Nagetiere

Ordnung der Klasse Säugetiere (Mammalia)
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Die Nagetiere (Rodentia) sind eine Ordnung der Säugetiere (Mammalia). Mit über 2200 rezenten Arten stellen sie rund 42% aller Säugetierspezies und sind somit die bei weitem artenreichste Ordnung dieser Gruppe. Sie sind nahezu weltweit verbreitet und haben eine Vielzahl von verschiedenen Lebensräumen besiedelt. Nur sehr wenige Nagetiere sind als Kulturfolger oder Heimtiere verbreitet, doch prägen sie das Bild der gesamten Gruppe. Viele Arten sind hingegen kaum erforscht und haben ein sehr eingeschränktes Verbreitungsgebiet.

Nagetiere
Goldmantelziesel (Spermophilus lateralis)
Vorlage:Taxonomy
Vorlage:Superclassis: Kiefermäuler (Gnathostomata)
Vorlage:Seria: Landwirbeltiere (Tetrapoda)
Vorlage:Classis: Säugetiere (Mammalia)
Vorlage:Subclassis: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Vorlage:Superordo: Euarchontoglires
Vorlage:Ordo: Nagetiere
Wissenschaftlicher Name
Rodentia
Bowdich, 1821
Vorlage:Subordoen

Körperbau

Ihre Körpergröße variiert von etwa 5 Zentimetern bei der Afrikanischen Zwergmaus bis etwa 130 Zentimetern beim Capybara (Wasserschwein), die überwiegende Mehrzahl der Arten hat jedoch eine Körpergröße zwischen 8 und 35 Zentimetern.

Gebiss

 
Schädel eines Riesenhörnchens: Deutlich zu sehen sind die großen Nagezähne, das Diastema (die „Lücke“) und die drei Molaren

Trotz ihrer Vielfalt in Körperbau und Lebensweise ist das relativ einheitliche Gebiss das deutlichste morphologische Kennzeichen dieser Ordnung.

Das wichtigste Merkmal im Gebiss der Nagetiere stellen die vergrößerten Schneidezähne dar, die auch als Nagezähne bezeichnet werden. Alle Nagetiere haben vier Nagezähne, zwei im Ober- und zwei im Unterkiefer. Diese sind wurzellose Zähne, die eine zum Zahnfach hin offene Zahnhöhle haben und zeitlebens wachsen. Ihre Außenseite ist mit Zahnschmelz bedeckt. Durch das Benagen von hartem Futter oder sonstigen Gegenständen und durch den Abrieb an den gegenüberliegenden Zähnen werden diese Zähne stets in einer gewissen Längenkonstanz gehalten.

Zwischen den Nagezähnen und den Backenzähnen klafft eine als Diastema bezeichnete Lücke – Eckzähne sind bei keiner Nagetierart ausgebildet. Vordere Backenzähne sind bei den meisten Arten ebenfalls nicht ausgebildet, mit Ausnahme der Meerschweinchenartigen (Cavioidea) welche einen pro Kieferhälfte besitzen – die Sandgräber haben allerdings zwei oder drei. Meist sind in jeder Kieferhälfte drei hintere Backenzähne vorhanden. Die Backenzähne haben im Gegensatz zu den Nagezähnen bei den meisten Arten ein begrenztes Wachstum. Eine Ausnahme bilden wiederum Meerschweinchenartige, bei denen alle Zähne wurzellos sind.

Die Gesamtzahl der Zähne liegt nicht über 22, mit Ausnahme des Silbergrauen Erdbohrers (Heliophobus argenteocinereus), einer Sandgräberart, der 28 Zähne besitzt. Ein Zahnwechsel findet bei Nagetieren meist nicht statt (Monophyodontie), lediglich Meerschweinchenartige (Cavioidea) besitzen Milchzähne, die allerdings schon vor der Geburt durch die bleibenden ersetzt werden.

Graphisch lässt sich die Zahnformel wie folgt ausdrücken: (linke und rechte Gebisshälfte verhalten sich identisch, so dass üblicherweise nur eine Seite dargestellt wird. I=Schneidezahn, P=Vorderbackenzahn, M=hinterer Backenzahn):

 
 
Zahnformel u. a. der Hörnchen- und Mäuseverwandten Zahnformel der Meerschweinchenverwandten

Das Gebiss ist mit ausgesprochen starken Kaumuskeln versehen, wobei besonders der Musculus masseter eine wichtige Rolle spielt. Durch die typische Anordnung dieser Muskulatur erhalten alle Nager eine recht ähnliche Kopfform.

Verbreitung und Lebensraum

 
Wanderratten zählen zu den Arten, die im Gefolge des Menschen eine weltweite Verbreitung erlangt haben

Nagetiere haben eine nahezu weltweite Verbreitung erreicht, sie fehlten ursprünglich lediglich in der Antarktis und auf abgelegenen ozeanischen Inseln – etwa Neuseeland und den meisten pazifischen Inseln. Nagetiere sind neben den Fledertieren das einzige Taxon der Plazentatiere, die ohne menschliches Zutun den australischen Kontinent besiedelt haben, in Gestalt einiger Altweltmäuse (Murinae). Obgleich es eine Reihe aquatischer (im Wasser lebender) Arten gibt, haben die Nagetiere die Meere nicht als Lebensraum

Als Kulturfolger haben einige Arten, etwas die Hausmaus, die Haus-, die Wander- und die Pazifische Ratte eine weltweite Verbreitung erreicht, darum sind Nagetiere heute faktisch überall zu finden, wo es Menschen gibt.

Nagetiere haben fast alle Lebensräume der Erde besiedelt, man findet sie sowohl in Wüsten wie auch in tropischen Regenwäldern, im Hochgebirge und in Polarregionen.

Lebensweise

 
Europäischer Ziesel

Die meisten Nagetiere sind nacht- oder dämmerungsaktiv, viele sind jedoch auch tagsüber anzutreffen. Sie leben einzeln oder in Gruppen, die im Fall der Nacktmulle (Heterocephalus glaber) mehr als 100 Tiere umfassen können. Nagetiere leben in allen Lebensräumen einschließlich des Luftraumes, den einige Arten wie die Gleithörnchen gelegentlich nutzen.

Nagetiere und Hasenartige haben eine besondere Anpassung an die pflanzliche Ernährung entwickelt, die Caecotrophie, bei der Nahrung durch Aufnehmen bestimmter Formen des Kots zweimal den Ernährungstrakt durchläuft.

Systematik

Externe Systematik

Ursprünglich wurden die Nagetiere mit den Hasenartigen zu einer gemeinsamen Ordnung Glires zusammengefasst. Nachdem dieses Konzept zwischendurch gänzlich verworfen worden war, gibt es neuerdings wieder Befürworter einer Theorie, nach der es eine enge Verwandtschaft zwischen beiden Taxa gebe. Die Hasenartigen sind demnach die Schwestergruppe der Nagetiere, mit denen sie zu einem gemeinsamen Taxon (Glires) vereint werden. Glires wird manchmal einem weiter gefassten Taxon (Anagalida) zugeordnet, dem als Schwestergruppe der Glires die Rüsselspringer zugeordnet werden.

Diese Thesen bleiben aber nicht unwidersprochen. Andere Untersuchungen kommen zu gegenteiligen Ergebnissen und sehen die Hasenartigen in einer gänzlich verschiedenen Stammlinie. Die Positionierung der Rüsselspringer in der Nähe der Nagetiere widerspricht außerdem dem auch in Wikipedia übernommenen Konzept, nach dem beide den unterschiedlichen Großgruppen der Afrotheria und Euarchontoglires zuzuordnen sind.

Interne Systematik

Traditionell wurden die Nagetiere in drei Unterordnungen eingeteilt: die Sciuromorpha (Hörnchenverwandte), Myomorpha (Mäuseverwandte) und Hystricomorpha (Stachelschweinverwandte). In jüngerer Zeit hat man allerdings erkannt, dass die Systematik der Nagetiere weit komplexer ist. Eine Reihe von Autoren erkennen nur noch zwei Unterordnungen an: Sciurognathi und Hystricognathi, die nach der Struktur des Unterkiefers unterschieden werden. Der folgende Ansatz folgt hingegen weitgehend Malcolm McKenna und Susan Bell (Classification of Mammals), mit einigen Abänderungen auf der Ebene der Familien.

Ordnung Nagetiere

Die Hörnchenverwandten, die meistens an die Basis der Nagetiere gestellt werden, stellen wahrscheinlich eine paraphyletische Gruppe; alle weiteren Unterordnungen mit Ausnahme der Stachelschweinverwandten scheinen aus diesen hervorgegangen zu sein.

Besonders umstritten ist die Systematik der Stachelschweinverwandten. Hierin gibt es eine Reihe südamerikanischer Gruppen (Meerschweinchen, Chinchillas und Verwandte, auch als Caviomorpha zusammengefasst), die nach Meinung mancher Zoologen ganz aus der Gruppe der Nagetieren herauszunehmen sind. Die These, dass die Meerschweinchen und ihre Verwandten ein eigenes Taxon außerhalb der Nagetiere stellten, wurde zuerst 1991 von Graur, Hide und Li in einem Artikel für Nature aufgestellt. Demnach wären die Nagetiere eine polyphyletische Gruppe, die als einheitliches Taxon nicht mehr haltbar wären. Anhand früher Fossilien glauben manche Zoologen nachweisen zu können, dass die Caviomorpha in Afrika entstanden sind und von hier über Treibholz nach Südamerika gelangt sind, das im späten Eozän längst nicht so weit von Afrika entfernt gelegen hatte wie heute.

Das nachstehende Kladogramm folgt ebenfalls weitgehend McKenna und Bell:

Rodentia (Nagetiere)
 |
 |-- Hystricognatha (Stachelschwein-Verwandte)
 |    |-- Hystricidae (Stachelschweine)
 |    `-- N.N.
 |         |-- Erethizontidae (Baumstachler)
 |         `-- N.N.
 |              |-- N.N.
 |              |    |-- Petromuridae (Felsenratten)
 |              |    `-- Thryonomyidae (Rohrratten)
 |              `-- N.N.
 |                   |-- Bathygergidae (Sandgräber)
 |                   `-- Caviomorpha
 |                        |-- Chinchilloidea (Chinchillaartige)
 |                        |-- Octodontoidea (Trugrattenartige)
 |                        `-- Cavioidea
 `-- Sciuromorpha (Hörnchenverwandte, paraphyletisch)
      |-- Aplodontiidae (Stummelschwanzhörnchen)
      `-- N.N.
           |-- Sciuridae (Hörnchen)
           |-- Castoridae (Biber)
           |-- Anomaluromorpha (Dornschwanzhörnchenartige)
           |    |-- Pedetidae (Springhasen)
           |    `-- Anomaluridae (Dornschwanzhörnchen)
           |-- Sciuravida/Ctenodactylidae (Kammfinger)
           `-- N.N.
                |-- Glirimorpha/Gliridae (Bilche)
                `-- Myomorpha (Mäuseverwandte)
                     |-- Geomorpha (Taschenratten und Taschenmäuse)
                     `-- N.N.
                          |-- Dipodidae (Springmäuse)
                          `-- Muroidea (Mäuseartige)

Literatur

  • Ronald M. Nowak: Walker's Mammals of the World. Johns Hopkins University Press, 1999 ISBN 0801857899
  • Malcolm C. McKenna, Susan K. Bell: Classification of Mammals: Above the Species Level. Columbia University Press, 2000 ISBN 0231110138
  • D. E. Wilson und D. M. Reeder: Mammal Species of the World. Johns Hopkins University Press 2005 ISBN 0801882214
  • Robert Gerber: Nagetiere Deutschlands. Westarp Wissenschaften, 2004 ISBN 3894321555
  • D. Graur, W. Hide, Li Wen Hsiung: Is the guinea-pig a rodent? In: Nature 1991, Nr. 351, S. 649-652
Commons: Nagetiere – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien