Kampfsportarten)
- Sportplätze in der "Grünen Lunge" (Tennis, Tischtennis, Ballsportarten)
Die reizvolle und abwechslungsreiche Landschaft um Ratheim herum regt außerdem viele Menschen zu Spaziergängen, Walking oder Jogging an. Auch das gut ausgeschilderte und im Verbund mit Region und Kreis stehende Radwegenetz fördert die "Freizeitregion Ratheim".
Vereine
Viele Vereine sind in Ratheim aktiv − hier eine kleine Auswahl:
- Arbeitsgemeinschaft der Ratheimer Ortsvereine
- Angelsportverein Ratheim von 1934 e. V.
- Brieftaubenverein "Heimatliebe" Ratheim von 1949
- Brieftaubenverein "Kehre wieder" Ratheim von 1921
- Interessengemeinschaft Ratheim Busch und Bammich von 1952
- Karnevalsgesellschaft "All onger eene Hoot"
- Karnevalsgesellschaft "Roathemer Wenk"
- Kleinkaliber Sportverein
- Ratheimer Segelclub von 1978
- Reit- und Fahrverein 1951 e. V. Ratheim
- Schützenbruderschaft "St. Josef" Ratheim von 1800
- Schützenbruderschaft "St. Sebastianus" Ratheim von 1578
- Turnverein Hückelhoven-Ratheim von 1954
- Verein für Zen Kampfkunst e. V. - Sportfabrik Ratheim
- VfJ Ratheim von 1912
- Volleyballclub 99 Ratheim
Eine ausführlichere Liste früherer und aktueller Ratheimer Vereine und Gruppen ist über die Rubrik Weblinks zu finden.
Infrastruktur und Wirtschaft
- AWO-Kindergarten Ratheim
- Katholische Kindertagesstätte Mühlenstraße
- Katholischer Kindergarten Danziger Straße
- Freiwillige Feuerwehr - Löschgruppe Ratheim
- Kläranlage Ratheim
- nach umfangreichen Ausbauten nimmt die Kläranlage Ratheim nunmehr sämtliche Abwässer aus dem Stadtgebiet Hückelhoven auf. Die gereinigten Abwässer werden über den Vorfluter Mühlenbach in die Rur eingeleitet.
Bildung
- Grundschule Ratheim ("Michael-Ende-Schule")
- Grundschule Ratheim II ("Im Weidengrund")
- Gemeinschaftshauptschule Ratheim
- Realschule Ratheim
Wirtschaft
Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche soll ein "Interkommunaler Industriepark" entstehen.
Verkehr
- Seit dem Ausbau der A 46 Heinsberg - Düsseldorf im Jahre 1995 vom damaligen Endpunkt Hückelhoven bis nach Heinsberg gibt es eine Anschlussstelle zwischen Ratheim und Millich (mit dem bei den Ratheimern sehr unbeliebten Namen "Hückelhoven-West / Wassenberg").
- Eine Eisenbahnlinie, die Rurtalbahn / Strecke Jülich - Dalheim führte zwischen 1911 und 1980 von Baal über Hückelhoven, Ratheim und Wassenberg nach Dalheim und über den Eisernen Rhein weiter nach Mönchengladbach. Nach der Einstellung des Personenverkehrs diente sie nur noch dem Güterverkehr der Zeche Sophia-Jacoba zwischen Ratheim und Baal - die Gleise nach Wassenberg wurden abgebaut. Die Eisenbahnlinie durchquert mit mehreren Gleisen Ratheim. Am Ortsausgang befindet sich ein 9-gleisiger Werksbahnhof, der von der in Hückelhoven ansässigen Brikettfabrik genutzt wird.
- Die Strecke vom Baaler Güterbahnhof bis zum Bahnhof Ratheim ist durchgängig elektrifiziert, somit wäre eine Reaktivierung hier womöglich rentabel. Planungen diesbezüglich gibt es allerdings nicht.
Persönlichkeiten
- Dr. Adolf Freiherr Spies von Büllesheim, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Hückelhoven und Bundestagsabgeordneter, Besitzer von Haus Hall
- Angelika Schierholt gewann 2001 als erste Frau den Titel der Kick-Box Weltmeisterin.
Literatur
Heinz Knisch Aufbau und Abbruch im Rückblick. Geschichte der Stahlbetontürme der Grube Sophia Jacoba in Hückelhoven-Ratheim, o. J.
Weblinks
- Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim - Geschichte
- historische und aktuelle Ratheimer Vereine
Einzelnachweise
- ↑ Wasserverband Eifel-Rur: Das RIPARIA-Projekt (2. Sep. 2006)
- ↑ TERBOVEN et al.(1949-2006): Die Silberquelle im Hallerbruch (2. Sep. 2006)
- ↑ GILLESSEN, L. (1993): Die Ortschaften des Kreises Heinsberg. Schriftenreihe des Kreises Heinsberg 7
- ↑ PIEPERS, W. (1973): Zur Baugeschichte der Pfarrkirche in Ratheim (2. Sep. 2006)
- ↑ TERBOVEN et al. (1949-2006): Haus Hall und seine Besitzer (2. Sep. 2006)
- ↑ GILLESSEN, L. (1973): Probleme der Siedlungsgeschichte und Grundherrschaft (2. Sep. 2006)
- ↑ BÜRGER, J. (2003): Das alte Ratheimer Rathaus (2. Sep. 2006)
- ↑ KNIPPERTZ, P. und H. WINKENS (2006): Ratheimer Vereine (3. Sep. 2006)
- ↑ COENEN, H.: Leinpfad (5.9.2006)
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