Nostratisch
Nostratisch bzw. Boreisch ist der Name einer hypothetischen Sprachfamilie, die – nach Meinung mancher Linguisten – mehrere Sprachfamilien Europas, Afrikas und Asiens umfassen soll. Der Name Nostratisch ist aufgrund seiner starken Kulturzentrierheit auf die nordeurasiatische Hemisphäre terminologisch problematisch.
Die genaue Zusammensetzung dieser Makrofamilie variiert von Autor zu Autor, der gemeinsame Kernbestand ist aber Indogermanisch, Uralisch und Altaisch. Des weiteren werden meist Kartvelisch, Dravidisch und Afroasiatisch (u. a. Semitisch) dazugerechnet. Manche Autoren beziehen noch verschiedene weitere Sprachen, z. B. Eskimo-Aleutisch oder Etruskisch mit ein.
Die nostratische Hypothese wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem dänischen Linguisten Holger Pedersen aufgestellt, nachdem schon vorher Verwandtschaften des Indogermanischen einerseits zum Semitischen, andererseits zum Uralischen und Altaischen vermutet worden waren.
Die Hypothese blieb jedoch weitgehend unbeachtet, bis sie in den 1960er Jahren von Wladislaw Illitsch-Switysch und Aharon Dolgopolsky wiederbelebt wurde. Sie ist heute eine der umstrittensten Hypothesen in der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft.
Die indogermanische Hypothese war sehr erfolgreich, und so versuchten Linguisten, das Verfahren, mit dem man die indogermanische Ursprache erschlossen hatte, bei anderen Sprachen zu wiederholen. Bei vielen Sprachen wurden große Sprachfamilien, ähnlich der indogermanischen, nachgewiesen (so z.B. beim Afrosasiatischen, wo die zeitliche Tiefe der Trennung von der gemeinsamen Protosprache bis 25.000 Jahre zurückreichen soll). Und so ist es auch logisch, dass der Stammbaum sich noch weiter in die Vergangenheit erstrecken könnte und die Ursprachen untereinander auch verwandt sein könnten.
Dabei gibt es zwei Aspekte auseinanderzuhalten, einerseits die gemeinsame Verwandtschaft und andererseits die Möglichkeit diese Verwandtschaft angesichts der langen Zeit der Trennung von einer gemeinsam Ursprache heute auch tatsächlich nachzuweisen.
Die Indizien für solch entfernte Verwandtschaften sind jedoch äußerst spärlich und zweifelhaft. So werden etwa von Bomhard andere Lautgesetze angenommen als von Dolgopolsky, was zu ganz anderen Übereinstimmungen führt – mindestens einer der beiden Autoren muss also falsch liegen. Von den meisten Linguisten wird die nostratische Hypothese deshalb auch nicht akzeptiert; sie halten es für utopisch, mehr als 10.000 Jahre zurückliegende Sprachverwandtschaften zu rekonstruieren.
Eine teilweise konkurrierende These stellte Joseph Greenberg in Form der eurasiatischen Makrofamilie auf. Diese deckt sich insbesondere beim Indoeuropäischen, Uralischen und Altaischen mit dem Nostratischen, schließt jedoch insbesondere das Afroasiatische aus. Greenberg und Bomhard sehen dabei den jeweils anderen Ansatz nicht als Alternative zu ihrem eigenen, sondern als Beitrag zu einem vertieften Verständnis der von beiden postulierten Makrofamilie im Hinblick auf eine Verständigung der auch unterschiedlichen methodischen Ansätze.
Literatur
- Allan R. Bomhard/John C. Kerns: The Nostratic Macrofamily. A study in distant linguistic relationship. Mouton De Gruyter. Berlin/New York 1994. ISBN 3110139006