Hephaistion (altgriechisch Ήφαιστίων; * um 356 v. Chr. in Pella, Makedonien; † Winter 324/23 v. Chr in Ekbatana), Sohn des Amyntor, war ein makedonischer Adeliger, der engste Freund, General, Leibwächter und vielleicht auch Geliebter Alexanders des Großen. Aufgrund seiner besonderen Loyalität zu Alexander und dessen politischem Programm der Aussöhnung und Verschmelzung der verschiedenen Völker seines Reiches konnte Hephaistion bis zum zweiten Mann des Reiches aufsteigen.
Einleitung
Hephaistion starb nach schwerer und kurzer Krankheit im Oktober 324 v. Chr. als noch „junger Mann“ in Ekbatana[1]. Er muss mit Alexander ungefähr gleichen Alters gewesen und daher um 356 v. Chr. geboren sein. Er entstammte als Sohn des Amyntor einem makedonischen Adelsgeschlecht aus Pella[2]und dürfte zusammen mit dem Kronprinzen Alexander und anderen Söhnen makedonischer Adelshäuser in der Residenzschule von Pella ausgebildet worden sein. Alle antiken Autoren sind sich darin einig, dass er zum besten Freund und intimsten Vertrauten des späteren Makedonenkönigs wurde. Diesem besonderen Verhältnis entsprach, dass er als einziger der engen Freunde Alexanders nach seinem frühen Tod mit einem Kult als Heros geehrt wurde[3].
So ist es nicht verwunderlich, dass ähnlich wie bei Alexander auch bei Hephaistion sehr früh die Legendenbildung einsetzte. Es ist daher für die moderne Forschung äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, aus den antiken Quellen den historisch glaubwürdigen Kern seiner Biographie herauszuschälen und zu einem einigermaßen gerechten Urteil über die eigenständige historische Leistung des Hephaistion zu gelangen.
Leben und Wirken
Aufstieg zum Hetairengeneral
Das Verhältnis von Hephaistion zu Alexander dem Großen wurde in der antiken Literatur schon früh an die Freundschaft von Patroklos und Achilleus in Homers Ilias angelehnt und entsprechend ausgeschmückt. Dass Hephaistion bereits in der Jugend ein Freund Alexanders war, wie Curtius Rufus[4] berichtet, ist wenig wahrscheinlich, denn er gehörte nicht zu den engsten Freunden Alexanders, die von Philipp II. 337 v. Chr. vorübergehend verbannt wurden[5]. Dass Hephaistion 334 v. Chr. dem Patroklos in Troja einen Kranz darbrachte[6], ist als fiktiv zu bewerten. Auch die in der Vulgata bei Diodor, Curtius Rufus und Iustin ausgemalte Szene, in der nach der siegreichen Schlacht bei Issos 333 v. Chr. Sisygambis Hephaistion mit Alexander verwechselt haben soll, ist ein Mythos[7]. Sisygambis, die Mutter des persischen Großkönigs Dareios’ III., war mitsamt der übrigen Familie und dem Harem des Perserkönigs Alexander in die Hände gefallen.
Nach kleinen Aufträgen kämpfte Hephaistion im Herbst 331 v. Chr. in der Schlacht von Gaugamela. Er war einer der Hetairen Alexanders und wurde im Kampf verwundet. Das berichtet Arrian[8], ohne dabei einen Rang anzugeben, während Diodor[9] Hephaistion unter die Somatophylakes, die „Leibwächter“ Alexanders, einreiht und ihn zu sogar zu deren „Anführer“ macht. In der modernen Forschung ist umstritten, was damit gemeint ist. Gerhard Wirth[10] etwa meint, darunter sei das Kommando der berittenen Leibgarde zu verstehen. Andere behaupten, Diodor (beziehungsweise dessen Quelle) hätte dieses aus der späteren Stellung des Hephaistion als „Leibwächter“ lediglich herausgesponnen und mit dem Zusatz „Führer“ versehen[11].
Im Prozess gegen Philotas im Herbst 330 v. Chr. war Hephaistion beteiligt an dessen Verhaftung und Folterung[12]. Nachdem Philotas hingerichtet worden war, teilte Alexander das Kommando über die Hetairenreiterei unter zwei Generälen auf, nämlich Hephaistion, Sohn des Amyntor, und Kleitos, Sohn des Dropidas. Damit halbierte er den Hetairenverband, denn er wollte künftig vermeiden, dass ein einziger allein, und wenn es auch der beste Freund war, eine so große Anzahl von Reitern befehligte, die überdies an Rang und auch sonst an Tüchtigkeit die Eliteeinheit der gesamten Reiterei bildete[13].
Unterstützung von Alexanders Politik
Den Winter 329/328 v. Chr. verbrachte Alexander mit seinem Heer in Baktra. Jetzt setzte er erstmals ein neues politisches Programm der Völkermischung und -gemeinschaft in konkrete politische Maßnahmen um, die den Gegensatz Barbaren–Hellenen aufheben sollten. Er legte erstmals eine barbarische Festtracht an. Möglicherweise wollte er sich den Landessitten anpassen in dem Glauben, das Stammesgemäße sei von großer Bedeutung für die Zähmung der Menschen. Vielleicht wollte er damit aber auch probeweise die Proskynese – die fußfällige Anbetung als Gott – bei den Makedonen einzuführen, damit sie sich allmählich an seine Wandlung und sein Abweichen von der alten Lebensart gewöhnten. Anfangs machte er von der Tracht nur Gebrauch, wenn er mit Barbaren zu tun hatte; später ließ er sich auch vor der Menge in ihr sehen sehen, wenn er ausritt oder Audienzen abhielt. Es handelte sich dabei um den prächtigen sogenannten persischen Priesterornat der Achämeniden mit der goldenen Krone (Kidaris) als Kopfbedeckung[14].
Fein dosiert und schrittweise, aber äußerst konsequent suchte Alexander sein Programm weiter zu entwickeln. Er ließ 30.000 einheimische Knaben aussuchen, griechisch erziehen und im Gebrauch makedonischer Waffen ausbilden. Damit passte er sich einerseits in seiner Lebenart noch mehr den Einheimischen an und suchte andererseits diesen die makedonischen Sitten nahezubringen „in dem Glauben, dass er durch eine solche Mischung und Gemeinschaft auf der Basis des Wohlwollens und der freiwilligen Zustimmung seine Macht besser begründe als durch Gewalt.“[15].
Ein weiterer Baustein in der Verwirklichung dieses umfassenden Befriedungsprogramms war die Heirat mit Rhoxane, der Tochter des sogdischen Fürsten Oxyartes, im Frühjahr 327 v. Chr. Der aufreibende Partisanenkrieg in Baktrien und der Sogdiana hatte zwei Jahre gedauert, bis der Widerstand durch vertragliche Vereinbarungen mit den wichtigsten Stammesführern endgültig überwunden werden konnte. Die Heirat mit Rhoxane war daher nicht nur eine Liebesheirat Alexanders, sondern auch eine dynastische Ehe, die den Verträgen eine dauerhafte Grundlage geben sollte. Deshalb ehelichte Alexander Rhoxane nach einheimischem Ritus – ein Vorspiel auf die Hochzeiten von Susa, das sich passgenau in sein politisches Programm einfügte[16]. Dabei fiel Alexander auf, dass von seinen vertrautesten Freunden besonders Hephaistion sein Verhalten und Programm uneingeschränkt unterstützte und die Veränderung der Lebensart mitmachte, während Krateros an den väterlichen Sitten festhielt. Daher übertrug er Hephaistion den Verkehr mit den Barbaren, Krateros indes den mit den Griechen und Makedonen[17].
In der Kallisthenes-Affäre im Frühjahr 327 v. Chr. war Hephaistion unter denen, mit denen Alexander die Einführung der Proskynese auch bei den Griechen und Makedonen vereinbart hatte. Er erwies ihm diese Geste der orientalisch-persischen Anbetung als Gott, bevor die Reihe an Kallisthenes kam, der nicht in den Versuch eingeweiht war und die Geste aus grundsätzlichen Erwägungen verweigerte[18]. Es scheint daher plausibel, wenn nur Plutarch[19] aus unbestimmbarer Quelle Hephaistion in der darauf folgenden sogenannten Pagenverschwörung als Ankläger des Kallisthenes auftreten lässt.
Höhepunkt der militärischen und politischen Karriere
Alexander belohnte die unbedingte Loyalität seines Freundes und dessen Unterstützung seines neuen politischen Programms mit einem militärischen Auftrag: 327 v. Chr. ließ er ihn an der Spitze einer selbstständigen Heeresgruppe zusammen mit Perdikkas nach Indien einmarschieren, wo er bei Ohind den Indus überbrückte[20]. Hephaistion gründete im Auftrag Alexanders mehrere Städte. Als „Leibwächter“ (= griech. Somatophylax ) Alexanders war er der ranghöchste von insgesamt 33 Trierarchen, welche die Indusflotte bauten[21]. In dieser Funktion führte er einen Heeresteil auf der linken Seite des Flusses zum Meer, wo er im Sommer 325 v. Chr. die Zitadelle der Hafenstadt Pattala (bei Haidarabad) befestigte und somit die Indusmündung sicherte[22]. Nachdem er diesen Auftrag erfüllt hatte, erhielt er von Alexander die Aufgabe, die Schiffslager zu befestigen und den Bau von Werften vorzubereiten. Dies entsprang Alexanders Plan, in Patala, wo sich der Indus gabelte, eine Flotte aus vielen Schiffen zurückzulassen[23]. Im Kampf mit den Oreiten erteilte Alexander Hephaiston im Herbst 325 v. Chr. den Auftrag, die größte Ansiedlung dieses Stammes mit Namen Rhambakia zur Stadt auszubauen[24].
Im Winter 325/24 v. Chr. schickte Alexander seinen Gefährten mit dem größten Teil der Truppen, dem Tross und den Kriegselephanten auf dem Weg längs des Meeres von Karmanien zurück in die Persis nach Susa[25]. So hatte H. seit dem Aufbruch nach Indien, neben Krateros, ständig die höchsten Kommandostellen inne[26].
In Susa angekommen honorierte Alexander im Frühjahr 324 v. Chr. Hephaistions militärische und organisatorische Leistungen, indem er ihn zum Chiliarchen beförderte. In der persischen Reichsorganisation war der Chiliarch (= altpersisch hazarapati ) Befehlshaber über 1000 Mann der königlichen Leibgarde und als ranghöchster Chiliarch nicht nur der Oberste des Heeres, sondern zugleich auch „Maior domus“. Diese amtliche Funktion entspricht im Arabischen dem Wesir. Er war der 2. Mann nach dem König und bildete mit diesem die „Regierungsspitze“[27]. Nach diesem persischen Vorbild schuf Alexander das neue Amt des Chiliarchen und übertrug es Hephaistion. In der höfischen Hierarchie nahm Hephaistion jetzt den ersten Rang nach Alexander als Nachfolger des persischen Großkönigs ein[28]. Das Amt des Chiliarchen war der Höhepunkt in der militärischen und politischen Karriere des Hephaistion. Es war zugleich Ausdruck des einzigartigen Vertrauens- und Freundschaftsverhältnisses, das Alexander mit dem Jugendgefährten verband. Wie innig es war, illustriert eine ganze Reihe von mehr oder minder glaubwürdigen Anekdoten[29].
Die intime Stellung Hephaistions dem König gegenüber fand etwa zur gleichen Zeit einen weiteren sinnfälligen Ausdruck in der so genannten Massenhochzeit von Susa. Alexander vermählte ihn mit Drypetis, der Tochter des von ihm besiegten persischen Großkönigs Dareios III. und Schwester seiner eigenen Braut mit Namen Stateira; „denn seine und dessen Söhne sollten Vettern sein“. So wurde Hephaistion Schwager Alexanders und Mitglied der großköniglichen Familie[30]. In der Gunst Alexanders hatte er nun alle anderen Freunde weit überflügelt. Von dieser Ausnahmestellung profitierte er jedoch nur kurz.
Tod und posthume Ehrungen
Im Spätherbst 324 erkrankte Hephaistion in Ekbatana zur gleichen Zeit, als (im Oktober) die Dionysien mit Gelagen und Wettkämpfen gefeiert wurden. Am siebten Tag starb er, ohne dass ihn Alexander noch lebend antraf[31]. Die Krankheitsursache ist unbekannt, scheint aber nicht zuletzt die Folge der vorausgehenden Anstrengungen gewesen zu sein [32].
Alexanders Trauer über den jähen Verlust seines „besten Freundes“, der ihm „so viel galt wie das eigene Leben“[33], kannte keine Grenzen[34], und ebenso überstiegen die Ehrungen, die er für den Toten anordnete, das Menschenmaß:
Er nahm drei Tage lang weder Speisen noch Getränke zu sich und ordnete eine reichsweite Trauer an. Das heilige Feuer, das in den iranischen Heiligtümern für den Großkönig brannte, sollte bis zur Beisetzung gelöscht bleiben, als sei er selbst gestorben. Alexander schickte Gesandte in die Oase Siwa, die bei seinem „Vater“ Zeus-Ammon anfragen sollten, ob er gestatte, Hephaistion als Gott zu verehren, was die Priester des Gottes aber verneinten[35]. Der Gott gestehe ihm nur einen Heroenkult zu. Darüber freute sich Alexander sehr und ehrte Hephaistion auf diese Weise[36]. Doch scheinen die beiden Heroentempel in Alexandria, einer auf dem Festland, der andere auf der Insel Pharos dort, wo auf dieser der weltberühmte Leuchtturm stand, nicht mehr vollendet worden zu sein. Letztere Kultstätte „sollte von besonders großen Ausmaßen und auffallender Pracht sein, ja er (sc. Alexander) wollte, dass die Benennung der Insel selbst nach Hephaistion zur offiziellen werde. Auch alle Vertragsurkunden, mit denen die Kaufleute ihre gegenseitigen Geschäfte besiegeln, sollten den Namen Hephaistions tragen“[37]. Der Leichnam wurde sorgfältig einbalsamiert. Perdikkas erhielt den Auftrag, ihn nach Babylon zu überführen, wo er im folgenden Jahr öffentlich verbrannt und die sterblichen Überreste beigesetzt werden sollten[38]. Für den Bau eines monumentalen Grabmals in Form einer babylonischen Stufenpyramide mit fünf Geschossen und die Durchführung der Leichenspiele wurde die Summe von 10.000 Talenten veranschlagt[39]. Die Stelle eines Chiliarchen, die für Hephaistion geschaffen worden war, wurde nach seinem Tod nicht wieder besetzt, „damit der Name nicht aus dem Schematismus der Führungsstellen getilgt würde. Sie blieb weiterhin als die sog. Chiliarchie des Hephaistion bestehen und führte das Feldzeichen, das von diesem stammte“[40], auch als nach dem Tod Alexanders am 26. Juni 323 v. Chr. Perdikkas der neue „Reichsverweser“ und tatsächliche Nachfolger des Hephaistion wurde[41]. Eine bis dahin einmalige Ehrung für seinen ehemaligen Intimfeind hatte sich erstmals Eumenes ausgedacht: Viele der Gefährten Alexanders sollten „zu dem Kult (sc. des Hephaistion) sich selbst und ihre Waffen dem Toten geweiht haben.“ Er ersann diese Geste, „um bei Alexander nicht den Eindruck zu erwecken, er freue sich über Hephaistions Tod“ [42].
In Ekbatana (heute Hamadan, Iran) ließ höchstwahrschenlich Alexander einen steinernen Löwen als Denkmal für Hephaistion aufstellen. Noch unter den heutigen Altertümern in Hamadan ist dieser „Sang i Schir“ am berühmtesten. Der Löwe steht auf einem die Stadt von Südosten überblickenden Hügel, während er in frühislamischer Zeit eines der Stadttore krönte. Er ist heute ziemlich beschädigt und hat seine Beine verloren[43].
Gesamtwürdigung: Hephaistion und die Vision Alexanders von einer neuartigen Friedensordnung seines Weltreiches
Die mit den Jahren immer stärker wachsende Zuneigung Alexanders zu Hephaistion bot den antiken Autoren Stoff zu vielerlei Vermutungen, ist aber weder mit romantischen Hochgefühlen noch griechischer Homoerotik oder Achillesnachahmung zu erklären.
Die Quellen, die als seriös und glaubwürdig zu bewerten sind, vermitteln folgendes Gesamtbild der Persönlichkeit und des Wirkens des Hephaistion:
Er war als Heerführer und Organisator durchaus kompetent, aber nicht so hervorragend wie andere Generäle und Freunde Alexanders[44]. Alexander war sich darüber im Klaren. Er soll gesagt haben, dass Hephaistion ohne ihn nichts wäre[45]. Auch wenn der Ausspruch erfunden sein sollte, spiegelt er doch ein Stück historischer Realität wider.
Die Ausnahmestellung, die Hephaistion nach seinen Verdiensten im Indienfeldzug mit dem Großweziramt erlangt hatte, beruhte in erster Linie darauf, dass er von allen Feldherrn Alexanders am rückhaltlosesten dessen neues politisches Programm der Völkereintracht und Friedenspolitik[46] unterstützte. Seine absolute Loyalität bewies er seit Beginn dieser neuen Politik im Winter 329 v. Chr. und dann vor allem in der Kallisthenesaffäre bei der Einführung der Proskynese und eines Herrscherkultes nach persischem Vorbild[47], bei der Übernahme der „persischen“ Chiliarchie und der Vermählung mit der persischen Königstochter Drypetis in der sogenannten Massenhochzeit von Susa, die nach einem „persischen Königsritual“[48] durchgeführt wurde. Hätte er Alexander überlebt, so wäre für ihn eine Scheidung von Drypetis nicht in Frage gekommen, während sich die anderen engsten Freunde mit Ausnahme des Seleukos nach dem Tod Alexanders von ihren Frauen aus dem iranischen Hochadel wieder trennten. Für seine bedingungslose Loyalität nahm Hephaistion auch persönliche Feindschaften wie die mit Krateros und Eumenes und anderen Hofleuten sowie Generälen Alexanders in Kauf[49]. Doch schöpfte Alexander nicht zuletzt auch daraus vollstes Vertrauen zu ihm[50].
So zeigt sich Hephaistion in seinem ganzen Denken und Handeln wie das Alter Ego Alexanders. Ob man ihn jedoch mit Badian als „gehässigen Intriganten“ charakterisieren kann[51], ist zu bezweifeln. Ein solch abwertendes Urteil wird dem Einsatz des Hephaistion für das neue Programm einer Völkerverständigung und Völkereintracht seines besten Freundes kaum gerecht.
Das zentrale gesellschaftliche Problem des Alexanderreiches in Vorderasien war das Verhältnis von Griechen/Makedonen einer- und Barbaren andererseits. Seit den Perserkriegen gewann die ursprünglich sprachliche Abgrenzung und Zweiteilung der Menschheit [52] auch eine politische Dimension. Der Barbar war nicht nur Untermensch, sondern auch der Feind der Griechen schlechthin. Platon bezeichnet die Barbaren als die natürlichen Feinde der Hellenen[53]. Xenophon nennt den Perserhass "edel" [54]. Isokrates, der bedeutendste Propagandist eines Rachekrieges gegen Persien forderte gegen die Barbaren Kampf und zwischen den Hellenen Eintracht: Homonoia[55]. Und Aristoteles, der von 343 bis etwa 340 im Auftrag Philipps II. den Kronprinzen Alexander zusammen mit Hephaistion und weiteren Söhnen aus makedonischen Adelsgeschlechtern unterrichtete, betrachtete alle Barbaren, vor allem die Völker Asiens, als Sklaven von Natur aus. Er gab seinem Schüler Alexander in einem Sendschreiben den Rat, die Griechen als freie Männer wie Freunde und Verwandte zu betrachten, die Barbaren aber wie Tiere oder Pflanzen als Sklaven zu behandeln[56].
Das neue politische Programm Alexanders ab 329 v. Chr. bedeutete einen fundamentalen Bruch mit dieser Lehre. Plutarch berichtet, dass Alexander den Rat seines Lehrers verworfen und sich vielmehr als Ordner und Versöhner für die ganze Welt gefühlt habe. Er sei von den Göttern gesandt worden, um alle Menschen in einem einzigen Staat zu vereinen und die Völker gleichsam in einem riesigen Mischkrug der Freundschaft mit all ihren Lebensarten und Sitten,Hochzeitsbräuche und Gewohnheiten untereinander zu vermengen. Das war im übrigen ein Vorgriff auf die Metapher für die Gesellschaft der Vereinigten Staaten: melting pot [57]. Alexander habe, so setzt Plutarch seinen Bericht fort, befohlen, dass alle Menschen gleich welcher Herkunft die Erde als ihr Vaterland, sein Lager als ihre Burg und ihre Residenz, die Guten und Anständigen als ihre Verwandten, aber die Schlechten als Barbaren ansehen sollten. Er verbot, Griechen und Barbaren nach Kriegsmantel und Lederschild, nach Dolch und Obergewand zu unterscheiden; denn an der „Tugend“ erkenne man das Griechentum, das Barbarentum an der Verworfenheit. Kleidung, Kost, Ehe und Gebräuche aber sollten sich nicht unterscheiden, weil alles dies durch Blut und die Kinder vermischt sei[58]. Dieses Programm vergleicht Plutarch mit dem Kosmopolitismus Zenons (ca. 335-263 v. Chr.), der die philosophische Schule der Stoa begründet hat. Auch er lehrte eine weltweite Brüderlichkeit und dass die wahre Polis die Kosmopolis sei, in der alle Menschen als Mitbürger und Brüder nach derselben Lebensart und Ordnung leben sollten. Doch sei das bei ihm ein philosophischer Traum geblieben, während Alexander ihn bereits in die Tat umgesetzt habe[59]. Das bestätigt der Geograph Eratosthenes, den Plutarch in diesem Zusammenhang zitiert. Danach lehnte Alexander die Scheidung der gesamten Menschheit in zwei Hälften, Griechen und Barbaren, die Aristoteles und viele andere vertraten, kategorisch ab und ersetzte sie durch die Unterscheidung von sittlich „guten“ und „schlechten“ Menschen[60].
Hephaistions großes historisches Verdienst liegt nun darin, dass er, gewiss aus eigener Einsicht und Kongenialität, Alexanders Plan eines Weltfriedens und der Völkereintracht durch die schrittweise Gleichstellung, ja regelrechte Verschmelzung der Orientalen mit den Griechen wie kein anderer seiner Freunde unterstützte und nach Kräften förderte. Dafür nahm er die Feindschaft zahlreicher Gegner dieser Politik und Anhänger der Lehre des Aristoteles aus dem Umfeld der Generäle Alexanders (z.B. Parmenion, Philotas, Krateros und Eumenes) in Kauf.
Quellen
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- Plutarch. Fünf Doppelbiographien. 1. Teil: Alexandros (=hier abgek. zitiert als Plut. Alex.) und Caesar..., griechisch und Deutsch. Übersetzt von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann, ausgewählt von Manfred Fuhrmann. Mit einer Einführung und Erläuterungen von Konrat Ziegler, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994. Bestellnummer 12645-9.
- Theodor Vogel (Hrsg.): Q. Curti Rufi Historiarum Alexandri Magni Macedonis libri qui supersunt. 2 Bände. 4. bzw. 3. Aufl., Teubner, Leipzig 1903 und 1906. Nachdruck Olms, Hildesheim 2002, ISBN 3-487-11556-5, = hier abgek. zitiert als Curtius.
- Diodoros of Sicily. In Twelve Volumes, Bd. VIII. Books XVI.66-95 and XVII, with an English Translation by C. Bradford Welles, The Loeb Classical Library, Cambridge-London 1963. American ISBN
0-674-99464-7 = hier abgek. zitiert als Diod. 17 und
- Diodoros of Sicily. In Twelve Volumes, Bd. IX. Books XVIII- XIX,65 with an English Translation by Russel M. Geer, The Loeb Classical Library, Cambridge-London 1984. American ISBN 0-674-99415-9 = hier abgek. zitiert als Diod. 18.
- M. Iuniani Iustini. Epitoma historiarum Philippicarum Pompei Trogi, ed. Otto Seel, Bibliotheca Teubneriana, Stuttgart 1985. ISBN 3-519-01470-X = hier abgek. Iustin.
Literatur
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- Ernst Badian: Hephaistion Nr. 1. In: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 5, Stuttgart-Weimar 1998, Sp. 349 f.
- Albert Brian Bosworth: Hephaistion. In: Simon Hornblower, Antony Spawforth (Hrsg.): The Oxford Classical Dictionary. 3. Aufl., Oxford University Press, Oxford 1996, 186 ISBN 0-19-866172-X.
- Elizabeth D. Carney: Alexander the Great and the Macedonian Aristocracy. Dissertation, Duke University, 1975.
- Alexander Demandt: Sternstunden der Geschichte. Beck-Verlag, München 2000. ISBN 3-406-46649-4
- Eid Hafez: Hephaistion: Das Geheimnis Alexanders. Projekteverlag, Halle 2004. ISBN 3-937027-53-X
- Waldemar Heckel: Hephaistion. In: Ders.: The Marshals of Alexander's Empire. Routledge, London 1992, 65-90. ISBN 0-415-05053-7.
- Waldemar Heckel: Who’s Who In The Age Of Alexander The Great: Prosopography of Alexander’s Empire. Oxford 2006, S. 133ff.
- Peter Högemann: Das Alte Vorderasien und die Achämeniden. Ein Beitrag zur Herodot-Analyse, Wiesbaden 1992. ISBN 3-88226-563-9
- Heinz Luschey: Der Löwe von Ekbatana. In: Archäologische Mitteilungen aus Iran. N.F. Bd. 1, Berlin 1968, S. 115–122.
- Sylvia A. Matheson: Persien. Ein archäologischer Führer. Reclam Stuttgart 1980. ISBN 3-15-010296-0
- Gerhard Plaumann: Hephaistion, Nr.3, in: RE Band VIII 1, Stuttgart 1912, Sp. 292-296.
- Jeanne Reames-Zimmerman: Hephaistion Amyntoros: Éminence Grise at the Court of Alexander the Great. Dissertation, The Pennsylvania State University, 1998.
- Jeanne Reames-Zimmerman: An Atypical Affair? Alexander the Great, Hephaistion, and the Nature of Their Relationship. In: The Ancient History Bulletin 13.3 (1999), S. 81–96.
- Gerhard Wirth: Hephaistion Nr. 1. In: Der Kleine Pauly, Bd. 2, Stuttgart 1967, Sp. 1022 f.
- Fritz Wüst: Zu den Hypomnemata Alexanders des Großen. Das Grabmal Hephaistions. In: Jahrbuch des Österreichischen Archäologischen Instituts 44 (1959), S. 147–157.
Weblinks
Referenzen
- ↑ Plutarch, Alexandros 72,1-2
- ↑ Arrian, Anabasis 6,28,4 und Indika 18,3
- ↑ Arrian, Anabasis 7,14,7. 23,6 und Plut. Alex. 72,2-3
- ↑ Curt.3,12,16
- ↑ Arrian, Anabasis 3,6,5
- ↑ Arr., a.O. 1,12,1
- ↑ Arr.a.O. 2,12,6
- ↑ Anab. 3,15, 2
- ↑ 17,61,3
- ↑ a.O. 1022
- ↑ so Ernst Badian, a.O.349
- ↑ Plut. Alex. 49, 11-13
- ↑ Arr.a.O. 3,27,4–5
- ↑ Plutarch Alexander 45,2-4; Arr. Anab. 4,7,4; zum persischen Festornat vgl. auch Curtius 6,6,2 ff. und Ephippos von Olynth „Über den Tod von Hephaistion und Alexander“ FGrHist 126 aus Athenaios, Deipnosophistai VII 537e–538
- ↑ Plut. Alex. 47,3 und 71,1-2; zu den 30.000 sog. Epigonen vgl. auch Arr. Anab. 7,6; zu dem dahinter stehenden neuen politischen Programm der Völkerverständigung vgl. vor allem Plutarch, De Alexandri Magni Fortuna 1,6 = Moralia 329 A 9- B 18 und B 19-D 14 sowie Strabon 1,4,9,p. 66 C, 23–9, p. 67 C,7 in der deutschen Übersetzung von St. Radt (Hrsg.), Strabons Geographika, mit Übersetzung und Kommentar Bd. 1: Prolegomena Buch I-IV: Text und Übersetzung, Göttingen 2002, 167
- ↑ so zu Recht Plut. Alex. 47,7-8 und Arr. Anab. 4,19,5-6; zum Ritus des gemeinsamen Verzehrens eines Brotes, der heute noch in Turkestan bei Hochzeiten üblich ist: Curtius 8,4,27
- ↑ Plut. Alex. 47,9–10
- ↑ Arr.a.O. 4,12,3-6: Plut. Alex. 54,5-6 im Anschluss an Chares von Mytilene FGrHist. II 66
- ↑ Alex. 55,1
- ↑ Arr. 4,22,7 und 5,3,5
- ↑ Arr.Ind. 18,3; dazu Plaumann, a.O. Sp. 292
- ↑ Arr. Ind.18,3;19,2; Anab. 6,18,1
- ↑ Arr. Anab. 6,20
- ↑ Anab.6,21,5
- ↑ Anab. 6,28,7
- ↑ Plaumann, a.O. Sp. 293
- ↑ P.Högemann, a.O. 344
- ↑ Arrian, Anab. 7,14,10 und succ. Alex. 3. vgl. auch Diod. 18,48,4
- ↑ Z.B. Arr. Anab. 1,12,1, 7,18,2; Aelian, Varia Historia 7,7; Plut. Alex. 39.47; Curt. 3,12,15; Diod. 17,37,5.114,2
- ↑ Anab. 7,4,5-6; Diod. 17,107,6; Curt.10,5,20; vgl. auch Plut. Alex. 70,2 zu Stateira
- ↑ Anab. 7,14,1-2; Iustin.12,12,1. Der Zeitgenosse Ephippos von Olynth führt in seinem Werk über "den Tod von Hephaistion und Alexander" das frühe Ende beider auf maßlosen Alkoholgenuss zurück, der Jahre hindurch Kennzeichen ihrer Lebensweise gewesen sei; vgl. auch Diod.17,110,7-8 und Plut. Alex. 70,1
- ↑ Wirth, a.O. S. 977 A. 54 im Kommentar zu Arrian, Anab. 7,14,1-2
- ↑ Anab. 7,14,6
- ↑ ebd.7,14,2-8
- ↑ Anab. 7,14,7
- ↑ Anab. 7,23,6-7; Plut. Alex. 72,2-3 und 75,3; dagegen ist die Überlieferung bei Diod. 17,115,6 und Iustin. 12,12,11, das Orakel habe die göttliche Verehrung von Hephaistion angeordnet, als Legendenbildung strikt abzulehnen; so zu Recht Plaumann, a.O. Sp.295
- ↑ Anab. 7,23,7-8
- ↑ Diod. 17,110,8
- ↑ Arr. Anab. 7,14,8 mit dem Kommentar von Wirth, a.O.978 f. in Anm.58; Plut. Alex.72,3-4; Diod. 17,115,2;18,4,2 und Iustinus 12,12,12, der sogar die Summe von 12.000 Talenten überliefert
- ↑ Anab.7,14,10
- ↑ Arr. Succ. Alex. 3 und Diod. 18,45,5
- ↑ Anab. 7,14,9-10; zu dem Streit zwischen beiden und der von Alexander veranlassten Versöhnung ebd. 7,13
- ↑ Sylvia A. Matheson, a.O. 121 f. mit Abb. 34 auf S. 123; vgl. auch Badian, a.O. Sp. 350 und Heinz Luschey 1968
- ↑ vgl.dazu etwa Arr. Anab. 7,5,4-6
- ↑ Plut. Alex. 47,11
- ↑ dazu s.o. und bes. Arr. Anab. 7, 11, 9
- ↑ dazu Plut. Alex. 47-55; Arr. 7,13,1
- ↑ Arr. Anab. 7,4,6 und 6,2
- ↑ Plut. Alex. 47,11-48; Arr.7,13
- ↑ vgl. dazu WIRTH, a.O. Sp. 1023 und BADIAN, a.O. Sp. 350
- ↑ in: Der Neue Pauly, Bd. 5, 1998, Sp. 350
- ↑ Vgl. Homer, Ilias II 897, wo der Begriff barbaros lautmalend für Leute steht, die kein Griechisch, sondern ein unverständliches Bla-Bla sprechen
- ↑ Platon, Brief VII 333 a;336 a
- ↑ Agesilaos 7,7
- ↑ Reden IV 184; V 16; XII 163
- ↑ Aristot.frg. 658, ed. V. ROSE
- ↑ Demandt, Sternstunden der Geschichte, S. 39
- ↑ Plutarch, De Alexandri Magni Fortuna aut Virtute Or.1,6 = Moralia 329 B 19-D 14
- ↑ Plut. a.O.1,6 = Moralia 329 A 9-B 18
- ↑ Plut. Moralia 330 = Erathostenes bei Strabon, Geographica 1,4,9, p. 66 C, 23- 9, p. 67 C,7; zur Umsetzung des neuen Programms eines Weltfriedens und der Völkerverschmelzung durch Alexander, bes. durch die Heirat mit Rhoxane und dann die Massenhochzeit von Susa, vgl. u.a. Demandt, a.O. 39 ff., der „die größte Hochzeit der Weltgeschichte“ zu Recht auch als „eine Sternstunde der Menschheit“ (S. 41) charakterisiert
Personendaten | |
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NAME | Hephaistion |
ALTERNATIVNAMEN | Hephaistion Amyntoros |
KURZBESCHREIBUNG | Freund und Offizier Alexanders des Großen |
GEBURTSDATUM | 4. Jahrhundert v. Chr. |
GEBURTSORT | Pella, Makedonien |
STERBEDATUM | 324 v. Chr. |
STERBEORT | Ekbatana, Persien) |