Ostseehandel

historische und aktuelle gewinn- und leistungsorientierten Austauschhandlungen
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Der Ostseehandel im Ostseeraum bezeichnet die historischen und aktuellen Gewinn- und Leistungsorientierten Austauschhandlungen der dort lebenden oder wirkenden Personen und Personengruppen vom Mittelalter bis zur heutigen Zeit.

Ostseegliederung

Der Raum erfuhr erst seit dem Spätmittelalter eine prägnante herrschaftliche Verdichtung und die Entstehung größerer urbaner Zentren. Deswegen wurde der Ostseehandel in der neuzeitlichen Geschichtsforschung lange als peripherer europäischer Ereignishorizont begriffen (im Gegensatz dazu steht der Mittelmeehrhandel). Diese vergangene Bewertung wandelt sich aber mit zunehmender Intensivierung der Forschungsaktivitäten. Nach Michael North zufolge war die Ostsee in der Frühen Neuzeit Drehscheibe der Weltwirtschaft. Der frühneuzeitliche Ostseehandel basierte auf die Vermittlung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen des ressourcenreichen Nord- und Osteuropas gegen Fertigwaren des gewerblich hochentwickelten Nordwesteuropas. Die Ostsee verknüpfte verschiedene Weltregionen miteinander und ist Kernraum von ertragreichen Austauschbeziehungen gewesen. Deren Beziehungen wurden systematisch in den europäischen Handel verflochten und integriert.[1]

Herrschaftstransformationen des Ostseeraums und Auswirkungen auf den Ostseehandel

 
Ostseeraum

Der Ostseeraum war und ist eine Zone vielfältiger Austauschbeziehungen. Dort lebten seit Urzeiten verschiedene sprachliche Gemeinschaften: Germanen, Slawen, Balten und Finnen zusammen, die sich im Mittelalter, zum Teil aber auch erst in der Neuzeit zu Völkern und Staaten entwickelten. Trotz der sehr unterschiedlichen Anrainer, trotz der ungleichen wirtschaftlichen Entwicklung und trotz der verschiedenartigen geologischen und klimatischen Bedingungen bildete die Ostseeregion frühzeitig eine in sich verbundene Geschichtslandschaft. Erst allmählich wurden der Ostseeraum und seine Territorien auch der Schauplatz politischer und kriegerischer Auseinandersetzungen. Kirchliche, ökonomische und kulturelle Vernetzung verdichtete sich aufgrund der verkehrsmäßig leicht zu bewerkstelligenden Kontakte.

Im Zuge der Christianisierung der einst heidnischen alteingesessenen Bevölkerungsgruppen der Prußen, Liven, Letten und weitere wurde bis 1212 deren Länder von deutschen Kreuzzüglern und Siedlern in Besitz genommen. Dem Deutschen Orden wurden Gebiete zur Bildung eines eigenen weltlichen Staates übertragen. Deutsche Kaufleute gründeten Reval, der Schwertbrüderorden setzte sich gegenüber die Dänen in Estland durch. An der Newa 1240 und auf dem Peipussee 1242 endeten weitergehende deutsche und skandinavische Expansionsversuche. Die Städte Livlands mit der kaufmännischen deutschen Oberschicht und einem aus ihr hervorgehenden Stadtrat an der Spitze gehörten fast alle der Hanse an.[2] Dieser Teil der Ostsee gehörte fortan zum christlichen und westlich geprägten Abendland.

Im Zuge der frühneuzeitlichen hegemonialen Kämpfe, auch als Nordische Kriege bezeichnet, um das Dominium maris baltici war die staatliche Zugehörigkeit einzelner Küstenländer im Laufe der Geschichte häufigen Veränderungen unterworfen. Verschiedene Mächte gewannen jeweils für längere Perioden die Herrschaft über die Ostsee oder zumindest Teile der Küste, so zum Beispiel das Schwedische Reich im 17. Jahrhundert. Diese herrschaftlichen Reiche kontrollierten vor allem den Transit der Meeresengstellen wie den Sund und verfügten damit über wichtige Einnahmen, wobei der Sundzoll die entscheidende Finanzgröße darstellte. Der Getreidehandel war in der Frühen Neuzeit bestimmend. Dieser ging vor allem in die hoch urbanisierte Niederlande und sicherte deren Versorgung ab.

Gleichzeitig war der Ostseeraum Schauplatz eines intensiven Austausches auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Die Verdichtung der Kommunikation mithilfe von Schifffahrt und Handel sowie die Migration von Personengruppen förderten Transformationsprozesse, die zum Teil herrschaftlich-staatlichen Entwicklungen entgegenliefen. So entstanden supranationale Kulturen, wie die der Wikinger und der Slawen (Kiewer Rus, Republik Nowgorod und weitere) oder der Hanse. Auch die Niederlandisierung im 16./ 17. Jahrhundert sowie die Sowjetisierung im 20. Jahrhundert prägten den Ostseeraum.

Sowohl Dänemark, Schweden und Russland errichteten und unterhielten große Kriegsflotten um ihre maritimen Interessen und territoriale Integrität zu schützen. Der Raum war zugleich zwischen 1500 bis 1800 häufiger Schauplatz großer Seeschlachten. Schweden konnte das Meer und den Handel im 17. Jahrhundert aufgrund seiner Flotte als „Mare Nostrum“ vollständig dominieren. Es verlor diesen Status jedoch nach 1700 an Russland und sank fortan zu einer sekundären Macht ab.

Der Ostseeraum als solches durchlief nach 1800 noch verschiedene Wahrnehmungswandel. Russland intensivierte im 18. Jahrhundert seine Herrschaft in den neu dazugewonnenen Ostseeprovinzen Ingermanland, Schwedisch-Estland, Livland und Kurland. Mit Sankt Petersburg entstand ein Fenster zum Westen über das fortan die meisten Austausche mit dem europäischen Westen erfolgten. Russland, die neue nordische Großmacht versuchte fortan geopolitisch ein Nordisches System zu errichten. Es folgte im 19. Jahrhundert ein langanhaltender russisch dominierter Nordischer Friede, der bis zum Ersten Weltkrieg anhielt und der Ostsee den Charakter eines russischen Binnenmeeres verlieh. Der Nationalsozialistische Historiker Erich Maschke entwarf das Bild eines germanischen Ostseeraums. Die 1940 erfolgte sowjetische Okkupation der baltischen Staaten und deren Einverleibung in ihr Territorium, sowie der Verlust der meisten deutschen Gebiete an der Ostseeküste reduzierten das allgemeine Interesse an dieser Region, das vor allem von Emigranten und Heimatverbänden wachgehalten wurde.

Einschneidend waren die politischen Umbrüche von 1989, die der Region zu einer neuen Bedeutung verhalfen. Finnen und Esten nahmen sich verstärkt wahr. Der wissenschaftliche Austausch zwischen Deutschland und den Ostseeanrainerstaaten belebte sich nachhaltig. Schleswig-Holstein eröffnete 1988 die Debatte um eine Neue Hanse, die in Anlehnung an die Städtehanse des Mittelalters die Kooperation der Ostseeländer auf eine neue Basis stellen sollte. Dem folgten kulturelle Initiativen wie die Kunstausstellungen Ars Baltica und das Musikfestival Jazz Baltica. Begleitet wurde dies von den politischen Ereignissen von 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion. Damit veränderte sich die Wahrnehmung des Raumes ein weiteres Mal. Städte und Länder, die als weit entfernt, unbekannt und fremd gegolten hatten, wurden plötzlich in der Nachbarschaft entdeckt und trotz des sichtbaren ökonomischen Verfalls als kulturell ähnlich wahrgenommen. Gleichzeitig entwarfen Politiker den Ostseeraum als Zukunftsregion. Vor allem die skandinavischen Staaten (wo allein Dänemark der EU angehörte) fürchteten, von der Dynamik des europäischen Einigungsprozesses überholt und marginalisiert zu werden. Daher gründeten die Ostseeanrainer auf Initiative der dänischen und deutschen Außenminister Uffe Ellemann-Jensen und Hans-Dietrich Genscher 1992 den Ostseerat, der durch Treffen von Ministerpräsidenten, Außenministern und Parlamentariern die Kooperation auf politischem Gebiet deutlich intensivierte und die Arbeit zahlloser Subkomitees und NGOs inspirierte. Durch die Mitgliedschaft aller Ostseeanrainer sowie Islands im Westen wurde die Ostsee einmal mehr – diesmal politisch – neu definiert. Der EU-Osterweiterung seit 2004, der jetzt alle Ostseeanrainer mit Ausnahme Russlands angehören, und die Verkündung der EU-Strategie für den Ostseeraum 2009 veränderten das Bild des Raumes er-neut. Durch die Ostseeraum-Strategie mit den Schwerpunkten Umwelt, Wirtschaft, Sicherheit und Erreichbarkeit soll die Ostseeregion zu einer Modellregion für regionale Kooperation in der EU werden. Dazu gehören Konstruktionen des Ostseeraumes als Missions-, Handels-, Herrschafts- und Kooperations- bzw. Zukunfts-region(en).

Das wiedererwachte politische Interesse hat der Ostseeraumforschung wesentliche Impulse gegeben.

Auswirkungen des Handels in den Austauschbeziehungen

Ein Medium des kulturellen Austausches war der Handel, ohne den weder die materiellen noch die immateriellen Transfers der interagierenden Kulturen hätten vollzogen werden können. Die Kaufleute überquerten als Erste das Meer und die Waren, die sie brachten, veränderten die abnehmenden Gesellschaften und Kulturen ebenso, wie sich die Bedeutung der Güter im Austauschprozess wandelte. Auch die Mentalitäten der Kaufleute, ihrer Handelspartner sowie der Abnehmer und Konsumenten beeinflusste der Austausch über das Meer. Handwerker, Künstler und Gelehrte nahmen die neuen Ideen auf, verarbeiteten sie und vermittelten sie weiter, sofern sie diese nicht selbst von einer Ostseeküste an die andere kommuniziert hatten. Küsten und die Hafenstädte lagen nahe genug, um zu verbinden, und entfernt genug, um zu trennen. So überquerte die Bevölkerung im Hinterland der Küsten nicht selbst das Meer, war aber von den Folgen des Kontaktes als Produzent und Konsument betroffen. Gleichzeitig bot der wirtschaftliche Austausch die Basis für die Entwicklung von Staaten, die dann wiederum den Handel zu unterwerfen suchten.

Geschichte des Ostseehandels

 
Carta marina der Ostsee, 1539
 
Expansion Schwedens 1560–1660

Antiker Handel

Bereits seit 500 v. Chr. ist der Bernsteinhandel im Baltikum mit dem Mittelmeerraum belegt. Die Bernsteinroute begann an der preußischen Küste bei den baltischen Prußen, führte die Weichsel hinauf, durch die Mährische Pforte, über den Semmeringpass über die Alpen und schließlich nach Aquileia an der Adria, von wo die Ware bis nach Ägypten verschifft wurde. Der Bernsteinhandel blühte zwischen 100 bis 500 nach Christus.

Handel zur Zeit des Frühen Mittelalters und während der Wikingerzeit

Berüchtigt wurden die Seeräuber der estnischen Inseln. Auch die Semgaller und die Kuren gingen der Seeräubreei nach. Um 600 begann die Wikingerzeit, die wiederum von Kaufleuten für ihre Plünderzüge angelockt wurden. Münzfunde beweisen Handelskontakte bis nach Arabien.[3]

Für die Wikinger bot um 800 n. Chr. der Ostseeraum noch große Möglichkeiten der Expansion und der Reichtumsakkumulation. Bereits im 8. Jahrhundert stellten Pelze aus dem Osten ein begehrtes Gut auf den westlichen Märkten dar. In der Folgezeit sollten dann die Ressourcen des Ostens systematisch erschlossen werden. Die geschah vor allem durch die Svear, die in den slawischen Quellen Rus’ oder Waräger genannt werden. Über Don, Wolga oder das Kaspische Meer erreichten sie die arabische Welt in der sie große Silbermengen erhandelten oder raubten (Weg von den Warägern zu den Griechen).

Arabische Quellen berichten:

„Sie unternehmen mit Schiffen Streifzüge gegen die Slawen, bis sie dort angekommen, diese gefangen nehmen und nach der Hauptstadt der Chasaren, Bolgar bringen um sie dort zu verkaufen. Sie besitzen keine Saatfelder, sondern nehmen nur das als Nahrung zu sich, was sie aus dem Land der Slawen ausführen. Ihre Erwerbstätigkeit besteht aus dem Handel mit Zobeln, Eichhörnchen und sonstigen Pelzen. Sie verkaufen diese Pelze ihren Kunden und erhalten dafür ein stilles Vermögen in Münzgeld, das sie in ihre Gürtel einbinden.[4]

Der Handelsraum wurde durch die Anlage von festen Handelsplätzen strukturiert. Diese waren multiethnisch angelegt. Es strukturierten sich folgende Handelszonen:

  • das Gebiet der westlichen Ostsee mit Schonen
  • die südliche Ostseeküste bis zur Odermündung
  • die Region zwischen östlicher Odermündung und Weichselmündung eineschließlich Kurland und der gegenüberliegenden Inseln Gotland und Öland
  • das Gebiet zwischen Mittelschweden und dem Finnischen Meerbusen

Diese vier Zonen waren auch untereinander verbunden.

Die Akteure des Handels waren Schiffbauer, Händler, Handwerker, mitunter auch Sklaven als lebende Ware. Auch Friesen, Angelsachsen, Arabische und jüdische Kaufleute beteiligten sich am Ostseehandel. Juden stellten den Kontakt zur arabischen Welt her und verbreiteten dort Kunde über den Ostseeraum.

Zu den größten Handelsplätzen gehörten zu dieser Zeit das von den Wikingern beherrschte Haithabu an der Schlei, gelegen an der Schnittstelle zwischen Ost- und Nordsee, Reric an der Wismarer Bucht, Wolin (Vineta) an der Oderdelta, Truso im Weichseldelta, Birka im Mälarsee, die Insel Gotland und Staraja Ladoga in Russland, die das Scharnier zum Schwarzmeerhandel darstellte. Es gab auch eine Vielzahl kleinerer und temporärer Handelsplätze wie Menzlin an der Peene oder Ralswiek auf Rügen. Auch dort war die Bevölkerung multiethnisch durchmischt zwischen Wikingern und Slawen.[5]

Haithabu wies einen Hafen mit Landungsbrücken und Stege auf. Auf diesen fand der Handel statt. Die Reichweite des Handels war groß. Tuche aus Friesland, Keramik, Glas, Waffen aus dem Rheinland, Mühlsteine aus der Eiffel, Quecksilber und Zinn aus der Iberischen Halbinsel oder England. Aus Skandinavien wurden Speckstein, Wetzschiefer und Eisen angeliefert, während Bernstein von der östlichen Ostsee kam.[6]

Eine ebenso gewichtige Rolle im Ostseehandel nahm der Handelsplatz Birka im Mälarsee ein. Ein königlicher Amtsträger sorgte unter den einheimischen Handwerkern und ausländischen Kaufleuten für Ordnung. Der Ort war aber auch Überfällen von dänischen Wikingern ausgesetzt. Seine wichtige Mittlerrolle im Ost-Westhandel übernahm um das Jahr 1000 die Insel Gotland, deren Bauernkaufleute sich nicht dauerhaft in Russland niederließen, wie die Svear, sondern nur saisonal handelten und immer wieder auf ihre Insel zurückkehrten. Hier wurde der Großteil des im Ostseeraums befindlichen Silberumlaufs gehortet. Die Geldstücke stammten in zunehmenden Maße aus Westeuropa, insbesondere aus deutschen Münzstätten (vgl. Wikingerzeitliche Münzfunde im Ostseeraum). Der Übergang von regulärem Handel und Piraterie war fließend, Sklavenhandel verbreitet. Reguläre Handelsgüter waren Getreide, Pferde, Honig, Wachs, Pelze und Bernstein neben den bereits genannten Waren aus dem Westen Europas wie Waffen, Tuche oder Mühlsteine. Hinzu kamen auch die örtliche und regionale gewerbliche Produktion wie Kämme und Salz.[7] Anhand der Auswertung der Münzfunde in der Region wird eine positive Handelsbilanz des Ostseeraums im Vergleich zum Nordseeraum vermutet. Seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert versiegen langsam die Münzzuflüsse arabischen Silbers. Die Silberbewegungen kehrten sich um und bedingt durch intensiver werdende Handelskontakte mit England flossen englische Pennies in größerer Zahl in den Ostseeraum.

Der Wikingerhandel hatte im 11. Jahrhundert schon seinen Höhepunkt überschritten. Einerseits schritt die Staatenbildung mit der Formierung von starken Herrschergeschlechtern voran, andererseits verlandeten viele ursprüngliche Häfen oder versanken gar. Nach 200 Jahren brach das Handelsnetz der Wikinger zusammen. Es entstanden dafür neue Handelsorte wie Danzig, Polotsk an der Düna, Reval, Dorpat, Lund, Helsingborg, Roskilde, Uppsala, Söderköping und weitere.[8]

Aufstieg der Hanse im Ostseeraum

Im Süden des Ostseeraums hatte sich inzwischen das Heilige Römische Reich als machtvolles Staatswesen etabliert. Basierend auf einem starken Bevölkerungswachstum und Landknappheit begann dessen feudale Führungsschicht zunehmend, unter maßgeblicher Führung des Herzogtums Sachsen territorial in die noch unerschlossenen angrenzenden östlichen und nördlichen Gebiete zu expandieren. Ab dem 12. Jahrhundert wurde der Ostseeraum im Rahmen der Ostsiedlung zunehmend für den deutschen Handel erschlossen. Seit der Neugründung Lübecks durch Heinrich den Löwen 1159 und der Gründung von Visby auf Gotland schlossen sich die kapitalkräftigen deutschen Fernkaufleute mit ihren Koggen zum Schutz gegen Piraten und Freibeuter in Geleitzügen zusammen. Sie übernahmen fortan die beherrschende Stellung im Ostseehandel, schufen einen einheitlichen Wirtschaftsraum der Ostseeländer und richteten ihr Hauptaugenmerk auf die Befriedung der südlichen und östlichen Küstenzonen des Meeres. Ihre hochbordigen 200-Tonnen Segelschiffe erwiesen sich den bis dahin in der Nord- und Ostsee üblichen Booten skandinavischen Typs mit meist nur 20 bis 30 Tonnen Nutzlast (vgl. Wikingerschiffbau) als überlegen.[9]

Mit dem Artlenburger Privileg fanden deutsche Kaufleute und Gotländer zu einem Ausgleich. Zunächst ging es nur um die gemeinsame Sicherung des Heringtransports vom damals dänischen Schonen zum norddeutschen Festland. Der Heringshandel wurde von den Schonenfahrer betrieben. Im schonischen Falsterbo fand jährlich ein Heringsmarkt statt. Hering war die wichtigste Fastenspeise. Doch bald wurden auch Wolle, Getreide und Salz und weitere Güter gehandelt. Deshalb blieb Visby zwar zunächst die Drehscheibe im Ostseehandel, geriet aber zunehmend mit Lübeck in Konflikt. Das Verhältnis zu Dänemark, das mehrfach in Kriegen umschlug, blieb für die Hanse wichtig. In der Schlacht von Bornhöved 1227 wurde Waldemar II. von norddeutschen Fürsten und von Lübeck, welches zu dieser Zeit schon die größte und aktivste Stadt Nordeuropas war, besiegt. Danach brach die dänische Vormachtstellung im Ostseeraum zusammen. Dieses war der Beginn des Aufstiegs des deutschen Ostseehandels unter der Hanse. Das Hauptsitz der Hanse wurde schließlich von Visby nach Lübeck verlegt. In Lübeck wurden neue Methoden der Buchführung, des Kreditgeschäfts und des Kommissionshandels eingeführt. Die Stadt wurde zum führenden Umschlagplatz der Ostsee und Auswandererhafen für das Baltikum. Der Hafenumschlag war damals größer als der von Hamburg; für 1368 liefen 423 Schiffe ein und 871 verließen den Hafen.[10] Dies beförderten 250.000 Tonnen Ladung.[11]

Die Katholische Kirche versuchte ebenso, im Wendenkreuzzug zu Ende des 12. Jahrhunderts das Gebiet östlich der Elbe bis ins Baltikum zu missionieren. Insgesamt 600.000 Personen aus dem Westen siedelten sich in den kolonialsierten Gebieten an. Überall wurden die Stadtverfassungen Lübecks und von Magdeburg übernommen. Lübecker Recht und Magdeburger Recht wurde im östlichen Ostseeraum bestimmend.[12] Der östliche Ostseeraum erhielt seit 1150 einen starken Zivilisationsschub und Technologietransfer. Deutsche Kolonisten und Slawen verschmolzen in den Folgegenerationen miteinander. Diese deutsche Expansionsphase dauerte etwa 100 Jahre, bis 1240 an. Mit Beginn des Handelsaustausches der Universitas (Hanseatische Organisationsform) der Gotland ansteuernden deutschen Kaufleute, vor allem mit Nowgorod und Polozk, kam es zu Handelsniederlassungen an den Küsten, meist verbunden mit der Errichtung von Kaufmannskirchen.[13]

 
Peterhof, Ziel der Nowgorodfahrer
 
Nowgoroder Marktplatz, im Hintergrund der Nowgoroder Kreml (historisierende Darstellung)

Der Deutsche Ordensstaat arbeitete eng mit der Hanse zusammen. Dieser Staat erreichte von 1350 bis 1400 seinen Machthöhepunkt und zählte rund eine Million Einwohner und verfügte mit Danzig und Königsberg mit vier weiteren Plätzen über bedeutende Handelsplätze der Hanse. Großhandel betrieben die Ordensritter vor allem mit Holz, Bernstein und Getreide.[14]

Die Hanse verfügte bis zum 15. Jahrhundert über ein Handelsmonopol und unterhielt ständige Vertretungen und Kontore in wichtigen Ostseehäfen. Außerdem hatte sie einen großen kulturellen Einfluss auf die Entwicklung vieler Regionen in denen sie Handel betrieb. So wurde deutsche Architektur, Malerei und Bildhauerei verbreitet. Aber auch die Verbreitung von handwerklichen Wissen und der Schriftsprache sind mit der Hanse eng verbunden. Lübeck ging 1241 einen Bund mit Hamburg ein. Beide Städte dominierten nun an der Elbe und der Deutschen Bucht. Der Bund erweiterte sich 1259 weiter, nachdem Wismar und Rostock beitraten. 1358 umfasste die Hanse 200 Städte. Damit war dieser Städtebund mit Abstand der Mächtigste in Europa geworden. Bedeutende Handelsbeziehungen der Hanse existierte mit dem Peterhof auch zur Republik Nowgorod. Der nördliche-maritime Ost-Westhandel wurde ebenso von der Hanse dominiert und reichte von Nowgorod im Osten bis Brügge und London im Westen.[15] Die Hanse entwickelte sich weiter zu einem Kampfbund, der erforderlichenfalls auch den Krieg mit militärischen Mitteln nicht scheute und über ein Bundesheer und eine Bundesflotte verfügte. Bei Handelskriegen wurden in Form der Verhansung Warenboykotte eines Hafens oder eines Landes ausgesprochen. Beschlüsse dazu wurden auf Hansetagen gefasst. Die Hansepolitik beinhaltete folgende wiederkehrende Handlungsmuster zur Wahrung und Sicherung der gemeinsamen Interessen im Fernhandel und der Schiffahrt:

  • Gewährleistung von Handelsvorteilen durch:
  • Stapelrecht für eigene Waren an fremden Plätzen
  • Stapelzwang für fremde Kaufleute in den hanseatischn Häfen
  • Einrichtung gemeinsamer Niederlassungen
  • Bestellung von Schiedsgerichten in Handelssachen[16]

Zu den bedeutendsten Ostseehandelsmetropolen im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit gehörten Danzig, Königsberg, Riga, Stockholm, Rostock, Lübeck, Greifswald, Stettin, Kopenhagen, Reval, Nowgorod, später ab dem 18. Jahrhundert Sankt Petersburg. Auch Hinterlandstädte mit Flussverbindungen gehörten zum Wirtschaftssystem des Ostseehandels. Bedeutende Zubringerwasserstraßen waren und sind die Oder und die Weichsel.

 
Olaus Magnus: Fischfang (1555)
 
Privileg von Waldemar II. an Lübeck zur Unterhaltung eines Seezeichens auf Falsterbo (um 1220)

Der Handelsplatz Lübeck war der wichtigste Handelsknotenpunkt im Nord- und Ostseehandel im Mittelalter. Folgende regionale Handelszentren entwickelten spezialisierte Handelsproduktschwerpunkte: Visby Pech und Teer, Reval Wachs und Flachs, Rostock Malz, Danzig Gerste und Weizen, Stettin Fisch. Insbesondere der Bierhandel hatte für die Hanse eine hohe Bedeutung. Allein aus Lübeck wurden 1368 1673 Tonnen Bier nur nach Schonen verschifft, 104 Tonnen nach Gotland und 24 Tonnen nach Kahrmar. Bezogen auf den Heringshandel wird die Gesamtzahl der Einfuhr von Heringsfässern in die Hansestädte zu Ende des 14. Jahrhunderts auf jährlich 150.000 Fässer geschätzt, wovon die Hälfte nach Lübeck ging.[17]

Verdrängungskampf zwischen Hanse und Niederländern

Im endenden Spätmittelalter und zu Beginn der Renaissance war Europa ungleich entwickelt. West- und Südeuropa waren politisch, ökonomisch, technisch und kulturell vergleichsweise hoch entwickelt. Gleichzeitig waren sie arm an Rohstoffen. Das Bevölkerungswachstum des 16. Jahrhunderts erschwerte die Versorgung der Menschen dort, weil nicht genügend hochwertiges Ackerland zur Verfügung stand. Nord- und Osteuropa hingegen waren in fast jeder Hinsicht unterentwickelt, verfügten dafür aber über Rohstoffe und große Acker- und Weideflächen. Der Ausgleich zwischen den beiden Wirtschaftszonen geschah im Spätmittelalter vor allem in Süd-Ost-Richtung. Den Handel im Ostseeraum, das heißt mit Rohstoffen, Fisch und Getreide, beherrschte weiterhin die Hanse.[18]

Doch das Hansemonopol wurde seit dem Spätmittelalter von der aufstrebenden Handelsnation Holland und Seeland zunehmend erfolgreich untergraben. Diese Region Europas war nicht von den allgemeinen demographisch-wirtschaftlichen Krisenerscheinungen des Kontinents im 14. Jahrhundert betroffen. Dort im Zwischengebiet zwischen Meer und Land führten die landschaftlich bedingten Grenzen zu Konzentrationsprozessen und zur Etablierung von arbeitsintensiven Verarbeitungsindustrien, die vor allem auf den Export ausgerichtet waren. Es mangelte daher an Getreideerzeugnissen zur Versorgung der eigenen Bevölkerung. Dieses Gut lag wiederum in großen Überschüssen im südlichen Ostseeraum (Zentrum Danzig und Stettin) vor. Die Getreideversorgung durch auswärtige Märkte, vor allem in der Ostsee wurde zu einem essentiellen Bestandteil des holländischen Wirtschaftsmodells.[19]

Weil der kontinuierliche Getreideimport mit einem Güterangebot bezahlt werden musste, boten die Niederländer im Austausch gegen Getreide eigene Produkte an. So gewannen sie allmählich Marktanteile für Bier, Tuch und Nordseehering. Diese Produkte waren Nachahmungen oder Varianten der flämischen und hansischen Markenartikel, aber dafür billiger als ihre Vorbilder. Daneben waren es vor allem Schiffe und Frachtdienstleistungen, die den Holländern den Zugang zum Ostseeraum öffneten. Dort war Schiffsraum knapp. Die Holländer hatten aber eine starke Schiffbauindustrie etabliert und verfügten über große Fischereiflotten, mit denen sie im Nordatlantik nördlich von Schottland die dort reichlich vorhandenen Heringsbestände einholten. In dem Maß wie der Getreideexport von der Ostsee in die Gewerberegionen des Westens zunahmen, stieg auch der Bedarf an holländischem Schiffsraum. Dadurch entstand eine zunehmende Konkurenzsituation mit den Hansischen Städten, darunter Wismar, Lübeck, Rostock, Greifswald und Stralsund. Diese sahen ihre Positionen im Zwischenhandel und im Warentransport auf der Ost-West-Route bedroht. Den Hansestädten gelang es aber weder mit friedlichen, noch mit kriegerischen Mitteln, den holländischen Zugang zur Ostsee zu begrenzen. Die preußischen Städte Königsberg, Danzig, Thorn und Elbing waren dagegen stark auf die holländischen Schiffstransporte angewiesen.[20] 1490-1492 liefen in Danzig jährlich 562 Schiffe ein und 720 Schiffe aus. Im Vergleich zur Zeit von 1368 (400 ein- und 634 auslaufende Schiffe) bedeutete dies einen Anstieg des Warenhandels um rund 24 Prozent.

Die gesamte Hanseatische Handelsflotte zählte Ende des 15. Jahrhunderts 1000 Schiffe und ihre Tragfähigkeit betrug 60.000 Bruttoregistertonnen. Ende des 16. Jahrhunderts war die Gesamttonnage der Hanse bereits auf 110.000 Tonnen angestiegen. Ein hundert Jahre später war die Flotte geschrumpft. Die Niederländische Handelsflotte war zu Ende des 15. Jahrhunderts genau so groß wie hanseatische Flotte mit rund 60.000 Tonnen. Ihre Gesamttonnage stieg aber schneller an als die hanseatische und betrug Ende des 16. Jahrhunderts bereits 232.000 Tonnen und war damit mehr als zwei mal so groß die hanseatische Flotte. 1670 zählte die niederländische Flotte 3510 Schiffe mit 600.000 Tonnen Traglast. Von diesen 3510 Schiffen entfielen noch 735 Schiffe für den Ostseehandel. Diese hatten eine Traglast von 200.000 Tonnen, also rund ein Drittel der Flotte nach Tonnage befuhr primär die Ostsee.[21]

Das holländische Handelsnetzwerk verstärkte sich immer weiter, vor allem auch durch die Brabanter Messen in Antwerpen und Bergen op Zoom, wodurch die holländischen Kaufleute ihr Spektrum an Handelsprodukten immer stärker erweitern konnten.[22] Für den Schiffbau Hollands wurden die Importe von Teer und Pech aus dem östlichen Baltikum grundlegend bedeutend.[23]

Im Gegenzug wurde die Hanse zunehmend durch das Erstarken der Landesherrschaft der Fürsten geschwächt, die viele Städte ihrer Handlungsfreiheit beraubten. Hinzu kam der wachsende technologische Rückstand gegenüber Niederländern und Engländern, die über bessere und kostengünstigere Schiffe verfügten. Auch wanderten die Heringsschwärme aus bis heute nicht bekannten Ursachen von der Ost- in die Nordsee. Dadurch büßte die Hanse eine ihrer wichtigsten ökonomischen Grundlagen ein. Auch ein technologischer Vorsprung konnten die Niederländer erreichen, die letztlich die Vorherrschaft der Hanse im Ostseehandel beendete.

Die Kernelemente des holländischen Handels waren schon vor 1368 — als Holland an der Seite der Hanse Krieg gegen Dänemark führte und dadurch seine Position auch in Schonen ausbauen konnte — etabliert.[24] Die Beteiligung der Holländer am Krieg gegen Dänemark von 1367–70 führte zum Erwerb von Festungen an der Küste Schonens. Von hier aus haben sie wahrscheinlich die Technik erlernt, den Hering auszunehmen, einzupökeln und in Holzfässern zu je tausend Stück einzulagern. Die Hanse betrachtete diese Aktivität als eine Bedrohung ihres Monopols der Schonenmessen und verbot 1384 den Holländern, Hering vor der Küste Schonens zu fangen. Doch importierten Seeländer noch 1399 Schonenhering nach Great Yarmouth.[25] Die Schonenmessen wurden von den Holländern benutzt, um Tuch, an den preußischen Ordensstaat und Livland im Tausch gegen Roggen zu verkaufen. Bereits 1384 traf die Hanse Maßnahmen gegen die Einfuhr des holländischen Tuchs und des holländischen Herings in die Ostsee. 1377 und 1385 wurde erwähnt, dass die Holländer und Seeländer regelmäßig in die Hansestädte importierten und 1401 und 1402 war vom Import Leidener Tuchs nach Russland und Danzig die Rede. Dabei ist auch englisches Tuch von einem Amsterdamer Schiffer transportiert worden. 1413 wurde ein holländischer Händler in Reval erwähnt, der trotz des Handelsverbots Getreide ausgeführt hatte. 1416 gab es Beschwerden auf dem Hansetag gegen holländische Getreideeinkaufe. Ein Jahr später äußerte ein deutscher Kaufmann in Brügge eine Beschwerde gegen den direkten Handel zwischen Holland und Livland und wünschte, dass dieser verboten wird. In Livland traten die Holländer fortan unmittelbar mit den Produzenten in Verbindung.[26] Trotz protektionistischer Maßnahmen befuhren immer mehr niederländische Schiffe die Ostsee und durchdrangen diese expansionistisch und aggressiv.[27]

 
Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen wurde 1428 zweimal von Hanseschiffen angegriffen (Holzstich, 1870).
 
Historische Schauplätze der Vitalienbrüder um 1400
 
Historistische Darstellung der Kriegsflotte des Deutschen Ordens

Die Einführung des Sundzolls im Jahr 1429 (erst 1857 abgeschafft) durch Dänemark für nichtdänische passierende Schiffe führte zum Krieg mit der Hanse. Die Kanonen von Schloss Kronborg an der engsten Stelle des Öresunds setzen die Abgabe durch. Die niederländische Sundfahrt betrug 1547 1105 und 1557 1270 Schiffspassagen.[28] Zwar blieben die Massengüter Getreide und Holz als auch das Salz des Westens auf den Schiffsweg über den Sund angewiesen. Doch der 1398 fertiggestellten Stecknitzkanal aber auch der wichtigste Landweg der Hanse, der Überlandweg von Lübeck über Oldesloe nach Hamburg, die Nordsee-Ostsee-Straße boten Alternativen.

Um 1400 störten die Vitalienbrüder mit Klaus Störtebeker als einen der Anführer den Handelsverkehr in der Ostsee. Diese führten für die Schweden Kaperfahrten durch und versorgten das fünf Jahre lang belagerte Stockholm als Blockadebrecher mit Gütern. Bei ihnen handelte es sich um eine auf den Seekrieg spezialisierte Söldnervereinigung, die zur Piratenbande entartet war. Sie wurden durch eine Flotte des Deutschen Ordens von ihrem Stützpunkt in Gotland und dann auch von der Hanse aus der restlichen Ostsee in die Nordsee vertrieben.

Solchen kriegerischen Erfolgen zum Trotz wurde die Hanse schwächer. Die skandinavischen Staaten waren stärker geworden. Schweden, zuerst mit Dänemark, dann mit Rusland entzogen den Hansestädten allmählich die früheren Vorrechte. Die Beschwerden der hansischen Kaufleute häuften sich besonders am Ende des 16. Jahrhunderts. Auch das Großfürstentum Moskau unter Iwan III. konnte nach dem jahrhundertelangen Einbruch durch den Mongoleneinfall die Sammlung der russischen Erde stark voranbringen, die Republik Nowgorod erobern und 1494 den Peterhof in Nowgorod schließen. Dadurch wurde der südliche Landhandelsweg von Kiew nach Leipzig über die Via Regia deutlich gestärkt. Hinzu kam, das der Deutsche Orden, der der Hanse stets Rückhalt geboten hatte, als regionale Macht ausschied.[29]

Die Hansestädte versuchten 1423, holländische und englische Güter aus der Ostsee zu verbannen. Hansischen Schiffern und Mannschaften wurde 1428 verboten, holländische oder englische Güter nach Preußen zu bringen; die Holländer selbst durften auch keine preußischen Waren transportieren. Der Bau von Schiffen sowie deren Verkauf an Holländer, Flamen und Lombarden wurde den Hansen 1434 und 1435 untersagt. Die vielen Konflikte anlässlich von Verhaftungen zeigten jedoch eine starke holländische Präsenz und die protektionistischen Maßnahmen hatten keinen Erfolg. So wurde 1434 in Livland verboten, die Güter weiter zu bringen als zum Kai und Dolmetscher oder Makler zu gebrauchen. Jedoch unterstützten der Hochmeister des Deutschen Ordens und die Stadt Danzig ihre holländischen Handelspartner, die zusätzlich bereit waren, einen Schilling Steuer auf Importe und zwei Pfennig auf Exporte zu zahlen. 1436 durchbrach der Herzog von Pommern das Fahrverbot Richtung Holland.[30] 1475/76 wurde bereits ein Viertel des Danziger Schiffsverkehrs von niederländischen Schiffen bestritten. Der Rest im wesentlichen von der Hanse. Die Niederländer bauten ihre Anteile aber stetig aus.

Neben Hering und Tuche exportierten die Holländer auch Bier in die Ostsee im Gegenzug für den Import von Getreide. Es war aber oft schwierig, Hinfracht in gleicher Menge zu finden. So betrug der Anteil holländischer Schiffe, die in östlicher Richtung durch den Sund mit Ballast fuhren ein Drittel. Als weitere Handelsalternative bot sich Salz an. Entlang der Maas, in der Gegend von Dordrecht, gab es 1570 50 Salzpfannen und in Seeland weitere 150. Das Salz von den atlantischen Küsten, von Bourgneuf bis Setubal, wurde immer preisgünstiger und konnte gegen das Lüneburger Salz konkurrieren. In Reval kostete eine Last Roggen um 1550 soviel wie zwei Last Salz in normalen Jahren und soviel wie vier Last Salz bei Getreideknappheit. Da sich die Holländer weiter auf den schnellen und preiswerten Transport von Getreide, Holz, Heringen und Salz konzentrierten, verdrängten diese die Hanse zunehmend erfolgreich aus dem Westhandel. In den Ostseeraum gelangten die Heringe der Nordsee, das Salz der Biskaya, Wein aus Frankreich im Gegenzug zu schwedischem Eisen und Kupfer, in erster Linie wurden aber Getreide, Holz und Waldwaren eingetauscht.[31]

Vor allem ökonomische und militärische Interessen sorgten für eine Intensivierung der militärischen Konflikte der Ostseeanrainer. Während Dänemark, Schweden und Polen um die Herrschaft über die Ostseeküsten kämpften und dieses dominium maris Baltici auch publizistisch begründeten, suchten die Niederlande die Interessen ihrer Kaufleute und die Schifffahrt allgemein zu schützen. Schon 1493 hatte ein Amsterdamer Kriegsschiff ein Hamburger Schiff aus den Händen von – wohl mit Schweden verbündeten – Kaperern gerettet. Daraufhin empfahl der starke Mann Schwedens, Sten Sture, den Amsterdamern, sie sollten ihn für den entgangenen Gewinn entschädigen, sofern sie künftig noch Interesse an der Ostseeschifffahrt hätten. In den nächsten Jahren ist die niederländische Sorge um den Ostseehandel allgegenwärtig und führt zur Konstruktion von regional-strategischen Ansprüchen. Die Ostsee wurde nun als essentiell für die Wirtschaft Flanderns und Hollands gesehen. Angesichts der Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und der Hansestadt Lübeck, die ein Ostsee-handelsmonopol beanspruchte, schien der Zugang zur Ostsee für niederländische Kaufleute gefährdet.

Im Ergebnis des Konkurrenzkampfs zwischen Hanse und den Niederlanden bedeutete dies für den gesamten Ostseeraum einen Bedeutungsverlust. Auch aufgrund der gewachsenen Bedeutung des Atlantikhandels mit den Kolonien Amerikas verlagerte sich die Bedeutung der Ostsee zu einem peripheren Randgebiet der Nordsee. Von den globalen Handelsströmen profitierten im Norden fortan Bremen, Hamburg, Emden und die englischen Häfen.[32]

Vorherrschaft der Niederländer im Ostseehandel

Der Dänisch-Hanseatische Krieg von 1509 bis 1512 führte dazu, dass die Holländer die gleichen Rechte im Ostseehandel erhielten wie die Hanse. Holländer und Seeländer fungierten als die Nachfolger der Hanse und als Vermittler zwischen Ost- und Nordsee.

Nachdem der Dreißigjährige Krieg die Eisenlieferungen aus Norddeutschland unterbrochen hatte, blieb Schweden der größte und für die Niederlande und England am bequemsten zu erreichende europäische Eisenlieferant. Schweden trat zwar als Handelskonkurrent zur Niederlande auf, doch die Niederlande waren auf die Eisenimporte angewiesen und unterstützten ebenso wie England die schwedische Großmachtstellung.[33]

Der schwedische Handel wurde nur zu einem geringen Teil von Schweden selbst organisiert. Der Transport schwedischer Waren war Sache der Abnehmer. Diese waren vornehmlich Engländer und Niederländer, die die Rohstoffe vor Ort erwarben. Schwedens Handelsflotte war zu klein um den beiden Großhandelsstaaten Konkurrenz zu machen. Mit dem Warentransport konnte ddie Exportnation Schweden daher auf Dauer keinen Gewinn machen. Es verfügte allein über die Umschlagplätze.[34] Hierzu richtete der Staat in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts königliche Warenhäuser ein, in denen die Einkünfte der Krone in Form von Eisen, Kupfer, Butter, Lachs und Häuten gestapelt wurden, um sie gegen Importwaren einzutauschen. Auf diese Weise wurde der Handel auf wenige Plätze im Reich konzentriert und so unter Kontrolle des Staats gehalten, mit dem Ziel der Einnahmemaximierung. In den großen schwedischen Ausfuhrhäfen des schwedischen Reichs dominierten vor allem englische und niederländische Schiffe. Schweden fokussierte sich weiter auf die Kontrolle wichtiger Handelsknotenpunkte. Das Schwedische Reich sollte als Zwischenhändlerimperium fungieren, wozu die wichtigen Hafenstädte an den Mündungen der großen Ostseezuflüsse gesichert werden mussten, damit das Hinterland unter Kontrolle gehalten werden konnte. Gegenüber Dänemark trotzte Schweden die Befreiung vom Sundzoll ab. Der schwedische Staat verfolgte zeitgemäß eine merkantilistische Handelspolitik. Es richtete 1651 das bis heute fortbestehende Kommerzkollegium für den Handel, die Handelseefahrt und einige weitere Aufgaben ein. Trotzdem war der schwedische Staat an dem Ostseehandel insgesamt weniger beteiligt als die Engländer und Niederländer. Der Schwerpunkt der schwedischen Handelskontrolle im Ostseeraum war die Zollpolitik gegenüber den Fernhandel treibenden Küstenstädten innerhalb des Reiches. Es baute ein einheitliches Zollsystem auf und strebte eine maximale Ausbeute fremden Handelskapitals an.[35] Eine typische Erscheinung des schwedischen Merkantilismus war die Gründung von Handelskompanien nach englischen und niederländischen Vorbild.[36]

Getreide ging im 17. Jahrhundert wegen des anhaltenden Preisverfalls auch insgesamt am Anteil des Ostseehandels zurück.[37]

Im 16. Jahrhundert entwickelten niederländische Schiffskonstrukteure mit der Fleute einen neuen Schiffstypus. Ein solches Schiff war vier- bis sechsmal so lang wie breitwie bisherige Schiffstypen der Ostsee und konnte daher mehr Ladung aufnehmen als alle anderen bekannten Modelle. Zudem benötigte es weitaus weniger Besatzungsmitglieder als andere Schiffe. Dadurch konnten die Niederländer die gesamte Konkurrenz im Ostseeraum hinter sich lassen. Der Ostseehandel, der das Rückgrat des niederländischen Wirtschaftswunders bildete, wurde von den Zeitgenossen als „moedercommercie“ („Mutter aller Commercien“) bezeichnet.[38] In den 1580er Jahren wurde ungefähr die Hälfte der Danziger Im- und Exporte über niederländische Schiffe abgewickelt. Der Anteil stieg später noch weiter auf 60 bis 70 Prozent an.[39]

Als Oostland wird in den niederländischen Quellen dieser Zeit die Interessensphäre des niederländischen Handels definiert. Der Ablauf des Waffenstillstands mit Spanien 1621 brachte eine schwere Krise für den niederländischen Ostseehandel mit Getreide. Wallenstein erließ ein Ausfuhrverbot im November 1621, um den holländischen Ostseehandel zu vernichten. Die Hansestädte folgten dem aber nicht. Die Waren aus Indien, mit denen die Holländer das Getreide bezahlten, nahmen mit der Zeit zu. Dies führte zu Preisminderungen und der Ostseehandel ging insgesamt zurück.

Neben dem Getreide, das an der südlichen Ostseeküste vor allem in Danzig gekauft wurde, wurden ebenso Schießpulver, Eichen, Masten, Stahl, Leinwand in Danzig erworben, aus Pommern und Preußen wurde Pottasche, Schiffsholz, Teer, Pech, Flachs und Wolle importiert. Königsberg und Riga, Reval, Narva verkauften vornehmlich Flachs und Hanf. Schweden erzeugte Fichten- und Tannenbretter, Masten, Harz, Steinkohlenteer, Holzteer (Schiffspech), Eisen, rotes Kupfer. 1617 erhielt Schweden die Erlaubnis, in den Generalstaaten Geld zu erheben, gegen Verpfändung der königlichen Kupferminen. Lodewijk de Geer war der Hauptgeber der Anleihegelder. Die Niederländer betätigten sich in der Folgezeit auch als Pächter der Erzminen in Schweden.[40] Etwa 300 bis 500 Schiffe der Holländer wurden in dieser Zeit für den Ostseehandel verwendet. Ein Schiff hatte etwa eine Besatzung von 14 Mann, die Tonnage lag bei 200 bis 400 Tonnen. Um die Kriegskosten bewältigen zu können, erhob der schwedische König Gustav II. Adolf in den von Schweden besetzten Ostseehäfen Zölle. Dies betrafen Pillau, Memel, Danzig.[41] Das Holz wurde ebenso wie die Nebenprodukte Pech, Teer und Asche für den Schiffbau und die gewerbliche Produktion genutzt. Die Heringsverarbeitung benötigte in großen Mengen vorfabrizierte Fassdauben, das sogenannte Klappholz aus dem Ostseeraum, während die Seifensieder Hauptabnehmer der Danziger und Königsberger Asche waren. Das importierte Getreide sicherte weiterhin die Ernährung der heimischen Bevölkerung.[42]

Für den Ostseehandel konstituierte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Direktorium, das aus drei Kaufleuten und drei Reedern bestand und die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen in Sachen Ostseehandel und -schifffahrt beriet. Daneben vertrat ein Direktorium des Moskowitischen Handels die Russlandhändler. In England etablierten sich bereits im 16. Jahrhundert vergleichbare Strukturen. Dort widmete sich die 1579 gegründete Eastland Company (Merchants of Eastland) dem Ostseeraum und die Muscovy Company seit 1555 Russland, das sie über das Weiße Meer zu erreichen suchte.

Niederländische Politiker, wie Johan de Witt, Coenraad van Beuningen im 17. Jahrhundert und Anthonie Heinsius während des Großen Nordischen Krieges entsandten zum Schutz der eigenen Handelsinteressen Kriegsschiffe in die Ostsee.

Im 18. Jahrhundert

Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging die Getreidezufuhr aus dem Ostseeraum nach Westeuropa deutlich zurück; diese Tendenz setzte sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fort. Sie wurde verursacht durch eine stagnierende Bevölkerungsentwicklung und die Zunahme eigener Getreideproduktion in Westeuropa.[43]

Als um 1700 der Große Nordische Krieg ausbrach, hatte dies nachhaltige negative Folgen für die Wirtschaftskonjunktur im Ostseeraum. Der Rückgang des Ostseehandels, der sich, mit gewissen Schwankungen, bis in das zweite und dritte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts fortsetzte, folgte der europäischen Konjunkturlage. Die Königsberger Kaufleute besaßen im Jahre 1704 kein einziges eigenes Schiff mehr. Die alten Verkehrsbeziehungen brachen vollständig ab. Indizien zeigen einen Zusammenhang zur kriegsbedingten niedergehenden Ostseekonjunktur.[44] Vor allem 1709 und 1710 wurde die Getreideausfuhr aufgrund den von der Großen Pest verseuchten Ostseehäfen gesperrt.[45] Dänemark und Schweden machen 1720 in der Präambel des Frederiksborger Vertrags auf den vorangegangenen großen Schaden für den Handel in der Ostsee aufmerksam.

Dennoch gab es in dieser Zeit einen neuen Ansatz für die zukünftige Handelsblüte und zwar durch Russland, das als Kriegssieger die beherrschende Stellung im Ostseeraum von Schweden einnahm. Das in der Kriegszeit gegründete Petersburg entwickelte sich als russisches Fenster zum Westen in der Folgzeit kräftig. Die Förderung Sankt Petersburgs vollzog sich unter der Opferung des Außenhandelsplatzes Archangelsk, worüber bis dahin große Teile des russischen Handels mit dem Westen abgewickelt worden wurde. Ein Edikt des Zaren Peter I. von 1713 lenkte die russischen Warenströme fortan nach Petersburg. Russlands Schutzzölle waren akzeptabel, Handelsverbote wurden westlichen Kaufleuten nicht auferlegt. Die russsiche Kaufkraft stieg deutlich an. Nach dem Niedergang von Danzig als Handelszentrum wurde Russland der einzige Großabnehmer von Kolonialwaren. Insbesondere der Handel mit Zucker über Hamburg gewann im Ostseehandel an Bedeutung.[46] Zu den Kolonialwaren zählten neben Zucker (meist über Hamburg raffinierter Zucker) und Sirup, daneben Reis, der auch amerikanischer oder italienischer Herkunft sein konnte, Farbhölzer, Tabak, Kaffee, Indigo, Ingwer und Pfeffer allerdings in viel kleineren Mengen.

Vor allem bei der Lieferung der ost- und westindischen Waren spielte neben Lübeck auch Kiel eine Rolle.[47] Der Kolonialwarenhandel war auch der führende Sektor des dänischen Handels mit Lübeck, dessen Höhepunkt 1783 erreicht wurde (1765: 934 Tausend Pfund Zuckerlieferung von Kopenhagen nach Lübeck). Kopenhagen wurde der größte Verteiler von Zucker im Ostseeraum. Der Sundverkehr wurde im 18. Jahrhundert trotz der Zollbelastung für Zucker zunehmend genutzt. Als neutrale Macht konnte Dänemark während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs ungehindert seinen Geschäften nachgehen und eine Nische aufbauen. Die Dänen bezogen mittels der dänischen Asiatisk Kompagni ebenso chinesischen Tee aus Kanton, der dann über Kopenhagen ebenso nach Lübeck und anderen Ostseehäfen verschifft wurde.[48] Gleiches gilt für den Handel mit Kattun, einem baumwollenen Stoff der aus Indien kam. Nach 1790 versiegte dieser Produkthandel wieder.

Die durch den Sund auf Schiffen aus den Niederlanden exportierten Mengen hatten ihren Höhepunkt mit 373.000 Last Roggen und 164.000 Last Weizen in den Jahren 1681-1690 erreicht. Diese Menge ging bis auf 90.000 bzw. 52.000 Last im Jahrzehnt 1741 bis 1750 zurück. Eine Erklärung dafür liefert der Rückgang des niederländischen Gesamthandels in diesen Zeitraum. In absoluten Zahlen konnte dieser zwar um 1750 im Vergleich zum Klimax um 1690 stabil gehalten werden, doch im relativen Verhältnis machte der niederländische Handel im Welthandel einen deutlich geringeren Anteil aus. Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich der niederländische Ostseehandel, insbesondere der Handelsverkehr mit Russland infolge der steigenden Teilnahme Großbritanniens und der skandinavischen Länder bedeutend verringert. Der zwischen 1780 bis 1783 geführte Seekrieg mit Großbritannien untergrub vollends die Handelsmacht der Niederlanden.[49]

Eisen gewann im 18. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung im Ostseehandel. Seit den 1730er Jahren erschien mit Sankt Peterburg als bedeutender Eisenexporteur ein starker schwedischer Handelskonkurrent. Seit den 1760er Jahren waren die russischen Eisenexporte den Schwedischen, die nahezu im gesamten 18. Jahrhundert stabil blieben, deutlich überlegen. Besonders für England war der Eisenhandel mit Russland wichtig. Den Ostseehandel beherrschte im 18. Jahrhundert Russland.[50] Daneben waren Segeltuch und Juchten (Rindsleder) typisch russische Produkte. Diese Waren wurden über Petersburg-Lübeck-Hamburg nach Westeuropa vertrieben und bildeten eine der Hauptkomponenten des russischen Außenhandels der Frühen Neuzeit, obwohl die Bedeutung im russischen Außenhandel im 18. Jahrhundert sank. Hanf wurde vornehmlich über Sankt Petersburg, Riga, Libau und Königsberg nach Riga importiert. Bei der Flachszufuhr hatten die baltischen Häfen den Vorrang. Die meiste Menge an Leinsaat, die Lübeck vor allem aus Riga und Libau beschaffte, zog Hamburg an sich.[51]

Angeheizt durch eine vom Kolonialhandel profitierende gute Konjunktur in ganz Europa und durch den Bau des Nord- und Ostseeverbindenden Eiderkanals erlebte der Ostseehandel im ausgehenden 18. Jahrhundert, etwa seit 1776 eine neue Blütezeit.[52] Die Blütezeit des 18. Jahrhunderts endete abrupt mit dem Beginn der Napoleonischen Kriege.

Bis dahin hatten die deutschen Ostseehäfen aber im Vergleich zu den deutschen Nordseehäfen einen größeren Umschlagsverkehr aufzuweisen. 1791 liefen in Bremen und Hamburg insgesamt 1972 Schiffe ein. Demgegenüber passierten alleine 3539 Schiffe der deutschen Ostseehäfen den Sund. Fast die Hälfte der Ladungen war für Großbritannien bestimmt. Königbergs Schiffsverkehr übertraf zu der Zeit den Bremischen um das Dreifache, selbst Stettin hatte noch den doppelten Verkehrsumfang gegenüber Bremen aufzuweisen. Der gesamte Sundverkehr betrug in diesem Zeitraum rund 10.000 Schiffe jedes Jahr.[53]

19. Jahrhundert

Bis 1835 waren zwei Drittel der deutschen Schiffstonnage in Ostseehäfen beheimatet. Preußen dominierte hier als Handelsmacht und versuchte, die eigene Schiffahrt zu fördern. Im mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts stieg der Nordseehandel stärker an als der Ostseehandel, auch wenn der preußische Handel über die Ostsee weiterhin zunahm.[54] Die geografische Nähe der Nordsee zum Transatlantikhandel wirkte sich für die Folgeentwicklung günstiger aus, so das bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Nordsee den Großteil der atlantischen Handelsbeziehungen auf sich zog. Der Ostseehandel ging in der Bedeutung zurück. Durch den Bau des Nord-Ostseekanals wurde Hamburg der bedeutendste Umschlagshafen des Ostseehandels.

1838 wurden über die russischen Ostseehäfen (primär Sankt Petersburg, sekundär Riga und weitere kleinere Häfen wie Libau, Pernau, Reval, Narva) insgesamt 190 Millionen Rubel exportiert und 170 Millionen Rubel importiert. Das Handelsvolumen betrug folglich 360 Millionen Rubel. Das Gesamthandelsvolumen Russlands betrug 543 Millionen Rubel. Folglich betrug der Anteil des russischen Ostseehandels am Gesamthandel etwa zwei Drittel.[55] Nach der Reichsgründung 1871 erfolgte keine spezifische Ausrichtung des Deutschen Kaiserreichs auf die Ostsee. Die Ansprüche waren größer, globaler und für das kleine Binnenmeer vor der eigenen Haustür gab es kaum Aufmerksamkeit.[56]

Neuzeit

Russland stand an erster Stelle der Getreidelieferanten Deutschlands. Der Transport vollzog sich überseeisch über die Ostseehäfen. 1890 bezog Deutschland noch 85,3 % seines gesamten Roggenbedarfs aus Russland, 1891 73,5 %, 1892 nur noch 22,5 %. So bedeutete der Rückgang der deutschen Getreideeinfuhr eine weitere Schädigung des deutschen Ostseehandels.[57]

Der für Deutschland wichtige Seehandel zur Einfuhr schwedischen Erzes konnte während des gesamten Ersten Weltkriegs beinahe ungestört weitergehen. Deutschland hatte die Seeherrschaft inne.

Der Ostseeandel erreichte erst Ende der 1920er Jahre wieder das Vorkriegsniveau, wurde dann aber erneut durch die Weltwirtschaftskrise stark in Mitleidenschaft gezogen. Die deutschen Ostseehäfen wurden durch den Hamburger und Danziger Hafen als auch in Konkurrenz um Hafen Gdingen marginalisiert.[58] Im Zweiten Weltkrieg konnten die deutschen Streitkräfte die Sicherheit der Handelsschiffahrt in den ersten Kriegsjahren gewährleisten, auch weil sie die Zugänge der Ostsee seit 1940 kontrollierten.

Im 21. Jahrhundert hat vor allem der Energiehandel stark an Bedeutung zugenommen. Der Baus der Erdgaspipeline Nord Stream und Nord Stream 2 intensivierten die Austauschbeziehungen zwischen Russland und Deutschland.

Auch die skandinavischen Länder erleben durch die Öffnung nach Osten einen Anstieg des Handelsvolumens mit den Ländern Osteuropas. Im gesamten Ostseeraum leben 70 Millionen Menschen. Die wirtschaftliche Dynamik der baltischen und osteuropäischen Staaten bedeutet in den kommenden Jahren weiteren Zuwachs. Ein Viertel aller in Hamburg umgeschlagenen Container entfällt auf den Ostsee- und Osteuropahandel. Damit besitzt der Hamburger Hafen die Stellung als Drehscheibe und Vorreiter im Ostseehandel. Durch den Lübecker Hafen samt Containerterminal (CTL) laufen alle Waren, die über Hamburg nach Osteuropa verschickt werden. Der Großteil des Containertransports wird über die Bahnverbindung zwischen Hamburg-Hafen und Lübeck-Siems abgewickelt. Bedeutend auch für den Ostseehandel war der Bau der Öresundbrücke, der Schweden und Dänemark auch per Land verband.[59] Das Vorhaben einer Festen Fehmarnbeltquerung wäre für den Ostseehandel eine nochmalige bedeutende infrastrukturelle Verbesserung.

Literatur

  • Michael North: Geschichte der Ostsee: Handel und Kulturen. 1. Auflage, C. H. Beck, 2011, ISBN 978-3-406-62182-6.
  • Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018.

Einzelnachweise

  1. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018. S. 111
  2. Klaus Garber, Martin Klöker: Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit: Mit einem Ausblick in die Moderne, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2003, S. 18–20
  3. Baltikum : Estland, Lettland, Litauen, Kšnigsberger Gebiet, Badeker Reiseführer, 2005, S. 35f
  4. Michael North: Geschichte der Ostsee: Handel und Kulturen. 1. Auflage, C. H. Beck, 2011, ISBN 978-3-406-62182-6, S. 21f
  5. Michael North: Geschichte der Ostsee: Handel und Kulturen. 1. Auflage, C. H. Beck, 2011, ISBN 978-3-406-62182-6, S. 28
  6. Michael North: Geschichte der Ostsee: Handel und Kulturen. 1. Auflage, C. H. Beck, 2011, ISBN 978-3-406-62182-6, S. 30
  7. Michael North: Geschichte der Ostsee: Handel und Kulturen. 1. Auflage, C. H. Beck, 2011, ISBN 978-3-406-62182-6, S. 31
  8. Hansjörg Küster: Die Ostsee: eine Natur- und Kulturgeschichte, C.H. Beck, München 2002, S. 188
  9. Carl-Heinz Boettcher: Europas Weg in die Neuzeit: vom Weltstaat zur Staatenwelt, Röhrig Universitätsverlag, 2005, S. 405
  10. Josef Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Zweiter Band, Die Neuzeit: Mit Register zu Band I–II, R. Oldenbourg, München und Berlin 1929, S. 211
  11. Martin Eckoldt (Hrsg.): Flüsse und Kanäle: die Geschichte der deutschen Wasserstrassen, DSV-Verlag, 1998, S. 252
  12. Carl-Heinz Boettcher: Europas Weg in die Neuzeit: vom Weltstaat zur Staatenwelt, Röhrig Universitätsverlag, 2005, S. 410f
  13. Klaus Garber, Martin Klöker: Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit: Mit einem Ausblick in die Moderne, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2003, S. 16
  14. Carl-Heinz Boettcher: Europas Weg in die Neuzeit: vom Weltstaat zur Staatenwelt, Röhrig Universitätsverlag, 2005, S. 412
  15. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018. S. 112
  16. Carl-Heinz Boettcher: Europas Weg in die Neuzeit: vom Weltstaat zur Staatenwelt, Röhrig Universitätsverlag, 2005, S. 406
  17. Burkhard Werner: Die Stellung der Hansestadt Lübeck in der Hanse bis zum Stralsunder Frieden 1370, GRIN Verlag, 2007, S. 5f
  18. https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/geschichte/anfaenge/wirtschaftswunder.html, Christoph Schäfer; XVI. Ein frühneuzeitliches Wirtschaftswunder, 2004
  19. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 52
  20. Michael North: Geschichte der Niederlande, C.H.Beck, 1997, S. 14f
  21. Josef Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Zweiter Band, Die Neuzeit: Mit Register zu Band I–II, R. Oldenbourg, München und Berlin 1929, S. 211
  22. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 51f
  23. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 57
  24. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 51
  25. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 53
  26. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 54
  27. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 49
  28. Rudolf Häpke: Die Regierung Karls V. und der europäische Norden, Georg Olms Verlag, 1914, S. 299
  29. Carl-Heinz Boettcher: Europas Weg in die Neuzeit: vom Weltstaat zur Staatenwelt, Röhrig Universitätsverlag, 2005, S. 409
  30. W.P. Blockmans, Der holländische Durchbruch in der Ostsee, in: S.Jenks und M.North (Hgg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 56
  31. Michael North: Geschichte der Niederlande, C.H.Beck, 1997, S. 48
  32. Eckart D. Stratenschulte: Das europäische Meer: die Ostsee als Handlungsraum, Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2011, S. 33
  33. Ralph Tuchtenhagen: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, S. 301f
  34. Ralph Tuchtenhagen: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, S. 303
  35. Ralph Tuchtenhagen: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, S. 310
  36. Ralph Tuchtenhagen: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, S. 315
  37. Ralph Tuchtenhagen: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, S. 303
  38. https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/geschichte/anfaenge/wirtschaftswunder.html, Christoph Schäfer; XVI. Ein frühneuzeitliches Wirtschaftswunder, 2004
  39. Michael North: Geschichte der Niederlande, C.H.Beck, 1997, S. 48
  40. Carl Ballhausen: Der Erste Englisch-Holländische Seekrieg 1652–1654: Sowie der Schwedisch-Holländische Seekrieg 1658–1659, Springer-Verlag, 2013, S. 101f
  41. Carl Ballhausen: Der Erste Englisch-Holländische Seekrieg 1652–1654: Sowie der Schwedisch-Holländische Seekrieg 1658–1659, Springer-Verlag, 2013, S. 99f
  42. Michael North: Geschichte der Niederlande, C.H.Beck, 1997, S. 49
  43. Hansischer Geschichtsverein (Hrsg.): Hansische Geschichtblätter, Band 101, Böhlau Verlag, Köln/Wien 1983, S. 228
  44. Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Historische Kommission zu Berlin, M. Niemeyer, 2000, S. 192
  45. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018, S.283
  46. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018, S.210f
  47. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018, S.208
  48. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018, S.207
  49. Josef Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Zweiter Band, Die Neuzeit: Mit Register zu Band I–II, R. Oldenbourg, München und Berlin 1929, S. 212
  50. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018. S. 204
  51. Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800: Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Band 20, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2018, S.203
  52. Eckart D. Stratenschulte: Das europäische Meer: die Ostsee als Handlungsraum, Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2011, S. 34
  53. Wirtschafts- und Technikgeschichte Preussens, Walter de Gruyter, 1984, S. 210f
  54. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. Jahrhundert, Schöningh, 1996, S.986
  55. Johann Georg Kohl: Die deutsch-russischen Ostseeprovinzen, Band 1, Dresden/Leipzig 1841, S.319f
  56. Eckart D. Stratenschulte: Das europäische Meer: die Ostsee als Handlungsraum, Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2011, S. 36
  57. Max Wessel: Der Rückgang der Segelschiffahrt in der Ostsee, Ruprechts-Karls-Universitat, Heidelberg 1913, S. 37
  58. Eckart D. Stratenschulte: Das europäische Meer: die Ostsee als Handlungsraum, Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2011, S. 36
  59. https://www.fdphamburg.de/wp-content/documents/beschluesse/074-002-hamburg-drehscheibe-ostseehandel.pdf