Reinhard Nemetz

deutscher Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Augsburg
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Reinhard Nemetz (* 23. Januar 1951 in Augsburg) ist ein deutscher Jurist und Staatsanwalt. Er war Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg. Vom 1. August 2014 bis zum 31. Januar 2018 war er Präsident des Amtsgerichts München.[1][2]

Leben

Reinhard Nemetz trat 1978 in den bayerischen Justizdienst ein und machte dort bald Karriere[3] in seiner Heimatstadt.[4][5] Nach den in Bayern üblichen Laufbahnwechseln zwischen Staatsanwaltschaft und Richterschaft wurde er 1993 zum Oberstaatsanwalt und 1995 zum stellvertretenden Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg befördert.[6] Von 1999 bis 2014 war er Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg. Diese ist die drittgrößte Staatsanwaltschaft in Bayern.

Ermittler

Als Leitender Oberstaatsanwalt in Augsburg war Nemetz laut Presse über Vorgänge in seiner Behörde stets bestens unterrichtet. Bei wichtigen Verfahren saß er persönlich in den Gerichtsverhandlungen.[7]

CDU-Parteispendenskandal

Als sein Vorgänger Jörg Hillinger am 26. April 1999 bei einem spektakulären Autounfall verstarb, wurde Nemetz zum Nachfolger ab dem 1. Oktober 1999 ernannt und übernahm die Ermittlungen in der CDU-Spendenaffäre. Seine Ermittlungen führten zu Urteilen gegen Ludwig-Holger Pfahls und Karlheinz Schreiber.[8] Nach der Festnahme des flüchtigen Ludwig-Holger Pfahls 2004 kommentierte er: „Wir erwischen sie alle. Alle, auch den Schreiber.“ Als dieser 2009 ausgeliefert wurde, galt das als „Krönung seiner Laufbahn“.[9][10] Nach Michael Stiller ist Nemetz’ Bilanz in den Schreiber-Ermittlungen nicht makellos.[11] Er wurde im Jahr 2000 von untergebenen Staatsanwälten im Schreiber-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags schwer belastet: Nemetz behindere den für den Fall seit 1997 zuständigen Staatsanwalt Winfried Maier.[12] Nemetz verwarf einen Ermittlungsschritt nach dem anderen und wollte Maier dazu veranlassen, das Schreiber-Verfahren in Einzelverfahren aufzutrennen.[11] Zwei Tage nach Amtsantritt als Leiter der Staatsanwaltschaft ordnete er an, die letzte Verfügung des tödlich verunglückten Vorgängers Hillinger aus der Akte zu entfernen und in die geheime Handakte zu übernehmen. In der Verfügung stand, dass Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer rechtswidrig die Aussetzung der Haftbefehle gegen Holger Pfahls und andere Beschuldigte forderte. Nemetz rechtfertigte vor dem Untersuchungsausschuss seine rechtswidrige Weisung, amtsinterne Differenzen nicht in den Handakten zu vermerken mit der Begründung: „So eine Handakte ist kein Tagebuch.“[13]

Weitere bekannte Ermittlungen

Weiter bekannte erfolgreiche Ermittlungen unter seiner Leitung waren die Entführung von Ursula Herrmann und der Augsburger Polizistenmord.[4] Bekannte eingestellte Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg unter seiner Leitung betrafen die Anzeige Gerhard Strates wegen Rechtsbeugung 2013 in der Causa Gustl Mollath[14][15] und den Fall eines Augsburger Staatsanwalts, der einen Angeschuldigten in der Anklageschrift als „Arschloch“ bezeichnete.[16][17] Die Staatsanwaltschaft ist auch in die Schottdorf-Affäre verwickelt.[18] Der bestochene Augsburger Staatsanwalt Uwe Huchel hat vor 2006 Strafverfahren gegen Schottdorf eingestellt. Die wiederaufgenommenen Verfahren wurden dem zuständigen Münchner Korruptionsstaatsanwalt nach über zweijähriger Ermittlungsarbeit wegen Unzuständigkeit entzogen und der Staatsanwaltschaft Augsburg übertragen. Die Verfahren gegen Bernd Schottdorf wurden umgehend 2009 und 2011 eingestellt.[19][20][21]

Schwabinger Kunstfund

Nemetz war der zuständige Leiter der Staatsanwaltschaft in der Steuerstrafsache gegen Cornelius Gurlitt (Schwabinger Kunstfund). Über seine Pressekonferenz Anfang November 2013 wurde weltweit berichtet. Die Vorgehensweise der Ermittler wurde kritisiert,[22] beispielsweise die Beschlagnahme der Sammlung Gurlitt,[23] oder die fehlenden Anklage trotz Ermittlungen seit 20 Monaten.[24]

Am 19. November 2013 kündigte Nemetz an, dass die im rechtmäßigen Eigentum von Cornelius Gurlitt stehenden Kunstwerke diesem unverzüglich zur „Rücknahme angeboten“ werden.[25]

Einzelnachweise

  1. Augsburger Oberstaatsanwalt Nemetz wird Chef des Amtsgerichts München; in: Focus Online vom 20. Juni 2014
  2. Beate Ehrt wird neue Präsidentin des Münchner Amtsgericht (Memento vom 10. Juli 2018 im Internet Archive); in: BR24 vom 29. Januar 2018
  3. Unerbittliche zähe Jagd auf Schreiber. In: Kölnische Rundschau vom 3. August 2009.
  4. a b Holger Sabinsky-Wolf: Der Hartnäckige. In: Augsburger Allgemeine. 2. Januar 2012.
  5. John Goetz, Conny Neumann, Oliver Schröm: Allein gegen Kohl, Kiep & Co: die Geschichte einer unerwünschten Ermittlung. 2. Auflage, Berlin 2000, S. 123 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Schreibers beharrlicher Verfolger. In: Tagesspiegel. 5. August 2009.
  7. Oberstaatsanwalt Nemetz: „Wir erwischen sie alle“.; in: Der Focus, 3. August 2009.
  8. Iris Hilberth: Porträt – Triumphgefühle sind ihm fremd. 5. August 2009.
  9. Nikolaus Dominik: Oberstaatsanwalt Nemetz: «Wir erwischen sie alle». In: Mitteldeutsche Zeitung. 3. August 2009.
  10. Oberstaatsanwalt Nemetz: „Wir erwischen sie alle“. In: Focus. 3. August 2009.
  11. a b Michael Stiller: Der Mann, vor dem Schreiber zittert. In: taz. 5. August 2009.
  12. Profil Winfried Maier. In: Süddeutsche Zeitung. 26. Oktober 2001.
  13. Wilhelm Schlötterer: Wahn und Willkür. Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt. München 2013, S. 43 ff.
  14. Oliver García: Fall Mollath: Staatsanwaltschaft Augsburg – Si tacuisses!, blog.delegibus.com vom 27. Februar 2013
  15. Wilhelm Schlötterer: Wahn und Willkür. Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt. München 2013, S. 318 ff.
  16. Fefes Blog, Eintrag vom 9. September 2008, abgerufen am 20. November 2013.
  17. Stefan Mayr: Staatsanwalt nennt Angeklagten ein „Arschloch“. In: Süddeutsche Zeitung. 10. September 2008.
  18. "Fall Schottdorf" in TV und Uni. In: Bürgerblick Passau. 19. November 2013.
  19. Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache Nr. 16/8832. Antwort des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 14. Juli 2011 auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Streibl Freie Wähler vom 21. April 2011, S. 3/4 (PDF)
  20. Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache Nr. 16/4001: Antwort des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 24 Februar 2010 auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Susanna Tausendfreund, Christine Kamm, Theresa Schopper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 21. Januar 2010, S. 3/4 .(PDF)
  21. Wilhelm Schlötterer: Wahn und Willkür. Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt. München 2013, S. 234 ff.
  22. Jörg Häntzschel: Leutheusser-Schnarrenberger zum Fall Gurlitt - „Rechthaberei hilft hier nicht weiter“. In: Süddeutsche Zeitung. 17. November 2013.
  23. Julia Voss: Münchner Kunstfund: Wo bleibt der Rechtsstaat? Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. November 2013, abgerufen am 17. November 2013.
  24. Stefan Mayr: Mann für brisante Fälle. In: Süddeutsche Zeitung. 19. November 2013.
  25. OStA Nemetz: Presseerklärung zum Umgang mit dem sog. „Schwabinger Kunstfund“. (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive) (PDF; 14 kB) 19. November 2013, abgerufen am 19. November 2013.