Der Verfolger (Originaltitel El perseguidor) ist eine Erzählung von Julio Cortázar aus dem Jahr 1959.
In dieser Geschichte erzählt Cortázar – nur wenig verfremdet und mit der Widmung in memoriam Ch. P. versehen – das Ende des Jazz-Saxophonisten Charlie Parker (1920-1955), der offenbar seit seinem fünfzehnten Lebensjahr heroinabhängig war, und nun seinen Stern langsam, aber sicher schwinden sah. Oft wurde er engagiert, dann jedoch wegen seines unberechenbaren Verhaltens wieder gefeuert, worauf er konsequenterweise immer weniger Engagements bekam.
Der Ich-Erzähler und Jazzkritiker Bruno schildert die Situation und das Verhalten des Marihuana konsumierenden Saxophonisten Johnny Carter, der in einem heruntergekommenen Hotelzimmer lebt, dessen einziges Fenster ein dunkler Lichtschacht ist, und der – wieder einmal – kein Instrument zur Verfügung hat, weil er es diesmal in der Pariser Metro liegen gelassen, und nicht wie sonst mutwillig zerstört hat, dessen Auftritt zwei Tage später deswegen gefährdet ist, und der aufgrund der Häufigkeit dieser Vorkommnisse aber auch nicht mehr damit rechnen kann, ein Ersatzinstrument zur Verfügung gestellt zu bekommen.
- Bruno, könnte ich doch leben wie in diesen Augenblicken, oder wenn ich spiele und die Zeit sich auch ändert... Wenn du bedenkst, was sich in anderthalb Minuten alles abspielen kann...
Bruno (Sei getreu bis in den Tod, Offenbarung des Johannes 2,10, nach der Widmung der Erzählung vorangestellt) besorgt ein neues Instrument, und Johnny tritt wie verabredet auf. Tags darauf verspätet er sich um Stunden im Aufnahmestudio, hat dann keine Lust zu spielen, spielt kurz darauf den Titel Amorous ein Stück in einer Art, die einer der größten Augeblicke des Jazz bleiben wird – um unmittelbar danach vergeblich die Vernichtung der Aufnahme zu fordern.
Er randaliert nachts im Hotel, steckt sein Zimmer in Brand, bis oben hin zu mit Marihuana, und wird nicht zum ersten Mal deswegen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert (wie das schon ein halbdutzendmal in San Francisco, in Baltimore und in New York passiert ist), wo er ein zerlesenes und vollgekritzeltes Büchlein von Dylan Thomas nicht aus der Hand gibt. Die anstehenden Konzerte müssen wieder einmal abgesagt werden...
- Seine Eroberungen sind wie ein Traum, er vergisst sie, wenn er erwacht, wenn der Applaus ihn zurückholt, ihn, der so weit weg ist und seine Viertelstunde in anderthalb Minuten lebt.
Bruno, der auch Johnnys Biograph ist, versucht ihn zu verstehen, über die veröffentlichte, aber noch unvollständige Biographie hinaus, beobachtet ihn und seinen Niedergang verzweifelt (als Freund) und gleichzeitig fasziniert (als Biograph):
- Es wird immer schwieriger, ihn dazu zu bringen, über Jazz, seine Erinnerungen, seine Pläne zu sprechen, ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen.
- ...dass Johnny kein Opfer ist, kein Verfolgter, wie alle Welt glaubt... Jetzt weiß ich, dass es nicht so ist, dass Johnny der Verfolger und nicht der Verfolgte ist, dass all das, was ihm im Leben zustößt, die Missgeschicke eines Jägers sind und nicht die eines gehetzten Tieres. Niemand kann wissen, was das ist, was Johnny verfolgt, aber dass er etwas verfolgt, ist offensichtlich, in Amourous, im Marihuana, in seinen absurden Reden über so viele Dinge, in den Rückfällen, in dem Büchlein von Dylan Thomas,...
Allerdings erkennt sich Johnny in seiner Biographie nur wieder, wie man sich in einem Spiegel wiedererkennt – während er andererseits glaubt, tatsächlich der im Spiegel zu sein.
Johnny erhält die Nachricht, dass seine jüngste Tochter Bee (er hat seine Familie schon lange verlassen) in Amerika an Lungenentzündung gestorben ist.
- ...zum Beispiel der Unterschied zwischen Bee, die tot ist, und Bee, die lebt. Was ist spiele, ist Bee, die tot ist, verstehst du, während das, was ich eigentlich will ...
Johnny kehrt in die USA zurück, dort stirbt er plötzlich vor dem Fernseher. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: Oh, mach’ mir eine Maske – das andere Zitat, jetzt von Dylan Thomas, das dem Roman vorangestellt ist.
- Ein armer Teufel von kaum durchschnittlicher Intelligenz, der so wie viele Musiker, Schachspieler und Dichter die Gabe besitz, großartige Dinge zu schaffen, ohne sich der Größe seines Werkes im geringsten bewusst zu sein...