Waldrapp

Art der Gattung Geronticus
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Der Waldrapp (Geronticus eremita), auch „europäischer Ibis“ oder „Schopfibis“ genannt, gehört zur Familie der Ibisse. Der Waldrapp war einst in Europa häufiger Vogel, der in Frankreich, in der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Spanien und im Westen des Balkans beheimatet war. Im 16. Jahrhundert starb der Vogel in Mitteleuropa aufgrund von Bejagung aus. Heute laufen verschiedene Wiederansiedelungsversuche, um den Waldrapp als Brutvogel in Europa wieder zu etablieren. In freier Wildbahn leben im Jahre 2005 etwa 450 Vögel, in Gefangenschaft wurden etwa 2.000 Vögel gehalten.

Waldrapp
Waldrapp (Geronticus eremita)
Vorlage:Taxonomy
Vorlage:Classis: Vögel (Aves)
Vorlage:Ordo: Schreitvögel (Ciconiiformes)
Vorlage:Familia: Ibisse (Threskiornithidae )
Vorlage:Subfamilia: Ibisse (Threskiornithinae)
Vorlage:Genus: Geronticus
Vorlage:Species: Waldrapp
Wissenschaftlicher Name
Geronticus eremita
Linnaeus, 1758

Aussehen

Der Waldrapp hat als erwachsenes Tier ein nacktes, rotes Gesicht und einen ebenfalls roten, langen, nach unten gebogenen Schnabel. Der Hinterkopf und der Nacken weisen verlängerte Federn auf, was zu der Bezeichnung Schopfibis oder Mähnenibis geführt hat. Das Gefieder ist schwarz mit grünem Metallschimmer, die mittleren Oberflügeldecken schillern jedoch rötlich.

Das Gewicht eines ausgewachsenen Waldrapps beträgt bis zu 1,4 Kilogramm. Er erreicht eine Körperlänge von 65 bis 67 Zentimeter und hat eine Lebenserwartung von etwa 15 bis 20 Jahren.

Waldrappen weisen keinen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus auf. Die Weibchen sind lediglich etwas kleiner und leichter als die Männchen.

Verhalten

Der Waldrapp ist ein geselliger Vogel, der den engen Kontakt zu Artgenossen sucht und sich zu Kolonien von mehreren Dutzend bis über hundert Exemplaren zusammenschließt. In Zoos gehaltene Einzelpaare kommen regelmäßig nicht zum Brüten. Brutstimmung entsteht erst innerhalb einer Kolonie.

Das Grüßen-Ritual

Zu dem Verhalten des Waldrapps gehört ein ausgedehntes Begrüssungsritual. Dazu werfen Männchen wie Weibchen den Kopf mit aufgestellten Schopf in den Nacken und verbeugen sich unter chrup chrup-Rufen dann voreinander. Dabei wird dem Gegenüber die individuelle Kopfzeichnung präsentiert. Dieses Verbeugeritual wird mehrfach hintereinander wiederholt. Das Grüßen eines Pärchens löst in der gesamten Waldrapp-Kolonie das Grüßritual aus.

Nahrung und Nahrungserwerb

Die Nahrung des Waldrapps besteht aus Insekten und deren Larven, Würmern, Heuschrecken, Spinnen, aber auch aus kleinen Säugetieren, Reptilien und Amphibien sowie aus pflanzlicher Nahrung. Seine Nahrung sucht der Vogel, indem er mit seinem robusten und gebogenen Schnabel im Boden stochert. Auf dem Wiederansiedelungsgelände in Österreich sucht er frisch gemähte Wiesen, Feucht- und Auwiesen sowie Uferböschungen und Weiden auf.

In Afrika ist er während der Nahrungssuche auch in Trockensteppen und Halbwüsten zu sehen.

Fortpflanzung

Es findet nur eine Brut pro Jahr in den Monaten März bis Juni mit 2-4 Eiern statt. Brutkolonien finden sich in Felswänden und an Steilküsten. Nester werden aus Zweigen, Gras und Blättern in Felsnischen gebaut. Am Nestbau beteiligen sich beide Geschlechter. Die Brutzeit beträgt 27 bis 28 Tage. Nach 45 bis 50 Tagen, in denen die Jungtiere auch von anderen Alttieren der Kolonie gefüttert werden, sind sie flügge, verbleiben jedoch noch längere Zeit bei den Eltern, um die Nahrungsbeschaffung zu erlernen. Zwischen 1994 und 2004 schwankte die Zahl der in Freiheit erfolgreich aufgezogenen Jungtiere zwischen 0,6 und 1,6 Jungtiere pro Brutpaar

Geschichte

 
Waldrapp in einer alten Darstellung

Waldrappen waren bis in die frühe Neuzeit Teil der mitteleuropäischen Fauna. Als Kulturfolger wanderten diese Ibisvögel möglicherweise erst mit dem Menschen in größerem Ausmaß in den Alpenraum ein.

86 n. Chr. berichtet Plinius der Jüngere über den Präfekten Engatius Calvinus, der den Ibis auch in den Alpen gesehen haben will.

Bis ins 17. Jahrhundert war der Waldrapp im Balkan über Ungarn, Italien, Österreich, Schweiz, Süddeutschland, Nordafrika und dem Nahen Osten verbreitet.

So wurden bei Forschungen zur Geschichte des Klosters Baumburg in einem Ausgabenbuch von 1441 ff. (Signatur: KL Baumburg 42) mehrere Belegstellen zum Vorkommen des Waldrappen in dieser Region ermittelt. Ein weiterer Beleg von 1471 fand sich in KL. Baumburg 43. fol. 23 r, unter dem Begriff „Steinrabe“. Auch auf einem aus dem 15. Jahrhundert stammenden Bild „Gebet Christi am Ölberg“ aus der Stiftskirche von Rottenbuch (Ammertal) ist der Waldrapp abgebildet, und im Refektorium – dem gemeinsamen Speisesaal der Mönche - des ehemaligen Klosters Murrhardt ist ein altes Fresko aus dem 14./15.Jhdt erhalten geblieben, das neben anderen Fastenspeisen den Waldrapp zeigt.

Aus dem 16. Jahrhundert gibt es weitere Belege für die Existenz des Waldrappen in Mitteleuropa, etwa aus Basel und Breisach (Oberrhein), vor allem aber in Form von Verfügungen der Obrigkeit zu seinem Schutz. Als Wappentier der Grazer Stadtpfarre taucht er im Jahre 1560 auf. Auf das Jahr 1582 datiert ist eine Abbildung im Wiener Messbuch Missale Romanum. Das letzte Bild eines Waldrappen wurde um 1600 von G. Hoefnagel für Kaiser Rudolf II. angefertigt. Im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts verschwindet der Waldrapp aus Mitteleuropa. Der genaue Ablauf seines damaligen Verschwindens ist nicht bekannt. Möglicherweise war eine klimatische Veränderungen, die so genannte Kleine Eiszeit dafür verantwortlich. Die letzten Exemplare sollen während des 30-jährigen Krieges im Kochtopf gelandet sein, wofür es jedoch keine sicheren Belege gibt.

Der Waldrapp wurde zuerst von dem Zürcher Arzt und Naturforscher Conrad Gesner im Jahre 1557 in seiner „Geschichte der Tiere“ beschrieben. Er soll auf steilen Felsen und in alten Gemäuern genistet und in Gärten und Wiesen seine Nahrung gesucht haben. Er sei schwarz gewesen und habe auf seinem Kopf «streusslin hindersich (nach hinten) gricht» getragen. Sein Schnabel sei «rotlecht» und lang gewesen und außerdem «komlech (gut geeignet) im erdtrich zu graben, damit er die verborgenen würmlin und käferlin härauss ziehe».

Zeitweilig für ein Fabeltier gehalten, war die Sensation um so größer, als im Jahr 1897 die Vogelkundler Rothschild, Hartert und Kleinschmidt zweifelsfrei nachwiesen, dass der mittelalterliche Waldrapp mit dem im Laufe des 19. Jahrhunderts im Nahen Osten und in Nordafrika entdeckten Schopfibis identisch ist.

Ein Indiz für historische Vorkommen sind alte Flur- und Geländenamen. Früher wurden diese Namensbezeichnungen nach besonderen Merkmalen, u.a. dem Vorkommen bestimmter Pflanzen oder Tierarten vergeben. "Biberbach", "Bärenhöhle", "Falkenwand", "Gemskopf", "Wolfsschlucht" oder auch "Föhrenkopf" und "Birkkar" sind solche eingängige Namensbezeichnungen. Noch heute verweisen in den bayerischen Voralpen (und nicht nur dort) Gelände- und Flurnamen auf frühere Vorkommen des Waldrappen: Rappenköpfe, Rappenspitze, Rappenklamm, Rappenschrofen, Rappenbach, Rabenkopf und Rappinschlucht, allesamt im Isarwinkel und Loisachtal. Eine besondere Häufung von Rappennamen findet sich am Nordrand der Alpen von der Isar an westwärts bis zum Alpenrhein und im Südschwarzwald, also in der Region, die Gesner als Heimat des Waldrapp bezeichnet.

Wenn die Bezeichnungen, die auf Krähen - einem Vogel der offenen Landschaften - auf Alpendohle, Alpenkrähe als Bewohner der Gipfelregionen der Alpen oder dem Kolkraben zurückgehen könnten, aussortiert werden, dann verbleibt ein großer Teil von Namen, die sich nicht mit anderen Namensgebern erklären lassen. Wenn dann noch alte Darstellungen aus dem Umfeld dieser Örtlichkeit den Waldrapp zeigen und die bekannten Habitatansprüche des Waldrapp erfüllt werden, kann angenommen werden, dass es sich bei den so festgestellten Örtlichkeiten um historische Waldrapphabitate handelt.

Für solche frühere Habitate des Waldrappen wird über eine Habitatevaluation zur Erforschung einer später möglichen Wiederansiedlung nachgedacht.

Verbreitung

 
Nahaufnahme eines Waldrapps

Von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit war der Waldrapp nicht nur in ganz Nordafrika und dem Nahen Osten verbreitet, sondern kam auch in Italien, auf dem Balkan bis nach Ungarn und weiter bis in den Alpenraum und nach Süddeutschland vor.

Es handelt sich beim Waldrapp um eine im südlichen Europa durchaus alteingesessene Vogelart. Geronticus eremita siedelte im plio-pleistozänen Übergang, vor ca. 1 Million Jahren, in Spanien (SÁNCHEZ MARCO 1995, 1999, MONTOYA et al. 1999), später fehlen jedoch sichere pleistozäne Nachweise. Ein unmittelbarer pliozäner Vorfahre ist aus Bulgarien bekannt geworden (BOEV 1998a), ein bereits miozäner Vertreter (ca 12 Mio. J.) der Gattung aus Südfrankreich (CHENEVAL 1996 zit. nach BOEV 1998a). Da es weltweit nur diese wenigen vorholozänen Nachweise gibt, deren jüngste wiederum wenigstens ca. 1 Million Jahre vor dem Holozän zu datieren sind, muss man die Art sicherlich zur angestammten Avifauna Europas zählen, vermutlich im Sinne einer circummediterranen Art.

Heute gibt es nur noch wenige Vorkommen:

  • Souss Massa Nationalpark in Marokko; 1994: 220 Tiere, 57 Brutpaare; 2001: 66 Brutpaare; 2002: 315 Tiere; 2003: 85 Brutpaare, ca. 100 Jungtiere; 2004: 420 Tiere, 98 Brutpaare, ca. 110 Jungtiere.
  • Birecik in der Provinz Şanlıurfa in der Türkei; eine halbwild lebende Kolonie, 2001: 42 Adulte und 17 Jungtiere; 2002: 19 Jungtiere. 2005: 86 Tiere.
  • Syrien; eine erst im Frühjahre 2002 entdeckte Kolonie aus 7 Tieren, 3 Brutpaare. 2002: 3 Jungtiere; 2003: 6 Adulte, 3 Brutpaare, 7 Jungtiere, 2004: 6 Adulte, 3 Brutpaare, 4 Jungtiere, 2005: 5 Adulte, 2 Brutpaare. Von den Jungtieren aus den Jahren 2002 und 2003 scheint 2004 nur eines überlebt zu haben.

In Zoos gibt es aber wieder mehr als 2000 Tiere (2005), die sich auch gut fortpflanzen, so dass genügend Tiere zur Auswilderung zur Verfügung stehen.

Auswilderungsprogramme

Aufgrund der Zuchterfolge in Zoos stehen heute genügend Tiere zur Auswilderung zu Verfügung. Vom Konrad-Lorenz-Institut in Grünau im Almtal in Österreich wurde ein Auswilderungsprojekt für Österreich und Italien gestartet. Leider gab es in diesem Projekt anfänglich verschiedene Probleme, etwa dass die Prägephase für die Ersatzeltern verpasst wurde, dass die Ersatzeltern keine Leichtflugzeuge steuern konnten und man auf zu schnelle Zweisitzer ausweichen musste sowie diverse technische und organisatorische Pannen. Nach einer ersten Migration mit sieben Vögeln im Jahre 2004 konnte das Waldrappteam im Folgejahr 2005 mit erneut sieben handaufgezogener Waldrappen in die WWF Oasis Laguna di Orbetello führen; seit 350 Jahren sind Waldrappe nun erstmals wieder von Mitteleuropa in ein Wintergebiet geflogen. Dies zeigt, dass einer Wiederansiedlung der Waldrappe im nördlichen Voralpengebiet, also dem historischen Verbreitungsgebiet in Mitteleuropa, keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen stehen würden.

Ein weiteres Auswilderungsprojekt läuft in Mezguitem in Marokko, wo bis 1985 Waldrappen brüteten und bis 1995 vorkamen. 2001 sind dort bereits die ersten Jungvögel geschlüpft.

Auch in Spanien läuft seit dem Jahre 2003 ein fünfjähriges Auswilderungsprojekt. In La Janda in Andalusien in der Nähe von Cádiz wurden im Dezember 2004 21 Tiere ausgewildert.

Verschiedenes

Der Waldrapp war wahrscheinlich das Vorbild für klassische Karnevalsmasken in Venedig, die mit ihrem langen, roten, gebogenen Schnabel an den Waldrapp erinnern.

Literatur

  • Robert Hofrichter: Die Rückkehr der Wildtiere - Wolf, Geier, Elch & Co, Leopold Stocker Verlag, Graz, 2005, ISBN 3-7020-1059-9
  • Boev, Z. (1998a): Presence of bald ibises (Geronticus WAGLER, 1832) (Threskiornithidae-Aves) in the late pliocene of Bulgaria. - Geologica Balcanica 28: 45-52. Sofia.
  • Böhm, C. (1999): 2nd Studbook of the Northern Bald Ibis. Alpenzoo Innsbruck.
  • Kotrschal, K. (2001): Der steinige Weg aus der Arche: Das Grünauer Waldrapp-Projekt in seinem 5. Jahr. Schönbrunner Tiergartenjournal, 3, 1-6.
  • MONTOYA, P., ALBERDI, M.T., BLÁZQUEZ, A.M., et al.(1999): La fauna del pleistoceno inferior de la Sierra de Quibas (Abanilla, Murcia). - Estudios Geologicos 55: 127-161. Madrid.
  • Pegoraro, Karin (1996): Der Waldrapp. Vom Ibis, den man für einen Raben hielt. Sammlung Vogelkunde, Aula Verlag Wiesbaden)
  • Perco, Fabio (2001): Notes on recent discoveries regarding the presence of the Nortern Bald Ibis in the upper adriatic region. Acrocephalus, 22, 2001.
  • SÁNCHEZ MARCO, A. (1995): The presence of the Waldrapp Geronticus eremita (Plataleidae) in the plio-pleistocene boundary in Spain. - The Ibis 138: 560-561. London.
  • ders. (1999): Implications of the avian fauna for paleoecology in the early pleistocene of the Iberian Peninsula. - Journal of Human Evolution 37: 375-388. London.
  • J. Fritz & A. Reiter: Der Flug des Ibis - Von der Rückkehr eines heiligen Vogels aus der Arche Noah; 21/19 cm, ca. 112 Seiten, vierfärbig € 22,- ISBN 3-85252-542-X
Commons: Waldrapp – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch: Ausgestorbene Tierarten Europas