Miranda v. Arizona

bedeutendes Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten zum Aussageverweigerungsrecht
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Miranda v. Arizona
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Entschieden
13. Juni 1966
Vollständige Fallbezeichnung: Ernest Arthur Miranda v. Arizona
Fundstelle: 384 U.S. 436; 86 S. Ct. 1602; 16 L. Ed. 2d 694; 1966 U.S. LEXIS 2817; 10 A.L.R.3d 974
Sachverhalt: Geständiger Verurteilter legt aufgrund unzulässiger Verhörungsverfahren Berufung ein
Aussage

Das im 5. Zusatzartikel zur Verfassung verbriefte Recht gegen Selbstbelastung verpflichtet die Strafverfolgung, Verdächtige über ihr Recht zu Schweigen und ihr Recht auf einen Anwalt auzuklären.

Positionen
per curiam: Richter Earl Warren (Vorsitz), Black, Douglas, Brennan, Fortas
abweichende Meinung: Richter Clark
Mindermeinung: Richter Harlan, Stewart, White
Angewandtes Recht
Verfassung der Vereinigten Staaten, 5. und 6. Zusatzartikel

Miranda v. Arizona, Az. 384 U.S. 436 (1966), war ein bedeutendes Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten vom 13. Juni 1966. Der Gerichtshof entschied 5:4, dass Verdächtige in Straftaten vor der polizeilichen Verhörung von ihrem Recht auf einen Anwalt und ihrem Recht, die Aussage zu verweigern, informiert werden müssen.

Hintergrund

Rechtshilfebewegung

In den 1960er Jahren gab es in den Vereinigten Staaten eine Bewegung, die das Ziel hatte, Mittellosen Zugang zu einer effektiven Rechtshilfe zu ermöglichen. Im Zivilrecht führte diese zur Schaffung der Legal Services Corporation als Teil der Great Society Präsidents Lyndon B. Johnsons. Diese Veränderung führten auch zu einer verstärkten Überprüfung polizeilicher Verhörungstaktiken, die von vielen als barbarisch und ungerecht empfunden werden.

Festnahme und Verurteilung

Im Jahr 1963 wurde Ernesto Miranda wegen Raubs, Entführung und Vergewaltigung festgenommen. Er wurde von der Polizei verhört und legte ein Geständnis ab. Während der gerichtlichen Verhandlung bot die Staatsanwaltschaft nur Mirandas Geständnis als Beweismittel an. Miranda wurde der Entführung und der Vergewaltigung schuldig gesprochen und zu 20 bis 30 Jahre Gefängnis verurteilt. Mirandas Anwalt legte Berufung beim Obersten Gerichtshof Arizonas ein, wurde aber abgewiesen.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Oberster Richter Earl Warren, ein ehemaliger Staatsanwalt, verkündete das Urteil des Gerichts: aufgrund der zwanghaften Natur polizeilicher Verhöre ist kein Geständnis zuzulassen, wenn der Verdächtige nicht vorher über seine im 5. und 6. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verbrieften Rechte belehrt wurde und er auf diese ausdrücklich verzichtet. Entsprechend wurde Mirandas Verurteilung aufgehoben.

Gleichzeitig legte der Oberste Gerichtshof eine Reihe von Richtlinien für polizeiliche Verhörungen fest:

“The person in custody must, prior to interrogation, be clearly informed that he has the right to remain silent, and that anything he says will be used against him in court; he must be clearly informed that he has the right to consult with a lawyer and to have the lawyer with him during interrogation, and that, if he is indigent, a lawyer will be appointed to represent him.”

„Die Person in Gewahrsam muss, vor der Verhörung, klar darüber informiert sein, dass sie das Recht hat, zu schweigen, und dass alles, was sie sagt, vor Gericht gegen sie verwendet wird; sie muss klar darüber informiert sein, dass sie das Recht hat, einen Anwalt zu Rate zu ziehen, in seiner Anwesenheit verhört zu werden und, sollte sie mittellos sein, einen Anwalt zur eigenen Verteidigung gestellt zu bekommen.“

Das Gericht bestimmte auch, wie zu verfahren sei, wenn ein Verdächtiger seine Rechte ausüben möchte:

“If the individual indicates in any manner, at any time prior to or during questioning, that he wishes to remain silent, the interrogation must cease ... If the individual states that he wants an attorney, the interrogation must cease until an attorney is present. At that time, the individual must have an opportunity to confer with the attorney and to have him present during any subsequent questioning.”

„Wenn die Person auf irgendeine Art und Weise vor oder während der Verhörung erkenntlich macht, dass sie schweigen möchte, muss die Verhörung abgebrochen werden [...] Wenn die Person erklärt, dass sie einen Anwalt möchte, muss die Verhörung unterbrochen werden, bis ein Anwalt anwesend ist. Zu diesem Zeitpunkt muss der Person die Gelegenheit gegeben werden, sich mit ihrem Anwalt zu beraten, und in seiner Anwesenheit verhört zu werden.“

 
Justice Brennans Kommentare zum Miranda-Urteil

Obwohl die ACLU den Gerichtshof dazu aufforderte zu verlangen, dass bei allen polizeilichen Verhörungen ein Anwalt verpflichtend anwesend sein muss, weigerte sich Warren in seinem Urteil, so weit zu gehen.

Warren bezog sich bei der Urteilsbegründung auch auf die Praxis des FBI und den Richtlinien des Uniform Code of Military Justice, die beide die Belehrung eins Verdächtigen über seine Recht zu schweigen vorschrieben. Beim FBI musste der Hinweis auch ein Verweis auf das Recht auf einen Anwalt beinhalten.

Die Richter, die das Urteil ablehnten, sprachen sich gegen die Warnungen aus, da sie davon ausgingen, dass Verdächtige immer einen Anwalt fordern und keine Geständnisse mehr ablegen würden. Sie sahen den Urteilsspruch als Überreaktion auf das Problem von Verhörungen unter Zwang an.

Auswirkungen des Urteils

Miranda wurde ein zweites Mal vor Gericht gestellt. Das Geständnis konnte nicht benutzt werden, stattdessen berief sich die Staatsanwaltschaft auf Zeugenaussagen und anderes Beweismaterial. Miranda wurde abermals schuldig gesprochen und verbrachte 11 Jahre im Gefängnis.

Nach dem Urteil wurden Polizisten bundesweit ausgebildet, bei Verhaftungen Verdächtige über ihre Rechte aufzuklären. Diese Warnung ist heute als Miranda-Warnung bekannt.

Das Miranda-Urteil wurde kurz nach Verkündung weitläufig kritisiert, da viele der Ansicht waren, dass es ungerecht sei, Kriminelle über ihre Rechte aufzuklären. Richard M. Nixon und andere politisch Konservative verurteilten Miranda dafür, dass es die Effizienz der Polizeiarbeit untergrabe und nur zu einem Anstieg der Kriminalität beitragen würde. Nixon versprach nach seinem Amtsantritt als Präsident der Vereinigten Staaten, dass er nur Richter zum Obersten Gerichtshof ernennen würde, die die Verfassung eng auslegten und sich als Richter zurückhielten. Der Crime Control and Safe Streets Act, ein Bundesgesetz im Jahr 1968, versuchte, Miranda für Straftaten auf Bundesebene aufzuheben. Der Inhalt des Gesetzes wurde aber nie auf seine Verfassungstauglichkeit geprüft, weil sich keine Staatsanwaltschaft darauf im Rahmen eines Strafverfahrens berief.

Mit den Jahren wurde Miranda allerdings allgemein anerkannt und akzeptiert. Aufgrund der großen Anzahl exportierter amerikanischer Polizeiserien wurden die Miranda-Rechte auch weltweit bekannt.

Spätere Entwicklungen

Seit der ursprünglichen Entscheidung haben Gerichte ebenfalls bestimmt, dass der Hinweis auf die Rechte „bedeutsam“ sein muss, es wird also der Verdächtige gefragt, ob er seine Rechte auch versteht. Weiterhin haben Gerichte festgelegt, dass die Aufgabe dieser Rechte mit vollem Wissen und Verständnis und unter freiem Willen erfolgen muss. An vielen Polizeidienststellen gibt es seitdem Formulare, mit denen Verdächtige mit ihrer Unterschrift ihre Miranda-Rechte aufgeben können.

Ein Geständnis, dass unter Verletzung der Miranda-Rechte zu Stande kam, kann trotzdem benutzt werden, um widersprüchliche Aussagen des Verdächtigen anzufechten. Dies ist allerdings nur der Fall, wenn der Verdächtige sein Recht zu schweigen während der Verhandlung aufgibt und selbst aussagt[1].

Eine „spontane“ Aussage des Verdächtigen in Gewahrsam, der nicht auf seine Rechte hingewiesen wurde, kann ebenso als Beweis benutzt werden, solange diese Aussage nicht als Antwort auf Fragen der Polizei oder anderes polizeiliches Verhalten beruht, das solch eine Aussage gefördert hätte[2].

Weiterhin gibt es eine Ausnahme zum Schutz der „öffentlichen Sicherheit“, wenn die Miranda-Warnung nicht gegeben wird, weil zur Abwendung einer allgemeinen Gefahr eine sofortige Verhörung nötig ist. In diesem Fall kann der Verdächtige von der Polizei ohne Warnung befragt und seine Antworten vor Gericht gegen ihn verwendet werden[3].

Miranda überlebte im Jahr 2000 einen Angriff in Dickerson v. United States, indem ein Bundesgesetz überprüft wurde, das Miranda aufheben sollte. Die Frage war, ob die Verfassung selbst die Warnung vorschrieb oder ob es ein Ergebnis richterlicher Auslegung ist. In Dickerson entschieden die Richter 7:2, dass „die Warnungen ein Bestandteil der nationalen Kultur geworden sind“. In einer ablehnenden Meinung bestritt Richter Antonin Scalia, dass die Warnung von der Verfassung vorgeschrieben wurde, und erklärte, dass eine Verletzung der Vorgaben in Miranda nicht verfassungswidrig sei.

Anmerkungen

  1. Vgl. Harris v. New York, 401 U.S. 222 (1971)
  2. Vgl. Rhode Island v. Innis, 446 U.S. 291 (1980)
  3. Vgl. New York v. Quarles, 467 U.S. 649 (1984)

Literatur

  • Stuart, Gary L. Miranda: The Story of America's Right to Remain Silent. University of Arizona Press: 2004. ISBN 0816523134.