Julius Petschek (* 14. März 1856 in Kolín; † 22. Januar 1932 in Prag) war ein böhmischer und nach 1918 tschechoslowakischer Großindustrieller und Bankier.
Leben und Tätigkeit
Julius Petschek war ein Sohn des Händlers Moses (1822–1880/1888) aus Petschek bei Kolin und der Sara Wiener (1827–1894). Er hatte zwei Brüder, Isidor Petschek (1854–1919) und Ignaz Petschek (1857–1934), die ebenfalls bedeutende Industrielle wurden.
Nach dem Schulbesuch studierte Petschek Rechtswissenschaften an der Karls-Universität. 1880 wurde er zum Dr. jur. promoviert. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung trat er in Prag in den österreichisch-ungarischen Staatsdienst ein.
1878 begann Petschek an der Finanzprokuratur in Prag zu arbeiten, zuerst als Finanzsekretär und später als Finanzrat. Mit seinem Bruder Isidor gründete er parallel zu seiner Tätigkeit im Staatsdienst das Firmenkonglomerat der Petschek-Gruppe mit Hauptquartier in Prag. Diese umfasste die Aktienmehrheit der „Brüxer Kohlenbergbau-Ges. AG“ und der „Nordböhm. Kohlenwerke AG“ in Brüx. Zusätzlich konnten sie Gruben im Falknov-Revier[1], dem zweitgrößten Braunkohlebecken des Landes, in ihren Besitz bringen. Im Jahre 1900 wurde sie zum Hauptaktionär der Montan- und Industrialwerke A.G., vorm. J.D. Starck in Unterreichenau.
Unternehmerische Tätigkeit
Als Staatsbeamter konnte Petschek erst seit seiner Pensionierung als Oberfinanzrat im Jahr 1906 in den Verwaltungsräten der von ihm mitgegründeten Unternehmen sitzen. 1906 wurde er in den Generalrat der „Anglo-Österreichischen Bank Wien“ gewählt, die hinter der Unternehmenstätigkeit beider Brüder stand. Die Bankenkontakte versetzen sie außerdem in die Lage, Aktienhandel zu treiben.
Petschek gründete 1917 die „Prager Kommorzgesellschaft GmbH“ zur Verwaltung der finanziellen Familienangelegenheiten und gemeinsam mit Isidor im selben Jahr die „Aussiger Montangesellschaft“, die den Verkauf der Kohle vom dritten Bruder Ignaz übernahm. Julius Petschek (Prag) und Ignaz Petschek (Aussig) waren stark zerstritten. Obwohl sie in denselben Geschäftsfeldern tätig waren, standen sie in Konkurrenz und bekämpften sich erbittert.[2][3] Bei vielen Unternehmen erlangten sie die Aktienmehrheit durch feindliche Übernahmen und überboten sich dabei gegenseitig.[4]
Gründung des Bankhauses „Petschek & Co.“
1920 erfolgte die Gründung des Bankhauses „Petschek & Co.“ in Prag durch Julius Petschek, seinen Sohn Walter und den vier Söhnen Isidors. Die Bank übernahm die Aufgaben der vormaligen Prager Kommerzgesellschaft. Nach dem Kauf von Kohlenwerken und Kohlenfeldern in Nordböhmen und Mitteldeutschland über das Bankhaus wurden die Petscheks binnen weniger Jahre bedeutende Braunkohlemagnate. Durch die Heiraten seiner Töchter, Margarethe und Marianne, expandierte die Familie zudem in die Papierindustrie. Das Bankhaus „Petschek & Co.“ war einer der Unterstützer der Prager Secession.
Expansion in Deutschland
Anfang der 1930er Jahre kontrollierten Julius und Ignaz Petschek 30 Prozent der deutschen Braunkohlenwerke. Die größten und wichtigsten Gesellschaften für Julius Petschek waren die Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG und die Anhaltischen Kohlenwerke.[5] Ignaz Petschek beherrschte unter anderem die Ilse Bergbau AG in Berlin, die Eintracht Braunkohlenwerke und Brikettfabriken AG in Welzow, die Niederlausitzer Kohlenwerke AG, die Phoenix AG für Braunkohlenverwertung in Berlin, die Braunkohlenwerke Leonhard in Zipsendorf, die Braunkohlenwerke Borna und die Bleichertschen Kohlenwerke. Damit war der Besitz von Ignaz Petschek an Braunkohlewerken etwa viermal größer als der seines Bruders.[6] Allerdings besaß Julius Petschek dagegen deutlich mehr Anteile an Banken. Er war Eigentümer der Petschek-Bank in Prag, Hauptaktionär der Böhmischen Escompte-Bank und Creditanstalt, der Böhmischen Unions-Bank sowie Anteilseigner an mehreren Bankhäusern in Deutschland, Holland, Spanien, England und in den USA.[7]
Verlagerung der Geschäfte durch die Nachfolger
Nach Julius Petscheks Tod im Januar 1932 entschied die Familie sich, ihre Geschäfte in Deutschland aufzugeben. Ab 1933 wurde die Unternehmensgruppe Angriffsfläche der NSDAP wegen angeblich die Volksgemeinschaft schädigenden Handelskapitalismus und rassistischer Vorwürfe. Die Erben von Julius Petschek bündelten zum Schutz vor staatlicher Repression die Anhaltischen Kohlenwerke und die Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG mit Hilfe der Berliner Handels-Gesellschaft in einer amerikanischen Holding, der United Continental Corp. mit Sitz in New York.[8]
Bis 1937 etablierte sich die Familie geschäftlich in England.
Verkauf der Unternehmensanteile im Reichsgebiet
Nachdem die Erbengemeinschaft im Sommer 1937 Verhandlungen zum Verkauf der Anhaltischen Kohlenwerke und der Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG unter anderem mit der I.G. Farben und Wintershall aufgenommen hatte, setzte ab Frühjahr 1938 Friedrich Flick mit Unterstützung von Hermann Göring und Wilhelm Keppler die Familie unter massiven Verkaufsdruck. Letztlich konnte Flick im Mai 1938 die beiden Unternehmen zu sehr vorteilhaften Bedingungen erwerben.[9] [10] In einem von Hermann Göring unterzeichneten Abschlussbericht vom 26. November 1938 wurde hervorgehoben, dass die Anhaltischen Kohlenwerke und die Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG „nicht aus privatwirtschaftlichen, sondern staats- und wirtschaftspolitischen Gründen“ arisiert worden sei.[11]
Verkauf der Unternehmensanteile in der Tschechoslowakei
Die Anteile an Unternehmen, welche die Erbengemeinschaft noch in der Tschechoslowakei besaß, konnte sie noch vor dem Münchner Abkommen bis zum Sommer 1938 an die Gewerbebank Prag verkauften.[12] [13] Nach dem Münchener Abkommen übernahm die Gewerbebank auch die Petschek Bank.[14] Der nötige Kapitaltransfer ins Ausland konnte entgegen den Devisenvorschriften der Tschechoslowakischen Nationalbank dank der bestehenden Auslandsbeziehungen erreicht werden. .[15] Die illegale Kapitalflucht aus der Tschechoslowakei hatte nach dem Münchener Abkommen zum Jahreswechsel 1938/39 ihr Höchstmaß erreicht. [16]
Bautätigkeit
Vom Reichtum der Prager Linie der Petscheks zeugen fünf große Villen in Prag. Deren größte, die dem Neffen von Julius Petschek und seinem Nachfolger in der operativen Leitung des Bankhauses, Otto Petschek (1882–1934), gehörte und im noblen Stadtteil Bubeneč durch den Architekten Max Spielmann im Stil des französischen Klassizismus errichtet wurde, dient seit 1948 als Residenz des Botschafters der USA, deren Eigentum sie geworden ist.[17] [18] Die Familie von Ignaz Petschek wurde in der Zeit des Nationalsozialismus im Protektorat Böhmen und Mähren durch Gesetze zur „Arisierung“ enteignet. Das Gebäude des Bankhauses Petschek & Co. in Prag, das an die Tschechische Regierung verkauft worden war [19], wurde von 1939 bis 1945 als Leitstelle der Gestapo in Prag zweckentfremdet.
Familie
Petschek war mit Berta Robitschek verheiratet. Mit ihr hatte er den Sohn Walter (1899) und die Töchter Margarethe (1894–1980) und Marianne (1895). Margarete war mit dem Papierproduktionsunternehmer Oswald Gellert und Marianne mit dessen Bruder Leopold Gellert verheiratet.
Referenzen
- ↑ Bergbau in Falkenau von 1900-1945
- ↑ Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel, Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Walter de Gruyter, 2012, S. 693 f.
- ↑ Ingolf Strassmann: Jüdische Arbeit und jüdisches Kapital im Braunkohlenrevier in und um das Herzogtum Sachsen-Altenburg. S. 9. juedische-geschichte.de, abgerufen am 25. April 2019
- ↑ Wilhelm Pleper: Bergwirtschaftliche Mitteilungen. Bände 4–5. J. Springer, 1913, S. 47, 92.
- ↑ Günter Ogger: Friedrich Flick der Große Scherz Verlag, 1971, S. 481.
- ↑ Günter Ogger: Flick Scherz Verlag, 1971, S. 174–175.
- ↑ Jana Gerslová: Petschek, Julius Deutsche Biografie, abgerufen am 2. Mai 2019
- ↑ Kim Christian Priemel: Flick – Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Wallstein 2007. ISBN 978-3-8353-0219-8, Abbildung III/6 Die deutschen Tochtergesellschaften der Petschek Gruppen 1938/39 S. 392 f.
- ↑ Kim Christian Priemel: Flick – Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. S. 391–399.
- ↑ Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10, Nuremberg, October 1946-April, 1949: Case 5: U.S. v. Flick (Flick case) U.S. Government Printing Office, 1949 S. 654
- ↑ Kim Christian Priemel: Flick – Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. S. 409.
- ↑ Christopher Kobrak, Per H. Hansen: European Business, Dictatorship, and Political Risk, 1920-1945 Berghahn Books, 2004 S. 217
- ↑ Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel, Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich S. 386
- ↑ Jutta Günther, Dagmara Jajesniak-Quast(Hrsg.): Willkommene Investoren oder nationaler Ausverkauf?: ausländische Direktinvestitionen in Ostmitteleuropa im 20. Jahrhundert,Berliner Wissenschaftsverlag ISBN 978-3-8305-1186-1 S. 77
- ↑ Jutta Günther, Dagmara Jajesniak-Quast:S. 78
- ↑ Jutta Günther, Dagmara Jajesniak-Quast:S. 79
- ↑ Zdeněk Lukeš: Noblesa i útulnost. Zajímavý příběh Petschkovy vily. (Noblesse und Behaglichkeit. Interessante Geschichte der Petschek-Villa.) Lidové noviny, 11. April 2013. http://www.lidovky.cz/noblesa-i-utulnost-zajimavy-pribeh-petschkovy-vily-fyt-/design.aspx?c=A130408_080548_ln-bydleni_ter
- ↑ Norman Eisen: Der letzte Palast von PragEin legendäres Haus und die Stürme des 20. Jahrhunderts, Ullstein
- ↑ Background and Context in: Villa Petschek - A Virtual Tour
Literatur
- Jana Geršlová: Petschek, Julius. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 268 f. (Digitalisat).
- H. Stekl: Petschek, Julius. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 8, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1983, ISBN 3-7001-0187-2, S. 9 f. (Direktlinks auf S. 9, S. 10).
Personendaten | |
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NAME | Petschek, Julius |
KURZBESCHREIBUNG | böhmischer Großindustrieller |
GEBURTSDATUM | 14. März 1856 |
GEBURTSORT | Kolín |
STERBEDATUM | 22. Januar 1932 |
STERBEORT | Prag |