Narzisstische Kränkung
Narzisstische Kränkung ist ein Fachbegriff, den Sigmund Freud im Zuge der Entwicklung seiner psychoanalytischen Lehre prägte.
Als "narzisstische Kränkungen" bezeichnet er jene geistigen Errungenschaften, deren Potential es ist, die nicht vollreifen Anteile des ICH/Bewußtseins Erwachsener zu erschüttern, bzw. ihnen aufzeigen zu können, dass ihr Anspruch auf Geborgenheit, Versorgung, narzißtische 'Liebe' durch einen anderen Menschen, Halt in staatlichen, kirchlichen, monetären oder anderen ominösen Mächten infantil und illusorisch ist, da diese allein von fixierten Vorstellungen des Ichs bedingt sind. Bei der Darstellung der nicht vollreifen, infantil gebliebenen Anteile, arbeitet Freud mit der Analogie der embryonalen Geborgenheit im Mutterleib
Übertragung und Gegenübertragung, Laienpsychoanalyse
Dies ist die letztlich heilsame Erfahrung, die jeder Patient der Psychoanlyse spätestens ab dem Beginn der Durchleuchtung seiner neurotischen Übertragungen und Projektionen auf die Person des Psychoanalytikers macht, denn er meint fälschlich von diesem - meist aufgrund der mindestens fachkundig entgegengebrachten, u.U. dazu auch empathischen Zuwendung - ersatzweise geliebt werden zu können. Diese Übertragung oder Projektion von Erwartungen, Furcht vor Enttäuschung und allen denkbaren Affekten, ist an sich aber keineswegs ein pathologischer Vorgang, sondern ein Vermögen des Ichs, mit dem das Ergründen (Kennenlernen) der Projektions'fläche' beginnt, entweder um den weiteren Kontakt abzubrechen oder um ihn zu vertiefen, je nach dem. Ist 'sie' ein Mensch, projiziert sie möglicherweise zurück, und als Psychoanalatikier ist 'sie' sich außerdem der Unvermeidbarkeit dieses unter Lebewesen wechselseitig stattfindenen Phänomens bewußt - die Grundvoraussetzung für das Gelingen der psychoanalytisch geführten Beziehung (s. Übertragung (Psychologie), Gegenübertragung).
"Professionalität" im Sinne eines Abkommens zum Tauschhandel (Geld, Zuwendung oder andere 'Naturalien' als Gegenleistung für den erbrachten Einsatz von Zeit, Kraft, Erfahrung) stellt jedoch kein konzeptionelles Bestandteil der Lehre Sigmund Freuds dar. Aufgrund der Entdeckung seines eigenen Narzißmus, war er nicht nur zurückhaltend gegen seine Wunschträume von Reichtum ("Geld ist kein Wunsch gesunder Kinder") und Hang zur anderweitigen Ausbeutung in Not befindlicher Menschen geworden, sondern auch gegenüber der Neigung, die Psychoanalyse in eine machtvolle Institution innerhalb der staatlich geförderten, legalisierten Akademien/ Ärztekammern ect. zu verwandeln. Von beiden Tendenzen distanziert er sich ausdrücklich in der Abhandlung zur Laienpsychoanalyse: Seine Lehre soll ein konstruktives, heilsames Bestandteil zwischenmenschlicher Beziehungen sein und dadurch angeeignet werden, daß man sich ihrem anhand der Traumdeutung vermittelten Verfahren selber ausführlich unterzieht, aus der Praxis lernend, wo möglich unter Anleitung eines schon Fortgeschrittenen.
Während dessen wird bewußt, was sonst in den alltäglichen Beziehungen unbewußt bleibt, diese unerträglich gestaltend ("Szenen einer Ehe"): in der Hauptsache, als der Kern aller Dramen und Tragödien, die Übertragung der narzißtischen Erwartung und das wechselseitige Unvermögen ihrer Erfüllung. Solch ein Anspruch ist unberechtigt, unerfüllbar bei einem erwachsenen Menschen mit seinen nach Eigenständigkeit strebenden Lebenstrieben, seiner prinzipiellen körperlichen und geistigen Fähigkeit zur Selbstversorgung, selbst wenn dies auch oft nicht psychisch - infolge ihrer regressiven, narzißtischen Tendenzen ("Todestrieb"; Freud) - gelebt werden kann: also eine in hohem Maße intime, enttäuschende emotionale Erfahrung.
Narzisstische Kränkung und die Kränkungen der Menschheit
Freud zitiert häufig öffentlich bekannte Beispiele von Erkenntnissen, die zumindest bei Einzelnen zum (partiellen) Verlust solcher Illusionen und des damit verbundenden, zu Tode gekränkten Stolzes geführt haben.
Zu bedenken ist hierbei die Bedeutung der jeweiligen Symbole ('Kosmischer Mittelpunkt'; 'Krone der Schöpfung'; 'Ich'), die ihnen unbewußt beigeordnet wird, und an die das daran glaubende Ich sich klammert, da es sonst seinen illusorischen Halt verliehrt.
- Solche Reaktionen - vergleichbar der Panik aller 'Dagobert Ducks', wenn sie merken oder glauben, dass ein 'Panzerknacker' ihren monetäreren Liebesersatzhalt zu entwenden droht - ist narzißtisch / - das allmorgendliche Bad Dagoberts im Geldbunker ein Symbol der regressiven Sehnsucht nach umfassender Geborgenheit im Uterus der werdenden Mutter.
Es bedarf des psychologischen Einfühlungsvermögens, um zu verstehen, worauf der oft in rasende Wut mündende, auch vor Mord nicht zurückschreckende Widerstand der sich durch die Naturwissenschaft dessen beraubt Fühlenden beruht:
- durch Kopernikus Entdeckung, wonach die Erde und mit ihr der Mensch nicht länger als Mittelpunkt des Kosmos zu denken war (wie die christliche Kirche gelehrt bzw. Gallileo unter Todesdrohung zu bekennen gezwungen hatte, um ihre Position im Zentrum der 'Liebe Gottes' zu erretten)
- durch Charles Darwins Theorie über die Entstehung der Arten einschließlich der Menschheit im Reich der Primaten, mit der die 'Stolz' machende Funktion des homo sapiens als einzig mit 'Geist' begabte Sonderschöpfung Gottes ad absurdum geführt wurde (Abwehrreaktion von Seiten der Religion: siehe u.a. Affenprozess)
- und schließlich durch die Psychoanalyse, deren Verdienst es darstelle, den Menschen mit der die Vernunftsphilosophien erschütternden Erkenntnis konfrontiert zu haben, dass das Ich mit seiner potentiell machtvollen Analytik nur einen verhältnismäßig geringen Raum gegenüber den im Unbewußten verlaufenden psychischen Prozessen einnimmt, bzw. "nicht Herr im eigenen Hause ist". Es sei meistenteils beherrscht von den Affekten, körperlichen Bedürfnissen, hilflos gefangen in seinen Illusionen, Macht der frühkindlich eingeprägten Erziehung, Traumata der totemischen Pubertätsritale, Jugendweihen, Beschneidungen, Neurosen und weiteren, ent sätzlichsten Perversionen, wovon sowohl die Untersuchung der "Freudschen Fehlleistung" (s. Psychopatologie des Alltaglebens) als auch die Traumdeutung künde.
Narzisstische Kränkung und Religionskritik
So stellt die psychoanalytische Religionskritik (Freud: "Eiapopeia vom Himmel") eine weitere narzisstische Kränkungen dar. (Nietzsches "Gott ist tot!" als ihr Vorläufer.) Ihre Fortsetzung äußert sich in der Diskussion um die möglichen Ursachen und therapeutischen Konzepte zur Behebung der Instinktverarmung des neurotisierten, infantilen homo sapiens der Gegenwart. Nach Freud hat der religiöse Glaube selbst seinen Ursprung in den sich nach kindisch verantwortungsfreier Geborgenheit unter einer höheren Macht (etwa der Eltern) sehnenden Ich-Anteilen, dessen Wünschen gemäß die zwischenmenschlichen Beziehungen und Institutionen ("Vater Staat", "Mutter Kirche") nach seinem Ebenbilde gestaltet und sonst als "lieber Gott" auf den Kosmos projiziert werden , diesen animistisch mit den eigenen Wünschen und Affekten 'belebend'.(Übertragung ohne Gegenübertragung.)
Einige Gegner der Psychoanalyse wenden rhetorisch ein, die von ihr verabreichten "Kränkungen" würden schwerlich gesund machen, und empfählen alternativ ihre eigenen - die langbewährten Heilslehren der Religionen aller Konfessionen, rationalistische Metaphysik, bewußtseinserweiternde Drogen oder legale psychopharmazeutische Kuren. "Gesundheit" wird anhand eines statistisch erhobenen Mittelwerts ("Normalität" des Narzißmus) formuliert; Ob aus Ignoranz, oder um sich gezielt gegen die Gefahr einer Ansteckung mit Freuds Thesen zu immunisieren (Psychoanalyse als "Krankheit"), bleibt offen. So wird die Psychoanalyse, die das Phänomen der Narzißtischen Kränkung entdeckte, selber pathologisiert oder nicht zur Kenntnis genommen. Beide Seiten trennt wie eine unüberbrückbare Kluft das "Unbewußte", aus dessen symbolischen Botschaften Freud alle seine Offenbarungen gewonnen hat, ihnen Gehör schenkend, wie einst Sokrates der Stimme seines unfehlbar weisen Daimonion, als er sich von ihm warnen ließ, mit den es aktiv bekämpfenden Menschen zu diskutieren.