Lebesgue-Integral

Verallgemeinerung des Riemannschen Integralbegriffs
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Das Lebesgue-Integral (benannt nach Henri Léon Lebesgue) ist der Integralbegriff der modernen Mathematik, der die Berechnung von Integralen in beliebigen Maßräumen ermöglicht. Im Fall der reellen Zahlen mit dem Lebesgue-Maß stellt das Lebesgue-Integral eine echte Verallgemeinerung des Riemann-Integrals dar (jede Riemann-integrierbare Funktion ist Lebesgue-integrierbar, aber nicht umgekehrt).

So wie ein Riemann-Integral durch die Konvergenz des Flächeninhaltes einer Folge von Treppenfunktionen definiert ist, so ist das Lebesgue-Integral durch die Konvergenz einer Folge von halbstetigen Funktionen definiert. Anschaulich gesprochen: Das Lebesgue-Integral wird durch waagrechte, das Riemann-Integral durch senkrechte Flächen-Streifen angenähert.


Definition

Sei (Ω, ∑, µ) ein Maßraum. Eine positive Treppenfunktion

 

wird auch einfache Funktion oder Elementarfunktion genannt, wobei 1Ai die charakteristische Funktion, αi eine positive, reelle Zahl und Ai messbare Mengen sind.

Das Integral für einfache Funktionen wird mittels

 

definiert.

Eine positive Funktion  , B Borelsche σ-Algebra, ist genau dann messbar, wenn es eine Folge fn von einfachen Funktionen gibt, die punktweise und monoton wachsend gegen f konvergiert. Das Integral einer positiven, messbaren Funktion definieren wir als

 

wobei fn einfach sind und punktweise und monoton wachsend gegen f konvergieren. Der Limes ist von der speziellen Wahl der Folge fn unabhängig.

Der Positivteil f+ einer Funktion f ist definiert als

 .

Der Negativteil   wird entsprechend durch   definiert.

Gilt   oder  , so nennen wir f quasiintegrierbar und definieren

 .

Gilt   und   wird f integrierbar oder genauer µ-integrierbar genannt. Dies ist genau dann der Fall, falls  .

Zusammenfassend gilt also: Eine positive Treppenfunktion nennt man integrierbar, falls die "Gesamtfläche" unter der Kurve   endlich ist. Das Integral ist dann gerade die Summe. Für eine positive, messbare Funktion ist das Integral definiert als der Grenzwert vom Integral von postiven Treppenfunktionen. Für beliebige messbare Funktionen ist das Integral definiert als das Integral des Postivteils minus dem Integral des Negativteils. In beiden Fällen nennt man eine Funktion integrierbar, falls das Integral endlich ist.

Lemma

Das Integral ist linear.

Das Integral ist monoton, d.h. sind   und   zwei messbare Funktionen mit  , so gilt  . Die Ungleichung gilt sogar, falls   bis auf eine Nullmenge gilt.

Für   gilt: Ist eine Funktion Riemann-integrierbar, so ist sie auch Lebesgue-integrierbar und die Integralwerte stimmen überein. Die Umkehrung gilt, falls die Menge der Unstetigkeitsstellen eine Lebesgue-Nullmenge ist.

Eine uneigentlich Riemann-integrierbare Funktion muss jedoch nicht Lebesgue-integrierbar sein. Ist jedoch   auf jedem kompakten Teilintervall eines reellem Interval Riemann-integrierbar, so ist   genau dann Lebesgue-integrierbar, falls   Riemann-integrierbar ist.

Satz

Satz von der monotonen Konvergenz (Beppo Levi, 1906)
Ist   eine monoton wachsende Folge von positiven, messbaren Funktionen, so gilt
 .
Satz von der majorisierten (dominierten) Konvergenz (Henri Léon Lebesgue, 1910)
Seien   messbare Funktionen mit   µ fast überall (d.h. bis auf eine Nullmenge) und g integrierbar. Gilt   für alle n, so ist f integrierbar und es gilt
 
und
 

Schreibweisen

Für das Lebesgue-Integral werden zahlreiche Schreibweisen verwendet:

Das Integral über eine Teilmenge   von   ist definiert als  . (Das ist das gleiche wie das Integral   im eingeschränkten Maßraum  , wobei   aus den Mengen in   besteht, die Teilmengen von   sind, und  .) Wenn keine Menge angegeben ist, ist in der Regel das Integral über den gesamten Raum gemeint:   (nicht zu verwechseln mit dem unbestimmten Integral).

Wenn man eine Integrationsvariable   angeben will, schreibt man   oder   oder auch  . Ist   das Lebesgue-Maß, so schreibt man statt   einfach  , im eindimensionalen Fall   schreibt man   für das Integral über das Intervall   oder  .

Wenn das Maß   eine Radon-Nikodym-Dichte   bezüglich des Lebesgue-Maßes besitzt, gilt  . In Anwendungsgebieten wird die Schreibweise   häufig auch dann verwendet, wenn   formal keine Dichte besitzt. Dies ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn man   nicht als Funktion, sondern als Distribution auffasst.

Ist das Maß   im Fall   durch eine kumulative Funktion   definiert, so schreibt man auch   oder   (Stieltjes-Integral).

Ist   ein Wahrscheinlichkeitsmaß, so schreibt man auch   für   (Erwartungswert). In der theoretischen Physik wird die Schreibweise   verwendet, in der Funktionalanalysis manchmal die Schreibweise  .

Integrierbarkeit, Quasiintegrierbarkeit

Für ein messbares f setzt man  . Falls sowohl   als auch  , so nennt man f integrierbar bezüglich μ.

Gilt nur eines von beiden, also  , so heißt f quasiintegrierbar bezüglich μ, oder das Integral existiert (Heinz Bauer).

Beispiele

Ein Beispiel einer uneigentlich Riemann-integrierbaren Funktion, die nicht Lebesgue-integrierbar ist: Ist nämlich f eine Treppenfunktion mit den Flächen 1, -1/2, 1/3 usw., dann ist f uneigentlich Riemann-integrierbar. Denn das Integral entspricht gerade der alternierenden harmonischen Reihe. Da f aber Lebesgue-integrierbar genannt wird, falls   gilt, existiert das Integral nicht, da die harmonische Reihe divergent ist.

 

Ein Beispiel für eine Lebesgue-integrierbare Funktion, die nicht Riemann-integrierbar ist, ist die Dirichlet-Funktion: Wir definieren f als

 
 

f ist nicht Riemann-integrierbar, da die Obersumme 1 ist und die Untersumme 0. Da die Menge der rationalen Zahlen aber eine Lebesgue-Nullmenge ist, ist die Funktion fast überall 0 und das Lebesgue-Integral existiert und ist 0.

Siehe auch: Lp-Raum