Das Gilgamesch-Epos, auch Gischgimmasch, ist eine der ältesten überlieferten literarischen Dichtungen der Menschheit, und das berühmteste literarische Werk Altbabylons.
Tontafeln in Keilschrift
Das Epos hat seinen Ursprung im Sumerischen Reich in Mesopotamien. Aus sumerischer Zeit sind einige wenige Tontafeln in sumerischer Keilschrift mit Fragmenten des Epos bekannt. Der Großteil ist durch jüngere babylonische Tontafeln überliefert, die in der Tontafelbibliothek Assurbanipals (669 v. Chr. - 627 v. Chr.) gefunden wurden. Die Tafeln sollen einer nicht nachprüfbaren Überlieferung zufolge von dem Dichter Sin-leqe-unnini stammen, der im 12. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat.
Das Epos wurde mit ca. 3600 Verszeilen auf 11 Tafeln in Ninive verfasst, die außer den Heldentaten des Königs Gilgamesch auch die weltweit verbreitete Erzählung von einer großen Sintflut beinhaltet. Die Figur des Utnapischtim scheint dabei genau der biblischen Figur des Noach zu entsprechen (Vergl. 1. Buch Mose (Genesis) Kapitel 6-9 und 11. Tafel Gilgamesch-Epos). Das sumerische Epos von Gilgamesch wurde später auf einer 12. Tafel ergänzend hinzugefügt. Die 12. Tafel beinhaltet als einzige die Unterwelt-Mythe, in der König Gilgamesch zeitweilig als Richter gewirkt haben soll. Die Sagenbildung um den König Gilgamesch setzte bereits früh ein. Es hat ganz den Anschein, dass weitaus ältere Mythen an die Sagen mit historischem Hintergrund angehängt wurden.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Keilschriftdichtungen zum Gilgamesch-Epos in vier Sprachen geschrieben sind, und sie innerhalb des langen Zeitraumes vom 21. bis 6. Jahrhundert v. Chr. im Gebiet von Südbabylonien bis nach Kleinasien überliefert wurden.
Ein großer Teil der Tontafelfunde befindet sich im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin.
Entzifferung und Übersetzung
Der Text wurde erst nach Entzifferung der Keilschrift im 20. Jh. wieder entdeckt und musste aus einzelnen Fragmenten zusammen gesetzt werden, wobei größere Textlücken bestehen blieben. Da der Text in altbabylonischer, akkadischer, hurritischer und hethitischer Sprache verfasst wurde, ergab sich zusätzlich zu den Unsicherheiten durch die fragmentarischen Stücke der Tafeln eine besondere Übersetzungs- und Überlieferungssituation. Einige Textstellen waren nicht erhalten, und mussten durch Fantasie und Sinnzusammenhang ergänzt werden, andere wichtige Begriffe waren nicht bekannt, weshalb sich die Forscher auch hier auf ihre Erfahrung und ihren Sinn für die alten Sprachen verlassen mussten. Erst S. N. Kramer, Sumerologe aus Philadelphia, USA, stellte große Teile der sumerischen Mythendichtungen wieder in einen sinnvollen Zusammenhang. Die erste vollständige deutsche Übersetzung erstellte Alfred Jeremias im Jahr 1891. 1934 wurde das Epos erneut von Albert Schott übersetzt. Schott hat die Personennamen des Epos vereinheitlicht, so dass sich der Name Gilgamesch auch für die älteren Fassungen, in denen der Name Gischgimmasch verwendet wurde, in der Öffentlichkeit durchsetzte. Das gleiche gilt für Chuwawa statt Chumbaba und Sursunabu statt Urschanabi, usw.
Das Epos
Gilgamesch (ca. 2652 v. Chr. bis 2602 v. Chr.) war König der sumerischen Stadt Uruk und laut dem Epos zu einem Drittel Mensch und zu zwei Dritteln Gott. Die Aufteilung in menschliche und göttliche Anteile scheint ein Rätsel. Das Epos beschreibt die Heldentaten Gilgameschs, die Freundschaft und die homoerotische Liebesbeziehung zu dem von der Göttin Aruru erschaffenen menschenähnlichen Wesen Enkidu, aber insbesondere die Auseinandersetzung und die Suche nach seiner ihm von den Göttern verweigerten Unsterblichkeit.
Das Epos gilt als die erste Dichtung, welche das Lösen von den Göttern, zugleich aber auch die Angst vor der Vergänglichkeit und des Todes zeigt. Seit der Mensch sich seiner selbst bewußt ist und damit die "Unschuld" der Natur hinter sich gelassen hat, begannen die existentiellen Ängste. Es gilt daher auch als das erste existentialistische Werk der Menscheit.
Der Bericht zeigt interessante Parallelen zur biblischen Aussage (Genesis, Kapitel 6), wonach sich Engel auf der Erde materialisierten und Beziehungen mit Menschenfrauen eingingen. Die dadurch gezeugten Kinder wurden die „Nephilim“ genannt. Sie (diese „Halbgötter“) waren für ihre übermenschliche Stärke und Schlechtigkeit bekannt. Es finden sich auch Entsprechungen im griechischen Götterhimmel mit seinen Titanen, Halbgöttern und den weltlichen Kindern des Zeus, die dieser nach Lust und Laune zusammen mit normal sterblichen Frauen zeugte.
Eine Erklärung für die Wesensanteile Gilgameschs könnte sein, dass sich die Wesenskomponenten Gilgameschs nicht auf seine Herkunft beziehen, wie zuweilen angenommen wird, sondern darauf, in welchem Umfang er den göttlichen Willen befolgt. Die Klage seines Volkes und die Erschaffung Enkidus durch die Götter erfolgten, da Gilgamesch nur zu zwei Dritteln den göttlichen Willen befolgte. Utnapischtim, der Vorfahre Gilgameschs und Verfasser des Sintflutberichtes, war vollkommen göttlich, denn er befolgte den göttlichen Willen Eas vollständig.
Da Gilgamesch rastlos nach dem ewigen, d. h. göttlichen, Leben sucht, ist hier auch ein frühes faustisches Motiv zu erkennen.
Das Epos heute
Im Gegensatz zu vielen griechisch-römischen Mythen wurde der Gilgamesch-Mythos erst spät für Musik (z. B. Opern, Oratorien) und Literatur (insb. Fantasyromane) als Stoff entdeckt.
Thomas Mann hat in seiner Tetralogie "Joseph und seine Brüder" (1933ff), der Bibelforschung seiner Zeit folgend, die unter anderem nach Vorlagen der biblischen Motive suchte, Elemente der Gilgamesch-Mythologie in die Josephs-Legende verwoben.
Hans Henny Jahnns Romanzyklus Fluss ohne Ufer (1949ff) basiert in wesentlichen Motiven auf dem Gilgamesch-Epos.
Eine moderne Interpretation des Mythos ist Stephen Grundys Roman "Gilgamesch" von 1998.
In der Folge "Darmok" der Serie Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert (TNG) erzählt Captain Picard einem im Sterben liegenden Alien Teile des Gilgamesch-Epos.
Literatur
- Th. Jacobsen, in: Frühlicht des Geistes. Stuttgart 1954.
- S. N. Kramer: Sumerian Mythology. Philadelphia 1944.
- S. N. Kramer: From the Tablets of Sumer. Indian Hills 1956.
- Stefan M. Maul (Übers): Das Gilgamesch-Epos.. (neu übers. u. komm.) Beck, München 2005. ISBN 3-406-52870-8
- Werner Papke: Die Geheime Botschaft des Gilgamesch. 4000 Jahre alte astronomische Aufzeichnungen entschlüsselt, Weltbild Verlag (copyright Lübbe Verlag, Originaltitel: Die Sterne von Babylon), Augsburg 1996. ISBN 3-89350-551-2
- Hermann Ranke (Übers.): Das Gilgamesch Epos - Der älteste überlieferte Mythos der Geschichte, Marix Verlag, Wiesbaden 2006. ISBN 3-86539-080-3
- Raoul Schrott (Übers.): Gilgamesch Epos. 2001. ISBN 3-89584-505-1
- Wolfram von Soden (Übers.), Hajo Edelhausen (Ill.): Gilgamesch oder die Mauern von Uruk - Bilder zur Menschwerdung. Vorwort von Rolf Wedewer und Karl Hecker. Edition Orient, 1995. ISBN 3922825605
- Wolfram von Soden (Hrsg.): Das Gilgamesch-Epos. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Albert Schott. Reclam, Stuttgart 1982. ISBN 3150072352
- Nicole Leurpendeur: Das Gilgamesch-Epos. aja-verlag, Abensberg 2005. ISBN 3-938621-00-1.
Siehe auch
- Agga
- Ischtar, im zweiten Abschnitt des Epos
- Ischtar-Tor
- Zombie