Unter Prostitutionstourismus (auch "Sextourismus") versteht man Reisen, die von den Reisenden in erster Linie dazu unternommen werden, Beziehungen zu Prostituierten der besuchten Länder aufzunehmen. Neben dem Prostitutionstourismus gibt es in den meisten touristisch erschlossenen Regionen auch die gelegentliche Prostitution von Einheimischen zu Touristen/Touristinnen. Prostitutionstourismus im heute zu beobachtenden Ausmaß existiert erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bedingt durch den zunehmenden Wohlstand der Länder Westeuropas und Nordamerikas und die Möglichkeit mit Flugzeugen relativ billig und schnell in weit entfernte Länder reisen zu können.
Motive der Prostitutionstouristen
Es gibt verschiedene Gruppen von Männern, die als "Sextouristen"
Herkunftsländer und Reiseziele
Ein Merkmal des Prostitutionstourimsus ist, dass die Kunden überwiegend aus wohlhabenden Ländern kommen; vor allem aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Österreich und anderen westeuropäischen Staaten sowie Australien. Daneben nimmt seit den politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen in den Staaten des ehemaligen "Ostblocks" auch die Zahl von Prostitutionstouristen aus diesen Ländern zu. Die südostasiatischen Ziele der Prostitutionstouristen werden zudem auch von Männern aus China, Malaysia, Singapur und Japan besucht.
Häufigste Reiseziele für männliche Prostitutionstouristen sind Thailand, die Philippinen und seit wenigen Jahren auch Kambodscha in Südostasien, Kuba und die Dominikanische Republik in der Karibik, Brasilien und afrikanische Länder wie Gambia und Kenia. Seit dem Fall des eisernen Vorhangs entwickelten sich auch die grenznahen Gebieten der Tschechischen Republik zum Ziel prostitutionstouristischer Kurzbesuche vor allem deutscher und österreichischer Männer.
Das primäre verbindende Merkmal der Reiseziele ist die ökonomische Situation der einheimischen Menschen. Der Prostitutionstourismus lebt - wie der normale Tourismus auch - von den niedrigeren Preis- und Lohnniveau in den bereisten Ländern. Die Arbeitskraft wird in diesen Ländern im Allgemeinen viel geringer vergütet als in den Herkunftsländern der (Prostitutions-)Touristen. Auch sexuelle Dienstleistungen werden meist zu sehr viel niedrigeren Preisen angeboten. Da gerade für die Frauen dieser Länder meist wenig Arbeitsmöglichkeiten bestehen, bietet die Arbeit als Prostituierte oft bessere Verdienstmöglichkeiten als andere Berufe.
Die Geschichten der Prostituierten in den außereuropäischen Prostitutionstourismus-Destinationen ähneln sich häufig: Schulbildung ist nicht oder kaum gegeben. Häufig waren sie verheiratet, haben Kinder und wurden von ihrem Mann verlassen. Eventuell wird noch zusätzlich ein Familienmitglied krank, sodass Geld beschafft werden muss. Hauptargument, neben der Notwendigkeit Geld zu verdienen, ist, dass die Frauen nicht wollen, dass ihre eigenen Töchter in der Prostitution enden. In der Tat kann in vielen dieser Ländern (siehe auch Schwellenländer) allein durch Arbeit in der Fabrik, deren Lohn manchmal nur 1 bis 3 Euro am Tag beträgt, weder eine ordentliche Schulbildung noch eine angemessene ärztliche Behandlung finanziert werden. Daneben werden von mittellosen oder verschuldeten Familien der ländlichen Regionen oft auch junge Mädchen an die Bars oder Clubs in den Städten und Tourismuszentren regelrecht verkauft.
Südostasien
Eine erste Welle von "Sextouristen" in Südostasien kam mit den US-amerikanischen, britischen und australischen Soldaten die zuerst im Zuge des Vietnamkrieges ihre Urlaubszeiten an den Stränden Thailands und der Philippinen verbrachten, wo Prostituierte ihrer Zerstreuung dienen sollten.
Ab den 1980ern wurden die Länder der Region, allen voran wiederum Thailand und die Philippinen, wegen der günstigen Flüge und der politischen und wirtschaftlichen Stabilität, zu immer beliebteren Fernreisezielen für Touristen aus Nordamerika und Europa sowie Reisende aus Australien. Mit den gewöhnlichen Touristen kamen bald auch die Prostitutionstouristen, weniger der tropischen Strände oder der Kultur wegen, sondern angezogen durch die vergleichsweise billig verfügbaren "exotischen" Frauen.
Zu Zentren des Prostitutionstourismus in Thailand entwickelten sich insbesondere Pattaya, aber auch Bangkok, Chiang Mai und die Insel Phuket. Speziell in Thailand ist der Anteil der Prostitutionstouristen an der Gesamtzahl der Kunden der Prostituierten allerdings relativ gering. Etwa 4,6 Millionen männliche Thais besuchen jährlich die nach Schätzungen mindestens 1,5 Millionen Prostituierten. Die größte Gruppe ausländische Männer sind Malayen mit ca. 1 Million. Unter den fernreisenden Prostitutionstouristen stellen US-Amerikaner die größte Gruppe, gefolgt von Briten und Deutschen (ca. 5000). Zwar versucht die thailändische Regierung die Prostitution zurückzudrängen und vor allem den Ruf des Landes im Tourismus zu verbessern, aber Prostitution ist dennoch ein profitabler Wirtschaftszweig: die "Rotlicht"-Branche weist einen Umsatz von jährlich rund 27 Milliarden Dollar auf und erwirtschaftet etwa 14 % des BIP (Schätzung des ILO, der International Labour Organisation der UNO). Etwa 28 % der Einkommen in Nordthailand stammen von Frauen, die in den Städten und touristischen Zentren als Prostituierte arbeiten. Aus dem Umstand, dass mit Prostitution verhältnismäßg viel Geld zu verdienen ist, folgt auch, dass offizielle Versuche sie zurückzudrängen kaum durchsetzbar sind. Prostitution ist in Thailand gesetzlich verboten. Allerdings funktioniert ein Verbot nicht, wenn jene die es durchsetzen sollen, also regionale Beamte und Polizisten, teilweise korrupt oder direkt involviert sind.
Die Zahl der Frauen in der Prostitution auf den Philippinen wird auf etwa 500.000 geschätzt, wobei der Anteil der Kinder und Jugendlichen hier deutlich höher ist als in anderen Ländern die von Sextouristen besucht werden.
Auch in Kambodscha nimmt seit dem Ende des Bürgerkriegs in den späten 1990er Jahren, neben dem allgemeinen Tourismus, der Prostitutionstourismus kontinuierlich zu. Schon in der Zeit, als das Land in den frühen 1990ern von der UNO verwaltet wurde, fand das Geschäft mit der Prostitution erstmals weitere Verbreitung. Viele UNO-Soldaten waren damals Kunden der neu entstandenen Bars und Bordelle. Heute blüht in Kambodscha nicht nur der Tourismus der vor allem von den Kulturdenkmälern in Angkor angezogen wird, sondern auch der Prostitutionstourismus in Phnom Penh und den Touristenzentren der Südküste.
Karibik und Südamerika
Die Dominikanische Republik, Kuba und andere Inseln der Karibik sind nicht nur für "gewöhnliche" Pauschaltouristen immer beliebter werdende Reiseziele. Wie in allen bisher genannten Ländern drängt auch hier die trostlose wirtschaftliche Situation Frauen in die Prostitution. Die Arbeitslosigkeit der Frauen in den Städten der Dominikanischen Republik ist etwa doppelt so hoch wie jene der Männer. Berufe im Dienstleitungssektor (z.B. Service- oder Reinigungspersonal in den Hotelanlagen) werden meist so schlecht bezahlt, dass ein Überleben für die Frauen und ihre Familien damit kaum zu finanzieren ist.
Afrika
Bevorzugte Reiseziele von (Prostitutions-)Touristen in Afrika sind vor allem Kenia und Gambia. Wie in den schon früher touristisch erschlossenen Ländern Südostasiens und der Karibik, folgten dem allgemeinen Tourismus bald auch hier die Prostitutionstouristen. Die Voraussetzungen waren und sind die selben: Armut, Mangel an beruflichen Perspektiven und Arbeitslosigkeit. Für die Männer aus den wohlhabenden Ländern Nordamerikas und Europas sind die sexuellen Dienstleitungen billig und leicht zu bekommen. Für Frauen manchmal der scheinbar einzige Ausweg. Die Länder Afrikas weisen heute die höchsten AIDS-Infektionsraten der Welt auf.
Sextouristinnen
Im Verhältnis zur Zahl der männlichen Prostitutionstouristen ist jene der Frauen, die auf diesem Grund verreisen, vergleichsweise marginal. Es gibt bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Rolle der Touristinnen im Geschäft mit dem Prostitutionstourismus, zu ihren Motiven und zu den sich prostituierenden Männern. Da es in kaum einer der Destinationen männliche Pendants zu "Bardamen" oder Straßenprostituierten gibt, ist auch die Grenze zwischen sich prostituierenden Männern und solchen, die, weil sich die Gelegenheit bietet, den Kontakt mit ausländischen Frauen aufnehmen mitunter schwer auszumachen. Zudem neigen Prostitutionstouristinnen dazu ihre Urlaubsbeziehungen weniger öffentlich zu machen. Allerdings ist seit den 1970ern zu beobachten, dass auch Frauen zum Zweck des Prostitutionstourismus zuerst in die Karibik, später auch nach Thailand, Bali, Kenia und Tunesien reisten. Wegen der immer noch grundlegend anderen gesellschaftlichen Stellung von Männern und Frauen, gerade in den lateinamerikanischen, aber auch in den asiatischen Ländern, ist ein Vergleich von männlichen und weiblichen Prostituierten allerdings kaum möglich. Prostitution ist letztlich eine Frage der Macht; vor allem der finanziellen, aber nicht zuletzt auch der physischen.
"Heiratsmarkt"
Prostitutionstourismus-Destinationen stellen auch einen "Heiratsmarkt" dar. Unter den "Bardamen" in den Touristenzentren Thailands oder der Philippinen finden sich kaum Frauen, die an mehreren Kunden in einer Nacht interessiert sind. Bevorzugt werden Kunden, mit denen ein Dauerverhältnis aufgebaut werden kann, das die gesamte Besuchszeit des Touristen andauert und wenn möglich auch verlängert wird. Sofern sich ein Arrangement finden lässt, bei dem der "Partner" regelmäßig Geld für den Unterhalt der Familie überweist, wird weitere Prostitution vermieden, so gut es geht. Eine Ehe mit einem Ausländer ist eine willkommene Chance, sowohl der Armut als auch der Prostitution zu entkommen. Die eigenen Kinder bleiben dabei häufig im Heimatland zurück.
In den Heimatdörfern der Frauen wird über Prostitution nicht gesprochen. Zwar ist die finanzelle Unterstützung der Familie willkommen, das Verhalten der Frauen wird aber dennoch missbilligt. In einigen Dörfern soll jede zehnte Frau mit einem Ausländer verheiratet sein, jedoch wird kein Wort darüber verloren, wie sich die Paare kennen gelernt haben.
Bei über acht Millionen Touristen jährlich alleine in Thailand, davon eine Menge Rucksacktouristen, ist es aber nicht zwangsläufig, dass Ehepaare sich als Freier-Prostituierte kennengelernt haben. Reisende aus westlichen Ländern finden nicht selten einen, in mancher Hinsicht attraktiveren, Partner als im Heimatland, und sind umgekehrt für die Frauen vor allem auch wegen der sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten attraktiver als Partner aus dem eigenen Land.
Menschenhandel
Neben dem, zwar durch die wirtschaftliche Situation hervorgebrachten, aber oft doch freiwilligen "Heiratsmarkt" existiert allerdings auch der Menschenhandel als Form der organisierten Kriminalität. Meist stammen die Frauen von den Philippinen, aus Thailand oder der Dominikanischen Republik, zunehmend auch aus Osteuropa. Mit dem Versprechen einer guten Arbeitsstelle oder eines Mannes der gut für sie sorgen würde, werden sie von vermeintlichen Heirats- oder Arbeitsvermittlern in Länder Westeuropas und Nordamerikas gelockt. Einmal angekommen sind sie, mittellos, der Landessprache oft nicht mächtig und fremd in dem Land, den Geschäftspartnern der Vermittler ausgeliefert. Eventuell vorhandene Rückflugtickets werden ihnen abgenommen, ebenso die Reisedokumente. In der Regel führt der Weg, sofern ihnen nicht die Flucht gelingt oder sie Hilfe finden, in Bordelle wo sie weitgehend rechtlos leben und arbeiten müssen.
AIDS
Prostitution, inbesondere wenn sie, was für viele Prostitutionstouristen mit ein Grund für diese Form des Reisens ist, ungeschützt, also ohne Kondom, ausgeübt wird, trug und trägt immer noch zur weltweiten Weiterverbreitung von AIDS bei. Deutlich wurde das am Beispiel Kambodscha. Das Land war durch das Regime der Roten Khmer und den später folgenden Bürgerkrieg seit den 1970ern praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. AIDS war weitgehend unbekannt. Ins Land gebracht wurde die Krankheit erst mit den UN-Soldaten zu deren Unterhaltung auch neu eingerichtete Bordelle dienten. Heute, zu Beginn der 2000er Jahre, hat Kambodscha mit eine der höchsten Infektionsraten aller Länder weltweit.
Kinderprostitution
Neben der Prostitution Erwachsener ist die Kinderprostitution eine besondere "Begleiterscheinung" des Prostitutionstourismus. Gemäß Schätzungen der UNICEF sind weltweit ca. 3 bis 4 Millionen Jugendliche (unter 18 Jahren) und Kinder Opfer von Kinderprostitution. Die ILO schätzt die Zahl der betroffenen Sechs- bis Vierzehnjährigen weltweit auf mindestens 1 Million. Besonders hoch ist der Anteil der Kinderprostitution auf den Philippinen. Für Pädophile, ist Sextourismus ein Weg ihre "Neigung" vermeintlich frei von der Gefahr einer Strafverfolgung, weit weg von den heimischen Behörden, auszuüben. Die Mädchen die dabei mißbraucht und zur Prostitution gezwungen, also vergewaltigt, werden, stammen meist aus armen ländlichen Regionen und sind mit 20 oft schon zu "alt" um noch weiter als Prostituierte zu arbeiten. Nicht selten sind sie bis dahin auch bereits mit AIDS oder anderen Geschlechtskrankheiten infiziert. Manche Männer verlangen allerdings auch gezielt nach jungen Mädchen, weil sie bei diesen irrigerweise eine geringere Gefahr der Ansteckung mit AIDS vermuten.
Gerade diese Kinder, die in den Clubs und Bars der Städte verkauft werden, machen deutlich, dass der Einstieg in die Prostitution meist nicht freiwillig erfolgt.
Literatur
- Wuttke, Gisela: Kinderprostitution, Kinderpornographie, Tourismus. Eine Bestandsaufnahme. Nachw. v. Christa Dammermann. LAMUV 1998. ISBN 3889775314.
- Rothe, Andrea: Männer, Prostitution, Tourismus. Westfälisches Dampfboot 1997. ISBN 3896914081
- OGrady, Ron. Gebrochene Rosen. Kinderprostitution und Tourismus in Asien. J. Horlemann Vlg., Unkel 1998. ISBN 3927905518
- Houellebecq, Michel: Plateforme. Editions J'ai lu 2002. ISBN 2290321230.
- Houellebecq, Michel: Plattform. deutsch von Uli Wittmann. rororo 2004. ISBN 3499233959.
Weblinks
- SOLWODI e.V. - Solidarität mit Frauen in Not; Beratung und Hilfe für Migrantinnen und Opfer von Menschenhändlern
- Prostitutionstourismus und organisierter Frauenhandel mit Frauen aus Ländern der dritten Welt: Ausmaß und Hintergründe Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung
- Vom Sextourismus zur Kinderpornografie Publikation der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de)
Siehe auch: Übersicht Tourismus
Kategorie:Sexualverhalten Kategorie:Tourismus
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