Caniner Diabetes mellitus

Zuckerkrankheit des Hundes
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 10. August 2006 um 09:50 Uhr durch Uwe Gille (Diskussion | Beiträge) (Symptome: ISBN). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Caniner Diabetes mellitus ist der medizinisch korrekte Fachbegriff für die Zuckerkrankheit beim Haushund. In der Umgangssprache werden auch die Begriffe „Hundediabetes“ und „Zuckerhund“ verwendet. Die Anfangssymptome sind vermehrter Durst und erhöhte Nahrungsaufnahme bei vermehrtem Harnabsatz und Abmagerung. Die Zuckerkrankheit bedarf bei Hunden praktisch immer einer lebenslangen Gabe von Insulin, ist aber gut beherrschbar.

Häufigkeit

Wie beim Menschen, so nimmt beim Hund die Anzahl der Zuckerkranken zu. Es ist jedoch unklar, ob die Krankheitshäufigkeit real ansteigt, oder ob die Erkrankung durch die verbesserte Diagnostik in der Tierarztpraxis nur häufiger erkannt wird[1]. Man schätzt, dass etwa 0,3 bis 1 % der Gesamtpopulation der Haushunde an Diabetes mellitus erkrankt ist[2]. Die Zuckerkrankheit stellt mittlerweile die zweithäufigste Endokrinopathie des Hundes dar. In 8 von 10 Fällen handelt es sich bei den erkrankten Tieren um erwachsene, unkastrierte Hündinnen [1][3].

Formen

Die Einteilung des caninen Diabetes mellitus wird in der Fachliteratur unterschiedlich gehandhabt. Prinzipiell lässt sich die Erkrankung in den Insulinabhängigen (engl.: Insulin-dependend Diabetes mellitus, IDDM) und Nicht-Insulinabhängigen (engl.: Non-Insulin-dependend Diabetes mellitus, NIDDM) einteilen [4] [5]. Die aktuelle WHO-Einteilung ist in der Tiermedizin nicht üblich. Grundsätzlich lassen sich auch beim Hund alle Formen der Zuckerkrankheit unterscheiden [1]. Bei Hunden kommt praktisch nur der Insulinabhängige Diabetes mellitus vor, der Nicht-Insulinabhängige (Typ-II-Diabetes), also eine Insulin-Resistenz der peripheren Insulin-Zielzellen, im Gegensatz zu Mensch und Katze so gut wie nie [4] [5].

Beim primären Diabetes mellitus mit absolutem Insulinmangel (Typ-I-Diabetes) arbeiten die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse nicht mehr oder nicht mehr ausreichend, entweder aufgrund genetischer Disposition, Infektion oder Antikörperbildung gegen Inselzellen des Pankreas. Er macht beim Hund etwa die Hälfte der Fälle aus[6], entwickelt sich aber, im Gegensatz zum Menschen, vorwiegend bei erwachsenen Tieren.

Der sogenannte sekundäre Diabetes mellitus (Typ-III-Diabetes des Menschen) entsteht als Folgeerkrankung. Dies können eine Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis), ein Pankreastumor, ein Nebennierenüberfunktion (Cushing-Syndrom), eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) oder eine übersteigerte Ausschüttung des Wachstumshormons (Hypersomatotropismus) sein [3]. Außerdem kann ein sekundärer Diabetes mellitus durch die Verabreichung diabetogener Medikamente (Kortisone, STH, Gestagene) ausgelöst werden [4] [7].

Sowohl primärer als auch sekundärer Diabetes mellitus sind beim Hund, im Gegensatz zur Katze, in der Regel irreversibel [5].

Eine zumeist subklinische, reversible Form tritt bei unkastrierten Hündinnen in der Phase des Diöstrus auf [4].

Pathogenese

Mit dem Insulinmangel kann die Glukose (Traubenzucker) nicht mehr in den Zellen verwertet werden. Zudem treten Störungen im Fett- und Aminosäurestoffwechsel auf. Infolge der gestörten Verwertbarkeit der Glukose, die durch die Aufnahme über die Nahrung und durch Synthese in der Leber im Körper vorkommt, reichert sich die Glukose zunächst im Blut an (Hyperglykämie). Ab einem gewissen Grenzwert (etwa 200 mg/dl) wird die Rückgewinnungskapazität in den Nierenkanälchen der Niere überschritten und es kommt zur Zuckerauscheidung im Harn (Glukosurie). Infolge der osmotischen Wirkung der Glukose wird auch vermehrt Wasser über den Harn ausgeschieden, die Urinmenge steigt also an (Polyurie). Der erhöhte Wasserverlust wird durch eine vermehrte Wasseraufnahme (Polydipsie) ausgeglichen. Der Glukosemangel im Gehirn, speziell im Sättigungszentrum im Hypothalamus, führt zu Hunger und gesteigerter Nahrungsaufnahme (Polyphagie). Infolge der gestörten Glukoseverwertung versucht der Körper, den Energiemangel durch Abbau von Proteinen (vor allem aus der Muskulatur) und Fett zu kompensieren. Dies führt zu Abmagerung (Inanition, Kachexie). [4]

Bei längerem Bestehen eines Insulinmangels kommt es zu einer weiteren Stoffwechselentgleisung, der sogenannten Ketoazidose. Infolge des gesteigerten Fettabbaus werden vermehrt Fettsäuren freigesetzt, die vom Körper nicht mehr im Zitronensäurezyklus verwertet werden können und zu Ketokörpern umgewandelt werden. da Ketokörper einen sauren pH-Wert haben kommt es zu einer Übersäuerung (Azidose). Die überschüssigen Ketokörper können ebenfalls über den Urin ausgeschieden werden (Ketonurie) und verstärken infolge ihres osmotischen Effekts die Polyurie. Eine ausgeprägte Ketoazidose ist ein lebensbedrohlicher Zustand.

Symptome

Eine Zuckerkrankheit bleibt zunächst häufig unbemerkt, falls nicht bei Routineuntersuchungen ein erhöhter Blutzuckerspiegel entdeckt wird. Klinische Symptome treten erst auf, wenn es zu einer Glukoseausscheidung über den Harn (Glukosurie) oder Ketoazidose kommt. Typische Symptome einer klinisch manifesten Zuckerkrankheit sind übermäßige Flüssigkeitsaufnahme (Polydipsie), vermehrter Harnabsatz (Polyurie), stark erhöhte Futteraufnahme (Polyphagie) und Gewichtsverlust.

Werden diese Anfangssymptome übersehen, können sekundäre Symptome vorherrschen. Manchmal wird vom Besitzer als erstes Symptom ein nachlassendes Sehvermögen festgestellt, was auf eine Diabetes-induzierte Linsentrübung zurückzuführen ist. Dabei wird vermehrt Sorbitol in die Linse eingelagert und aufgrund des osmotischen Wassereinstroms die geordnete Struktur der Linsenfasern des Auges zerstört[8].

Nicht selten wird ein Diabetes mellitus erst bei einer manifesten Ketoazidose bemerkt. Hier ist das Allgemeinbefinden stark gestört, die Tiere können abgeschlagen oder sogar komatös sein. [4] [5] [3]

Diagnostik

Die Diagnose durch den Tierarzt erfolgt mit Hilfe einer Messung des Blutzuckerspiegels. Als Beweis für die Erkrankung an Diabetes mellitus gilt beim Hund ein anhalternder Blutzuckerspiegel bei nüchternen Tieren, also ohne vorherige Nahrungsaufnahme, von über 150 mg/dl (8,3 mmol/l).

Physiologisch (d. h. als gesund geltend) sind Nüchternwerte im Blutplasma von 70 bis 120 mg/dl (3,9 bis 6,7 mmol/l)[3][9].

Behandlung

Bei der Behandlung sind zwei Phasen zu unterscheiden

  • die Stabilisierung des Hundes durch Gabe der korrekten Insulindosis und
  • die Erhaltung des Hundes durch eine regelmäßige Überwachung der Blutzuckerwerte.

Das Ziel der Behandlung ist stets eine Minimierung der klinischen Symptome, des Risikos einer Hypoglykämie und der Entwicklung von Folgeschäden.

Insulin-Substitution

Da der Diabetes mellitus beim Hund praktisch ausnahmslos Insulin-abhängig und irreversibel ist, ist eine lebenslange Verabreichung einer korrekten Menge an Insulin durch subkutane Injektion notwendig. Die Ermittlung der korrekten Insulinmenge erfolgt durch Einstellung des Patienten anhand des Blutzuckerwertes, am besten anhand eines Tagesprofils (s. u.), durch den Tierarzt. Hierbei wird mit einer Dosis im unteren Dosisbereich begonnen und anhand des Zuckergehalts im Blut die Dosis über mehrere Tage individuell angepasst.

Das einzige derzeit in Deutschland für den Hund zugelassene Präparat ist ein mittellang wirksames, sogenanntes Intermediär-Insulin vom Schwein (porcines Lente-Insulin, Caninsulin® von intervet). Nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften dürfen andere Präparate nur im Sinne eines Therapienotstandes, also bei ausbleibender oder ungenügender Wirkung oder Unverträglichkeit angewendet werden. In diesen Fällen können auch Humaninsuline verwendet werden. Bei einem komplizierten Diabetes-Verlauf können so individuell abgestimmte Kombinationen aus langwirksamen und kurzwirksamen Insulinen eingesetzt werden. Die orale Gabe von Antidiabetika ist beim Hund nicht indiziert [3]. Die Insulingabe erfolgt bei Intermediärinsulin zweimal täglich, und zwar erst nach der Fütterung. Damit umgeht man, dass der Hund in einen lebensgefährlichen Unterzucker gerät, weil er Insulin zwar erhalten hat, danach aber nicht die entsprechende Menge an Kohlenhydraten aufnimmt. Die gefährlichste Situation bei der Therapie ist eine Unterzuckerung (s. u.).

Weitere Maßnahmen

Unverzichtbare begleitende Maßnahmen bei der Behandlung des erkrankten Hundes sind:

  • Einstellung auf das ideale Körpergewicht (Gewichtsabnahme, Gewichtszunahme)
  • Einhaltung eines strikten Fütterungskonzeptes (Futterart, Futtermenge und Fütterungszeit sollen stets gleichleibend sein)
  • Minimierung von physischem und psychischem Streß (z. B. keine ungewohnte körperliche Belastung)

Bei unkastrierten Hündinnen ist die Kastration (Ovariohysterektomie) dringend zu empfehlen, da die Bildung von Progesteron während des Metöstrus oder Diöstrus zur Destabilisierung der Erkrankung führt. Außerdem müssen weitere eventuell vorliegende Grundkrankheiten ausgeschlossen bzw. behandelt werden.

Home Monitoring

Wie in der Humanmedizin, kann auch beim Hund ein Home Monitoring, d. h. die Kontrolle der Zuckerwerte zu Hause, durchgeführt werden. Das Verfahren ist bei Hunden zwar nicht so essentiell wie bei Katzen, in der Insulineinstellungsphase aber auf jeden Fall empfehlenswert[3].

Zur einfachen Blutentnahme gibt es spezielle Geräte (z. B. Microlet Vaculance ® von Bayer oder Accucheck ® von Roche). Beide Stechhilfen arbeiten unterschiedlich, das eine mit Unterdruck, das andere nur mit Nadel. Mit diesen Stechhilfen wird das Ohr punktiert. Am so erzeugten Blutstropfen kann der Blutzuckerwert mit einem handelsüblichen Blutzucker-Messgerät (z. B. Ascensia Contour® von Bayer, Freestyle mini® von Abbott Diabetes Care oder Accucheck Aviva® von Roche) gemessen werden. Dieses Home Monitoring hat den großen Vorteil, dass eine drohende Unterzuckerung frühzeitig erkannt wird. Außerdem kann die Insulinbehandlung besser auf den individuellen Alltag abgestimmt werden. Das Home-Monitoring ist einfach und von jedem Hundebesitzer erlernbar.

Auch die Langzeitüberwachung kann durch den Hundebesitzer selbst erfolgen. Hierbei sollten Trinkmenge, Harnabsatzmenge sowie mindestens einmal wöchentlich der Zuckergehalt im Urin (Teststreifen) oder im Blut kontrolliert werden[3].

Unterzuckerung

Auch bei einem gut eingestellten Hund kann es zu einer Unterzuckerung (hypoglykämischer Schock), d. h. zu einem zu niedrigen Blutzuckerwert kommen. Die Anzeichen dafür sind starker Hunger, Unruhe, Zittern, Bewegungsstörungen (Zuckungen) bis hin zum Koma. Eine Unterzuckerung ist immer ein Notfall und muss sofort behoben werden.

Als Gegenmaßnahme wird empfohlen:

  • Anbieten von Futter
  • Einflößen einer Zuckerlösung (Traubenzucker, Honig oder Glukosesirup) in die Backentasche,
  • Gabe eines Würfelzuckers unter die Zunge

Sollten diese Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, ist eine umgehende Vorstellung beim Tierarzt unumgänglich.

Literatur und Quellen

  1. a b c Hoenig, M.: Comparative aspects of diabetes mellitus in dogs and cats. Mol. Cell Endocrinol. 197/2002, S. 221-229. PMID 12431816
  2. Neuvians, T.P.; Berger, M.: Diabetes care in cats and dogs. Diabet. Med. 19(1)/2002, S. 77-79. PMID 11869308
  3. a b c d e f g Reusch, C., Hähnle, B.: Erkrankungen des endokrinen Pankreas. In: Niemand/Suter (Hrsg.): Praktikum der Hundeklinik. Paul Parey Verlag, 9. Aufl. 2001, S. 974-982. ISBN 3-8263-3154-0
  4. a b c d e f Nelson, R.W.: Diabetes mellitus. In: Ettinger/Feldman (Hrsg.): Textbook of Veterinary Internal Medicine. Saunders, 5. Aufl. 2000, Vol. 2, S. 1438-1460. ISBN 0-7216-7256-6
  5. a b c d Nelson, R.W., Couto, C.G.: Kaniner Diabetes mellitus. In: Innere Medizin der Kleintiere. Elsevier Urban & Fischer, S. 781-799. ISBN 3-437-57040-4
  6. Stogdale, L.: Definition of diabetes mellitus. Cornell Vet. 76(2)/1986, S. 156-174. PMID 3516569
  7. Schmidt, P.; Dahme, E.: Organe der inneren Sekretion (endokrines System), Inselorgan. In: Dahme, E. Weis, E (Hrsg.): Grundriss der speziellen pathologischen Anatomie der Haustiere, 5. Auflage, Enke Verlag Stuttgart, 479-482
  8. Martin, C.L.: Metabolischer Katarakt. In Martin, C.L. (Hrsg.) Augenkrankheiten bei Hund und Katze (Pferd, Wiederkäuer), Verlag M&H Schaper, Alfeld-Hannover, 1995, S. 314-317. ISBN 3-7944-0153-0
  9. Feldman, E.C.; Nelson, R.W.: Canine and Feline Endocrinology and Reproduction, WB Saunders Philadelphia, 3nd Edition, 2003. ISBN 0721693156