Adolf Levenstein

deutscher Sozialforscher
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. Oktober 2020 um 13:49 Uhr durch FelMol (Diskussion | Beiträge) (Literatur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Adolf Levenstein (* 14. April 1870 in Berlin; † 29. Dezember 1942 in Theresienstadt) war ein deutscher Sozialforscher.

Leben und Wirken

Levenstein stammte aus proletarischem Milieu und hat sich als Autodidakt durch Lektüre und Besuch von Universitätsvorlesungen weitergebildet,[1] die ihn schließlich in den Stand versetzten zu promovieren.[2] Er gehörte zu den ersten Sozialforschern, die Erhebungen über das Bewusstsein von Arbeitern durchführten. Im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik veröffentlichte Max Weber 1909 eine Rezension von drei Büchern Levensteins: Aus der Tiefe. Arbeiterbriefe (1908), Arbeiter-Philosophen und -Dichter (1909) und Lebens-Tragödie eines Tagelöhners (1909). Nach Wolfgang Schluchter handelte es sich um „Nebenprodukte“ von zwei Erhebungen Levensteins, die erste bezog sich auf die Einstellung von Arbeitern zum Massenstreik, die zweite auf die psychologische und physiologische Seite industrieller Arbeit. Letztere war noch im Gange, als Weber seine Rezension veröffentlichte, doch kannte er den zugehörigen Fragebogen.[3] Die erste Enquete bleib unveröffentlicht, die zweite erschien 1912 unter dem Titel Die Arbeiterfrage. Mit besonderer Berücksichtigung der sozialpsychologischen Seite des modernen Großbetriebes und der psycho-physischen Einwirkungen auf die Arbeiter. Levenstein hatte 8000 Fragebogen mit 25 Fragen an Arbeiter versandt, je tausend an an acht Gruppen von Berg-, Textil- und Metallarbeitern, von denen er 5040 ausgefüllt zurück erhielt. Der Soziologe Horst Kern wertet die Rücklaufquote von 63 Prozent als ein erstaunliches Ergebnis.[4] Obwohl von einem Außenseiter und Autodidakten durchgeführt, gilt ihm diese Enquete als eine „innovatorische Leistung“ in der empirischen Sozialforschung.[5]

Levenstein hatte Max Weber mit seinem Unternehmen bekannt gemacht und dessen Rat erbeten. Zu der Zeit war Weber an der vom Verein für Socialpolitik initiierten Erhebung über Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft der Großindustrie maßgeblich beteiligt. Wie Wolfgang Schluchter anmerkt, sei der Einfluss Webers auf Fragestellung und Auswertungsstrategie unverkennbar.[6]

Levenstein sammelte auch literarische und philosophische Beiträge sowie einige Kunstwerke von Arbeitern, von denen er Beispiele auf einer vielbeachteten und umstrittenen „Arbeiter-Dilettanten-Kunstausstellung“ 1909/1910 in Berlin präsentierte.[7]

Im Alter verarmte Levenstein. Er wurde in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er 1942 starb.[8]

Schriften

  • (Hrsg.) Aus der Tiefe, Arbeiterbriefe. Beiträge zur Seelen-Analyse moderner Arbeiter. 3. Auflage. Morgen-Verlag, Berlin 1909.
  • (Hrsg.) Arbeiter-Philosophen und -Dichter. Eberhard Frowein, Berlin 1909.
  • Die Arbeiterfrage. Mit besonderer Berücksichtigung der sozialpsychologischen Seite des modernen Großbetriebes und der psycho-physischen Einwirkungen auf die Arbeiter. Ernst Reinhardt, München 1912.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Horst Kern: Empirische Sozialforschung. Ursprünge, Ansätze, Entwicklungslinien. Beck, München 1982, S. 106.
  2. Klaus M. Beier, „Individuum“ und „Gemeinschaft“ – Adolf Levenstein und die Anfänge der sozialpsychologischen Umfrage in der arbeitspsychologischen Forschung. In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK) 24. Jg. (1988), S. 157–170, hier S. 159.
  3. Wolfgang Schluchter: Editorischer Bericht zu „Zur Methodik sozialpsychologischer Enqueten und ihrer Bedeutung“. In: Max Weber: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. Schriften und Reden 1908–1912. Max Weber-Gesamtausgabe, Band 11. Herausgegeben von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer. Mohr (Siebeck), Tübingen 1995, S. 381–387. hier S. 381.
  4. Horst Kern: Empirische Sozialforschung. Ursprünge, Ansätze, Entwicklungslinien. Beck, München 1982, S. 107.
  5. Horst Kern: Empirische Sozialforschung. Ursprünge, Ansätze, Entwicklungslinien. Beck, München 1982, S. 111. Dort findet sich auch eine ausführliche Beschreibung der Enquete.
  6. Wolfgang Schluchter: Editorischer Bericht zu „Zur Methodik sozialpsychologischer Enqueten und ihrer Bedeutung“. In: Max Weber: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. Schriften und Reden 1908–1912. Max Weber-Gesamtausgabe, Band 11. Herausgegeben von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer. Mohr (Siebeck), Tübingen 1995, S. 381–387. hier S. 382.
  7. Wolfgang Schluchter: Editorischer Bericht zu „Zur Methodik sozialpsychologischer Enqueten und ihrer Bedeutung“. In: Max Weber: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. Schriften und Reden 1908–1912. Max Weber-Gesamtausgabe, Band 11. Herausgegeben von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer. Mohr (Siebeck), Tübingen 1995, S. 381–387, hier S. 386. (online)
  8. Personenverzeichnis In: Max Weber: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. Schriften und Reden 1908–1912. Max Weber-Gesamtausgabe, Band 11. Herausgegeben von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer. Mohr (Siebeck), Tübingen 1995, S. 430 (online).