Kulturrevolution
Die chinesische Kulturrevolution (vereinfacht: 无产阶级文化大革命; traditionell: 無產階級文化大革命; vollständig Große Proletarische Kulturrevolution) war eine kommunistische Bewegung zwischen 1966 und 1976, die von Mao Zedong ausgelöst wurde, um seine Macht gegenüber den Rivalen in der kommunistischen Partei zu behaupten und sein Lebenswerk, die Revolution, zu retten. Maos Befürchtung war, dass in China eine revisionistische Entwicklung wie in der Sowjetunion einsetzen könnte.
Maos Ansehen war durch verheerende Fehler seiner Regierung stark gesunken: 1958 löste er den Großen Sprung nach vorn aus, mit dem er die chinesische Wirtschaft radikal umgestalten wollte. Fast alle bäuerlichen Betriebe wurden zu Volkskommunen zusammen geschlossen, was einen Bruch mit der traditionellen Landwirtschaft bedeutete. In Folge dieser Umgestaltung verhungerten Millionen Menschen. Durch die Misswirtschaft in der Industrie steuerte China zusätzlich in eine gewaltige Wirtschaftskrise.
Wegen zunehmender Kritik trat Mao vom Amt des Staatsoberhaupts zurück und übergab es an den pragmatischeren Liu Shaoqi. Eine weitere wichtige Führungsperson in der Kommunistischen Partei (KPCh) war Deng Xiaoping, der weniger doktrinär eingestellt war und viele Dinge an der Lehre Maos offen anzweifelte.
Mao gelang es nicht, seine Macht innerhalb des Parteiapparates zu erhalten. Seine Reden gegen den Pragmatismus der neuen Regierung wurden angehört, aber weitestgehend ignoriert. Mao sann deswegen auf einen Weg, die revolutionären Kräfte im Volk neu zu entfachen und es für seine Vorstellungen zu gewinnen. Mit Unterstützung des Marschalls und Verteidigungsministers Lin Biao und seiner Frau Jiang Qing löste er Ende 1965 die Große Proletarische Kulturrevolution aus.

Schon in den Jahren vorher hatte Lin Bao einige Schriften Maos in Buchform unter den Soldaten der Volksbefreiungsarmee verbreitet. Wenig später wurde dieses rote Buch als "Mao-Bibel" in Millionen Exemplaren unter der Bevölkerung verteilt, wodurch sich ein neuer Personenkult entwickelte.
Am 1. Mai 1967 erschien eine Serie chinesischer Briefmarken mit dem Titel "Mao Zedong und die von ihm aufgestellten Thesen" |
Aus den sich immer mehr radikalisierenden Jugendlichen und vor allem den Studenten bildeten sich verschiedene Kampfgruppen, die Roten und Schwarzen Garden sowie diverse Rebellengruppen. Am 18. August 1966 fand unter der Führung Maos die erste große Massenversammlung der Roten Garden auf dem Tienanmen-Platz in Peking statt. Zuerst beschränkten sich ihre Aktionen auf öffentliche Denunziation, Demütigung und Folterung von als Klassenfeinden angesehenen Lehrern, Professoren, Offizieren, Ärzten und sonstigen Intellektuellen, von denen nicht wenige dabei den Tod fanden. Die Zerstörungen und Verfolgungen richteten sich gegen die "Vier Alten": alte Ideen, alte Kultur, alte Sitten und alte Gewohnheiten.
Binnen weniger Wochen jedoch entwickelte sich aus der Revolution gegen die reaktionären Kräfte ein entsetzlicher Bürgerkrieg zwischen den Angehörigen der sog. Roten Klasse, den Gewinnern der kommunistischen Revolution, die in der gesellschaftlichen Hierarchie eine elitäre Stellung besaßen, und der Mittleren Klasse, den Millionen Hilfsarbeitern und ihren Angehörigen, die von dem kommunistischen Staat und den Kollektivunternehmen ausgebeutet wurden. Die Kulturrevolution führte so zu einer Radikalisierung des politischen Kampfes.
Politisch richtete sich der Kampf Maos gegen eine von ihm so genannte "bürgerlich-reaktionäre Linie", als deren Hauptvertreter Deng Xiaoping und Liu Shaoqi galten, die bis Ende des Jahres 1966 entmachtet wurden.
Als zu Beginn des Jahres 1967 von Mao unterstützte Vertreter der "Massen" in allen Teilen Chinas die lokalen Behörden weitgehend entmachteten und selbst die Macht ergriffen, bestand die Gefahr, dass Mao die Kontrolle über die Entwicklung entgleiten könnte. Er forderte deshalb die Volksbefreiungsarmee auf, diese Machtergreifungen zu unterstützen.
Im Laufe des Jahres 1967 entstanden landesweit rivalisierende Gruppierungen, die sich erbitterte Kämpfe lieferten und das Land ins Chaos zu stürzen drohten.
Um die Revolution wieder unter Kontrolle zu bringen, musste die oberste Führung schließlich die Volksbefreiungsarmee einsetzen. In blutigen Kämpfen, die das ganze Land erfassten, wurden die "Roten Garden" schließlich im April 1969 niedergeschlagen. Die meisten Rotgardisten wurden zur "Umerziehung" aufs Land, oft in die abgelegensten Teile Chinas, geschickt.
Auf dem 9. Parteitag 1969 wurde die Kulturrevolution für beendet erklärt und Marschall Lin Bao wurde offiziell zum Nachfolger Maos bestimmt. Der so genannten Viererbande unter der Führung von Maos Ehefrau Jiang Qing gelang es, das Prinzip der von Mao geforderten ständigen Revolution weiterhin aufrecht zu erhalten. Dies dürfte die Hauptursache für den daraufhin sichtbar werdenden Konflikt zwischen Mao einerseits und Teilen der Volksbefreiungsarmee (VBA) andererseits gewesen sein. Während Lin Biao als Repräsentant der VBA die Rückkehr zur Normalität forderte, plädierten Mao und die Linken in der KPCh für eine Fortsetzung des Ausnahmezustands. Im September 1971 kam Lin Biao bei einem bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz - wahrscheinlich versuchte er in die Sowjetunion zu fliehen - ums Leben.
Erst nach Mao Zedongs Tod (1976) wurde die Kulturrevolution endgültig beendet. Die Viererbande wurde verurteilt und Deng Xiaoping rehabilitiert. Eine immer noch unbekannte Zahl von Toten (Schätzungen gehen von bis zu 30 Millionen aus) und eine vollkommen traumatisierte, ja zerstörte Bildungsschicht waren ihr Erbe. Heute bewertet die KPCh die Kulturrevolution als "schweren Fehler des Genossen Mao Zedong in seinen letzten Jahren".
Siehe auch
Literatur
- Li Zhensheng: Roter Nachrichtensoldat. Phaidon-Verlag, Berlin 2003 320 Seiten mit 300 s/w-Abbildungen, Preis: 39.95 Euro
- Y.C.Kuan: Mein Leben unter zwei Himmeln. Scherz Verlag, 2001. ISBN 3-502-18399-7 . Der 1931 in Kanton geborene und heute in Deutschland lebende Y.C.Kuan erzählt seine Lebensgeschichte, wie er als hoher politischer Beamter zur Zeit der Kulturrevolution in Verdacht gerät ein Konterrevolutionär zu sein und über Nacht aus seiner Heimat fliehen muss
- Jung Chang: Wilde Schwäne. Knaur Verlag, 2001. ISBN 3-426-62640-3