Vergangenheitsbewältigung

Handlungen innerhalb einer Gesellschaft, die auf die Auseinandersetzung mit negativen Ereignissen in ihrer Geschichte ausgerichtet sind
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Der Begriff Vergangenheitsbewältigung ist ein Sammelbegriff für teils sehr unterschiedliche Methoden und Projekte, jedoch mit den sich gegenseitig bedingenden Zielen die Geschichte allgemein oder in Bezug auf bestimmte Ereignisse aufzuarbeiten und diese Aufarbeitung dann durch eine Erinnerungskultur im Bewusstsein zu halten. Durch die sich hieraus ergebenden sehr zahlreichen Bedeutungsebenen, hat sich bisher noch keine konsensfähige Definition gebildet.

In Deutschland und Österreich versteht man unter Vergangenheitsbewältigung im gebräuchlichsten Sinne den Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus und speziell des Holocaust, verbunden mit der Absicht daraus Lehren zu ziehen. Hierauf geht Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur der Zeit des Nationalsozialismus näher ein, weshalb hier nur ein Überblick gegeben werden soll.

Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit

Am Anfang standen die juristische Bestrafung der Täter und die Rehabilitierung der Opfer, bald begleitet von einer historischen Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaftszeit. Parallel begann man mit der personellen wie ideologischen Entnazifizierung und damit der Hinterfragung der im NS-Staat gesetzten Werte und Normen. Es galt einer breiten Öffentlichkeit deren menschenverachtenden Charakter deutlich zu machen und ihnen demokratische und ethisch-moralische Wertvorstellungen entgegenzusetzen. Diese Prozesse wurden durch die Siegermächte initiiert und hatten das Ziel, begangenes Unrecht nicht folgenlos zu lassen, das Leid der Opfer zu mildern, eine Wiederholung des Geschehens unter allen Umständen auszuschließen und die Ursachen sowie die Hintergründe dieser Verbrechen zu verstehen bzw. zumindest zu dokumentieren.

Um die materiellen Schäden der Opfer zu ersetzen und der durch die Geschichte auferlegten Verantwortung gerecht zu werden, wurde die Wiedergutmachung eine feste Größe der bundesrepublikanischen Politik. In deren Geschichte wurde die NS-Vergangenheit in den ersten zwei Jahrzehnten nach Ende des Krieges jedoch weitgehend verdrängt. Die ungesühnten NS-Verbrechen rückten dann Anfang der sechziger Jahre wieder ins Blickfeld; große Aufmerksamkeit erreichten der Prozess gegen Adolf Eichmann und der Auschwitz-Prozess. Aber im Spannungsfeld des Kalten Krieges war die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung bis zur Verjährungsdebatte des Bundestages umstritten. In einer Umfrage im Jahre 1965 plädierte die Hälfte der Befragten für eine sofortige Beendigung aller NS-Prozesse.

Die Strafverfolgung der achtziger und neunziger Jahre vollzog sich nach einem Generationswechsel in einem anderen gesellschaftspolitischen Klima, in dem die Bereitschaft deutlich gestiegen war, sich mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte zu beschäftigen. Diese weit verbreitete Beurteilung muss aber relativiert werden. In einer Meinungsumfrage vom Mai 2005 sprachen sich 41% der Befragten dafür aus, einen Schlussstrich unter die Beschäftigung mit der NS-Zeit zu setzen; für eine weitere Aufarbeitung stimmten 51%. Derartige Schlussstrichdebatten und auch offene oder verdeckte Holocaustleugnung stehen immer wieder als Gegenpol zu eine Fortsetzung der Vergangenheitsbewältigung. Trotzdem hat sich in der Bundesrepublik wie auch in Österreich eine breite öffentliche Erinnerungskultur entwickelt, sowohl im Rahmen der politischen wie staatlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, als auch in Bezug auf eine Vielzahl privater Initiativen. Hieran trägt auch die hohe Zahl von Gedenkstätten einen wichtigen Anteil.

Weitere Verwendung des Begriffs

Manchmal wird mit dem Begriff auch die Untersuchung von fraglichen Aktivitäten der ehemaligen DDR-Staatsicherheitsorgane ("Stasi") und deren Vergehen belegt.

Im weiteren Sinne wird der Begriff Vergangenheitsbewältigung auf entsprechende Aktivitäten übertragen, in denen andere demokratische Staaten oder Gesellschaften ihre eigene Geschichte aufarbeiten, soweit sie von Diktatur, Verbrechen staatlicher Organe oder Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet ist. Dies geschieht oft in Form einer Wahrheits- und Versöhnungskommission, die zeitlich begrenzt arbeitet und deshalb nicht alle Bereiche abdeckt.

In engsten Sinne wird der Begriff Vergangenheitsbewältigung auch für das Eingeständnis individueller Schuld verwendet, teilweise auch für das Eingeständnis des Versagens einer gesellschaftlichen Gruppe sowie für die persönliche oder gemeinsame Auseinandersetzung mit dieser Schuld.

Kritik am Begriff

Der Begriff Vergangenheitsbewältigung lässt sich auf den Historiker Hermann Heimpel zurückführen und wurde vom Bundespräsidenten Theodor Heuss in vielen Reden verwendet. Der Begriff steht heute in der Kritik, weil er suggeriere, dass man die Vergangenheit "bewältigen" könne - also endgültig erledigen. Daher wird von einigen der Begriff Vergangenheitsaufarbeitung oder Aufarbeitung der Vergangenheit vorgezogen.

siehe auch