Gesoriacum

archäologische Stätte in Frankreich
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 23. Februar 2021 um 20:10 Uhr durch Veleius (Diskussion | Beiträge) (3. bis 5. Jahrhundert). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Gesoriacum (auch Bononia) war eine römische Hafenstadt am Ärmelkanal. Es befand sich auf dem Stadtgebiet des heutigen Boulogne-sur-Mer im Département Pas-de-Calais, Region Hauts-de-France in Frankreich.

Kastell Boulogne-sur-Mer
Alternativname a) Portus Itius?,
b) Gesoriacum,
c) Bononia?
Limes Britannien
Datierung (Belegung) 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr.
Typ a) Flottenkastell,
b) Festungsstadt
Einheit Classis Britannica
Größe 400 × 300 m, 12 ha
Bauweise a) Holz-Erde?,
b) Stein
Erhaltungszustand quadratische Anlage mit innen angesetzten Türmen und vier Toren
Ort Boulogne-sur-Mer
Geographische Lage 50° 43′ 35″ N, 1° 36′ 53″ OKoordinaten: 50° 43′ 35″ N, 1° 36′ 53″ O
hf
Anschließend Portus Dubris westlich
Aureus des Titus
Gesoriacum/Bononia auf der Tabula Peutingeriana
Lageskizze der römischen Bebauung in Boulogne-sur-Mer
Ziegelstempel der Classis Britannica (Dover, Market Street)
Porte des Degrés in der Oberstadt, sie steht über den Resten der Porta Praetoria (Südtor)
Porte Neuve in der Oberstadt, sie steht über den Resten des Nordtors
Porte Gayolle in der Oberstadt, sie steht über den Resten der Porta Principalis Dextra (Osttor)
Idealrekonstruktion Flottenkastell und Hafen (2. Jahrhundert)
Hafenszene Gesoriacum

Die Liane Mündung war 55 v. Chr. und 43 n. Chr. Ausgangspunkt zweier römischer Landungsunternehmen auf der britischen Insel, Hafen und Flottenbasis avancierten ab dem späten 1. Jahrhundert n. Chr. zum wichtigsten militärischen und wirtschaftlichen Bindeglied zur neuen Provinz Britannien. Von dort aus führten mehrere Fernstraßen zum Rhein und nach Italien. Es diente u. a. auch als Zollstation (Portorium) und Stützpunkt des kaiserlichen Kurierdienstes (Cursus publicus). Bis zum 3. Jahrhundert fungierte Gesoriacum aber vor allem als Hauptquartier der größten Provinzflotte des römischen Imperiums, der Classis Britannica, die die Kontrolle über Nordsee und Ärmelkanal gewährleisten sollte. Das Vorhandensein eines Kastells in Gesoriacum – im seit Beginn des 1. Jahrhunderts befriedeten Gallien – erklärt sich aus der Notwendigkeit der umfassenden Sicherung eines der bedeutendsten römischen Häfen an der Atlantikküste. Der Marinestützpunkt, von dem aus die Flotte die Häfen und Küsten der Insel versorgte und überwachte, gehörte aber nicht zur kontinentalen Verteidigungsorganisation, sondern war vielmehr Teil des romano-britischen Militärapparats. Ab dem 3. Jahrhundert wandelte sich das Kastell zu einer befestigten Stadt.[1]

Name

Der Ort könnte auch mit dem bei Caesar genannten Portus Itius identisch sein, er scheint aber nach seinen Britannienkampagnen nicht mehr in den antiken Quellen auf. Nur in der Geographica des Claudius Ptolemäus, wird Itium unmittelbar vor Gesoriacum genannt. Der Name Gesoriacum wird bei Florus (Bellorum Romanorum libri duo) zitiert, der sich auf die Jahre 12 bis 9 v. Chr. bezieht, leider ist dieser für die lokale Geschichte so wichtige Text in Punkto seiner Genauigkeit umstritten und man kann nicht beweisen dass sein Autor, der ihn im zweiten Jahrhundert verfasste, hiefür die Ortsbezeichnung des ersten Jahrhunderts verwendete. Der Name Bononia stand vielleicht ursprünglich für ein keltisches Oppidum, er wird erstmals in einem Brief, des Tiberius erwähnt, der diesen 4 n. Chr. an den Senat und die Bevölkerung der Stadt Aizanoi in Phrygien während seines Feldzuges in Germanien verfasste. Es wäre möglich, dass, dass die beiden Namen Gesoriacum und Bononia ab dem ersten Jahrhundert unserer Zeit gleichzeitig verwendet worden sein könnten und vielleicht zwei verschiedene Ortsteile der römischen Stadt bezeichnet haben. Der Ursprung beider Namen stammt ziemlich sicher aus dem keltischen.

  • Gesoriacum dürfte sich aus zwei Elementen zusammengesetzt haben. Das erste stammt vom gallo-keltischen Gaesum, die Römer bezeichneten damit einen schweren Wurfspeer, das zweite ist unbekannt. Die Gallier benannten damit wahrscheinlich auch einen Geländesporn, oder eine Anhöhe, was gut zum Kastellplateau passen würde. Es könnte also sein, dass die Hafenstadt nach ihren topographischen Merkmalen benannt wurde.
  • Bononia oder Bolonia, leitet sich wahrscheinlich von Bona (= "Gründung, Stadt") ab. Der Begriff ist auch mit dem gälischen bun verwandt ist, er bedeutet vermutlich "Fundament, Basis oder Fuß eines Berges" und hat auch ein walisisches Äquivalent.[2]

Lage

Das in den Gallischen Kriegen, erwähnte Portus Itius befand sich vielleicht an der Mündung der Liane, diese war zu dieser Zeit noch viel breiter und tiefer. Sie war durch die Klippen von Châtillon und der am Tour d'Odre gut geschützt, die sich damals noch weiter zum Meer erstreckten, zudem waren sie durch eine nach Westen ausgerichtete Schlucht voneinander getrennt. Einige Historiker wie Camille Jullian vermuten den von Julius Cäsar in seinen Gallischen Kriegen erwähnten Hafen in der heutigen Unterstadt von Boulogne-sur-Mer. Eine andere Hypothese ist, dass die Einschiffung von Cäsars Truppen an einem gewöhnlichen Strand stattgefunden haben könnte, der 20 km nördlich von Boulogne, beim heutigen Wissant, lag aber heute längst verlandet ist. Die Nordseeküste hat sich über die Jahrhunderte in diesem Sektor stark verändert. Das betrifft auch die antiken Hafenstandorte. Guy Licoppe wiederum stützte sich auf die Forschungen von Albert Grisart der Portus Itius am Cap Blanc-Nez vermutete. Mangels archäologischer Beweise wird der Standort des cäsarischen Portus jedoch immer noch kontrovers diskutiert.

Gesoriacum zählte zum Territorium der römischen Provinz Gallia Belgica, in der Spätantike zur neuen Provinz Belgica secunda. Das Areal der römischen Hafenstadt erstreckte sich über den heutigen Bezirk Capécure und den Klippen von Outreau bis zum Fuße des Hochplateaus der Oberstadt. Die Bucht und bot zudem einen ausreichenden Liegeplatz für einen größeren Flottenverband. Der Geograph Claudius Ptolemäus, erwähnt im zweiten Jahrhundert das Kap Ition, welches wahrscheinlich mit der Halbinsel Outreau gleichzusetzen ist. In Gesoriacum endeten einige bedeutende Römerstraßen. Eine verband die Hafenstadt mit Castellum Menapiorum (Cassel), der Civitas der Menapier. Die Route (Iter) durch Gravinum bleibt hypothetisch. Zwei Fernstraßen führten von Rom über Mediolanum (Mailand), Civitas Remorum (Reims) und Samarobriva (Amiens) nach Gesoriacum. Eine andere, die wichtigste strategische Achse Nordgalliens, führte von Gesoriacum nach Tarvenna (Thérouanne), Atrebatum (Arras), der Provinz Raetien, Aduatuca Tungrorum (Tongres) und der Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln). Diese Straße, die Via Belgica, verband die Rheingrenze, an der damals die kampfkräftigsten Legionen Rom's stationiert waren, mit der Kanalküste und darüber hinaus auf dem Seeweg mit Britannien. Wir wissen von Strabon, dass Agrippa auch eine weitere Straße, die Via Agrippa, über Amiens anlegen ließ, um Lugdunum (Lyon) mit der Atlantikküste zu verbinden. Die Zusammenführung so vieler wichtiger römischer Straßen der Provinz Gallia Belgica in Gesoriacum zeugt von Roms Wunsch, den gesamten Landverkehr Nordgalliens auf diesen Hafen und umgekehrt auch den Seehandel dort zu konzentrieren.[3]

Forschungsgeschichte

Die örtlich sehr begrenzten Ausgrabungen des 19. Jahrhundert erbrachten viele Hinweise darauf, dass die Stadt immer wieder durch Feuer zerstört wurde. Gesoriacum blieb also nicht von den Einfällen der Barbaren im 3. Jahrhundert verschont, wann genau diese Katastrophe stattfanden, konnte nicht eruiert werden. Ein Hinweis darauf ist jedoch eine Grabungskampagne in Bréquerecque, die zwischen 1823-1828 vorgenommen wurde. Im südlichen Teil des Grabungsareals, der nach einem Großfeuer aufgegeben wurde, um Platz für eine Nekropole zu machen, wurde nur eine Münze der Kaiser des Imperium Galliarium geborgen. Diese fast vollständige Abwesenheit dort im Gegensatz zu der Fülle von Münzen aus der Zeit des Postumus- (260-268) und Tetricus- (269-274) Münzen, die in der Oberstadt gefunden wurden. Es lässt vermuten, dass die Unterstadt damals schon fast völlig verlassen war.[4]

Entwicklung

Das Land um die heutige Stadt Boulogne war ursprünglich von dem keltischen Stamm der Moriner bewohnt. Ihr Territorium war durch vier Flüsse begrenzt: der Aa und Lys (Norden), der Clarence (Osten) und der Canche (Süden), es entsprach etwa dem heutigen Département Pas-de-Calais. Der Dichter Vergil nannte sie "...extrememi hominum Morini."[5]

Zeitenwende bis 2. Jahrhundert

Wenn es zutrifft, dass sich das in den Gallischen Kriegen des Julius Cäsar erwähnte Portus Itius an der Mündung der Liane befand, beginnt die römische Ära von Boulogne mit der Vorbereitung der Landung von Caesars Legionen in Britannien im Jahre 55 v. Chr. Der Feldherr hat mit ziemlicher Sicherheit die günstig Bedingungen und die lokale Bevölkerung, die die Tücken der lokalen Seewege seit mehreren Jahrhunderten gekannt haben mussten, in seine Invasionspläne einbezogen. Für seine zweite Britannienexpedition – im Jahr 54 – soll er dort mehr als 800 Schiffe versammelt bzw. auf Kiel gelegt haben. Diese beiden Feldzüge hatten jedoch vorerst keine weiteren Konsequenzen für die britischen Inseln. Seinem Nachfolger Augustus, war die Konsolidierung seiner Herrschaft in Hispanien, den Alpenregionen und Germanien wichtiger. Dennoch wurden die wichtigsten strategischen Routen zur Liane-Mündung während des Aufbaus des Straßennetzes in Nordgallien durch Agrippa – gegen Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts – massiv ausgebaut und gesichert. Dies zeigt, dass dieses Projekt von Rom nur aufgeschoben wurde. Der Hafen wurde wohl schon lange vor dem Feldzug von 43 als Ausgangsbasis gewählt, das genaue Gründungsdatum der römischen Stadt ist allerdings nicht bekannt. Kaiser Caligula soll 39 n. Chr. dort ebenfalls eine Armee versammelt haben und plante mit ihr in Britannien zu landen, was aber aufgrund einer Meuterei misslang. Die Invasion der Insel wurde 43 unter Claudius, Caligulas Nachfolger, in Gang gesetzt. Bald danach begab sich auch der Kaiser nach Gesoriacum, um nach Britannien überzusetzen. Trotz eines langen und verlustreichen Feldzuges blieb die Eroberung zu Lebzeiten des Kaisers unvollendet. Aber über Gesoriacum und seinem Hafen verlief ab da die militärische und kommerzielle Hauptschlagader der neuen Provinz. Laut einer Passage bei Florus soll in Gesoriacum zwischen 12 bis 9 v. Chr. eine Flotte geschaffen worden sein, die ursprünglich die Operationen des Drusus gegen die Germanen unterstützen sollte. Derzeit gibt es jedoch keinerlei Hinweise auf die Existenz einer stehenden Flotte zur damaligen Zeit. Bei den Grabungen am Palais de Justice wie auch an den anderen Orten in der Oberstadt wurden keine Überreste aus neronisch-claudischer Zeit gefunden. Es ist möglich, dass erst in den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts oder Anfang des zweiten Jahrhunderts auf dem Oberstadtplateau ein erstes Holz-Erde-Kastell entstand, aber wohl erst nach Beginn der Invasion Britanniens. Terminus post quem ist der Fund einer stark abgegriffenen Münze des Titus in einem Fundament der Bauphase I. In der Rue de Lille stieß man zudem auf eine Müllgrube die zwischen 110 und 120 befüllt wurde. Wie dem auch sei, seit Mitte des 1. Jahrhunderts war die Hafenstadt das Hauptquartier der Classis Britannica und auch für den Transitverkehr nach Portus Dubris und Rutupiae von zunehmender Bedeutung. Unter Augustus wurde das Land der Moriner zu einer Civitas mit Tarvenna (Thérouanne) als Metropole neu organisiert. Während diese Stadt, die nie eine bedeutende wirtschaftliche Rolle spielte und in einer Region mit weniger Bevölkerungsdichte als die Küste lag, nur eine mittelmäßige Entwicklung erlebte, avancierte Gesoriacum bald zur wohlhabendsten Stadt der Moriner. Die Stadt scheint im 1. Jahrhundert sogar eine gewisse Autonomie genossen zu haben, wie die Erwähnung eines Pagus Gesoriacus annehmen lässt.[6]

3. bis 5. Jahrhundert

Über die Entwicklung der Stadt im 3. Jahrhundert ist wenig bekannt. Ab der Jahrhundertwende verwüsteten barbarische Überfälle vor allem den Norden Galliens. Die allgemeine Situation im Reich verschlechterte sich ab dem dritten Jahrhundert dramatisch, gekennzeichnet durch den fast völligen Zusammenbruch des Fernhandels, der lange den Frieden und den Wohlstand des Imperiums gesichert hatte. Zur außenpolitischen kam bald auch eine innenpolitische Krise hinzu. Diese konnten erst während der Regierungszeit von Diokletian und der ersten Tetrarchie (284-305) überwunden werden. In dieser Zeit wurde Gallien auch durch Überfälle sächsischer und fränkischer Piraten an den Küsten verheert. Während der Barbareneinfälle in den Jahren 256 bis 275 wurde der Kriegshafen zerstört und musste aufgegeben werden. Auch das Flottenkastell wurde im dritten Jahrhundert niedergebrannt, wann genau ist allerdings unbekannt. Das Areal des Lagers wurde gegen Ende des 3. Jahrhunderts eingeebnet, was möglicherweise mit dem Bau der neuen Stadtmauer zusammenhing. Wie die überwiegende Mehrheit der gallischen Städte schloss sich auch Gesoriacum während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts dem sogenannten Gallischen Sonderreich (Imperium Galliarum) an, wie zahlreiche Münzen des Postumus (260–268) und Tetricus I. (271–274) zeigen, die in der Oberstadt gefunden wurden.

Um die Jahrhundertwende, als die Kaiser der ersten Tetrarchie das Imperium wieder stabilisieren konnten, befand sich die Stadt im Zentrum einer neuen Krise. 285 hatte der sehr fähige Flottenpräfekt Carausius den Befehl erhalten, an der Küste der Belgica und Armorica gegen Franken und Sachsen vorzugehen. Seine Mission scheint von Erfolg gekrönt zu sein. Carausius wurde jedoch bald der Konspiration mit dem Feind und der Unterschlagung der Beute beschuldigt und verlor das Vertrauen des Augustus im Westen, Maximian. Im Herbst des Jahres 286 oder im Frühjahr 287 verlegte er daher seine Einheiten nach Britannien um sein Leben zu retten, auch die dortigen Provinzen fielen vollständig unter seine Kontrolle; später gelangten auch noch große Teile der gallischen Nordküste hinzu, da auch die dort ansässigen Franken ihn unterstützten. In diesen Jahren schwor ihm auch die Garnison von Gesoriacum die Treue. Er residierte ab da nun abwechselnd in Londinium und Gesoriacum. Durch die Unterstützung der britischen und der nordgallischen Provinzen befand er sich vorerst in einer starken Position. Trotzdem verstärkte er seine Flotte vorsichtshalber noch zusätzlich durch gallische und fränkische Renegaten. Nach Ernennung von Constantius Chlorus (293) zum Caesar des Westens fiel diesem zuerst die Aufgabe zu, den Nordwesten Galliens wieder in den Reichsverband zurückzuführen und damit dem britischen Usurpator den Zugang zu dem für ihn so wichtigen gallischen Festland abzuschneiden. Er handelte sofort und ging, noch 293, gegen Carausius’ wichtigsten Flottenstützpunkt an der Kanalküste, Gesoriacum vor, das von Reichstruppen eingeschlossen und belagert wurde. Indem Constantius einen Damm aufschütten ließ, der die Hafeneinfahrt blockierte, zwang er die Verteidiger der Stadt schon im darauffolgenden Jahr zur Aufgabe. Danach wurden die Franken von den Kanalinseln und der gallischen Küste vertrieben. Der Verlust der Hafenstadt war für Carausius eine militärische und politische Katastrophe, da seine Macht nun allein auf das nun weitgehend isolierte Britannien beschränkt war, folgerichtig wurde er kurz danach, im Zuge einer Palastrevolte, ermordet. Gleichzeitig verhinderte auch die stetig wachsende Flotte seines Gegners die vollständige Kontrolle über den Ärmelkanal und bald hatte Chlorus auch die letzten Rebellen in Gallien ausgeschaltet. Seine Flotte lief 296 mit zwei Geschwadern von Gesoriacum in Richtung Britannien aus. Dichter Nebel verzögerte die Ankunft von Constantius Schiffen, erlaubte den anderen jedoch, vor ihm in Britannien zu landen und es in einer einzigen Schlacht wieder zurückzuerobern. Am Ende des 3. Jahrhunderts verlagerte sich der Siedlungsschwerpunkt auf das besser zu verteidigende Hochplateau der Oberstadt und auf dem Areal des alten Flottenlagers entstand die Festungsstadt Bononia.

Constans, Kaiser im Westen, nutzte sie im Jahr 343 als Ausgangspunkt für seinen Britannienfeldzug. 360 verschiffte der Heermeister Lupicinus von dort aus Truppen nach Rutupiae um mit ihnen in Britannien eingefallene Scoten und Pikten wieder zurückzuwerfen. Ab 364 musste sich auch die Flotte ständig mit ihnen auseinandersetzen, da sie nun auch begannen von See her römisches Territorium anzugreifen. Zosimos berichtet, dass die Hafenstadt am Ende des 4. Jahrhunderts schon weitgehend germanisch (Franken) geprägt war (Bononia germanorum). Die dort ansässige fränkische oder sächsische Bevölkerung wurde wohl von den Römern zwischen 250 und 350 föderiert oder sie wanderte zur Zeit der großen Invasionen des 5. Jahrhunderts in die Region ein. Zu Beginn des fünften Jahrhunderts landete dort der Usurpator Konstantin, der mit Hilfe der Provinzarmee die Macht in Britannien an sich gerissen hatte. Mit dem Verlust Galliens an die Franken und der Auflösung des Weströmischen Reiches verlor auch die Hafenstadt viel von seiner alten Bedeutung. Es fungierte dennoch bis ins Hochmittelalter als bevorzugter Hafen für Schiffspassagen nach England.[7]

Flottenkastell

Das Kastell von Gesoriacum bedeckte eine Fläche von 12 Hektar, zusammen mit den Einrichtungen neben dem Hafen nahm das Marineareal etwa 20 bis 25 Hektar im Zentrum der heutigen Stadt ein, konnte somit eine viel größere Garnison aufnehmen und überwog damit bei weitem die Stützpunkte in Britannien. Es war zweifellos während des gesamten Zeitraums ihrer Existenz auch die Residenz des Präfekten der Classis Britannica und seines Stabes.

Man versuchte zuerst die Position des Kastells der Classis Britannica durch Vergleich der Fundorte von deren Ziegelstempel zu bestimmen. Diese Untersuchungen ergaben, dass sie vor allem in der Unterstadt, in der Nähe des Hafens in einem Quadranten um die Rues de l'Ancien Rivage gehäuft auftraten. Das – wahrscheinlich claudische – Lager wurde aber schließlich im Areal der Oberstadt, innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer, zwischen deren Nordecke und dem Nordwesttor (Porte des Dunes) sowie dem Nordosttor (Porte-Neuve) erkannt. Bis dato stützen nur wenige Spuren einer früheren Besetzung des Antoninischen Lagers und einige Keramikscherben aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts diese Hypothese. Die Befestigungen des 2. und 3. Jahrhunderts hingegen sind dank der Ausgrabungen recht gut bekannt. Schon die Gelehrten des 19. Jahrhunderts bemerkten, dass die mittelalterliche Stadtmauer ein regelmäßiges Rechteck von 400 × 300 m umschließt. Die vier Stadttore an jeder Seite der Mauer befinden sich an den kurzen Seiten jeweils in der Mitte, die an den langen Seiten im südlichen Viertel der Mauer – genau wie es oft an römischen Militärlagern beobachtet wurde. Diese Hypothese konnte teilweise durch die archäologischen Entdeckungen bestätigt werden. Die Mauerreste des mittelkaiserzeitlichen Militärlagers und der spätantike Wall liegen sehr nahe beieinander. Sie wurden nur wenige Meter voneinander entfernt errichtet, an deren Perimeter verläuft heute auch die mittelalterliche Stadtmauer. 1978 stieß man in den Gärten des Bischofspalastes auf die Mauer der spätantiken Festungsstadt, die wohl vom Ende des dritten Jahrhunderts stammt und teilweise im aufgefüllten Wehrgraben des Flottenlagers stand, der ihr als Fundamentgraben diente. Die heutige Altstadt ist von einer Mauer umgeben, die zwischen 1227 und 1231 über der Ruine des Castrum Bononia errichtet wurden. Die Fundamente ihrer vier Tore stammen aber noch aus der Römerzeit.

Die römische, 1,8 m breite Mauer des 2. Jahrhunderts wurde über eine Länge von 62 Metern verfolgt. Sie war noch bis zu einer Höhe von 1,80 bis 2 m, teilweise auch über 2,90 m (im nordöstlichen Teil) erhalten, war mit rechteckigen Innentürmen verstärkt, zusätzlich war das Lager von einem Wehrgraben umgeben. Das Fundament bestand aus Bruchstein, der von einer 1,80 m hohen Kalkmörtelschicht, gleich breit wie die Mauer, überdeckt wurde. In der Mitte des Mauerabschnitts stieß man auf die Reste eines rechteckigen, innen angesetzten Zwischenturms (4 × 70 × 3 × 30 m). Er war in die Mauer eingebunden und dürfte somit gleichzeitig mit ihr errichtet worden sein. Ihr Kern bestand aus mit Kalkmörtel gebundenen Bruchsteinen, außen und innen war sie mit behauenen Steinblöcken verblendet. Jede Seite des Kastellmauer war mit einem Tor durchbrochen, deren Lage sich während der Spätantike und des Mittelalters nur geringfügig nicht änderte. Die heutige Porte des Degrés entspricht mit ziemlicher Sicherheit der Porta Pretoria des mittelkaiserzeitlichen Lagers, da sie auf den römischen Hafen ausgerichtet ist. Nach einer geraumen Zeit der Vernachlässigung wurde sie großflächig restauriert. In einem Abstand von 5,50 m von der Kastellmauer entfernt, wurde die 4 m breite Wallbegleitstraße (Via sagularis) und ein parallel dazu verlaufender Abwasserkanal angelegt. Zwischen der Straße und der Mauer wurden bei Ausgrabungen einige Gebäudekonstruktionen aus vergänglichen Materialien beobachtet, sie fanden sich auf beiden Seiten des Zwischenturms, hinzu standen dort noch mehrere Öfen. Aus dem Innenbereich kennt man insbesondere die Raetentura, die größtenteils mit Kasernenbauten belegt war, von denen ein Teil unter den Gärten und Gebäuden des Bischofspalastes nachgewiesen wurden. Auf jeder Seite der Rue de Lille wurden zehn oder zwölf Kasernenblocks mit einer Größe von etwa 50 × 8 m errichtet, deren Lehmwände auf einem Bruchsteinfundament errichtet wurden. Jeder Block bestand in klassischer Machart aus einem Kopfbau (Zenturionenunterkunft) und zehn Kammern (Contubernia), die an der Stirnseite von einem Portikus gesäumt wurden. In der Rue Saint-Jean – im Zentrum des Lagers – wurden sorgfältiger gebaute Gebäudereste mit Hypokaust- und Mosaikboden teilweise ergraben, damit ihre Funktion bestimmt werden konnte. Das Kommandantenhaus (Prätorium), das am Rande der Via Principalis gegenüber der Via Praetoria errichtet worden sein muss, vermutet man beim heutigen Rathaus. Überreste, die möglicherweise von der Principia des Flottenlagers stammen, wurden 1980 von Archäologen in der heutigen Oberstadt beobachtet.[8]

Garnison

Die Flottenbasis stellte eine organisatorische Ausnahme in Gallien dar. Sie war nicht Teil des kontinentalen Verteidigungssystems, sondern vielmehr Bestandteil der militärischen Infrastruktur Britanniens. Der Kriegshafen war quasi das Gegenstück zum Hafen von Rutupiae (Richborough), der im 1. Jahrhundert ebenfalls als eine wichtige Basis der Classis Britannica angesehen wurde, neben Dubris (Dover), wo ebenfalls schon zu Beginn des 1. Jahrhunderts Kastelle errichtet wurden. Folgende Einheiten stellten entweder die Besatzung des Kastells oder könnten sich für eine begrenzte Zeit dort aufgehalten haben:

Zeitstellung Truppenname Beschreibung
2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. Classis Britannica (Britische Flotte) Für etwa zwei Jahrhunderte sicherte dieser Flottenverband von Gesoriacum aus die Seeverbindung zu den britischen Inseln. Ihre Anwesenheit trug zum großen Wohlstand der Zivilstadt bei, die sich im Laufe der römischen Herrschaft um den Flottenstützpunkt herum entwickelte. Es ist wahrscheinlich, dass die Aufstellung der Classis Britannica entweder auf die fehlgeschlagene Caligula-Expedition im Jahr 39 oder auf die Vorbereitungen für die Landung des Claudius in Britannien von 43 zurückzuführen ist. Die Präsenz von Flottenangehörigen in Boulogne wurde vor allem durch epigraphische Zeugnisse bestätigt. Mehrere im Boulogne-Museum verwahrte Grabinschriften überliefern die Namen von Trierarchen, jenen Offizieren, die die Kriegsschiffe befehligten, wie Publius Graecius Tertinus, ein pater trierarchus. Die älteste dieser Stelen stammte vom Grab eines Freigelassenen (Libertus), Tiberius Claudius Seleucus, der von Claudius oder Nero in die Freiheit entlassen wurde, höchstwahrscheinlich stammte er aus dem griechischen Osten des Reiches. Ein andere Grabstele vom Gräberfeld Vieil-Atre (gef. 1888), erwähnt den TR(ierarchus) Domitianus, eine Reliefplatte (gef. 1859) überliefert sogar den Namen einer Triere, der Radians, deren Besatzung ein Denkmal gestiftet hatte. Daneben stieß man in Bolougne auf zahlreiche Ziegel mit dem Stempel CL[assis] BR[itannica]. Sie wurden seit dem 19. Jahrhundert an denjenigen Stellen gefunden wurde, an denen die Flotte ihre Infrastruktur errichtet haben muss. Die Flottenbasis in Gesoriacum blieb wohl länger in Betrieb als die in Britannien. Eine in Arles gefundene Inschrift erwähnt den Saturninus, der um 240 Trierarch auf einem Schiff der Classis Britannica war. Sie bestätigt, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Einheit mit diesem Namen existierte.[9]
3. Jahrhundert n. Chr. Legio XXX Ulpia Victrix (die Legion des Ulpius, die Siegreiche) Im Herbst des Jahres 286 oder im Frühjahr 287 schloss sich die Garnison von Gesoriacum, darunter auch wahrscheinlich Soldaten dieser Legion, der Usurpation des Carausius an, der daraufhin ihr zu Ehren Münzen prägen ließ und um damit wohl auch ein Donativ auszahlen zu können.[10]
4. bis 5. Jahrhundert n. Chr. Laeti (Germanische Verbündete) Die Küsten auf beiden Seiten des Ärmelkanals dürften ab dem späten 4. Jahrhundert zu einem eigenen Militärbezirk, den Litus saxonicum, zusammengefasst und insbesondere von den Sachsen dominiert worden sein. Die dort eingewanderten Völker waren einst von Constantius Chlorus als Laeten offiziell legitimiert worden um die Verteidigungsaufgaben für die Römer zu übernehmen. Sie haben auch – insbesondere im Hinterland von Boulogne – ihre archäologischen Spuren hinterlassen. Die Garnisonen (Limitanei) der gallischen Nordküste wurden am Ende des 4. Jahrhundert – laut der Notitia Dignitatum – von einem Dux Belgicae secundae und Dux tractus Armoricani et Nervicani kommandiert. Bononia scheint in ihren Truppenlisten allerdings nicht mehr auf.[11]

Zivilstadt

Gesoriacum war eine relativ große Stadt in einer Region, in der die Urbanisierung zur Zeit der römischen Antike noch sehr unterentwickelt war. Der Ort bestand aus drei Teilen, den Hafen, die Unterstadt und die Oberstadt. In der frühen Kaiserzeit erstreckte sich die Unterstadt entlang der Flussmündung, bzw. um das Flottenkastell und war ca. 50 bis 60 ha groß. Wenn man die Flottenbasis ausklammert, dürfte die Zivilstadt eine Fläche von etwa 40 Hektar eingenommen haben, ihr Kern ein Areal von mindestens 10 Hektar. Dies verlieh ihr sicher auch eine gewisse regionale Bedeutung als Handwerks- und Handelszentrum. Der zivile Teil der Unterstadt etablierte sich am Nordufer der Liane. Die von der Classis Britannica errichteten Gebäude nahmen vermutlich den größten Teil der damals bebauten Fläche ein, die Unterstadt dürfte deswegen auch hauptsächlich mit Lagerhäusern (Horreum) bebaut gewesen zu sein. Um diesen Ballungsraum existierten aber auch Vororte, einer befand sich jenseits des Vallon de Tintelleries bis zum Leuchtturm. Ein zweiter befand sich an der Straße nach Calais zwischen den Quatre Moulins et Marlborough. Man vermutete einen solchen auch am Rande der Nekropole von Vieil-Atre, nahe der Rue Dringhen. Auch auf der anderen Seite der Liane-Mündung, auf der Halbinsel Outreau stand ebenfalls eine Siedlung, sie zählte allerdings nicht mehr zum antiken Stadtgebiet.

Nach dem Stand der archäologischen Befunde des 19. Jahrhunderts ist auch ihr Umfang recht gut bekannt. Über die Entdeckungen aus dieser Zeit (meist im Zuge von Bauarbeiten) weiß man ansonsten nur wenig, aber Münzfunde der römischen Republik, der Kaiser Augustus, Tiberius, Caligula sowie Gallo-belgische Keramik weisen darauf hin, dass der Kern der Zivilstadt in Bréquerecque gelegen haben muss. Das Hafengebiet scheint in römischer Zeit aber als erstes besiedelt worden zu sein. Für die Quartiere auf beiden Seiten des Flottenlagers sind jedenfalls keine Funde vor der claudisch-néronischen-Zeit bekannt geworden, was bestätigt, dass die Entwicklung dieses Teils der Unterstadt eng mit der Errichtung des Flottenlagers in Zusammenhang stand. Die Stadt der mittleren Kaiserzeit war in zwei Sektoren unterteilt. Der im Süden lag im heutigen Quartier Bréquerecque; der nördliche hatte sich neben den Flottenstützpunkt entwickelt. Dort markierte das Vallon de Notre-Dame, nahe dem Flottenlager, die Grenze der Zivilstadt. Der Ortsteil Bréquerecque erstreckt sich entlang einer Nord-Süd-Achse, die heute von der Rue de Amiens markiert wird. Im Norden wird das Quartier durch den Bach im Val Saint-Martin, im Süden durch eine antike Nekropole, auf einen schmalen Landstreifen entlang des Flusses, jenseits des Place du Franc-Marché und im Westen durch die Mündung der Liane eingegrenzt. Die Zivilstadt erstreckte sich auch noch weiter nach Osten, wo am Südhang des Val de Saint-Martin viele ihrer Überreste gefunden wurden. Während der Ausgrabungen durch die Société d’Agriculture von 1823 bis 1828 glaubte man, dort auch Werkstättenbauten erkannt zu haben.

Nördlich des Baches im Val Saint-Martin zwingt das Plateau der Oberstadt den Flusslauf nach Westen. Die Achsen der Hauptstraßen erstreckten sich deshalb von Nordwesten nach Südosten. Nur bei zwei von ihnen ist ihr Verlauf gut belegt. Die erste folgte teilweise der Rue de l'Ancien Rivage. Sie war die Hauptstraße durch den römischen Hafenbezirk und führte direkt zum Leuchtturm, im Südosten zum alten Chemin de Waroquerie und der Rue du Chanoine Pillons. Der Chemin de la Waroquerie, heute Rue Boucher de Perthes und Rue Ansart Rault im nördlichen Teil, geht auf eine weitere römische Straße zurück. Diese Hypothese wird durch zahlreiche archäologische Funde gestützt. Sie markierte, parallel zur Rue de l'Ancien Rivage, die Grenze zwischen der Marinebasis und der Nekropole Vieil-Atre und endete an der Porte Gayole, das Osttor des Flottenkastells. Weiter östlich, auf beiden Seiten der heutigen Rue de la Porte Gayole, wurden mit Mosaiken und Fresken geschmückte Gebäude mit Hypokaustheizungen freigelegt. Westlich des Hafens ist eine dichte Bebauung bis zur Grande Rue belegt. Darüber hinaus ist dieser Teil der Stadt aufgrund des Vorhandenseins von Böschungen an der Tintelleries und der Entwicklung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Siedlungen im südlichen Teil nur wenig bekannt. Auch die Existenz eines Handelshafens im Vallon de Tintelleries kann nicht ausgeschlossen werden.

Die öffentlichen Bauten (Forum, Tempel usw.) blieben von den Grabungen der Archäologen im 19. Jahrhundert unberührt. Nur wenige der antiken Chronisten berichten über ihre Existenz. Laut Florus hätte der Feldherr Drusus in den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr. eine Brücke erbauen lassen. Vermutlich überspannte sie den Bach im Val de Saint-Martin, an dem Punkt, wo die Straße aus Amiens sie kreuzt. Sie ging wohl der für das Mittelalter bezeugten Brücke in Bréquerecque voraus. Man weiß auch, dass an der Stelle, an der sich Kaiser Claudius nach Britannien einschiffte, ein Triumphbogen errichtet wurde, der wohl an der Straße nach Amiens stand, was wahrscheinlich ist, dort aber eine archäologische Grabung erfordern würde. Ein Sakralbau, der am Rande der Grande Rue entdeckt wurde, konnte auf das 3. Jahrhundert datiert werden. Wenn die beiden dort gefundenen Statuen richtig als Dadophoren identifiziert wurden, muss es sich dabei um ein Heiligtum (Mithräum) des - bei den römischen Soldaten sehr beliebten - Lichtgottes Mithras gehandelt haben. Er belegt somit die Einführung dieses orientalischen Kults in Gesoriacum, entweder durch Soldaten der Garnison oder Kaufleute aus dem Osten, die den Hafen sicher häufig freqentierten.

Die spätantike Festungsstadt Bononia wurde erst an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert auf dem Areal des Flottenkastells gegründet. Es sind aus dieser Zeit die Reste ihrer Stadtmauer bekannt, die noch im 3. Jahrhundert erbaut wurde und ein Gebiet von ca. 13 ha (450 x 300 m) umschloss. Von dort ausgehend existierten noch zusätzliche Verteidigungswerke, die bis in die Unterstadt reichten und offensichtlich auch den Hafen besser schützen sollten.[12]

Hafen

Cäsars Portus Itius befand sich vermutlich relativ isoliert auf einer Halbinsel, die nur durch eine schmale Landverbindung im Süden mit dem Hinterland verbunden war. Die damalige Küstenlinie mit einer großen Bucht, die vor den Seewinden geschützt war, ist ein Hinweis auf diese Hypothese. Der spätere Hochseehafen etablierte sich am rechten Ufer des Liane-Mündungstrichters, in der Bucht von Bréquerecque. Das Terrain war dort weniger hoch und weniger steil als das am Plateau d'Outreau. Zudem bot dieser Standort bessere Anlegemöglichkeiten, da sie wesentlich leichter zugänglich waren. Historiker vermuten den römischen Kriegshafen entweder im Tintelleries-Tal, in dem sich später auch der mittelalterliche Hafen befand, oder ebenfalls in der Bucht von Bréquerecque, die sich südlich der heutigen Rue Nationale öffnete, aber während des Mittelalters verlandete. Die Verteilung der Fundorte der Ziegelstempel lassen annehmen, dass der Marinestützpunkt das Areal zwischen der Rue de l'Ancien Rivage und der Rue de Boucher de Perthes einnahm. Beide folgten auch den antiken Straßenverläufen. Das Val Saint-Martin begrenzte ihn im Süden, die Ausdehnung nach Norden konnten noch nicht festgestellt werden.[13]

Leuchturm

Der Pharos von Gesioracum war als sog. Tour d'Ordre bekannt, dessen letzten Überreste noch bis 1939 zu sehen waren. Ob er schon im Jahr 39, errichtet wurde ist umstritten. Kaiser Caligula soll in diesem Jahr "...einen sehr hohen Turm, der an seinen Sieg erinnert, in dem jede Nacht Feuer leuchten sollten, wie der des Leuchtturms von Alexandria...” errichtet haben, der auch aus anderen antiken Beschreibungen bekannt ist. Vermutlich war er bis zum Fall des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert in Verwendung. In der Folgezeit zunächst aufgegeben, wurde er auf Anordnung Kaiser Karls des Großen um 810 umfassend restauriert und wieder in Betrieb genommen. Die Erosion der Küste führte schließlich am 29. Juli 1644 zum Abbruch eines Teils der Outreau-Klippe, auch der Turm stürzte dabei zum großen Teil ins Meer. Er ähnelte dem Pharos in Dover, hatte einen achteckigen Grundriss und war zwölf Stockwerke hoch, von denen jedes vom vorherigen etwas zurückgesetzt war und ihm damit ein teleskopartiges bzw. kegelförmiges Aussehen gab. Die Identifikation als Leuchtturm des Caligula stellt ein Problem dar, da seine Steinverblendung sich mit Ziegelreihen abwechselte, eine Bautechnik, die in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. noch nicht angewendet wurde. Neueren Forschungen zufolge soll er sich tatsächlich in Lugdunum Batavorum befunden haben, als Denkmal für die Herrlichkeit Roms und des Kaisers gegenüber der noch ungezähmten Britannia. Sueton berichtet, dass der Kaiser dort im Jahr 40 n. Chr., nach der fehlgeschlagenen Invasion Britanniens, den Bau eines Pharos in Auftrag gab, Boulogne scheidet somit als Standort höchstwahrscheinlich aus, da es dort keinerlei Belege für größere römische Aktivitäten in der fraglichen Zeitperiode gibt.[14]

Wirtschaft

Der Aufstieg von Gesoriacum während der ersten beiden Jahrhunderte unserer Zeitrechnung strahlte auch weit ins Umland aus. Die römischen Befunde in Sangatte, Wissant, Wimereux, Étaples zeugen von einem gewissen Wohlstand in diesen kleinen Häfen, die sicher ebenfalls am Handelsverkehr mit Britannien ihren Anteil hatten. Die Krisen des dritten Jahrhundert ruinierten die regionale Wirtschaft jedoch nachhaltig. Die Entwicklung der Stadt förderte auch das lokale Handwerk und das Baugewerbe. Die Archäologie liefert hiefür zwei Beispiele. Ziegel und Platten mit CL BR-Stempel wurden in Sainte-Gertrude in der Nähe von Desvres unweit der Thérouanne-Straße geborgen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Flotte dort eine große Ziegelei betrieb, die Gesoriacum auch mit Keramikprodukten aller Art versorgte. Die Marquise-Steinbrüche wurden vor Ende des 1. Jahrhunderts in Betrieb genommen, um das Steinmaterial für die Infrastuktur der Stadt bereitzustellen. Viele der antiken Statuen, Statuetten, Reliefs, Stelen die man z. B. in Marquise, Boulogne und Frencq, fand, wurden aus Marquise-Oolith gehauen.[15]

Gräberfelder

Die am Rande der Zivilstadt angelegten Bestattungsplätze befanden sich in Bréquerecque und Vieil-Atre. Letzteres lag am Nordhang des Val Saint-Martin und erstreckte sich von Chemin de la Waroquerie bis nördlich der Rue Dringhen. An einigen Stellen wurden dort drei Schichten sich überlagerter Brandbestattungen gefunden, was von einer sehr langen Nutzung des Gräberfeldes zeugt. Die Praxis der Einäscherung von Verstorbenen lässt sich von den Anfängen der Stadt bis etwa 275 verfolgen.[16]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Lottin 2014.
  2. Bourdellès 1988, S. 77–82, Lebègue/Chaurand 1994, S. 53.
  3. Florus II, 30, 26, Bellum Gallicum V, 5, Lottin 2014, S. 17–44, Licoppe 2009, S. 61.
  4. Lottin 2014, S. 17–44.
  5. Äneis, VIII, 727.
  6. De bello gallico, Buch IV, 20 à 38 und Buch V, 1 u. 23, Florus II, 30, 36, Sueton: Caligula: 46, Panegyrici latini 8,12,1, Zosimus, Historia nova, VI, 5, S. 2–3, Léman/Seillier 1982, S. 138–148, Lottin 2014, S. 17–44, Fournet 2012, S. 21–36.
  7. Florus II, 30, 36, Sueton: Caligula: 46, Panegyrici latini, Eutrop, Breviarum, 9, 21, 8,12,1, Zosimus, ...Migratio Germanorum Ex Academia Bononiensi. Scriptum ... causas continens, cur ... natio Germanica Bononia secesserit..., Historia nova, VI, 5, S. 2–3, Stephen Williams 1996, S. 47 und 71–72, Léman/Seillier 1982, S. 138–148, Lottin 2014, S. 17–44, Fournet 2012, S. 21–36.
  8. Léman/Seillier 1982, S. 138–148, Lottin 2014, S. 17–44.
  9. CIL 13, 3540, CIL 13, 3542, CIL 13, 03545, CIL 13, 03546, CIL 13, 3547, Lottin 2014.
  10. Williams 1996, S. 47 und 71–72.
  11. ND Occ. I 45 und XXXVII.
  12. Lottin 2014, S. 17–44.
  13. Lottin 2014, S. 17–44.
  14. Lottin 2014, S. 17–44.
  15. Lottin 2014, S. 17–44.
  16. Lottin 2014, S. 17–44.