Kälte-Nässe-Schaden der Hände oder Füße

Kälte-Nässe-Schaden der Füße
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Klassifikation nach ICD-10
T69.0 Kälte-Nässe-Schaden der Hände oder Füße

Schützengrabenfuß

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ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Unbekannter französischer Soldat mit „Schützengrabenfuß“ im Ersten Weltkrieg (1917)

Kälte-Nässe-Schaden der Hände oder Füße, bekannter als Immersionsfuß, (engl. Immersion Foot Syndrome), ist ein medizinischer Oberbegriff für verwandte Varianten eines komplexen multifaktorellen Syndroms, das durch längere Einwirkung von Feuchtigkeit auf menschliches Gewebe, in Verbindung mit geschlossenem Schuhwerk ausgelöst wird. Oft sind Unterschenkel, in seltenen Fällen auch Hände mitbetroffen.

Auftreten

Das Syndrom tritt hauptsächlich zusammen mit externer Wassereinwirkung auf, kann aber auch in Situationen auftreten, in welchen das Schuhwerk nicht ausreichend atmungsaktiv ist, sich Schweiß und Körperflüssigkeiten im Schuh sammeln und der Fuß gleichzeitig beansprucht wird, wie durch marschieren[1]. Allen Varianten gemein ist, dass die Hornhaut aufquillt und mazeriert, durch Wunden Erreger und Pilze eindringen und Entzündungen auslösen, die unbehandelt zu Nekrosen werden und im schlimmsten Falle durch Multiorganversagen zum Tode führen können.

Militärmedizinische Bedeutung

Bis heute gilt der Immersionsfuß innerhalb der Wehrmedizin als eine der gefürchtetsten Soldatenkrankheiten, da er ob seiner banalen Entstehung und Prävention nach wie vor weitestgehend unterschätzt wird, sich (daher) sehr schnell ausprägt, unbehandelt sehr schnell zum Tod führt, therapeutisch nahezu sämtliche Bereiche der Hochleistungsmedizin beansprucht und Betroffene oft durch nachfolgende schwerste Behinderungen bis ans Lebensende unter tiefgreifenden medizinischen und psychosozialen Auswirkungen leiden. Daher stammen die meisten Trivialnamen auch aus der Soldatensprache. Bezeichnungen für Unterformen sind (Schützen-)Grabenfuß (Non-freezing cold injury (NFCI)) für die Verlaufsform im Temperaturbereich 0°C< bis max. 15 °C[2], Dschungelfäule (Warm water immersion foot (WWIF)) für die Verlaufsform bis über 35 °C[3][4], Eintauchfuß (bei Schiffbrüchigen speziell der Marine) oder schlicht Soldatenfuß (undefiniert).

Auftreten bei prekären Menschengruppen

 
Immersionsfuß bei einer unbekannten Frau im KZ Bergen-Belsen (undatiert)

Das Syndrom kann überall dort in Erscheinung treten, wo festanliegendes Schuhwerk über eine lange Zeit am Fuß anbehalten wird und in Gefahr gerät, durch externe Wassereinwirkung oder Körperflüssigkeiten durchnässt zu werden, zum Beispiel bei Menschengruppen in prekären Situationen, wie bei Obdachlosen,[5] misshandelten Kindern[6], Flüchtlingen, Häftlingen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen.

Auftreten in zivilen Situationen

In zivilen Situationen kann es in Berufen der fischverarbeitenden Industrie, Wasser-, Kanal-, Deich- und Tagebau auftreten, aber auch bei Freizeitaktivitäten, wie Segeln, Pilgern, Wandern, Camping, oder bei nichtsahnenden Besuchern von verregneten Freiluftveranstaltungen, wie z. B. Musikfestivals.

Schadwirkende Komponenten und zugehörige Symptome

 
Fuß eines Erwachsenen mit Waschhaut

Die komplexe Schadwirkung entsteht beim Immersionsfuß durch das Zusammenwirken mehrerer Komponenten, wobei das Wasser mit seinen physikalischen Eigenschaften der isothermen Osmose (Ansammlung im Gewebe, Ausschwemmung von Elektrolyten u. a. lebenswichtiger Nähr- und Botenstoffe) und Thermoosmose (Ableitung der Zellwärme aus dem Gewebe) gleich zwei schädigende Faktoren mit sich bringt, dazu fügen sich negativ verstärkend, mechanische Einwirkung (Abrieb, Druck von außen) und umgebende Belastung mit Keimen, Parasiten und sonstigen, im Wasser gelösten Schadstoffen, wie z. B. im Krieg chemische Kampfstoffe.

Wasser

Ähnlich wie bei der klassischen Erfrierung, werden auch hier vier Stadien eingeteilt:

  • 1. Stadium: Schadwirkung (injury stage):

Zuerst bildet sich eine klassische, kalte bleiche Waschhaut. Die Durchblutung des Gewebes ist reduziert und es fühlt sich taub an. Gliedmaßen sind bleich oder rot, fühlen aber keine Schmerzen.

  • 2. Stadium: Unmittelbar nach der Schadwirkung (immediate post-injury):

Nach Erwärmen wechselt das Körperteil die Farbe, oft von weiß zu rot oder blau und kann bis zur doppelten bis dreifachen Ursprungsgröße anschwellen.

  • 3. Hyperämische Phase:

Diese Phase kann von zwei Wochen bis drei Monaten andauern und geht mit heftigen neuralgischen Schmerzen einher. Die Haut ist ausgetrocknet und kann Blasen werfen.

  • 4. Nach-Hyperämische Phase:

Das Gewebe ist irreparabel geschädigt und mit weniger Nervenenden durchsetzt als gesundes, neuralgische Probleme können bis ans Lebensende verbleiben,[7] Geschwüre und Tumore können sich ausbilden.

Solange das Körperteil "nur" durch Wasser beeinflusst wurde, besteht die Therapie hauptsächlich darin, das betroffene Gewebe intensiv austrocknen zu lassen und das durch die Wassereinwirkung ausgeschwemmte und unterkühlte Gewebe durch Cremes und Salben wieder aufzubauen.

Mechanische Einwirkung

Die nächste Komponente ist die mechanische Einwirkung: Die Haut beginnt sich, meist noch begünstigt durch Scheuern des Schuhwerks und nasser Socken, abzulösen und darunterliegendes Gewebe liegt blank. Tiefe Schürfwunden und Ablösungen von Gewebe, bis hin von Abriss von Faszien, Muskeln und Gelenken können erfolgen, was in der Regel Autoimmunantworten wie Entzündungen und Fieber hervorruft.

Keime und Parasiten

Die dritte Schadkomponente sind umliegende Keime und Parasiten, die in die offenen Wunden eindringend, Entzündungen noch verstärken und ihrerseits das offenliegende Gewebe zusätzlich angreifen und eine Nekrose bilden können. Geraten die Erreger in die Blutbahn, können sie eine Sepsis auslösen, die zum baldigen Tod führt.

Chemische Schadstoffe

 
Giftgas-Entgiftungsstation der US-amerikanischen Truppen während des Ersten Weltkrieges
 
Exposition von Napalm auf einem Fluss während des Vietnamkriegs
 
Ausgelaufende Fässer mit Agent Orange nach dem Vietnamkrieg 1981

Die vierte Schadkomponente mit langwierigen Spätfolgen sind in umgebendes Wasser und Schlamm eingebrachte Schadstoffe, wie Schwermetalle, Batteriesäuren, Motorentreibstoffe oder chemische Kampfstoffe die speziell in Kriegen besonders häufig auftreten und zusätzlich vergiftend und kanzerogen wirken können.[8]

Kulturgeschichte

Das Syndrom wurde erstmals in den Napoleonischen Kriegen Anfangs des 19. Jahrhunderts von Dominique Jean Larrey beschrieben, davor sind keine Berichte bekannt. Das Aufkommen fällt zeitlich mit der systematischen Verbreitung von geschlossenen Schnür- bzw. Kampfstiefeln als Soldatenschuhwerk zusammen, denn ab da häufen sich die Berichte aus verschiedenen Kriegen des 19. Jahrhunderts, wie aus dem Krim-Krieg. Anders als in den Kriegen der europäischen Nachantike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in der jeder Soldat weitestgehend selbst für seine Ausstattung verantwortlich war und das Erscheinungsbild der Armeen meist ein buntes Sammelsurium an Individuen darstellte, die nicht selten barfuß kämpften, begannen die Armeen spätestens mit Einführung des stehenden Heeres ihre Uniformen zu vereinheitlichen und stellten den Rekruten Kleidung und geschlossenes festes Schuhwerk zur Verfügung, die sich davor die Wenigsten hätten leisten können, deren Qualität, Wetterfestigkeit und Passgenauigkeit innerhalb der Armee aber ab da ein ständiger Quell des Unmuts und der Klage über durch das Schuhwerk ausgelöste Fußfehlstellungen und -krankheiten waren[9]. Zum Massenphänomen wurde der Immersionsfuß aber erst im Ersten Weltkrieg, wo in beiden Kriegslager in den Jahren 1914 und 1915 bis zu 50 % der Soldaten betroffen waren und die Militärärzte auch erstmals feststellten, dass das Syndrom, anders als Erfrierung oder Frostbeule auch bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt auftritt und einen Zusammenhang mit dem Wasser herstellten, das in den damaligen Schützengräben allgegenwärtig war, so dass sich der Name Grabenfuß etablierte. Die Erkrankung wird bis heute in Kriegen und Situationen beschrieben, in welchen Soldaten gezwungen wurden, lange in nasser Umgebung zu verharren, wie z. B. dem Vietnamkrieg (Dschungelfäule), oder ganz aktuell bei Einsätzen der ISAF in Ländern wie Afghanistan, in welcher die Rekruten und Offiziere ihre Stiefel innerhalb überlangen Patrouillen nicht ausziehen konnten.[10]

Präventionsmaßnahmen und Therapie

 
Schützengraben des kanadischen Batallions mit Holzsteigen (1916)
 
Warnhinweis der US-Armee aus dem 2. Weltkrieg

Die einzige Möglichkeit, diesem Leiden schon im Vorfeld entgegenzuwirken, besteht in der konsequente Trocknung bzw. Trockenhaltung von Füßen und Beinen. Um die Krankheit im Anfangsstadium aufzuhalten, muss die nasse Haut an Füßen und Beinen mindestens zehn Stunden lang ausgetrocknet werden. Im Ersten Weltkrieg wurde den Soldaten empfohlen, ihre Füße mit Lebertran "abzudichten" und es wurden sog. "Schützengraben-Stiefel" ausgegeben, Vorläufer der heutigen Gummistiefel, die aus wasserdichtem Gewebe und Leder bestanden.[11] Für die Schützengräben wurden hölzerne Brücken und Steige gezimmert, damit der Wasserkontakt möglichst gering blieb.

Ist der Fuß schon erkrankt, hängt die Therapie vom Stadium der Gewebszerstörung ab. Solange die Haut noch intakt ist, helfen äußerlich angewandte Antimykotika (bei Pilzbefall), Antibiotika (bei Entzündungen mit Bakterien) und Virostatika, um ein Übergreifen auf tiefere Hautschichten und den Körper zu verhindern, ist bereits Gewebe und vielleicht sogar Knochen betroffen, kommen nur noch Amputationen und Transplantationen, mit nachfolgender Physiotherapie in Frage[12].

Einzelnachweise

  1. Artikel über neue Soldatenstiefel auf der Homepage der US-Armee vom 3. März 2017, abgerufen am 2. April 2020
  2. Artikel in der Medical News Today, medizinische Fachzeitschrift, 30. Januar 2018, abgerufen am 2. April 2020 (englisch)
  3. UpToDate. Abgerufen am 4. April 2020.
  4. Derek Gregory: jungle rot. Abgerufen am 4. April 2020 (englisch).
  5. Charity helping homeless people affected with trench-foot. Abgerufen am 4. April 2020 (englisch).
  6. ‘Barbaric’ child cruelty couple jailed. Abgerufen am 5. April 2020 (englisch).
  7. Trench Foot discovery could pave the way for new treatments | Imperial News | Imperial College London. Abgerufen am 2. April 2020 (englisch).
  8. Fallbericht über die Erstattung der Behandlungskosten von Fußerkrankungen und Krebs eines Vietnamveteranen als Spätfolge von Dschungelfäule in Verbindung mit Agent Orange (2011), abgerufen am 3. April 2020
  9. Anne Sudrow: Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich. Wallstein, Göttingen 2010, S. 379.
  10. Artikel in der Medical Tribune, wehrmedizinische Monatszeitschrift vom 15. Januar 2019, abgerufen am 1. April 2020 (deutsch)
  11. Schützengraben-Stiefel. In: Mémorial de Verdun. 3. November 2015, abgerufen am 29. März 2020 (deutsch).
  12. Behandlung des Syndroms bei US-amerikanischen Soldaten 1944, abgerufen am 1. April 2020 (englisch)