Wechselläuten

Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 30. August 2006 um 00:31 Uhr durch Wero (Diskussion | Beiträge) (Kirchenglocken). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Wechselläuten (auch Variationsläuten, engl. Change Ringing) ist eine Kunstform des Glockenläutens, die hauptsächlich im angelsächsischen Kulturraum verbreitet ist. Benutzt wird ein Geläut von drei bis zwölf, manchmal auch mehr, selten aber über sechzehn Glocken. Die Glocken werden reihum geläutet wobei bei jeder Wiederholung, jedem Wechsel, die Reihenfolge der Glocken so variiert wird, dass keine Reihe doppelt auftaucht – ausgenommen der letzte Wechsel, in dem die Glocken wie zu Beginn in absteigender Tonhöhe geläutet werden.

Ursprünglich für Kirchenglocken entwickelt, wird das Wechselläuten heute auch mit Handglocken praktiziert. Eine gewisse Popularität erlangte diese Praxis in der Zeit des zweiten Weltkriegs, als in England die Kirchenglocken nicht geläutet wurden und die Glöckner auf andere Trainingsmöglichkeiten ausweichen mussten.

Technik

Kirchenglocken

 
Englischer Glockenstuhl, am Joch der rechten Glocke ist die hölzerne Hemmung zu erkennen

Technische Voraussetzung für das Wechselläuten mit Kirchenglocken ist ein Glockenstuhl, der eine Rotation der Glocken um 360 Grad erlaubt. Das Joch an dem jede Glocke aufgehängt ist, ist mit einem hölzernen Rad ausgestattet, in welchem das Glockenseil geführt wird.

Zu Beginn des Läutens wird die Glocke aufgeschwungen, d.h. durch wiederholtes Ziehen am Seil immer höher bewegt, bis sie sich um 180 Grad gedreht in einem labilen Gleichgewicht befindet. Eine am Joch angebrachte Hemmung stabilisiert die Glocke in dieser Lage.

Durch einen Zug am Seil lenkt der Glöckner die Glocke so aus dem Gleichgewicht, dass die Glocke eine volle Drehung vollführt und wieder kopfüber stehen bleibt. Dabei schlägt der Klöppel auf den Glockenkörper und lässt die Glocke einmal erklingen. Diese Aktion bezeichnet man als Handzug.

Das Glockenseil wickelt sich beim Handzug zu einem guten Stück um das Rad, so dass die Arme des Glöckners über seinen Kopf gezogen werden. Zieht der Glöckner jetzt nochmals am Seil, schwingt Glocke in die entgegengesetzte Richtung und kehrt zu ihrer Ausgangsstellung zurück wobei sie wiederum ertönt: der sogenannte Rückzug.

Handglocken

 
Handglocken

Beim Wechselläuten mit Handglocken gibt es zwei unterschiedliche Techniken. Bei der ersten wird im Prinzip das Läuten mit Kirchenglocken imitiert: Ein Aufwärtsschlag der Glocke entspricht dem Handzug, ein Abwärtsschlag dem Rückzug. Falls nicht speziell für das Kirchengeläut trainiert werden soll, kann eine Person auch durchaus mehrere Glocken bedienen.

Alternativ dazu sind die Glocken in absteigender Tonhöhe von rechts nach links auf einem Tisch ausgelegt. In dieser Folge werden sie bei jedem Durchgang geläutet, wobei jeder Glöckner das vor ihm liegende Paar Glocken einmal anschlägt. Die Wechsel werden durch das Vertauschen entsprechender Glocken beim zurücklegen erreicht; auf diese Weise können die Glocken immer in derselben Reihenfolge von rechts nach links durchgeläutet werden.

Grundlagen

Traditionell werden die Glocken in absteigender Reihe durchnumeriert. Die Sopranglocke (engl. treble) wird mit 1 bezeichnet, die zweithöchste mit 2 und so weiter bis zur tiefen Baßglocke (tenor (!)).

Das einfache Durchläuten der Glocken in absteigender Folge heißt Runde (round). Üblicherweise bilden eine oder mehrere Runden Auftakt und Abschluß des eigentlichen Wechselläutens. Jeder der auf die einleitende Runde folgenden Wechsel ist eine echte Permutation der Glocken, das heißt jede Glocke wird bei jedem Wechsel genau einmal geläutet; außerdem darf sich die Reihenfolge der Glocken bis zum Schluß bei keinem Wechsel wiederholen. Ein weiterer Grundsatz ist die Forderung, daß keine Glocke bei einem Wechsel um mehr als einen Platz nach vorne oder hinten rücken darf.

Umgesetzt werden diese Regeln auf zwei verschiedene Arten: Beim sogenannten call change ringing wird bei jedem Wechsel auf Zuruf des leitenden Glöckners ein Paar Glocken benannt, das seine Plätze tauscht. Beim method ringing folgen die Wechsel einem von vornherein fest vorgegebenen Schema, einer Methode (method).

Die Krönung des Wechselläutens ist es, wenn alle möglichen Permutationen der Glocken in einem sogenannten extent in Folge geläutet werden. Bei einem Geläut von   Glocken gibt es   (n Fakultät) mögliche Permutationen, eine Zahl die mit der Anzahl der beteiligten Glocken rasant wächst. So gibt es bei sechs Glocken 720 mögliche Permutationen, bei sieben sind es 5.040 und bei zwölf bereits 479.001.600.

Als Zyklus (peal) wurde ursprünglich ein extent von sieben Glocken bezeichnet, er umfaßte also 5.040 Wechsel. Mit mehr als sieben Glocken ist ein extent kaum durchzuführen – die 479.001.600 Wechsel eines Zwölfergeläuts zu läuten dauerte über 30 Jahre – so daß in diesem Fall ein Läuten mit mindestens 5.000 Wechseln einen Zyklus darstellt. Bei weniger als sieben Glocken wird für den gleichen Titel eine Folge von mindestens 5.040 Wechseln gefordert. Unterhalb dieser Grenze spricht man von einem Satz (touch).

Geschichte

Die Kunst des Wechselläutens entstand in England im frühen 17. Jahrhundert. Die heutigen Techniken haben sich im wesentlichen zu dieser Zeit entwickelt. Das erste grundlegende Lehrbuch „Tintinnalogia, or, the Art of Ringing.“ von Fabian Stedman und Richard Duckworth stammt aus dem Jahr 1671.

Der erste volle Zyklus mit sieben Glocken wurde vermutlich am 2. Mai 1715 in der Kirche St. Peter Mancroft in Norwich nach der Methode Plain Bob Triples geläutet, auch wenn einige Indizien auf einen früheren Zyklus hinweisen, der am 7. Januar 1690 von der Ancient Society of College Youths in der Kirche St. Sepulchre-without-Newgate in London geläutet worden sein soll.

Der längste je geläutete Zyklus wurde am 2. Oktober 2004 in Coventry mit Handglocken geläutet. Er umfaßte 50.400 Wechsel und dauerte 17 Stunden.

Literatur und Quellen

  • Otto Bayer: Kleine Campanologie für Uneingeweihte. In: Dorothy L. Sayers: Der Glocken Schlag. Rowohlt, Reinbek 1978, ISBN 3-499-14547-2.
  • Richard Duckworth, Fabian Stedman: Tintinnalogia, or, the Art of Ringing. London 1671. (in elektronischer Form hier bei Project Gutenberg.)