Stetige Funktion

mathematische Funktion mit besonderen Eigenschaften
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Die Stetigkeit ist ein Konzept der Mathematik, das vor allem in den Teilgebieten der Analysis und der Topologie von zentraler Bedeutung ist. Eine Funktion heißt stetig, wenn verschwindend kleine Änderungen des Argumentes (der Argumente) nur zu verschwindend kleinen Änderungen des Funktionswertes führen. Das heißt insbesondere, dass in den Funktionswerten keine Sprünge auftreten. Das Gegenteil von stetig ist unstetig.

Definitionen

 
Graphische Veranschaulichung einer unstetigen reellen Funktion

Die Idee der Stetigkeit kann wie folgt beschrieben werden:

Eine reellwertige Funktion   auf einem reellen Intervall   ist stetig, wenn der Graph der Funktion   ohne Absetzen des Stiftes gezeichnet werden kann. Die Funktion darf insbesondere keine Sprungstellen haben.

Diese Aussage ist keine Definition, weil unklar ist, was unter in einem Zug zeichnen genau zu verstehen ist, beispielsweise bei einer Kurve, die auf einem endlichen Intervall eine unendliche Länge hat. Trotzdem entspricht sie ungefähr der Bedeutung der Stetigkeit und ist daher für die Anschauung sehr nützlich. Die nachfolgenden Definitionen für die Stetigkeit sind mathematisch exakt.

Augustin Louis Cauchy und Bernard Bolzano gaben Anfang des 19. Jahrhunderts unabhängig voneinander eine Definition von Stetigkeit. Sie nannten eine Funktion stetig, wenn beliebig kleine Änderungen des Arguments nur beliebig kleine Änderungen des Funktionswerts nach sich zögen. Dies war bereits eine exakte Definition, die aber in ihrer praktischen Anwendung gewisse Fragen offen lässt. Die heutzutage benutzte Definition stammt von Karl Weierstraß vom Ende des 19. Jahrhunderts. Dieses so genannte  - -Kriterium führt die beliebig kleinen Änderungen genauer aus.

Stetigkeit reeller Funktionen

Reelle Funktionen zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Definitionsbereich   und ihr Zielbereich Teilmengen der reellen Zahlen sind. Für solche Funktionen   ist die Stetigkeit in einem Punkt   des Definitionsbereichs folgendermaßen definiert:

  ist stetig in   genau dann, wenn
für alle   ein   existiert, so dass für alle   mit   gilt:  .

Äquivalent dazu ist die folgende Definition:

 

Eine Funktion heißt stetig, wenn sie an jeder Stelle ihres Definitionsbereiches stetig ist.

Z. B. ist die Signum-Funktion

 

an jeder Stelle   stetig, aber nicht insgesamt stetig, da sie an der Stelle   unstetig ist: Der linksseitige Grenzwert ist -1, der rechtsseitige Grenzwert ist +1 und somit existiert der Grenzwert   nicht.

Eigenschaften

  • Sind   und   stetig mit einem gemeinsamen Definitionsbereich, so sind auch  ,   und   stetig. Ist   für alle   im Definitionsbereich, dann ist auch   stetig.
  • Die Komposition   zweier stetiger Funktionen ist ebenfalls stetig.

Beispiele

  • Die Sinusfunktion   ist stetig (d. h. insbesondere in jedem Punkt   stetig).
  • Die Kosinusfunktion   ist stetig.
  •   ist (als Komposition der Exponential- und der Kosinusfunktion) stetig.
  • Die Funktion   ist auf dem maximalen Definitionsbereich   stetig. An der Stelle 0 ist der Begriff Stetigkeit nicht anwendbar und   ist weder stetig noch unstetig in 0.
  • Die Tangensfunktion   ist stetig in ihrem Definitionsbereich, d. h. in allen   aus   mit  .
  • Die komplexe Exponentialfunktion   ist stetig.

Verallgemeinerung: Stetige Funktionen zwischen metrischen Räumen

Eine Funktion heißt stetig, wenn sich ihr Funktionswert genügend wenig ändert, solange man nur das Funktionsargument genügend wenig ändert. Auch dies ist nur eine Beschreibung, mögliche exakte Definitionen sind folgende:

Epsilon-Delta-Kriterium

Seien  ,   metrische Räume. Eine Funktion   heißt stetig in  , wenn gilt:

Für alle   existiert ein  , sodass für alle   gilt:  .

Dabei bezeichnet   die offene  -Umgebung um  .

Folgenkriterium

Seien  ,   metrische Räume, dann gilt:

  ist stetig in   Für jede Folge   aus der Definitionsmenge von  , die gegen   konvergiert, konvergiert   gegen  .

Umgebungskriterium

Seien  ,   metrische Räume, dann gilt:

  ist stetig in   Zu jeder Umgebung   von   gibt es eine Umgebung   von   , sodass für alle   gilt:  .

Weitere Verallgemeinerung: Stetige Funktionen zwischen topologischen Räumen

Hauptartikel: Stetigkeit (Topologie)

Alle bisherigen Definitionen sind Spezialisierungen der entsprechenden Definition von Stetigkeit in der Topologie. Dort ist eine Funktion zwischen zwei topologischen Räumen genau dann stetig, wenn die Urbilder offener Mengen wiederum offene Mengen sind.

Spezialfälle von Stetigkeit

Spezialfälle der Stetigkeit sind z. B. gleichmäßige Stetigkeit, (lokale) Lipschitz-Stetigkeit sowie absolute Stetigkeit. Die gewöhnliche Stetigkeit wird mitunter auch als punktweise Stetigkeit bezeichnet, um sie gegenüber der gleichmäßigen Stetigkeit abzugrenzen. Anwendungen der Lipschitz-Stetigkeit finden sich z. B. in Eindeutigkeitssätzen (z. B. Satz von Picard-Lindelöf) für Anfangswertprobleme. Die absolute Stetigkeit findet Verwendung in der Stochastik und der Maßtheorie.

Eine Eigenschaft, die eine Menge von Funktionen besitzen kann, ist die gleichgradige Stetigkeit. Sie spielt eine Rolle im häufig verwendeten Satz von Arzelà-Ascoli.

Zusammenhang

Es gelten folgende Zusammenhänge im Fall reeller Funktionen:

  Lipschitz-stetig     lokal Lipschitz-stetig     stetig

und

  Lipschitz-stetig     absolut stetig     gleichmäßig stetig     stetig.

Beispiele

Einige Gegenbeispiele sollen demonstrieren, dass die Rückrichtungen in aller Regel nicht gelten:

  •   ist stetig, aber nicht lokal Lipschitz-stetig.

Wichtige Sätze über stetige Funktionen

Verkettung stetiger Funktionen

Jede Verkettung stetiger Funktionen ist auch wieder stetig.

Stetigkeit der Umkehrfunktion

Sind   ein Intervall in   und   eine stetige, streng monoton wachsende Funktion, dann ist das Bild von   ein Intervall  ,   ist bijektiv, und die Umkehrfunktion   ist stetig. Somit ist   ein Homöomorphismus von   nach  .

Dies gilt wie angegeben nur für Funktionen, die im gesamten Intervall stetig sind. Ist   eine umkehrbare und an der Stelle   stetige Funktion, so ist die Umkehrfunktion   an der Stelle   im Allgemeinen nicht stetig. Als Gegenbeispiel sei   definiert durch:

  • auf   sei   (  durchläuft die positiven ganzen Zahlen)
  • auf   sei  
  • auf   sei  
  •  ,  ,  
  •   für  .

Dann ist   bijektiv und in 0 stetig, aber   ist in 0 unstetig.

Der Zwischenwertsatz

Der Zwischenwertsatz besagt, dass eine auf dem Intervall   (mit  ) stetige Funktion jeden Funktionswert zwischen   und   mindestens einmal annimmt.

Formal:

Ist   eine stetige Funktion mit   und  , dann existiert für alle   ein  , so dass  .
Analog für   und  .

Eine äquivalente Formulierung ist: Das Bild einer stetigen Funktion auf einem Intervall ist wieder ein Intervall. (Das Bild eines offenen oder halboffenen Intervalles kann aber durchaus ein abgeschlossenes Intervall sein.)

Folgenkonvergenz stetiger reellwertiger Funktionen

Sei   eine reellwertige Funktion, die auf ihrem Definitionsbereich   stetig ist,   sei eine Teilmenge der reellen Zahlen,   sei aus dem Definitionsbereich von  ,

dann gilt für jede Folge reeller Zahlen   aus   die gegen   konvergiert, dass die Folge der Funktionswerte   gegen   konvergiert.

Anmerkung: Dieser Satz gilt auch für stetige Abbildungen zwischen beliebigen metrischen Räumen.

Satz von Bolzano

Nimmt die auf einem abgeschlossenen Intervall stetige Funktion   an zwei Stellen   und   dieses Intervalls Funktionswerte mit unterschiedlichem Vorzeichen an, so gibt es zwischen   und   mindestens eine Stelle  , an der die Funktion   verschwindet (d. h.   also eine Nullstelle der Funktion).

Satz vom Minimum und Maximum

Eine reellwertige Funktion, die auf einer abgeschlossenen und beschränkten Teilmenge von   stetig ist, ist beschränkt und nimmt ihre obere und ihre untere Grenze an. Für reelle Funktionen lässt sich das wie folgt umformulieren: Ist   stetig, so gibt es Stellen  , so dass

  für alle  

gilt.

Dieser von Weierstraß bewiesene Satz liefert nur die Existenz dieser Extremwerte. Für das praktische Auffinden dieser Punkte sind Aussagen aus der Differentialrechnung nützlich.

Diese Aussage gilt auch für stetige reellwertige Funktionen auf beschränkten und abgeschlossenen Teilmengen des   oder auf kompakten topologischen Räumen.

Differenzierbarkeit stetiger Funktionen

 
stetig aber nicht differenzierbar: Koch-Kurve

Stetige Funktionen sind nicht notwendig differenzierbar. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war man überzeugt, dass eine stetige Funktion höchstens an wenigen Stellen nicht differenzierbar sein könne (wie die Betragsfunktion). Bernhard Bolzano konstruierte dann als erster Mathematiker tatsächlich eine Funktion, die überall stetig, aber nirgends differenzierbar ist, was in der Fachwelt allerdings nicht bekannt wurde; Karl Weierstraß fand dann in den 1860ern ebenfalls eine derartige Funktion, was diesmal unter Mathematikern Wellen schlug. Seine Funktion ist folgendermaßen definiert

 ,

wobei a eine ungerade Zahl ist und   ist mit  . Ein bekanntes Beispiel für eine stetige, nicht differenzierbare Funktion ist die von Helge von Koch 1904 vorgestellte Koch-Kurve.

Funktionenräume stetiger Funktionen

Der Raum der stetigen Funktionen auf einer Menge D ist ein linearer Raum, er wird mit   bezeichnet. In diesem Raum sind insbesondere alle differenzierbaren Funktionen enthalten. Funktionen, deren Ableitung ebenfalls stetig ist, nennt man stetig differenzierbar. Diese Funktionen bilden ebenfalls einen linearen Raum, der Fehler beim Parsen (SVG (MathML kann über ein Browser-Plugin aktiviert werden): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „http://localhost:6011/de.wikipedia.org/v1/“:): {\displaystyle C_1(D)} genannt wird. Entsprechend definiert man   als den Raum der Funktionen, die n-mal differenzierbar sind, wobei die n-te Ableitung stetig ist.