Promiskuität
Als Promiskuität (von lat. promiscus gemeinsam, promiscere vorher mischen) wird die Praxis eines nicht an langfristigen Bindungen orientierten Geschlechtsverkehrs mit verschiedenen Partnern bezeichnet; promiskuitiv (adj) wird auch verwendet für "sexuell freizügig oder offenherzig".
Sexuelle Begegnungen, die außerhalb des Zusammenhangs einer langfristigen Beziehung stattfinden, werden auch als promiskuitives (oder promiskes) Verhalten bezeichnet. Soll promiskes Verhalten von Mann und Frau unterschieden werden, so existieren dafür die Ausdrücke Satyriasis für Männer und Nymphomanie für Frauen; diese Begriffe werden jedoch nicht formal-diagnostisch angewandt, und der Partnerwechsel ist dabei auch nicht zwingend. Die Bezeichnung "übermäßiger Geschlechtsverkehr", ebenso wie auch der neutralere und jüngere Ausdruck Hypersexualität, werden zum Teil abgelehnt.
Es ist in vielen Fällen ein wertender Ausdruck, mit dem der Missbilligung einer für den Sprecher "zu hohen" Zahl von Sexualpartnern Ausdruck verliehen wird. Der eingenommene Standpunkt bei einer solchen Bewertung kann beispielsweise sein, dass Sexualität nur der Fortpflanzung dienen sollte, oder dass Menschen zumindest das Ziel anstreben sollten, einen Partner für eine einzige, lebenslang andauernde Beziehung zu finden. Umgangssprachlich werden die Adjektive promisk oder auch promiskuitiv in abwertender Weise synonym für "sexuell freizügige" Personen gebraucht.
Im Tierreich versteht man unter Promiskuität, dass sich Männchen und Weibchen in einer Saison mit mehr als einem Geschlechtspartner paaren, wie dies bei den meisten Tierarten der Fall ist.
Geschichte
Promiskuität war ein Merkmal verschiedener Gesellschaften, insbesondere solcher mit polytheistischen Religionen. Das führte, beeinflusst durch mosaische und asketische Vorstellungen, auch im Christentum zu einem Verhältnis zur Sexualität, das meistens auf Monogamie oder Zölibat ausgerichtet ist. Promiskes Verhalten ist aufgrund der christlichen Einflüsse noch heute in vielen Gesellschaften unerwünscht oder verboten. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde erwünschtes promiskes Verhalten speziell gefördert, bei anderen Personenkreisen gezielt (und ggf. mit dem Tode) bestraft (siehe Jugendkonzentrationslager, sexuell verwahrlost). Auch in der BRD kam es bis in die 1970er Jahre vor, dass insbesondere jungen Frauen wegen Abweichungen von sexuellen Normen zur Heimerziehung eingewiesen wurden.
In modernen westlichen Gesellschaften wird promiskes Verhalten aufgrund des Prinzips der sexuellen Selbstbestimmung zumindest nicht sanktioniert. Die "Mach's mit"-Kampagne des Bundesgesundheitsministeriums, welche die Verwendung von Kondomen zur Verhinderung von AIDS-Infektionen propagiert, geht von einem gelegentlichen promisken Verhalten auch von Menschen aus, die sich nicht als promisk verstehen.
Soziologie
Die Soziologie misst promiskes Verhalten um Teile der Gesellschaft und Gesellschaften miteinander zu vergleichen (Sozialstrukturanalyse) und zählt z. B. die Sexualpartner pro Jahr. Durch stärker verbreiteten Hedonismus und Individualismus ist promiskes Verhalten heute wieder häufiger. Auch die Einführung der Verhütungsmittel hat statistisch zum häufigeren Vorkommen der Promiskuität in der Gesellschaft beigetragen.
Das Bundesland mit der höchsten statistischen Zahl von Sexualpartnern ist Hamburg, mit durchschnittlich 10,4 Partner im gesamten Leben. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 6,3. Problematisch ist an diesen Zahlen, dass die statistische Erhebung aufgrund des Mangels an empirisch valider Überprüfungsmöglichkeiten der Angaben mehr als unsicher ist. In Deutschland ist saisonal beispielsweise im Rheinland zur Karnevalszeit und in Bayern während des Oktoberfests mit einem Anstieg von promisken Verhalten zu rechnen. In den Vereinigten Staaten bietet Spring Break Anlass, dass unter Studenten im Alter von 18-21 Jahren die Häufigkeit promisken Verhaltens stark ansteigt. Von der seriellen Monogamie, eine heute in Industriestaaten weit verbreitete Verhaltensweise, bei der Personen mehrere aufeinanderfolgende monogame Beziehungen haben, die sie nach einer gewissen Zeit wieder auflösen, ist promiskes Verhalten nicht immer eindeutig zu unterscheiden.
Promiskes Verhalten kann auch ein Indiz für verschiedene Persönlichkeitsstörungen sein, beispielsweise für die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Nach Lehrmeinung kann promiskes Verhalten hierbei aber nur berücksichtigt werden, wenn die Persönlichkeit auch andere borderlinetypische Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Weiter kann promiskes Verhalten bei der Borderline-Diagnose auch nur berücksichtigt werden, wenn innerhalb der letzten zwei Jahre vier oder mehr verschiedene Sexualpartner vorhanden waren. Auch Menschen mit Stimmungsschwankungen oder einer manisch-depressiven (bipolaren) Störung können sich, wenn sie sich in einem hypomanischem Zustand befinden, entgegen ihrer Wertvorstellungen promisk verhalten.
Polyamore Beziehungsformen und Literatur
Es gibt eine zunehmende gesellschaftliche Entwicklung, eine Mehrzahl von sexuellen Beziehungen im Kontext von Ehrlichkeit und der Praxis von Safer Sex zu akzeptieren. Dabei wird das bisherige dualistische Konzept, entweder kurzfristige sexuelle Beziehungen, oder Liebesbeziehungen haben zu können, zugunsten von Konzepten wie der Polyamorie aufgegeben (wobei Polyamorie im engeren Sinne allerdings langfristige mehrfache Beziehungen betont). Ein wichtiges Buch in diesem Zusammenhang ist The Ethical Slut von Dossie Easton and Catherine A. Liszt.
Analog zur englischen Bezeichnung Slut, die Easton und Liszt verwenden, bezeichnen sich lesbische nichtmonogam lebende Frauen in Deutschland im Rahmen einer als Schlampagne bezeichneten politischen Plattform als Schlampen. Diese Verwendung des Wortes stellt eine Neubewertung (reclaiming) eines herabsetzend verwendeten, ursprünglich jedoch positiv besetzten Begriffs dar. "Ähmm...: Von der Wortlosigkeit für Beziehungsgefüge" von Jule Blum ist ein im Rahmen dieser Plattform verfaßter Artikel, der in der Graswurzelrevolution 245 im Januar 2000 erschien. Er behandelt Beziehungsformen mit Abweichungen zu konventionellen Normen von Verbindlichkeit, Dauerhaftigkeit und Ausschließlichkeit.
Sonstiges
Bei promisken Verhalten kann sich das Risiko einer Infektion mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie AIDS oder Hepatitis B stark erhöhen, insbesondere wenn kein Safer Sex praktiziert wird.
Behauptungen, wonach gerade schwule Männer stärker ein promiskes Verhalten aufweisen, konnten bisher empirisch nicht belegt werden.
Literatur
- Dossie Easton und Catherine A. Liszt, The Ethical Slut, Greenery Press, San Francisco, 1997, ISBN 1-890159-01-8