Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus

erzwungene Arbeit und Sklaverei im Nationalsozialismus
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Während des Zweiten Weltkriegs wurden nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen ca. sieben und bis zu elf Millionen Menschen zur Zwangsarbeit überall im Deutschen Reich eingesetzt, die weitaus meisten zwangsrekrutiert (Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus).

Ausmaß der Zwangsarbeit

Im Spätsommer 1944 stellten sie etwa ein Viertel aller in der gesamten deutschen Wirtschaft beschäftigten Arbeitskräfte. So gab es kaum einen Betrieb, weder in der Industrie noch in der Landwirtschaft, der keine Zwangsarbeitskräfte einsetzte. Diese Menschen stammten aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern Europas, die meisten aus Polen und der damaligen Sowjetunion, letztere auch als Ostarbeiter bezeichnet. Viele von ihnen waren sehr jung; etwa die Hälfte waren Mädchen und Frauen.

Ziele

Ziele der Zwangsarbeit waren insbesondere die Steigerung bzw. Aufrechterhaltung der Produktion in Rüstungsindustrie und Landwirtschaft, aber auch die physische Vernichtung von Menschen aus rassenideologischen bzw. politischen Gründen. Die Ausbeutung der Zwangsarbeitenden fand häufig unter fürchterlichen Umständen statt, vor allem in der Rüstungsindustrie und im Bergbau. Aber auch in der Land- und Forstwirtschaft waren sie als faktisch Rechtlose den rigiden, insbesondere rassistisch begründeten Reglementierungen und Zwangsmaßnahmen der NS-Behörden unterworfen und der Willkür ihrer deutschen Arbeitgeber und Vorgesetzten ausgeliefert.

Betroffene Gruppen

Zwangsarbeitende lassen sich in folgende Gruppen einteilen:

  • Ausländische Zivilisten, die die überwältigende Mehrheit der Zwangsarbeiter stellten. (Hier auch ’Zivilarbeitende’ bzw. ’Zivilarbeitskräfte’ genannt.
  • Kriegsgefangene, vor allem Polen, Franzosen und Russen (und ab dem Sommer 1943 auch italienische Militärinternierte
  • KZ- und Gestapohäftlinge, zu denen auch Insassen von Arbeitserziehungslagern gehörten.
  • Juden, die vor ihrer Deportation in die östlichen Ghettos und Vernichtungslager oder als KZ-Häftlinge Zwangsarbeit im Reich leisten mussten und seit 1944 wieder als KZ-Häftlinge in Deutschland arbeiteten.
  • Sinti und Roma, sowohl aus dem Deutschen Reich, als auch von den östlichen besetten Ländern.

Zur völkerrechtlichen Bewertung des Zwangsarbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen

Nicht selten wird die Meinung vertreten, dass Kriegsgefangene keine Zwangsarbeiter gewesen seien. Diese Position lässt sich so nicht aufrechterhalten. Hier ist differenziert zu prüfen, inwieweit die bestehenden völkerrechtlichen Normen – die Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Genfer Konvention von 1929 – beim Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen beachtet wurden. Das Deutsche Reich und die Wehrmacht verstießen hier massiv gegen das Völkerrecht; die Behandlung der verschiedenen Nationalitäten der Kriegsgefangenen war an der Rassenhierarchie der NS-Ideologie ausgerichtet. Kriegsgefangenen, vor allem aus Polen und der Sowjetunion, sowie italienischen Militärinternierten wurden die geltenden völkerrechtlichen Normen vorenthalten. Dies gilt auch in Bezug auf deren Arbeitseinsatz. Eingeschränkt beachtet wurde aus gewissen außenpolitischen Rücksichtnahmen das Völkerrecht gegenüber französischen Kriegsgefangenen. Um die einengenden völkerrechtlichen Bestimmungen beim Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen zu umgehen, wurden viele Kriegsgefangenengruppen formal in den Zivilstatus versetzt. Davon betroffen waren u.a. die polnischen und ein Teil der französischen Kriegsgefangenen. War diese Umwandlung in den Zivilstatus bei anderen Nationalitäten nicht möglich oder gewollt, wurden die Gefangenen der Leistungsernährung unterworfen, d.i. die Koppelung der Lebensmittelration an die individuelle Arbeitsleistung. Dies betraf insbesondere die sowjetischen Kriegsgefangenen. (Was u.a. dazu führte, dass von den insgesamt ca. 5,7 Millionen russischen Kriegsgefangenen etwa 3,3 Millionen in deutscher Gefangenschaft umkamen.) Einzig gegenüber den angloamerikanischen Kriegsgefangenen hielt man sich weitgehend an die bestehenden völkerrechtlichen Bestimmungen.

Insofern ist davon auszugehen, dass Kriegsgefangene, die zur Arbeit eingesetzt wurden – außer der letztgenannten Gruppe – im völkerrechtlichen Sinne Zwangsarbeit verrichteten.

  • Vgl. zu diesem Komplex: Spoerer, Hakenkreuz, S.99 ff.

Bewertung

Der massenhafte Ausländer-Einsatz in Deutschland war für den NS-Staat von einem grundsätzlichen Widerspruch gekennzeichnet: Einerseits machte die Kriegswirtschaft es dringend notwendig, Zwangsarbeitende als Ersatz für die millionenfach eingezogenen deutschen Männer zu verwenden, insbesondere nach dem Scheitern der zunächst erfolgreichen Blitzkriegstrategie und der dann immer größer werdenden deutschen Verluste. Andererseits widersprach es der NS-Ideologie, Fremdvölkische in Deutschland zu beschäftigen. Man fürchtete um die Blutreinheit des deutschen Volkes und sah in der massenhaften Beschäftigung von feindlichen Ausländern im Reich sicherheitspolitische Gefahren. Dieser Widerspruch führte zur Ausgrenzung der Fremdvölkischen im Deutschen Reich unter Zuhilfenahme brutaler staatlicher Zwangsmaßnahmen. Insbesondere waren davon die als rassisch minderwertig verachteten Menschen aus Polen und noch stärker die aus der Sowjetunion betroffen. „Die von dem NS-Regime erlassene rassistische Hierarchie (in Bezug auf die Zwangsarbeitenden stimmte dabei weitgehend mit der populären Vorurteilsstruktur der deutschen Bevölkerung überein.“

Der Komplex NS-Zwangsarbeit wurde lange Zeit verleugnet oder bagatellisiert. Erst seit den achtziger Jahren wird er erforscht. Im Jahr 2000 hat der Bundestag die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft eingerichtet, die ehemalige Zwangsarbeiter entschädigen soll.

siehe auch:

Literatur

  • Barwig, Klaus, (Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte, Baden-Baden 1998;
  • Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter, Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuauflage, Bonn 1999;
  • Ders. (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938 - 1945, Essen 1991;
  • Spoerer, Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart und München 2001.
  • Lotfi, Gabriele, Fremdvölkische im Reichseinsatz, Eine Einführung zum Thema NS-Zwangsarbeit; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 7/2000, S. 818 f.