Walter Grunwald

Verfolgter des Naziregimes, Überlebender des Ghettos Theresienstadt
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Die Konsolidierung des VK als politische Organisation

Die organisatorische und programmatische Entwicklung des VK spiegelt sich in den personellen Veränderungen des Bundesvorstandes sowie in denen in der Redaktion der Verbandszeitschrift Zivil. Der VK war ein Zusammenschluss heterogener Gruppen mit ganz unterschiedlichem lokalen Profil; hinzu kamen ausgeprägt individualistische Persönlichkeiten, die ein breites Spektrum politisch-ideologischer Orientierungen verkörperten. Alle reklamierten für sich eine „humanitäre Grundhaltung“ und wollten die Interessen der Kriegsdienstverweigerer möglichst gut vertreten. Im VK standen Personen für Programme.

Die aus der GdW stammenden, stark sozialdemokratisch geprägten und zumeist pragmatisch orientierten Antimilitaristen mussten nach 1958 in dem neuen Verband mit bürgerlichen Pazifisten zusammenarbeiten, die für sich eine „weltanschauliche Grundhaltung“ reklamierten. Einerseits waren das „politische Realpazifisten“, die Wilhelm Keller im Vorstand repräsentierte; andererseits meist religiös oder ethisch orientierte Anhänger absoluter Gewaltlosigkeit, die von den anderen als „dogmatische Pazifisten“ bezeichnet und vor allem von Helga und Konrad Tempel sowie von Wilhelm Ude[1] repräsentiert wurden. Die politisch auch überregional recht aktiven „dogmatischen Pazifisten“ hatten ihre lokalen Schwerpunkte in drei mitgliederstarken Gruppen, vertraten aber keine einheitliche Position, wie sich an vielen Differenzen zwischen Konrad Tempel und Theodor Ebert ablesen lässt[2]:

  • Hamburger Aktionskreis für Gewaltlosigkeit
  • Frankfurter Aktionskreis „Gewaltlose Aktion“
    Unter Berufung auf „Horst Maurer, dem Leiter des Frankfurter VK-Arbeitskreises 'Gewaltlose Aktion'“ schreibt Theodor Ebert, die Gruppe sei 1961 unter der Bezeichnung „Aktion Gandhi. Diskussions- und Aktionskreis von Kriegsdienstverweigerern des VK“ gegründet worden. „Die Teilnehmerzahl an den Diskussionsabenden beträgt durchschnittlich 10. Besprochen werden entweder politische Tagesereignisse oder es gibt schier endlose Diskussionen über anarchistische Gesellschaftsbilder. Vertreten sind alle Alters- und Gesellschaftsgruppen. Jenseits der Einigung auf den Grundsatz der Gewaltlosigkeit und der Propagierung der Kriegsdienstverweigerung und der Unterstützung des Ostermarsches der Atomwaffengegner gibt es kein gemeinsames Programm. Kaum organisatorische Verfestigung. Weder strenge Tagesordnung, noch Protokoll. Keine führende Persönlichkeit, aber treffliche Einzelkräfte. Freundschaftlicher Umgangston.“[3] Eine mehr inhaltliche Beschreibung der Gruppe liefert Grünewald: „Während ein großer Teil der dogmatischen Pazifisten religiös orientiert war, lehnte der 1961 gegründete Frankfurter Arbeitskreis für Gewaltlosigkeit eine weltanschauliche Bindung ab. Der Arbeitskreis, der im wesentlichen von Horst Maurer und Gerhard Grüning getragen wurde, hatte sich die Erarbeitung dessen zum Ziel gesetzt, was ‘schon jetzt im Kampf gegen Rüstung und Kalten Krieg’ getan werden konnte. Das Schwergewicht legte der Arbeitskreis daher auf die geistige Vorbereitung des gewaltlosen Kampfes, wobei sich die Teilnehmer jedoch nicht auf Diskussionen beschränken, sondern durch Handlungen in die Verhältnisse eingreifen wollten. Ihr Vorbild war das englische 'Komitee der Hundert', das 1961 mehrere Sitzstreiks gegen die Atombombe durchgeführt hatte.“[4]
  • Stuttgarter „Gewaltfreie Zivilarmee“ (GZA)
    Diese wesentlich von Theodor Ebert und Günter Fritz initiierte Gruppierung stützte sich auf das auf Gandhi zurückgehende Konzept der Shanti Sena. Die 1961 innerhalb des VK entstandene Gruppierung[5] war, so Ebert, „die wichtigste Pioniergruppe auf diesem Felde. In ihren Aktionen hat sie einiges vorweggenommen, das mit der außerparlamentarischen Opposition der Studenten in der zweiten Hälfte der 60er Jahre massenwirksam wurde und seine Fortsetzung in der Ökologie- und Friedensbewegung fand. Die Stuttgarter Gruppe von Kriegsdienstverweigerern, die keine Kommune, aber doch eine affinity group, wie die Amerikaner dies später nannten, bildete, wagte ihr Experiment des Aufbaus einer deutschen Shanti Sena in den Jahren 1961 bis 1964.“[6]

Für diese drei Gruppierungen war das WRI-Verständnis von Pazifismus absolut verbindlich. Sie versuchten von Anfang an Einfluss auf die Verbandspolitik zu nehmen, blieben aber eine respektierte Minderheit, die immer wieder grundsätzliche Diskussionen über Gewalt und Gewaltlosigkeit herausforderte. „Dennoch wurden die dogmatischen Pazifisten nicht an den Rand des Verbandes gedrängt, sondern fanden in Relation zu der Zahl ihrer Anhänger sogar ein überproportionales Wirkungsfeld.“[7] Tonangebend aber blieb der VK-Vorsitzende Wilhelm Keller, der den neu gegründeten Verband „mit harter Hand“ zusammen zu halten versuchte und einen „politischen Realpazifismus“ propagierte bei dem die „Sicherung des Weltfriedens ohne Gewalt“ durch den Aufbau einer starken UN-Friedenstruppe und eines internationalen Friedensdienstes im Zentrum stand. In einer Vielzahl von Rundschreiben an die Gruppen – selten in der Verbandszeitschrift – nahm er zu aktuellen Ereignissen und zu allen wichtigen Fragen Stellung.[8]

##In Auseinandersetzungen mit den Positionen der „politischen Realpazifisten“ und der „dogmatischen Pazifisten“ formierten sich nach 1962 eine Gruppierung jüngerer Mitglieder, die nicht an eine pazifistische Tradition anknüpften, und sich selbst als politische Pazifisten bezeichneten.[9]##

Die von Hans Hermann Köper von 1956 bis 1963 redigierte Verbandszeitschrift – zunächst INFORMATIONEN, dann Zivil – verfolgte einen eher pragmatischen Kurs. In ihr wird über Entscheidungen von Prüfungsausschüssen und Gerichten zur Kriegsdienstverweigerung (KdV) berichtet, und einzelne Gruppen informieren über ihre Aktivitäten: Mitgliedertreffen und Filmabende, Beratung von Wehrpflichtigen, öffentliche Veranstaltungen und Mahnwachen, kleineren Demonstrationen vor Truppenübungsplätzen, Geldsammlungen für hungernde Menschen in Afrika und Asien. Immer wieder wurde der Aufbau, das Führungspersonal und die Ideologie der Bundeswehr kritisch kommentiert. Seit 1960 enthielt sie zwei Beilagen, die direkt auf die praktische Beratungsarbeit der VK-Gruppen bezogen sind: „Die rechtliche Seite“ (betreut von Rüdiger Frank) und der „Bibliographische Wegweiser“, den Karl-Heinz Stahnke bis Ende 1967 betreute.[10]

Größere Aktivitäten sind für die Folgejahre nicht dokumentiert.[11] Werner Böwing berichtete, dass die Solinger Gruppe, der er angehörte, sich gegen Ende des Algerienkriegs am Rückführungsdienst für Fremdenlegionäre beteiligte und sich zunehmend in der Ostermarschbewegung engagiert habe[12], und über die Situation in Köln berichtete Fritz Bilz: „Ende 1958 versandete die Bewegung “Kampf dem Atomtod” in Köln, so bemerkte es der Juso-Rechenschaftsbericht im März 1959. Einzig die Beratung der Wehrdienstverweigerer blieb Ende der 50er Jahre übrig. Im Oktober 1959 gab es noch einmal einen Autokorso der VK durch Köln, verbunden mit einem Aufruf an den Jahrgang 1922, den Kriegsdienst zu verweigern.“[13] In den Gruppen und auch in der Verbandszeitschrift begann ab 1960 eine Diskussion über Fragen der Abrüstung und der Friedenspolitik, zu den geplanten Notstandsgesetzen und über die Erhaltung und Erweiterung der Demokratie. Dass es insgesamt trotzdem ruhiger um den Verband wurde, hatte wohl mit internen Problemen zu tun, nicht zuletzt finanziellen, wie Klaus Vack berichtete, der am 1. September 1961 seine Stelle als hauptamtlicher VK-Bundesgeschäftsführer in Offenbach am Main antrat, wohin die Geschäftsstelle des Verbandes verlegt worden war. Zuvor hatte der Verband zwei Geschäftsstellen mit ehrenamtlichen Geschäftsführern: in Detmold Sieglinde von Brockdorf, in Hamburg Harm Westendorf.

„Ich trete die Stelle des Bundesgeschäftsführers beim Verband der Kriegsdienstverweigerer an. Der Verband hat 7000 Mitglieder, ist hoch verschuldet und weiß nicht, wie er in der ersten Zeit mein Gehalt und eine Geschäftsstelle finanzieren soll. Wir bilden eine Bürogemeinschaft von hessischer Naturfreundejugend mit Fritz Amann als Jugendsekretär und Heidi Wandelt als Sekretärin und dem Verband der Kriegsdienstverweigerer, bei dem nun auch Hannelore [Vack] (ohne Bezahlung) halbtags tätig ist. Unsere erste Aufgabe müssen wir darin sehen, sozusagen Ordnung in den Verband zu bringen und die Finanzen zu sanieren. Bereits ein Jahr später ist der Verband der Kriegsdienstverweigerer wieder liquide.“

Klaus Vack: Versuch, Geschichte und Erfahrung darzustellen, S. 165

Der VK war zu dieser Zeit längst schon ein Teil der sich entwickelnden Ostermarschbewegung, zu deren Gründern ja auch die VK-Vorstandsmitglieder Helga und Konrad Tempel gehörten, und Vack trug dann als Sekretär des VK erheblich zum Erfolg der (west-)deutschen Ostermarschbewegung bei. Die Offenbacher Bürogemeinschaft, zu der später auch die Geschäftsstelle der Ostermarschbewegung hinzukam, entwickelte sich zur organisatorischen Zentrale der bundesweiten Protestbewegung in den 1960er Jahren, und der VK spielte – nicht zuletzt aufgrund vielfältiger personeller Verflechtungen – eine wichtige Rolle in dieser Bewegung. Es entstand damals in der Bundesrepublik ein komplexes Netzwerk von aktiven Personen, Initiativgruppen, friedenspolitischen Organisationen, Zeitschriften und Medienaktivitäten. Die Verbindungen wurden geprägt von den Aktivitäten und Überzeugungen einzelner Personen, persönlichen Freundschaften und Sympathien, gemeinsamen Erfahrungen und kulturellen Orientierungen. Erst dieses Netzwerk machte pragmatische politische Bündnisse und die Aktionen der außerparlamentarischen Opposition (ApO) möglich. In diesem Netzwerk verbreitete und verankerte sich ein Diskurs über die großen gesellschaftlichen Themen der ApO, so zum Beispiel über die Themen Demokratie und Sozialismus, Krieg und Frieden, Rüstung und Abrüstung, Gewalt und Gewaltlosigkeit. Der VK war in diesem Netzwerk sowohl Akteur als auch Artikulierer von Ideen und Konzepten; er war aber auch im ganz traditionellen Sinne eine Organisation – mit Satzung, Vorstand, Gremien, Konferenzen, Beschlusslage, Wahlen, Mehrheiten und Minderheiten.

Die Wahl von Herbert Stubenrauch zum 1. Vorsitzenden auf dem Bundeskongress am 19./20. Mai 1962 in Bielefeld markierte einen politischen Generationenwechsel. Die Kriegsteilnehmer und Emigranten zogen sich nach und nach von der Vorstandsarbeit zurück, nur wenige der älteren Pazifisten aus der Kriegsgeneration arbeiten dort noch einige Jahre mit, etwa Werner Böwing, Hans Hammer, Heinrich Hannover, Fritz Hartnagel, Fritz Katz und Wilhelm Ude. Während der Krise des VK nach 1968 übernahmen einige von ihnen nochmals die Verantwortung für den Verband.

  1. Nachruf auf Wilhelm Ude, Nordwest-Zeitung, 19. Oktober 2007
  2. Vergleiche dazu die vielen Hinweise von Ebert in seiner Publikation konsequent.
  3. Theodor Ebert: konsequent, S. 7
  4. Guido Grünewald: Zwischen Kriegsdienstverweigerergewerkschaft oder politische Friedensorganisation, S. 86. Zum Komitee der Hundert siehe den Artikel in der englischsprachigen Wikipedia: en:Committee of 100 (United Kingdom)
  5. Theodor Ebert: Shanti Sena in Deutschland?: Soziale Verteidigung als gesellschaftlicher Handlungsauftrag und pädagogische Option, S. 66, in: Norbert Frieters-Reermann und Gregor Lang-Wojtasik: Friedenspädagogik und Gewaltfreiheit: Denkanstöße für eine differenzsensible Kommunikations- und Konfliktkultur, Verlag Barbara Budrich, 2015, S. 63-78 (online auf JSTOR)
  6. Theodor Ebert: Die Gewaltfreie Zivilarmee, S. 5. Siehe auch: Theodor Ebert: konsequent, S. 8
  7. Guido Grünewald: Zwischen Kriegsdienstverweigerergewerkschaft oder politische Friedensorganisation, S. 87
  8. Guido Grünewald: Zwischen Kriegsdienstverweigerergewerkschaft oder politische Friedensorganisation, S. 91 & S. 193, Fußnote 69
  9. Ausführlich hierzu Guido Grünewald: Zwischen Kriegsdienstverweigerergewerkschaft oder politische Friedensorganisation, S. 82-93
  10. Von Stahnke stammt unter anderem auch die Publikation Die Kriegsdienstverweigerung in der Literatur. Ein Wegweiser durch das Schrifttum der Jahre 1945 bis 1960, Bernard & Graefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt am Main 1965. Weitere Publikationen von ihm zum Thema Kriegsdienstverweigerung finden sich im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.
  11. in der bereits zitierten Protestchronik von Wolfgang Kraushaar sind allerdings für die Jahre 1958 und 1959 zahlreiche lokale Aktivitäten aufgeführt, die von Angehörigen des Jahrgangs 1922 ausgingen, der zur Bundeswehr einberufen werden sollte. Organisiert waren die Proteste in den meisten Fällen vom VK oder der IdK, die dadurch zahlreiche neue Mitglieder gewinnen konnten.
  12. Werner Böwing: Erinnerungen an den Versuch, mit einer Luftpumpe die Windrichtung zu ändern, S. 175 ff.
  13. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Fritz Bilz.