Das Wohn- und Geschäftshaus Oschatzer Straße 15 in Dresden-Pieschen wurde 1898 erbaut und steht unter Denkmalschutz. Bis in die 1930er Jahre befand sich darin das Kaufhaus Fanger, später Kaufhaus Hava. Heute stehen die Geschäftsräume leer.




Geschichte
Kaufhaus Fanger und Kaufhaus Hava
Das Haus wurde 1898 als Geschäfts- und Wohnhaus für seine Familie von Benjamin Fanger (1860–1930 in Dresden) erbaut. Die Familie betrieb darin das Kaufhaus Fanger. Bei der Geschäftsleitung wurde Benjamin Fanger von seinem Schwiegersohn Moritz Auerbach (geb. 1883 in Tremessen, gest. 1943 in Auschwitz) unterstützt. Anfangs wurden Galanterie- und Lederwaren sowie Küchengeräte angeboten.[1] Mit der Zeit entwickelte es sich zum Vollsortiment-Kaufhaus. Nach Benjamin Fangers Tod 1930 betrieb seine Witwe Frieda (geb. 1860 in Gollub, gest. 1943 in Theresienstadt), genannt Fritze[2], das Kaufhaus weiter.
1933 wurden die Geschäftsräume an Max Brecher und Max Rosenbaum vermietet, die dort das Kaufhaus Hava – Haus der vielen Artikel betrieben. Schon am 1. April 1933 rief die NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Nach Augenzeugenberichten stand ein SA-Mann mit Gewehr vor dem Laden; die Osterartikel wurden nicht mehr gekauft. Neben dem Kaufhaus gab es im Erdgeschoss zeitweise eine Filiale der Dresdner Süßwarenhandlung Richard Selbmann. Eine Zeit lang betrieb Selma Auerbach (geb. 1891 in Berlin, gest. 1943 in Auschwitz), die Tochter von Benjamin und Frieda Fanger, eine Strumpfhandlung in dem markanten Gebäude.
1938 bis 1945
Mit der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 wurde den als Juden Verfolgten jegliche Grundlage eigener Gewerbe entzogen, ihre Geschäfte wurden geschlossen oder „arisiert“, so auch das Kaufhaus Fanger. Es wurde von Gustav Caspar übernommen. Die Gründe für die Übergabe erfuhren die Angestellten nicht. 1941 wurden die Fangers enteignet. Sie mussten in das Judenhaus in der Bautzner Straße 20 ziehen.[3] Tochter Selma und ihr Mann Moritz leisteten Zwangsarbeit im wenige hundert Meter entfernten Goehle-Werk. Am 23./24. November 1942 wurden Selma und Moritz Auerbach in das Judenlager Hellerberg deportiert und nach Auflösung dieses Lagers am 2./3. März 1943 in das KZ Auschwitz. Mutter Frieda, Selma und Moritz starben in den Konzentrationslagern Auschwitz und Theresienstadt.[4]
Ab 1945
Nach 1945 betrieb die Konsumgenossenschaft Dresden das Kaufhaus.[5] Seit der Deutschen Wiedervereinigung nutzte die Drogeriemarktkette Schlecker bis zu ihrer Insolvenz 2012 das Erdgeschoss. Im selben Jahr stellte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ein Denkzeichen zum Andenken an die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner auf.[6]
2014 fand in den Räumen des ehemaligen Kaufhauses ein Kunstmarkt statt.[7] Im Mai 2015 eröffnete dort das Café Karambolage als Szenetreff, Kunstraum und Veranstaltungsort.[8] Das Café schloss bald wieder. Im Dezember 2015 öffnete ein türkischer Supermarkt in den Erdgeschossräumen.[9] Im Februar 2020 schloss der Supermarkt wieder.[10] Seitdem stehen die Räume leer.
Gebäude
Das 1898 errichtete Gebäude steht unter Denkmalschutz. Es ist baugeschichtlich bedeutend und platzbildprägend. Die Fassade ist mit schwerer neobarocker Verzierung, vermutlich aus Zinkblech, versehen.[11]
Weblinks
- Entrechtung und Verfolgung. Kaufhaus ‚Hava – Haus der vielen Artikel‘ und die Familie Fanger/Auerbach. KulturKirche Weinberg Dresden-Trachenberge e.V., abgerufen am 28. Dezember 2020.
Einzelnachweise
- ↑ Lars Herrmann: Oschatzer Straße. In: dresdner-stadtteile.de. Abgerufen am 28. Dezember 2020.
- ↑ Adreßbuch für Dresden und seine Vororte. Buchdruckerei von Arthur Schönfeld, 1900, S. 339, abgerufen am 5. Januar 2021.
- ↑ Iris Hellmann: Als Juden in Pieschen Waffen herstellen mussten. In: Sächsische Zeitung. 27. Januar 2012 (kostenpflichtig online [abgerufen am 28. Dezember 2020]).
- ↑ Iris Hellmann: Die dunkle Seite von Pieschen. In: Sächsische Zeitung. 8. November 2011 (kostenpflichtig online [abgerufen am 28. Dezember 2020]).
- ↑ Oschatzer Straße. Stadtwiki Dresden, abgerufen am 28. Dezember 2020.
- ↑ Denktafel am früheren Kaufhaus Fanger aufgestellt. In: Sächsische Zeitung. 24. April 2012 (kostenpflichtig online [abgerufen am 28. Dezember 2020]).
- ↑ Sankt Pieschen war ein Publikumsmagnet. In: Sächsische Zeitung. 3. Juni 2014 (kostenpflichtig online [abgerufen am 28. Dezember 2020]).
- ↑ Kathrin Kupka-Hahn: Café Karambolage eröffnet heute. In: Sächsische Zeitung. 8. Mai 2015 (kostenpflichtig online [abgerufen am 28. Dezember 2020]).
- ↑ Istanbul Market bringt das Morgenland in die Oschatzer Straße. pieschen-aktuell.de, 21. Dezember 2015, abgerufen am 28. Dezember 2020.
- ↑ Winfried Schenk: Nach vier Jahren: Aus für den Istanbul Market in der Oschatzer Straße. pieschen-aktuell.de, 28. Februar 2020, abgerufen am 28. Dezember 2020.
- ↑ Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen - Denkmaldokument. (PDF; 497 kB) Obj.-Dok.-Nr. 09216300. Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, abgerufen am 28. Dezember 2020.
Koordinaten: 51° 4′ 34,1″ N, 13° 43′ 26,1″ O