Die Vorstellung einer flachen Erde (Erdscheibe) findet sich in vielen frühen Kulturen, und wurde später von der Vorstellung einer Erdkugel abgelöst. Die Erde ist jedoch weder eine Scheibe noch eine Kugel, sondern eher ein Ellipsoid, allerdings mit kleinen Unregelmäßigkeiten durch Berge und die ungleiche Verteilung der Landmassen; Man bezeichnet die Gestalt der Erde deshalb auch als Geoid.

Wäre unsere Erde eine flache Scheibe, könnten wir theoretisch beliebig weit sehen, z.B. würden dann Schiffe nicht am Horizont verschwinden. Bei einer Mondfinsternis wirft die Erde immer runde Schatten, egal wo die Sonne steht. Der einzige Körper, der bei jeder Beleuchtung runde Schatten wirft, ist die Kugel.
Klassisches Altertum
Die ältesten Schriftzeugnisse menschlicher Kultur kennen eine flache Erde. In Mesopotamien stellte man sich die Erde als eine auf einem Ozean schwimmende Scheibe vor. Diesem Modell folgten auch die frühen griechischen Philosophen Anaximander und Hekataios.
In der Folgezeit entstand in Griechenland die Idee einer Kugelgestalt der Erde. Pythagoras vertrat diese Ansicht insbesondere aus ästhetischen Gründen und nahm an, dass auch die Himmelskörper kugelförmig seien. Aristoteles gab in seiner Schrift Über die Himmel folgende Gründe für die Kugelgestalt der Erde:
- Sämtliche schweren Körper streben zum Mittelpunkt des Alls. Da sie dies von allen Seiten her gleichmäßig tun und die Erde im Mittelpunkt des Alls steht, muss sie eine kugelrunde Gestalt annehmen.
- Bei von der Küste wegfahrenden Schiffe wird der Rumpf vor den Segeln der Sicht verborgen (siehe Bild).
- In südlichen Ländern erscheinen südliche Sternbilder höher über dem Horizont.
- Der Erdschatten bei einer Mondfinsternis ist rund.
Das erste dieser Argumente beruht auf falschen Voraussetzungen, die übrigen drei sind korrekt.
Die erste Messung des Erdumfangs wird Eratosthenes im späten 3. vorchristlichen Jahrhundert zugesprochen. Er nutzte die Beobachtung, dass die Sonne im Syene (heute Assuan in Südägypten) mittags im Zenit steht und gleichzeitig in Alexandria (Nordägypten) unter einem Winkel einfällt. Mittels einfacher geometrischer Überlegungen ergibt sich aus dem Abstand zwischen Syene und Alexandria (5000 Stadien, knapp 800 km) und dem Einfallwinkel (1/50 des Vollkreises) ein Erdumfang von 50*5000 = 250.000 Stadien, knapp 40.000 km, was der wahren Größe von gut 40.077 km schon recht nahe kommt.
In Europa war seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert die Kugelgestalt unter Gelehrten generell akzeptiert und wurde allmählich auch im Volk bekannt. Auf Ptolemäus geht die Erstellung eines Globus und die Ortsangabe durch geographische Länge und Breite zurück. Seine Arbeiten blieben bis ins späte Mittelalter hinein grundlegend.
Spätantike und Mittelalter
Autoren, die eine nicht kugelförmigen Erde vertraten
Es ist bekannt, dass eine Minderheit christlicher Schreiber sich gegen eine kugelförmige Erde aussprachen:
- Lactantius (245-325) bezeichnet die Vorstellung als unsinnig, da Menschen auf der Unterseite herunterfallen würden.
- Cyril von Jerusalem (315-386) verstand die Erde als ein auf Wasser schwimmendes Firmament. Es ist jedoch unklar, ob das als eine biblisch-poetische oder eine wissenschaftliche Aussage zu verstehen ist.
- Johannes Chrysostomos (349-407) sah in einer kugelförmigen Erde einen Widerspruch zur Bibel.
- Severian, der Bischof von Gabala (ca. 408) und Diodorus von Tarsus (ca. 394) vertraten eine flache Erde.
- Kosmas Indikopleustes (547) bezeichnete die Erde in seiner Christlichen Topographie als "ein Parallelogramm, flach, und von vier Meeren umgeben".
Der Einfluss dieser Autoren war zumeist äußerst gering: Lactanz galt wegen seiner Gottesauffassung als Ketzer und fand erst im Zeitalter des Humanismus Beachtung; das auf griechisch abgefasste Werk des Kosmas Indikopleustes wurde erst im frühen 18. Jahrhundert im Abendland bekannt.
Autoren, die die Lehre von einer kugelförmigen Erde vertraten
(Liste nach Reinhard Krüger):
Könige und Politiker:
Brunetto Latini, Westgotenkönig Sisebut, König Alfred von England, Alfonso X, el Sabio
Kirchenväter, Päpste, Bischöfe, Ordensleute und Priester:
Basilius von Caesarea, Ambrosius von Mailand, Aurelius Augustinus, Paulus Orosius, Jornandes (oder Jordanes) von Ravenna, Cassiodor, Isidor von Sevilla, Beda Venerabilis, Theodulf von Orléans, Virgilius von Salzburg, der irische Mönch Dicuil, Rabanus Maurus, Remigius von Auxerre, Johannes Scotus Eriugena, Erzpriester Leo aus Neapel, Gerbert d’Aurillac (Papst Silvester II.), Notker der Deutsche von Sankt-Gallen, Hermann der Lahme, Hildegard von Bingen, Petrus Abaelardus, Honorius Augustodunensis, Gautier de Metz, Adam von Bremen, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Berthold von Regensburg, Meister Eckehart, Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II.) .
Theologen, Naturphilosophen und Enzyklopädiker:
Ampelius, Chalcidius, Macrobius, Martianus Capella, Boethius, Guillaume de Conches, Philippe de Thaon, Abu-Idrisi, Bernardus Silvestris, Petrus Comestor, Thierry de Chartres, Gautier de Châtillon, Alexander Neckam, Alain de Lille, Ibn Ruschd, Moshe ben Maimon, Lambert de Saint-Omer, Gervasius von Tilbury, Robert Grosseteste, Johannes de Sacrobosco, Thomas de Cantimpré, Peire de Corbian, Vincent de Beauvais, Robertus Anglicus, Juan Gil de Zámora, Perot de Garbelei, Roger Bacon, Ristoro d'Arezzo, Cecco d'Ascoli, Fazio degli Uberti, Levi ben Gershon, Konrad von Megenberg, Nicole Oresme, Pierre d'Ailly, Alfonso de la Torre, Toscanelli.
Dichter, Reisende, Buchdrucker, Seefahrer, Händler: Snorri Sturluson, Marco Polo, Dante Alighieri, Brochard der Deutsche, Jean de Meung, Jean de Mandeville, Christine de Pizan, Geoffrey Chaucer, William Caxton, Martin Behaim, Christoph Columbus.
Es kann als erwiesen gelten, dass die Kugelgestalt der Erde im Mittelalter selbstverständlich bekannt war:
- Aristoteles, der Belege für eine kugelförmige Erde anführte, galt als größte Autorität in Fragen der Naturwissenschaft, seine Werke wurden ab dem 12. Jahrhundert durch Übersetzungen aus dem Arabischen bekannt.
- Das "Buch der Naturgeschichte" von C. Plinius Secundus d.Ä. (gest. 79 n.Chr.), der die Auffassung von Aristoteles aufnimmt und aus eigener Beobachtung ergänzt, war im Mittelalter in mehr als 300 Handschriften verbreitet.
- Mittelalterliche Enzyklopädien in der Nachfolge des Honorius Augustodunensis (12. Jahrhundert) lehren ausdrücklich die Kugelgestalt und prinzipielle Umrundbarkeit der Erde.
- Der Reichsapfel, eine der Reichsinsignien des Heiligen Römischen Reiches, symbolisiert die Weltkugel.
Frühe Neuzeit
Zur Zeit von Christoph Columbus (ausgehendes 15. Jahrhundert) wurde, entgegen einer heute weitverbreiteten Ansicht, die Kugelgestalt der Erde längst nicht mehr in Frage gestellt. Differenzen gab es lediglich über die korrekte Bestimmung des Erdumfangs. Kolumbus, der im Gegensatz zur vorherrschenden Expertenmeinung einen geringeren Erdumfang und eine größere Ausdehnung der eurasischen Landmasse annahm, hielt China und Indien auf dem Weg nach Westen für erreichbar. Für den damaligen Stand des Schiffbaus wäre dies aber ein aussichtsloses Unternehmen gewesen. Nur die Tatsache, dass „zufällig“ Amerika existierte, rettete seine Expedition vor dem Scheitern.
Die portugiesischen Entdecker Süd-Afrikas und Asiens, und dann insbesondere die Weltumsegler Magellan und Francis Drake lieferten letztendlich auch den praktischen Nachweis für die Kugelgestalt der Erde.
Die Streitigkeiten zwischen Galileo Galilei und seinen Anhängern mit der damaligen etablierten Wissenschaft, auf deren Seite sich auch die katholischen Kirche stellte, hatten also im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Ansicht nicht zum Thema, ob die Erde flach ist; diese Auffassung wurde schon im Mittelalter praktisch nicht mehr vertreten. Sie drehten sich vielmehr darum, ob die Erde (geozentrisches Weltbild) oder die Sonne (heliozentrisches Weltbild) im Mittelpunkt des Universums steht, wofür Galilei eintrat, was er aber nicht beweisen konnte. (Für das geozentrische Weltbild sprach gerade, aufgrund des o. a. ersten Arguments von Aristoteles und in Unkenntnis des Gravitationsgesetzes, die Kugelgestalt der Erde).
Giordano Bruno stellte sich gegen das geozentrische Weltbild und nahm stattdessen an, dass die Welt und die Menschen ein einmaliger „Unfall“ einer einzelnen lebenden „Welt-Substanz“ seien und bekannte sich zur kopernikanischen Theorie. Darüber hinaus glaubte Bruno nicht nur, dass das Weltall unendlich ist, sondern auch, dass es auch unendlich viele Lebewesen auf anderen Planeten im Universum gibt.
Moderne
Jeffrey Burton Russell vertritt die Ansicht, die "flache Erde" des Mittelalters sei ein neuzeitlicher Mythos, der erst aus dem späten 18. und dem 19. Jahrhundert stamme und die Absicht verfolgt, das kirchlich geprägte Mittelalter als "primitiv" und die Kirche als wissenschaftsfeindlich darzustellen. Zu den Autoren, die dies aus antikirchlicher Motiven betrieben haben, zählt er Thomas Paine (1737-1809), Jean Antoine Letronne (1787-1848), Washington Irving (1783-1853) und Andrew Dickson White (1832-1918).
In den USA und Großbritannien vertraten im 19. Jahrhundert einige kleine christliche Gruppen die Lehre einer flachen Erde als einzig konform mit der Bibel. Die Flat Earth Society war eine Organisation zur Verbreitung dieser Ansicht, ihr letzter Präsident ist inzwischen verstorben. Die meisten Webseiten, die sich als zur Flat Earth Society gehörig ausgeben, sind satirisch angelegt.
Seit 1983 veröffentlicht der Schriftsteller Terry Pratchett satirische Fantasy-Romane, die in der fiktiven „Scheibenwelt“ angesiedelt sind.
Literatur
- Peter Aufgebauer: "Die Erde ist eine Scheibe" - Das mittelalterliche Weltbild in der Wahrnehmung der Neuzeit, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 7/8, 2006, S. 427-441.
- Reinhard Krüger: Das Überleben des Erdkugelmodells in der Spätantike (ca.60 v.u.Z. - ca 550) (Eine Welt ohne Amerika II), Berlin 2000.
- Reinhard Krüger: Das lateinische Mittelalter und die Tradition des antiken Erdkugelmodells (ca. 550 - 1080) (Eine Welt ohne Amerika III), Berlin 2000.
- Uta Lindgren. "Warum wurde die Erde für eine Kugel gehalten? Ein Forschungsbericht." In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 41 (1990), S. 562.
- Jeffrey Burton Russell: Inventing the Flat Earth. Columbus and modern historians, Praeger, New York, Westport, London 1991.
- Rudolf Simek: Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Kolumbus, München 1992.
- Rudolf Simek: "Kugel oder Scheibe? Das Bild von der Erde im Mittelalter". In: Spektrum der Wissenschaft Spezial 2/2002, S. 20-24.
- Klaus Anselm Vogel: Sphaera terrae: Das mittelalterliche Bild der Erde und die kosmographische Revolution, phil. Diss., Göttingen 1995. online
- Anna-Dorothee von den Brinken. Fines Terrae. Die Enden der Welt und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten. Hannover 1992 (= Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 36).
- Jürgen Wolf: Die Moderne erfindet sich ihr Mittelalter - oder wie aus der 'mittelalterlichen Erdkugel' eine 'neuzeitliche Erdscheibe' wurde (= Colloquia academica Nr. 5), Stuttgart 2004.
Weblinks
- Aristoteles' Buch Über die Himmel in englischer Übersetzung
- [1] GEO-Interview mit Prof. Rudolf Simek, der mit interessanten Gründen bezweifelt, dass man im Mittelalter an eine flache Erdgestalt geglaubt habe
- Reinhard Krüger, Zur Archäologie des globalen Raumbewußtseins
(Enthält die oben zitierten Liste der Autoren des MA, die von der Kugelgestalt der Erde schrieben.) - SZ-Wissen-Interview mit Prof.Dr. Reinhard Krüger über seine Forschungen zur Erdkugelgestalt im Mittelalter
- Weltbild im Mittelalter
- Homepage der Flat Earth Society