Provinz Posen

preußische Provinz (1848–1920)
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Die Provinz Posen mit der gleichnamigen Hauptstadt Posen war 18151919 eine Provinz des Staates Preußen, die jedoch nach dem Ersten Weltkrieg nur noch als kleiner Teil unter neuem Namen fortbestand. Sie entspricht ungefähr der historischen Region Großpolen, im 10. Jahrhundert Entstehungsort der polnischen Nation, hatte insgesamt eine polnische und zugleich in Teilgebieten (Bromberg, Lissa) eine deutschsprachige Bevölkerungsmehrheit. Fast alle Polen in der Provinz Posen waren katholisch, 90 Prozent der Deutschen jedoch protestantisch, so dass auch ein konfessioneller Gegensatz bestand. In den Städten lebte eine jüdische Minderheit, meist Handwerker, Geschäftsleute und Händler, die sich ganz überwiegend an der deutschen Kultur orientierte. Je kleiner eine Gemeinde war, um so eher war sie entweder rein polnisch oder rein deutsch besiedelt. Der Nordwesten der Provinz war eher deutsch geprägt, der Südosten eher polnisch. Ende des 19. Jahrhunderts betrug der deutsche Bevölkerungsanteil etwa 44 %. Der Versuch der preußischen Regierung, den deutschen Bevölkerungsanteil durch eine sog. "Germanisierungspolitik" zu erhöhen, hatte sich kaum ausgewirkt. Danach kehrte sich die (geringfügige) Migration um zur so genannten Ostflucht, in deren Rahmen viele polnisch- und deutschsprachige Bewohner in Industrieregionen, insbesondere das Ruhrgebiet und Oberschlesien, fortzogen. Bis 1910 sank der deutsche Bevölkerungsanteil auf etwa 38 %, trotz der Bemühungen der Regierung in Berlin: Sie hatte eine Ansiedlungskommission ins Leben gerufen, die Land von Polen kaufte und nur Deutschen zum Kauf anbot.

Landschaft

Die Landschaft ist meist flach, entwässert von zwei großen Flüssen, der Netze (polnisch: Noteć) im Norden und der Warthe (Warta) im Zentrum. Die Gletscher der Eiszeit ließen Moränenablagerungen zurück; über das Land sind zahlreiche schmale Seen verstreut, die von Nebenflüssen der beiden großen Flüsse durchflossen werden.

Der wichtigste Wirtschaftszweig war die Landwirtschaft. In einer Dreifelderwirtschaft wurden zahlreiche Getreidearten angebaut, vor allem Roggen, Zuckerrüben, Kartoffeln, anderes Getreide und etwas Tabak und Hopfen. Bedeutende Waldflächen stellten Baumaterial und Feuerholz zur Verfügung. Es gab einen eher kleinen Viehbestand, darunter Gänse, aber auch ziemlich viele Schafe.

Als das Gebiet unter preußische Herrschaft kam, herrschte immer noch ein feudales System, das jedoch von den Preußen schon 1807 im Rahmen der Bauernbefreiung und der Abschaffung der Erbuntertänigkeit durch die Reformen des Freiherrn vom Stein beseitigt wurde, während Polen unter russischer Herrschaft weiterhin feudal geprägt blieb. Überwiegend lebten und arbeiteten vor 1807 beziehungsweise 1810 Leibeigene auf den Gütern der freien Landbesitzer und -pächter. Eine Besitzung bestand üblicherweise aus einem Gutshof und einem nahe gelegenen Dorf für die Arbeiter, möglicherweise auch noch einer weiteren Siedlung und einem Forsthaus im Wald. Die Grundbesitzer, meist deutsche Adlige, besaßen die örtliche Getreidemühle, oft auch weitere Mühlen oder auch eine Schnapsbrennerei. An vielen Orten war das Land von Windmühlen übersät, die an die ersten Siedler aus den Niederlanden erinnerten. Die Niederländer hatten begonnen, unfruchtbares Marschland für den Ackerbau zu kultivieren. Dieser Prozess wurde von deutschen und polnischen Siedlern fortgesetzt.

Wechselnde Besitzer

Ursprünglich ein Gebiet des polnischen Königreichs, entsprach das Gebiet ungefähr der Region Großpolen. Es wurde in den Teilungen Polens vom Königreich Preußen annektiert: in der ersten Teilung 1772 nur der Teil beidseits der Netze (Netzedistrikt), in der zweiten Teilung 1793 der Rest. Zunächst wurden die neu gewonnenen Gebiete ganz wie neue preußische Provinzen behandelt und es wurde daraus eine neue Provinz "Südpreußen" gebildet. Nach der Niederlage Preußens musste dieses 1807 im Frieden von Tilsit einen großen Teil der polnischen Gebiete an das neu gegründete Herzogtum Warschau abtreten. Nach der endgültigen Niederlage Napoleons wurde durch den Wiener Kongress 1815 das Herzogtum Warschau wieder aufgelöst. Der größte Teil fiel als Königreich Polen ("Kongresspolen") an Russland, ein kleinerer Teil als "Großherzogtum Posen" (die spätere Provinz Posen) an das Königreich Preußen.

Nach dem Wiener Kongress: Vom preußischen Großherzogtum zur preußischen Provinz

Das Großherzogtum Posen nahm zunächst eine Sonderstellung im preußischen Staat ein, es lag (wie auch die Provinzen Ost- und Westpreußen) außerhalb der Grenzen des Deutschen Bundes. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. richtete 1815 ein Manifest an seine polnischen Untertanen im neu geschaffenen Großherzogtum:

Ihr werdet meiner Monarchie einverleibt, ohne Eure Nationalität verleugnen zu dürfen ... Eure Religion soll aufrechterhalten ..., Eure Sprache soll neben der deutschen in allen öffentlichen Verhandlungen gebraucht werden, und jedem von Euch soll ... der Zutritt zu den öffentlichen Ämtern des Großherzogtums offenstehen. (zitiert nach Broszat S. 85).

Als erster preußischer Statthalter wurde der aus dem polnischen Posener Adel stammende Fürst Anton Radziwill eingesetzt. Zunächst zeigte sich die preußische Politik sehr tolerant gegenüber der polnischen Minderheit. Das zeigte sich eindrucksvoll auch im Sprachenerlass des Kultusministers Altenstein vom 13. Dezember 1823. Es hieß dort:

Was die Ausbreitung der deutschen Sprache betrifft, so kommt es hierbei zunächst darauf an, dass man sich selber klarmache, was man in dieser Hinsicht eigentlich wolle und solle, nämlich, ob nur ein allgemeines verstehen der deutschen Sprachen unter den polnischen Einwohnern dortiger Provinzen hingewirkt werden solle, oder ob man etwa die Absicht habe, die ganze Nation zwar allmählich und unvermerklich, aber nichtsdestoweniger so vollständig wie möglich zu germanisieren. Nach dem Urteil des Ministers ist nur das erstere nötig, ratsam und ausführbar, das andere aber unratsam und unausführbar, denn um vollkommen gute Untertanen zu sein ... ist es zwar für die Polen wünschenswert und nötig, dass sie die Landesregierungssprache verstehen und sich in ihr verständlich zu machen wissen; es ist aber nicht nötig, dass sie deshalb ihre Stammessprache aufgeben oder auch nur hintansetzen müssen. Der Besitz zweier Sprachen ...[kann] vielmehr als ein Vorzug betrachtet werden ... Religion und Sprache sind die höchsten Heiligtümer einer Nation, in denen ihre ganze Gesinnungs- und Begriffswelt gegründet ist. Eine Obrigkeit ... welche sich Angriffe dagegen erlaubt ... erbittert oder entwürdigt die Nation und schafft sich ungetreue oder schlechte Untertanen. ... Die Bildung eines Individuums und einer Nation kann nur vermittels der Muttersprache bewerkstelligt werden. (zitiert nach Broszat S. 90)

Nach dem Novemberaufstand in Kongresspolen 1830 wurde die Sonderstellung des Großherzogtums innerhalb des preußischen Staatswesens jedoch weitgehend beseitigt, da die politisch führenden konservativen Kreise befürchteten, Polen könne zum Ausgangspunkt einer liberalen revolutionären Befreiuungsbewegung in Europa werden. Statthalter Radziwill wurde abberufen. Das hauptsächlich mit Repräsentationsaufgaben verbundene Statthalteramt wurde nicht wieder besetzt. Nach der Märzrevolution von 1848 wurde das Gebiet "Provinz Posen" genannt.

1871–1918 im Deutschen Reich

Mit der deutschen Reichsgründung wurde die Provinz wie ganz Preußen ein Teil des zweiten Deutschen Reiches (18711918), und die Stadt Posen wurde zur kaiserlichen Residenzstadt ernannt. Die Provinz Posen war bis 1920 in die beiden Regierungsbezirke Posen und Bromberg gegliedert, die sich weiter in Stadtkreise und Landkreise aufgliederten.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der überwiegende Teil der Provinz gemäß den Bestimmungen des Vertrags von Versailles an Polen abgetreten. Ein kleiner bei Deutschland verbliebener westlicher Teil wurde 1922 mit dem westlichen Teil der ebenfalls überwiegend an Polen beziehungsweise an die Freie Stadt Danzig gelangten Provinz Westpreußen zur neuen Provinz "Grenzmark Posen-Westpreußen" vereinigt. Provinzhauptstadt wurde Schneidemühl (Piła). 1938 wurde diese Provinz unter den benachbarten Provinzen Schlesien, Pommern und Brandenburg aufgeteilt.

Von 1939 bis 1945 wurde der polnische Teil der ehemaligen Provinz Posen wieder an Deutschland zurückgegliedert und als "Reichsgau Posen" bezeichnet (ab 1940 "Reichsgau Wartheland"), bis auf den Netze-Distrikt, der wieder wie zwischen 1772 und 1807, in die Provinz Westpreußen (ab 1940 "Reichsgau Danzig-Westpreußen") eingegliedert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das ganze Gebiet wieder zu Polen und bildet heute ungefähr die Woiwodschaft Großpolen.

Ethnischer Konflikt

Aufgrund der starken ethnischen "Durchmischung" und des aufkommenden Nationalismus war das Gebiet in der zweiten Hälfte des 19. sowie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft Schauplatz ethnischer Konflikte. Diese wurden zum Teil durch den Unfrieden zwischen Katholiken und Protestanten im Kontext des sog. Kulturkampfs zusätzlich gefördert. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stieg der deutsche Bevölkerungsanteil auf Grund der staatlich geförderten "Kolonisierung" um etwa 5 % an. In der zweiten Hälfte wuchs der polnische Bevölkerungsanteil allmählich wegen einer höheren Geburtenrate der tendenziell eher in ländlichen Räumen ansässigen polnischsprachigen Bevölkerung. Viele Bewohner wanderten in industriell geprägte Regionen ab (sog. Ostflucht). Die Auseinandersetzung gipfelte im Kulturkampf, als sich viele deutsche Katholiken in der Provinz Posen mit Polen zur Opposition gegen die protestantische preußische Regierung solidarisierten. Mit der sog. Germanisierung des Gebiets versuchte die Preußische Regierung, die polnische Sprache allmählich aus Schule und Verwaltung zu verdrängen. Eine preußische Ansiedlungskommission versuchte - mit geringem Erfolg, da sie in Versteigerungsverfahren häufig von Zusammenschlüssen polnischer Bauern überboten wurde - Land aufzukaufen und anschließend nur an deutsche Bauern weiter zu veräußern. Zwischen 1919 und 1929 enteignete die polnische Regierung gemäß Artikel 297b des Versailler Vertrages viele ortsansässige Deutsche, denen die polnische Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt wurde. Ab 1925 führte ein sog. Agrarreformgesetz dazu, dass viele deutschsprachige Bauern - darunter auch solche, denen der preußische Staat Grundfläche verkauft hatte - ihr Land zwangsveräußern mussten.

Statistik

Fläche: 28.970 km2

Bevölkerung

  • 1816: 820.176
  • 1868: 1.537.300 (Bromberg 550.900 - Posen 986.400)
  • 1871: 1.583.843
    • Religionszugehörigkeit: 1871
      • Katholiken 1,009,885
      • Protestanten 511,429
      • Juden 61,982
      • andere 547
  • 1875: 1.606.084
  • 1880: 1.703.397
  • 1900: 1.887.275
  • 1905: 1.986.267
  • 1910: 2.099.831 (Bromberg 763.900 - Posen 1.335.900)

Verwaltungsgliederung vor 1920

Kreis Polnische Bezeichnung Bevölkerung 1905 Polen Deutsche ¹ Juden ² Ursprünglicher Kreis
Regierungsbezirk Posen (südlicher Teil)
Stadtkreis Posen Poznań   55 % 45 %    
Landkreis Adelnau Odolanów   90 % 10 %   Ostrowo
Landkreis Birnbaum Międzychód   51 % 49 %    
Landkreis Bomst ³ Babimost   49 % 51 %    
Landkreis Fraustadt ³ Wschowa   27 % 73 %    
Landkreis Gostyn Gostyn   87 % 13 %   Kröben
Landkreis Grätz Grodzisk   82 % 18 %   Buk
Landkreis Jarotschin Jarocin   83 % 17 %   Pleschen
Landkreis Kempen Kępno   84 % 16 %   Schildberg
Landkreis Koschmin Koźmin   83 % 17 %   Krotoschin
Landkreis Kosten Kościan   89 % 11 %    
Landkreis Krotoschin Krotoszyn   70 % 30 %    
Landkreis Lissa Leszno   36 % 64 %   Fraustadt
Landkreis Meseritz ³ Międzyrzecz   20 % 80 %    
Landkreis Neutomischel Nowy Tomyśl   51 % 49 %   Buk
Landkreis Obornik Oborniki   61 % 39 %    
Landkreis Ostrowo Ostrów   80 % 20 %    
Landkreis Pleschen Pleszew   85 % 15 %    
Landkreis Posen-Ost Poznań, Wsch.   72 % 28 %   Posen
Landkreis Posen-West Poznań, Zach.   87 % 13 %   Posen
Landkreis Rawitsch Rawicz   55 % 45 %   Kröben
Landkreis Samter Szamotuły   73 % 27 %    
Landkreis Schildberg Ostrzeszów   90 % 10 %    
Landkreis Schmiegel Śmigiel   82 % 18 %   Kosten
Landkreis Schrimm Śrem   82 % 18 %    
Landkreis Schroda Środa   88 % 12 %    
Landkreis Schwerin an der Warthe ³ Skwierzyna   5 % 95 %   Birnbaum - 1877
Landkreis Wreschen Września   84 % 16 %    
Regierungsbezirk Bromberg (nördlicher Teil)
Stadtkreis Bromberg Bydgoszcz   16 % 84 %    
Landkreis Bromberg Bydgoszcz   38 % 62 %    
Landkreis Czarnikau 4 Czarnków   27 % 73 %    
Landkreis Filehne 4 Wieleń   28 % 72 %   Czarnikau
Landkreis Gnesen Gniezno   67 % 33 %    
Landkreis Hohensalza Inowrocław   64 % 36 %    
Landkreis Kolmar in Posen 4 Chodzież   18 % 82 %    
Landkreis Mogilno Mogilno   76 % 24 %    
Landkreis Schubin Szubin   56 % 44 %    
Landkreis Strelno Strzelno   82 % 18 %    
Landkreis Wirsitz Wyrzysk   47 % 53 %    
Landkreis Witkowo Witkowo   83 % 17 %    
Landkreis Wongrowitz Wągrowiec   77 % 23 %    
Landkreis Znin Żnin   77 % 23 %    

¹ mit zweisprachiger Bevölkerung
² Angehörige des jüdischen Glaubens, unabhängig von ihrer Muttersprache
³ gehörten ab 1922 zur neuen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen
4 aus Teilen dieser Kreise wurde der Netzekreis gebildet, der ebenfalls der neuen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen eingegliedert wurde

Oberpräsidenten der Provinz Posen

Amtszeit Name Lebensdaten
1815–1824 Joseph von Zerboni di Sposetti 1766–1831
1825–1830 Johann Friedrich Theodor von Baumann 1768–1830
1830–1840 Eduard Heinrich Flottwell 1786–1865
1840–1842 Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg 1803–1868
1843–1850 Carl Moritz von Beurmann 1802–1870
1850–1851 Gustav Carl Gisbert Heinrich Wilhelm Gebhard von Bonin (1. Amtszeit) 1797–1878
1851–1860 Eugen von Puttkamer 1800–1874
1860–1862 Gustav Carl Gisbert Heinrich Wilhelm Gebhard von Bonin (2. Amtszeit) 1797–1878
1862–1869 Carl Wilhelm Heinrich Georg von Horn 1807–1889
1869–1873 Otto Graf von Königsmarck 1815–1889
1873–1886 William Barstow von Guenther 1815–1892
1886–1890 Robert Graf von Zedlitz-Trützschler (1898–1903 Oberpräs. von Hessen-Nassau) 1837–1914
1890–1899 Hugo The. Wich.Freiherr von Wilamowitz-Moellendorff 1840–1905
1899–1903 Karl Julius Rudolf von Bitter 1846–1914
1903–1911 Wilhelm August Hans von Waldow-Reitzenstein 1856–1937
1911–1914 Philipp Schwartzkopf ?
1914–1918 Joh. Karl Friedr. Moritz Ferd. v. Eisenhart-Rothe 1862–1942