
Die Oper am Gänsemarkt in Hamburg war von 1678 bis 1738 das erste und wichtigste bürgerlich-städtische Theater im deutschen Sprachraum. Die Einweihung des Hauses fand am 2. Januar 1678 statt. Mit zweitausend Plätzen übertraf es alle zeitgenössischen Theaterräume.[1] Danach diente es mobilen Operntruppen bis 1750 als Bühne. Im Jahre 1765 wurde das Haus abgerissen.
Lage und Gestalt
Das Opernhaus am befand sich auf der nordwestlichen Seite der Binnenalster, etwa zwischen dem heutigen Hotel Vier Jahreszeiten und den Colonnaden. Das Gebiet war um 1670 noch wenig bebaut, in der Nähe befand sich der Kalkhof.
Der aus Venedig stammende Architekt Girolamo Sartorio wurde im Sommer 1677 beauftragt an der Alster ein Opernhaus nach dem Vorbild des Teatro San Cassiano in seiner Heimatstadt zu bauen. Nur ein halbes Jahr später war das Haus fertiggestellt. Von außen wirkte es wie eine schmucklose Scheune im hölzernen Fachwerkbau. Von innen aber prunkte das magnifique Operen-Hauß am Gansemarckt, wie es 1722 beschrieben wurde, mit modernster Technik. Eine dreiteilige, außerordentlich tiefe Bühne mit 15 Kulissenpaaren erlaubte schnelle Verwandlungen: „Das Hamburgische Theatrum“, lobte der lokale Librettist Barthold Feind 1708, kann wohl die mehreste Repraesentationes zeigen, indem daselbst die Seiten-Scenen 39mahl können verändert werden. Das Publikum wurde mit einer große Macchina und Flugwerke beeindruckt, Feuerwerke wurden bei besonderen Gelegenheiten entzündet. Der Zuschauerraum war zimblich gross, 4 loggien seyndt über einande, überlieferte der Architekt Nicodemus Tessin.
Das Haus soll 2000 Plätze gehabt haben, die Spielzeit war in der Regel 3 mal die Woche.
Laut Johann Matthesons Aufstellung für die Jahre von 1695 und 1705 kamen durchschnittlich 380 Zuschauer pro Vorstellung – das Haus hatte also nur eine Auslastung von 20%.[2]
Geschichte
Gründung, erste Aufführungen und Theaterstreit
Die Gründung der Hamburger Oper ging auf die Initiative des weitgereisten Anwalts und Ratsherrn Gerhard Schott zurück, der von Italiens Oper beeindruckt war. Auch Herzog Christian Albrecht von Schleswig-Gottdorf, der 1675 nach Hamburg ins Exil ging und seine auf Schloss Gottorf begonnene Operntraditition fortführen wollte, war neben Schott, dem Juristen Peter Lütjen sowie dem Organist Johann Adam Reinken Gründungsmitglied des Opernhauses.
Die Eröffnung des Hauses fand am 2. Januar 1678 mit der geistlichen Oper Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch oder Adam und Eva von Johann Theile (Libretto: Christian Richter) statt. Theile hatte zu dieser Zeit die Position des Hofkapellmeisters bei Herzog Christian Albrecht inne.
Die dritte aufgeführte Oper 1678 hieß: Der glücklich steigende Sejanus vorgestellet in einem Singspiel, danach wurde Der unglücklich fallende Sejanus vorgestellet in einem Singspielgegeben. Beide hatte Christian Richter nach dem Italienischen Original Nicolò Minato verfertigt. Mit der Musik zu diesen beiden Opern gab Nicolaus Adam Strungk seinen Einstand in Hamburg.
Der Komponist Johann Wolfgang Franck gab 1679 mit der Oper Die Wol und beständig-liebende Michal oder Der Siegende und fliehende David in einem Sing-Spiel sein Debüt und 1680 kam Johann Philipp Förtsch zuerst als Sänger an den Gänsemarkt, komponierte später aber auch eigene Opern.
Im Jahre 1690 folgte Johann Georg Conradi dem Ruf als Kapellmeister an die Oper am Gänsemarkt. Unter Conradis Leitung wurden an der Oper am Gänsemarkt auch italienische und französische Opern der Renaissance und des Barocks inszeniert, neben eigenen und zeitgenössischen Werken anderer Komponisten.
1694 veranlassten den Komponisten Johann Sigismund Kusser Unstimmigkeiten mit dem Librettisten Friedrich Christian Bressand zum Wechsel vom Opernhaus am Hagenmarkt in Braunschweig an die Hamburger Oper.
Schon vor der Eröffnung der Hamburger Oper war es zu einem heftigen Streit gekommen. Die Aufführung des Eröffnungsstückes erregte bei der Hamburger Geistlichkeit Ärger, weil man Anstoß an der theatralischen Darbietung des Stückes, speziell am Erscheinen Gottes auf der Bühne nahm. Der Streit war so heftig, dass die Oper von Sommer 1686 bis Ende 1687 geschlossen wurde. 1694 eskalierte der Streit erneut, so dass es zu regelrechten Schlacht auf dem Rathaus mit Verwundeten und Toten gab. Im Jahre 1703 kam es erneut zu einer Schlägerei und Barthold Feind verulkte die Zustände in seinem Schauspiel Das verwirrte Haus Jacob (Uraufführung 1703 am Naumburger Opernhaus vorm Salztor), welches in Hamburg verboten wurde. Der nachfolgende Streit führte 1704 zu einer erneuten Schließung der Oper.[3]
Zeit unter Keiser
Nachdem Kusser 1695 das Opernhaus wieder verlassen hatte, übernahm 1697 mit Reinhard Keiser einer der produktivsten Komponisten der Gänsemarktoper, der ebenfalls von Braunschweig nach Hamburg übersiedelte, die Kapellmeisterstelle. Sein Hamburger Ruhm begann mit der OperDer bey dem allgemeinen Welt-Friede … geschlossene Tempel des Janus (1698), wozu noch 1729 Georg Philipp Telemann neue Arien komponierte. Keiser schuf über 70 Opern für Hamburg. Von 1703 bis 1707 hatte er zudem das Direktorat inne. Man spielte an zwei bis drei Tagen in der Woche und kam so auf jährlich an die 90 Vorstellungen, die wegen der langen Szenenwechsel jeweils vier bis sechs Stunden dauern konnten und schon am frühen Nachmittag begannen. Zur Oster-, Weihnachts- und Fastenzeit wurde das Opernhaus nicht bespielt. Keiser schrieb auch Opern mit drastischem Lokalkolorit. Für seine 1701 uraufgeführte Oper Störtebeker wurden mit Schweineblut gefüllte Schweinsblasen als Spezialeffekt eingesetzt, die Oper Der angenehme Betrug oder der Carneval von Venedig von 1707 mit plattdeutschen Texten avancierte zum Kassenschlager am Gänsemarkt.
Reinhard Keiser holte den ebenfalls aus Teuchern stammenden Johann Christian Schieferdecker 1702 als Cembalist an das Hamburger Opernhaus am Gänsemarkt, wo er u.a 1702 seine Oper Der Königliche Printz Regnerus revidierte, die schon 1701 an der Hofoper in Weißenfels aufgeführt worden war.
Zwischenzeitlich hatte im Jahre 1699 hatte der Komponist Georg Bronner gemeinsam mit einem Dr. M. Cordes das Direktorium am Gänsemarkt übernommen, gab es aber schon im gleichen Jahre wieder an diesen ab. Ebenfalls 1699 trat Johann Mattheson mit seiner ersten Oper Die Plejades, oder das Siebengestirne (Libretto: Friedrich Christian Bressand) in Erscheinung. Mattheson war vorher schon Organist und Mitglied des Hamburger Opernchores. Danach sang er dort als Solist, leitete Proben, dirigierte selbst seine Opernaufführungen und sang öfters die Hauptrolle.
Als junge Musiker konnten während dieser Zeit zudem die späteren Operngrößen Georg Friedrich Händel, Johann Adolf Hasse und Christoph Graupner in Hamburg den Grundstein für ihre eigene Karriere legen.
Für die im Januar 1704 am Gänsemarkt aufgeführten Oper Nebucadnezar von Reinhard Keiser (Libretto: Christian Friedrich Hunold (Menantes)) wurde die berühmte Sopranistin Christiane Pauline Kellner (1664-1745) kurzfristig engagiert. Auch waren die beiden anderen damals berühmten Sängerinnen Margaretha Susanna Kayser und Johanna Elisabeth Hesse geb. Döbricht (1692-1786) am Gänsemarkt aktiv.
Am 5. Dezember 1704 kam es bei Matthesons Oper Die unglückselige Cleopatra, bei der Mattheson den Marcus Antonius sang zu Streitigkeiten zwischen Mattheson und Händel. Händel ließ Mattheson nach seinem Auftritt nicht an das Cembalo und Dirigentenpult zurück, Mattheson zwang ihn danach mit einer Ohrfeige zum Duell auf dem Gänsemarkt heraus. Es gab bei diesem Duelle keine Gewinner, weil ein großer metallener Knopf an Händels Rock die Klinge des Gegners abbrechen ließ und Händel unversehrt blieb.[4]
Wenige Monate nach der Uraufführung am Braunschweiger Hof im Februar 1719 brachte Georg Caspar Schürmann Die getreue Alceste am Hamburger Gänsemarkt-Theater heraus, wobei - wohl dem Publikumsgeschmack entsprechend - einige deutsche Arien durch italienische Arien anderer Komponisten (darunter Vivaldi, Bononcini und Steffani) ersetzt wurden.
Blütezeit unter Telemann
1722 übernahm Georg Philipp Telemann die Leitung des Opernhauses, die er bis Ende der letzten Spielzeit 1738 innehatte. Er hatte an der Leipziger Oper am Brühl (Leipzig) schon Erfahrung mit der musikalischen Leitung eines Opernhauses gesammelt. Auch war dem Hamburger Konzertpublikum die Musik des Komponisten schon bekannt, denn seine Opern Der geduldige Sokrates und Germanicus waren am Gänsemarkt bereits aufgeführt worden. Telemann schuf für die Gänsemarktoper etwa 24 Opern, wobei er beispielsweise mit der Oper Pimpinone 1725 die heitere Tradition der Gänsemarktoper fortsetzte, aber auch ensthafte Themen, wie in seiner bedeutendsten für Hamburg geschriebenen historischen Oper Die lasttragende Liebe oder Emma und Eginhard (Libretto: Christoph Gottlieb Wend) von 1728 aufgriff.[5]
Librettisten
Zusätzlich zu den bereits Genannten wirkten am Gänsemarkt die Librettisten Joachim Beccau, Heinrich Elmenhorst, Barthold Feind, Heinrich Hinsch, Johann Ulrich König, Aurora von Königsmarck, Christian Heinrich Postel Christoph Gottlieb Wend und Johann Joachim Hoë (von Hoenegg).
Niedergang und Abriß
Durch Mißwirtschaft und Änderung des Musikgeschmacks hatte das Haus zuletzt mit sinkenden Publikumszahlen zu kämpfen. Die letzte Vorstellung 1738 soll nur noch 8 zahlene Zuschauer gehabt haben. Ab April 1738 wurde nur noch an umherziehenden Theatertruppen vermietet. Danach wurde es mobilen Operntruppen wie derjenigen Pietro Mingottis bis 1750 vermietet. Im Jahre 1763 wurde das inzwischen leer stehende und baufällige Haus endgültig abgerissen und an seinem Platz das Deutsche Nationaltheater errichtet, an dem Gotthold Ephraim Lessing 1767 für drei Jahre als Dramaturg wirkte.[6]
Komponisten der Gänsemarktoper (Auswahl)
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Johann Theile
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Georg Caspar Schürmann (1731)
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Johann Mattheson (1746)
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Der junge Händel am Cembalo
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Georg Philipp Telemann (um 1745)
Kulturgeschichtliche Bedeutung
„Hamburg konnte für sich beanspruchen, das erste öffentlich zugängliche Opernhaus der Welt nach Venedig eröffnet zu haben“
so der Theaterwissenschaftler Jens Malte Fischer; „die Blüte der Barockoper“ erlebte dieses Haus ab den Jahren „um 1700“.[7]
Wie lässt sich heute die Bedeutung der Hamburgischen Oper am Gänsemarkt gerecht bemessen?[8] Ohne Zweifel war mit ihrer Gründung 1678 eine bedeutende gesellschaftliche Institution geschaffen, die innerhalb Deutschlands singulär und wegweisend war: Die Menge der an diesem Hause wirkenden Opernkomponisten und Literaten ist innerhalb der Opernlandschaft Europas einzigartig. Erst 20 Jahre später wurde die Oper in Leipzig gegründet, die ebenso die deutschsprachige Oper förderte.
Der Katalog der Textbücher[9] weist zwischen 1678 und 1751 (also über die „Schließung“ des Hauses von 1738 hinaus) 306 verschiedene Opern mit Aufführungs-Jahr und zum großen Teil genauem Datum nach; ebenso deren Libretti mit Angabe ihrer Bibliotheken und zusätzlicher Nach- und Neudrucke. Dazu zu zählen sind noch 11 Opern, von denen nur der Titel bekannt ist. Insgesamt ergeben sich dabei weit über zweitausend erhaltene Textdrucke in einer Vielzahl von Bibliotheken. Anhand des in diesem Buche beigegebenen Kalendarium der Hamburger Opernaufführungen 1678–1748[10] sowie einer Bibliografie[11] wurde Hamburgs deutsch-orientierte Operngeschichte der Barockzeit erschlossen.[12]
Obwohl die Geistlichkeit gegen Opern und die von ihnen ausgehende Verführung der Sinne zur Wollust beklagte, entwickelte sich das Opernhaus zum Treffpunkt des modischen Publikums. Unter den Komponisten war die Konkurrenz erbittert. Opernsängerinnen und Dirigenten befehdeten sich auf der Bühne.
Siehe auch
Literatur
- Werner Braun: Vom Remter zum Gänsemarkt: aus der Frühgeschichte der alten Hamburger Oper (1677-1697) (Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft, n.F. 1). Saarbrücken: Saarbrücker Druckerei und Verlag, 1987. ISBN 3-925036-17-2
- Renate Brockpähler: Handbuch zur Geschichte der Barockoper in Deutschland. Lechte, Emsdetten 1964.
- Birgit Kiupel: „'Ick segg dat Lohn is man een Quarck.' Dienstmädchen und weibliche Dienstbarkeit. Zur Geschlechter-Politik auf der Hamburger Gänsemarkt-Oper (1678–1748).“ in: Gabriele Busch-Salmen u. Eva Rieger (Hg.), Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauen-Selbstzeugnisse Centaurus, Herbolzheim 2000. ISBN 3-8255-0279-1
- Annerose Koch: Die Hamburger Gänsemarkt Oper (1678–1738) als Spielstätte im Kontext in- und ausländischer Einflüsse
- Hans Joachim Marx und Dorothea Schröder: Die Hamburger Gänsemarkt-Oper: Katalog der Textbücher (1678-1748). Laaber, Laaber 1995, ISBN 3-89007-268-2.
- Walter Schulze: Die Quellen der Hamburger Oper (1678-1738). Eine bibliographisch-statistische Studie zur Geschichte der ersten stehenden deutschen Oper. (Mitteilungen aus der Bibliothek der Hansestadt Hamburg (Hg. Gustav Wahl), Neue Folge, Band 4.) Stalling, Hamburg und Oldenburg 1938.
- Olaf Simons: Marteaus Europa oder der Roman, bevor er Literatur wurde: eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710–1720. Amsterdam: Rodopi, 2001 (darin die Opernszenen aus den zitierten Romanen vollständig S. 333–338). ISBN 90-420-1226-9
- Joachim E. Wenzel: Geschichte der Hamburger Oper 1678–1978, herausgegeben vom Vorstand der Hamburgischen Staatsoper, Hamburg 1978.
Einzelnachweise
- ↑ Michael Walter: Oper. Geschichte einer Institution, Metzler 2016, Seite 113 [1]
- ↑ Kerstin Schüssler-Bach: ... daß, wo die besten Bancken auch die besten Opern sind. Bürgerliche Lebenswirklichkeiten auf der Bühne der Hamburger Gänsemarkt-Oper. unter https://www.uibk.ac.at/musikwissenschaft/forschung/publikationen/barockoper/schuessler-bach.pdf“
- ↑ Irmgard Scheitler: Deutschsprachige Oratorienlibretti: von den Anfängen bis 1730 Schöningh, Paderborn, München, Wien, Zürich, 2005, S. 167ff.
- ↑ https://bachtrack.com/de_DE/haendel-mattheson-duell-competitions-november-2017 Beschreibung des Duells zwischen Händel und Mattheson auf bachtrack.com
- ↑ Joachim E. Wenzel: Geschichte der Hamburger Oper 1678–1978, herausgegeben vom Vorstand der Hamburgischen Staatsoper, Hamburg 1978, S. 82.
- ↑ Michael Walter: Oper. Geschichte einer Institution. Metzler, Stuttgart 2016, S. 113.
- ↑ Jens Malte Fischer: Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Wien 2003, 3. Auflage Bärenreiter dtv 2012, S. 264. Fischer widmet darin der Gänsemarktoper einen kurzen einleitenden Abschnitt zu Mahlers Hamburger Kapellmeister- und Operndirigentenzeit von 1891 bis 1897.
- ↑ Mit einem Artikel wie dem aus dem Hamburger Abendblatt von 2008 ist der Oper am Gänsemarkt mitnichten Genüge getan: [2], denn es handelt sich keinesfalls um eine kurze, sondern um eine zur Zeit der italienischen Opernmode singuläre Einrichtung, die über viele Jahrzehnte deutsche Geistesschaffende bündelte.
- ↑ Hans Joachim Marx, Dorothea Schröder: Die Hamburger Gänsemarkt-Oper, Katalog der Textbücher Laaber, Laaber 1995.
- ↑ Hans Joachim Marx, Dorothea Schröder: Die Hamburger Gänsemarkt-Oper, Katalog der Textbücher, 1995, S. 496 bis 507.
- ↑ Hans Joachim Marx, Dorothea Schröder, 1995: S. 541 bis 557.
- ↑ Beispiel: Annemarie Clostermann: Die Opera der Teutschübenden Gesellschaft zu Hamburg. Neue Libretti des frühen 18. Jahrhunderts und ihre Auswirkungen. In: Musiktheatralische Formen in kleinen Residenzen, hrsg. von Friedhelm Brusniak (= Arolser Beiträge zur Musikforschung I), Köln 1993, S. 122–133.
Koordinaten: 53° 33′ 20″ N, 9° 59′ 30″ O
Das Theater auf der Cortina war ein Opernhaus in Wien. Er wurde 1668 eröfnet und schon 1683 wieder abgerissen.
Vorgeschichte
Durch die Kaiserin Eleonora Gonzaga wurde die italienische Opernkultur aus ihrer Heimat Mantua mit an den Wiener Hof ihres Mannes Ferdinand II. gebracht, mit dem sie 1622 vermählt wurde. Mantua war unter ihrem Vater Vincenzo I. Gonzaga zu einem Zentrum der Kunst in Italien geworden. An seinem Hof lebte und arbeitete Claudio Monteverdi, der mit der Oper L’Orfeo im Jahre 1607 eine der ersten Opern der Musikgeschichte schrieb.
Eleonora förderte Musik und Theater sowie zeitgenössische Kunst in Österreich. Die Entwicklung der Hofmusik stand in der Folge unter starkem italienischen Einfluss. Die Komponisten und Musiker stammten großteils aus Italien, vor allem aus Mantua, als Kapellmeister der Hofkapelle wurden bis ins 18. Jahrhundert fast ausschließlich Italiener berufen. Eine kontinuierliche Opernpraxis am Kaiserhof ist erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweisbar. Ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden die Festtage des Hofes, wie Hochzeiten, Taufen, Krönungen, Erbhuldigungen sowie Namens- und Geburtstage der Kaiserin und des Kaisers, mit repräsentativen und kostspieligen Opernaufführungen gefeiert. Die erste Überlieferung einer solchen italienischen Oper am Wiener Hof datiert von 1625 anlässlich des Geburtstages von Ferdinand II.
Schon 1629-1631 entstand im Hofburgbereich durch Hofbaumeister Giovanni Battista Carlone zwischen den damaligen oberen und unterem Burggarten (heute Bereich der Redoutensäle) der Neue Saal (auch Spanischer Saal genannt) in welchem am 9. März 1631 das Pastorale La caccia felice und ab 1633 erstmals Opernaufführungen (u. a. die Oper Il Sidonio von Lodovico Bartolaia (1603-1641)) stattfanden. Im Jahre 1651 gestaltete Giovanni Burnacini (1610-1655) den großen Saal zu einem Theater um. Der Saal wurde 1658 und 1700 nach einem Brand am 19. Juli 1699 nochmals erneuert und 1744 zum Bau der Redoutensäle abgebrochen. Auch wurde 1659 auf dem Tummelplatz (Reitplatz mit dem heutigen Josephsplatz identisch) ein hölzerner Theaterbau (von Giovanni Burnacini) errichtet, der nur bis 1690 Bestand hatte.[1]
Eines der ersten festen Theater nördlich der Alpen entstand auch 1629/30 in Innsbruck. Der Innsbrucker Hof, dessen Kultur stark an Italien orientiert war, übte bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger 1665 einen beträchtlichen Einfluss auf Wien aus.
Anlässlich der Krönung Eleonores zur ungarischen Königin 1622 war bereits die erste große Ballettaufführung in Wien über die Bühne gegangen, bei der die Tänzerinnen unter der Choreografie der Kaiserin die Buchstaben des Namens ihres Gatten Ferdinand II. nachformten.
Gebäude
Das Theater auf der Cortina wurde auf der Kurtine der Wiener Burgbastei (heute daher auch „Theater auf der Cortina“) in unmittelbarer Nähe zur Hofburg in ihrer damaligen Form (heute ungefähr auf dem Gelände des sog. Bibliothekshofes hinter dem Prunksaaltrakt der Hofburg) als hölzerner Theaterbau errichtet. Es hatte ca. 1000 Plätze und Außenmaße von 65 m x 27 m und war das erste freistehende Theatergebäude Wiens. Außen erinnerte sein Anblick eher an eine Scheune, im Inneren war es mit Pappmaché, Leinwand, Gips, Farbe und Stoffen prunkvoll ausgestattet. Die drei Logenränge waren jedoch nicht im Oval oder Halbrund angeordnet, sondern dem eckigen Grundriss entsprechend parallel bzw. rechtwinkelig zum Bühnenportal.
Geschichte
Am 20. Februar 1666 erging ein Dekret von Leopold I. in Hinblick auf die Hochzeitsfeierlichkeiten mit der spanischen Infantin Margarita Teresa an Lodovico Ottavio Burnacini zur Errichtung de Theaters.
Es wurde allerdings erst mit Verspätung im August 1667 fertiggestellt und wurde aus Anlass des Geburtstags der Kaiserin am 12. und 14.7.1668 mit der Oper Il pomo d’oro von Antonio Cesti eröffnet.
Nach der Eröffnung wurde das Theater jedoch nur mehr selten für Stücke, die eine komplizierte Bühnenmaschinerie erforderten, verwendet (gesichert ist die Aufführung nur für drei weitere Opern).
- Il ratto della Sabine 9. und 10. Juni 1674
- Il fuoco eterno delle Vestali (Antonio Draghi) von 1674
- Monarchia latina trionfante (Draghi/Schmelzer) von 1678.
Zu Beginn der zweiten Türkenbelagerung Wiens 1683 wurde das Opernhaus wegen seiner exponierten Lage und der leichten Brennbarkeit seiner Baumaterialien abgetragen.
Literatur
- Herbert Seifert: Der Sig-prangende Hochzeits-Gott 1988: Hochzeitsfeste am Wiener Hof der Habsburger und ihre Allegorik, 1622-1699 Musikwissenschaftlicher Verlag, Wien, 1988.
- Herbert Seifert: Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert. H. Schneider, Tutzing, 1985.
- Herbert Seifert: Die "Comoedie" Der "Hof=Musici" 1625: Die erste Oper In Wien? in Studien zur Musikwissenschaft 42. Bd. (1993), S. 77ff.
- Curtis Price: The Early Baroque Era: From the late 16th century to the 1660s. The Macmillian Press Limited, London, 1993, S. 153.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Elisabeth Th. Fritz-Hilscher: Wien Musikgeschichte: Von der Prähistorie bis zur Gegenwart Litt, Wien, 2011, S. 564.
- Johann Heinrich Bach (1707–1782; Kantor in Öhringen) Neffe jsb