Heinrich Wilhelm Ernst (* 6. Mai 1814 in Brünn, †8. Oktober 1865 in Nizza) war einer der größten, für manche seiner Zeitgenossen der größte Geiger des 19. Jahrhunderts.
Als Komponist, nicht nur von virtuoser Violinmusik, fand er zu einem eigenen, unverwechselbaren Stil im Geist der Romantik, der über sein großes Vorbild Nicolo Paganini hinausweist. Wegweisend wurde für E., der 1823 erste Auftritte als Geigen-Wunderkind absolviert hatte und ab 1825 am Wiener Konservatorium als Schüler von Joseph Böhm studiert hatte, eine Begegnung mit Paganini in Wien im Jahr 1828. Dieser erkannte das Talent in E., während E. sich von Paganinis Spiel so beeindruckt zeigte, dass er fortan wie besessen danach trachtete, über Paganini hinaus zu gelangen. In der Folgezeit kam es immer wieder zu Begegnungen zwischen den beiden. 1834 spielte E. in Brüssel, Wien, Sankt Petersburg und London mit Berlioz dessen Harold in Italien als Solobratschist, was Paganini zuvor aufgrund mangelnder Profilierungsmöglichkeiten abgelehnt hatte. Berühmt wurde ein Auftritt Ernsts in Marseille 1837, wo zur gleichen Zeit Paganini ein Konzert gab. E. spielte in seinem Konzert Paganinis ängstlich gehütete Werke aus dem Ohr nach. Die beiden Geiger besaßen sehr unterschiedliche Naturen. Während Paganini sich mit der Aura des Dämonischen und Tragischen umgab, war Ernst eine humorvolle, liebenswürdige und zugängliche Person. E. war nicht nur instrumentaler Schausteller, sondern auch ein tiefgründiger Musiker. Dies kommt nicht nur in seinen Kompositionen zum Ausdruck, sondern auch in seinem Engagement in der Londoner Beethoven Quartet Society, in der er mit bedeutenden Virtuosen der Zeit, Joseph Joachim, Henryk Wieniawski und Alfredo Piatti, als Primarius Streichquartette Beethovens öffentlich aufführte. 1862 musste er sich wegen schwerer Krankheit vom Konzertpodium zurückziehen und verlegte seinen Wohnsitz von London nach Nizza, wo er 1865 verarmt starb.
Werke
26 nummerierte Opera, vor allem für die Violine. Das berühmteste Werk ist wohl die Grand Caprice für Violine allein op. 26 "Der Erlkönig" (nach der berühmten Ballade von F. Schubert), die in ihrer großartigen Dramatik und technischen Schwierigkeit in der unbegleiteten Violinliteratur einzigartig dasteht. An Kompositionen für Violine solo sind außerdem die 6 mehrstimmigen Etüden zu erwähnen, die alle berühmten Geigern der damaligen Zeit gewidmet sind (Nr. 1 Laub, Nr. 2 Sainton, Nr. 3 Joachim, Nr. 4 Vieuxtemps, Nr. 5 Hellmesberger, Nr. 6 Bazzini) und von denen die Nr. 6, Introduktion, Thema und Variationen über das irische Volkslied "Die letzte Rose", am bekanntesten geworden ist. Auch wenn dieses Stück offiziell Bazzini gewidmet ist, meint man hier zu hören, dass Paganini mit seinen Variationenwerken Pate gestanden hat und der heimliche Widmungsträger ist. Daneben sind Stücke für Violine und Klavier zu erwähnen, die zum Teil virtuos sind, wie z. B. die Fantasie brillante sur la Marche et la Romance d'Otello de G. Rossini op. 11 oder das Rondo Papageno op. 21, zum Teil aber auch melodiös und elegisch, wie z. B. die Elegie op. 10,3 oder das Notturno op. 25,2. Außerdem ist ein heute kaum noch gespieltes Violinkonzert op. 23 in fis-moll und Kammermusik, z. B. für Streichquartett, überliefert.
Zitat
"Ähnliches habe ich niemals wieder gehört; wie denn Ernst der Geiger war, der turmhoch über allen anderen stand, denen ich im Leben begegnet bin." (Joseph Joachim 1864 über E.)