Das Schlagwort deutsche Schrift betont den besonderen Stellenwert einiger gebrochener Schriften für die geschriebene deutsche Sprache des 16. bis 20. Jahrhunderts. Als Druckschriften waren diese bis Anfang des 20. Jahrhundert auch in anderssprachigen Ländern durchaus gebräuchlich, wurden aber von der Antiqua verdrängt. In Deutschland hat sich nicht nur eine aktive Zweischriftigkeit bis Mitte des 20. Jahrhunderts gehalten, als einziges Land bevorzugte es selbst im 20. Jahrhundert noch gebrochene Schreibschriften.
Die wichtigsten Druck- und Schreibschriften in diesem Zusammenhang: Die Schwabacher war im 15. und 16. Jahrhundert die vorherrschende Druckschrift im deutschsprachigen Raum, bevor sie durch die Fraktur abgelöst wurde. Die Fraktur ist die „Deutsche Schrift“ im engeren Sinne. Sie war zu verschiedenen Zeiten die offizielle Amtsschrift für Drucksachen im Deutschen Reich. Die deutschen Kanzleischriften waren bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlich für amtliche Schriftstücke. Die deutsche Kurrentschrift war im 18. und 19. Jahrhundert die übliche Verkehrsschrift. Die Sütterlinschrift war in den 1920ern und 1930ern offizielle Schulausgangsschrift. Die Offenbacher Schrift wurde nach 1945 an einigen deutschen Schulen als zweite Schreibschrift gelehrt.
Die meisten der im modernen Buchdruck verwendeten Schriften werden als Antiqua-Schriften klassifiziert. Dies ist für den schriftsetzerischen Laien zunächst überraschend, da diese Bezeichnung im wörtlichen Sinne "alte Schriften" bedeutet. In Deutschland werden die Druckschriften durch DIN 16518 (Klassifikation der Schriften) in 11 Klassen eingeteilt, von denen allein 8 Klassen den so genannten Antiqua-Schriften zugeordnet sind.
Hintergrund
Der Gegenbegriff zur deutschen Schrift ist die humanistische oder lateinische Schrift. Während der Gotik verbreiteten sich die gebrochenen Schriftformen in ganz Europa, in Deutschland hauptsächlich die Textur, in Italien und Spanien gerundetere Varianten wie die Rotunda. Der Bruch kam mit der Renaissance. Die Abkehr von der Gotik und Rückbesinnung auf die Antike zeigte sich auch in den Schriften venezianischer Drucker. Aus der karolingischen Minuskel entstand die Antiqua. Diese setzte sich von Italien ausgehend im größten Teil Europas schnell durch.
Die Frakturschrift aber behauptete sich als Schrift der Reformation im Gegensatz zur von der römischen katholischen Kirche verwendet Antiqua. In Deutschland wurden die „gotischen“ Schriften immer wieder als wesentliches äußeres Kennzeichen deutscher Kultur verstanden und politisch instrumentalisiert. Auch wenn es immer wieder Reformbewegungen gab, zog sich der deutsche Antiqua-Fraktur-Streit bis ins 20. Jahrhundert.
Die gebrochenen Schriften verloren erst während Hitlers Regierungszeit an Bedeutung. Der Normalschrift-Erlass erklärte 1941 die gebrochenen Druckschriften – kurz darauf auch die gebrochenen Schreibschriften – als offizielle Schriften im deutschen Reich für abgeschafft. Die Antiqua wurde zur neuen „Normalschrift“. Kurz darauf wurden auch die Schullehrpläne entsprechend geändert. Auch die nachfolgenden Regierungen haben diese Regelung beibehalten.
Geschichte
Die Frakturschrift geht über verschiedene Zwischenstufen mit ihren Kleinbuchstaben auf die sogenannte karolingischen Minuskeln (Kleinbuchstaben) und mit ihren Großbuchstaben auf die lateinischen Kapitalien (Majuskeln) zurück.
Aus der karolingischen Minuskel entwickelte sich schon im 12. Jahrhundert die gotische Schrift, deren Name mit der Volksgruppe der Goten nichts zu tun hat, sondern in Analogie zur kunsthistorischen Stilbezeichnung der Gotik gebildet ist. Insbesondere darauf, daß die von Bischof Wulfila (Wulfila-Bibel) erarbeitete Misch-Schrift des tatsächlichen Gotischen Alphabets sich ebenfalls gebrochener Buchstaben bediente, sich in der Ausprägung der Buchstaben jedoch am altgriechischen Alphabet orientierte und nicht am lateinischen. "Gotisch" konnte deswegen auch zu einem Synonym für "unverständlich" oder "schwer lesbar" werden. Daher ist schriftgeschichtlich streng zwischen Wulfila-Gotisch (Gotisch im Sinn der Volks-Sprache der Völkerwanderungszeit und des Alphabets) und Gotisch-Deutsch andererseits (deutsche Sprache und gebrochene Lettern) zu unterscheiden.
Die gemeinhin als "deutsche Schrift" bezeichneten Schriftformen haben von der gotischen Schrift die Tendenz übernommen, einzelne Schäfte zu brechen. Die Mehrzahl dieser Schriften beruht aber auf einer jüngeren Entwicklung, der gotischen Kursiven, d.h. einer verbundengeschriebenen Variante der gotischen Schrift, die seit dem 13. Jahrhundert im Gebrauch war.
Die DIN-Klassifikation fasst diese in die Klassen X als "gebrochene Schriften" zusammen, die ihrerseits in die Unterklassen Xa (gotische Schrift), Xb (rundgotische Schrift), Xc (Schwabacher Schrift) und Xd (Fraktur (Schrift)) untergliedert sind, die in einem historischen Entwicklungszusammenhang stehen.
Gegenwart
Im germanischen und teilweise auch im slawischen Sprachraum beherrschten die gebrochenen Schriften das Druckbild seit dem ausgehendem Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Die deutsche Schreibschrift ist aus dem Alltag fast gänzlich verschwunden. Für die deutsche Sprache war bis 1941 Fraktur die beherrschende Druckschrift, die erst 1941 durch Anordnung 2/241 der Reichsleitung der damaligen Staatspartei NSDAP bekämpft und untersagt wurde. Sie wurde nach Kriegsende 1945 – bis in die siebziger Jahre – in einigen Bundesländern zwar noch in der Grundschule gelehrt (ansatzweise und nach Erlernen der lateinischen Schreibschrift), jedoch nicht mehr als Schrift für die Praxis, sondern nur noch, um die Kenntnis dieser Schrift nicht gänzlich untergehen zu lassen und zumindest ein Lesen der Schrift zu ermöglichen. Von praktischer Bedeutung ist die Kenntnis deutscher Schriften heute hauptsächlich für Historiker in der Vermessung und Familienforscher. Ihre wissenschaftliche Aufbereitung ist Aufgabe der Paläografie.
Im heutigen Alltag werden gebrochene Schriften fast nur noch als historisierende Zierschriften genutzt. Einige Schriftgestalter setzen sich im Interesse der Schriftenvielfalt für den Erhalt der gebrochenen Schriften ein und digitalisieren diese für den Computerschriftsatz.
Für den Erhalt der deutschen Schriften als „europäischen Kulturguts ersten Ranges“ setzt sich der Bund für deutsche Schrift und Sprache ein. Sein Ziel ist es, „einer Verdrängung der in acht Jahrhunderten gewachsenen sichtbaren Ausdrucksform der deutschen Sprache entgegenzuwirken“. Aber auch ist die Wiederbereitstellung von gebrochenen altdeutschen Schriften ein vielgehegter Wunsch von Germanisten, Historikern, Theologen und vielen anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen.
Literatur
Geschichte der deutschen Schrift
- Albert Kapr: Fraktur. Form und Geschichte der gebrochenen Schriften. Verlag Hermann Schmidt, Mainz, 1993, ISBN 3-87439-260-0 — Enthält vielzitierten Aufsatz von Hans Peter Willberg
- Peter Bain, Paul Shaw (Hrsg.): Blackletter: Type and National Identity, Princeton Architectural Press, 1998, ISBN 1-56898-125-2 — Umfangreiche Gesamtdarstellung (englisch)
- Christina Killius: Die Antiqua-Fraktur Debatte um 1800 und ihre historische Herleitung. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 1999, ISBN 3-447-03614-1 — Sehr umfangreich
- Hans Foerster, Thomas Frenz: Abriss der lateinischen Paläographie, Anton Hiersemann Verlag, 2004, ISBN 3777204102 — Kapitel „Die Schriften der Neuzeit“
- František Musika: Die schöne Schrift in der Entwicklung des Lateinischen Alphabets, Zwei Bände, Verlag Werner Dausien, Hanau, 1965 — Band I, Seiten 501 bis 542
- Hans Jensen: Die Schrift in Vergangenheit und Gegenwart, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1958 — Seiten 505-518
- Wilhelm H. Lange: Von der Schwabacher Judenletter und einer kleinen Widerstandsbewegung… in: Festschrift zum 80. Geburtstag von Karl Klingspor, 25. Juni 1948. — Typographen wehren sich gegen Bormann
Leselehrbücher
- Fritz Verdenhalven: Die deutsche Schrift. Ein Übungsbuch, Degener Verlag, 1991, ISBN 3-7686-1040-3
- Paul Arnold Grun: Leseschlüssel zu unserer Alten Schrift, Limburg an der Lahn, 2002 (Reprint der Originalauflage von 1935), ISBN 3-7980-0358-0 — Schriftproben 14. bis 19. Jahrhundert
Schreiblehrbücher
- Harald Süß: Deutsche Schreibschrift. Lesen und Schreiben lernen, Verlag Droemer Knaur, 2002, ISBN 3-4266-6753-3 — Deutsche Kurrent, Sütterlinschrift, Offenbacher Schrift
- Helmut Delbanco: Schreibschule der deutschen Schrift. Eine Anleitung zum selbständigen Erlernen der deutschen Schreibschrift, Verlag Bund für deutsche Schrift und Sprache e.V., 2005, ISBN 3-930540-23-1 — Sütterlinschrift