Ein Neologismus (griechisch νεολογισμός ("νέος" [neos] = neu; "λόγος" [logos] = Wort) mit lateinischer Endung - die sprachliche Neubildung) ist ein lexikalisches Zeichen, das in einem bestimmten Zeitraum in einer Sprachgemeinschaft aufkommt, weite Verbreitung unter den Sprechern findet und schließlich in die Wörterbücher, die den Wortschatz dieser Sprache kodifizieren, aufgenommen wird. Charakteristisch für die Neologismen ist es, dass sie für eine gewisse Zeit von den Sprechern als neu empfunden werden. Welche lexikalischen Zeichen als Neologismen betrachtet werden, hängt also auch davon ab, zu welchem Zeitpunkt man den Wortschatz einer Sprache betrachtet oder untersucht. Neologismen werden in allgemeinsprachlichen Standardwörterbüchern der jeweiligen Sprachen erfasst, es gibt für viele Sprachen aber auch Spezialwörterbücher, die ausschließlich diesen Teil des Wortschatzes erfassen.
Abgrenzung
Sprecher von lebenden Sprachen produzieren oder erfinden täglich neue Wörter, mit denen eine spontan entstehende Benennungslücke geschlossen wird. Die meisten dieser Wörter werden aber nur ein einziges Mal verwendet. Ihr Zweck ist mit dieser einen Benennungssituation erfüllt. Diese Gelegenheitsbildungen (Okkasionalismen) werden nicht als Neologismen betrachtet und nicht lexikographisch erfasst. Im Deutschen, das die Bildung komplexer Komposita erlaubt, entstehen täglich solche Gelegenheitsbildungen.
In der Psychiatrie werden Neologismen beim Erheben des psychopathologischen Befunds im Zusammenhang mit Erkrankungen wie der Schizophrenie spezifischere Bedeutung als im linguistischen Verständnis zugemessen (siehe dazu Neolalie).
Gelegentlich werden Wörter, die lange Zeit nicht mehr verwendet wurden und nicht mehr lexikographisch erfasst werden (Archaismen), durch erneuten Gebrauch wiederbelebt. Auch diese sprachlichen Zeichen sind keine Neologismen.
Die Lexik einer lebenden Sprache ist ein komplexes Gebilde aus allgemeinsprachlichen, fachsprachlichen und gruppensprachlichen Wörtern. Allgemeinsprachliche Wörterbücher erfassen nur den Kernbereich der Lexik, der in der Alltagssprache verwendet wird. Gelegentlich kommt es vor, dass bereits lang verwendete Wörter einer Fachsprache in den alltagssprachlichen Diskurs vordringen. Dies gilt zum Beispiel für die Fachsprachen technischer Schlüsselbereiche wie Informationstechnik und Telekommunikation. Auch diese Wörter werden nicht als Neologismen betrachtet, da sie in der jeweiligen Fachsprache schon länger im Gebrauch sind. Ein besonders produktiver Bereich ist die Gruppensprache der Jugendlichen. Viele der in dieser Gruppe gebildeten Neuwörter sind allerdings nicht sehr langlebig.
Wörter, die aus einer anderen Sprache entlehnt werden (z. B. downloaden aus dem Englischen) und in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen, werden oft als Neologismen betrachtet und entsprechend lexikographisch erfasst, im engeren Sinne sind sie aber keine Neuschöpfungen und somit keine Neologismen.
In der Praxis der Lexikographie ist die Abgrenzung zwischen Neologismen einerseits und Okkasionalismen, wiederbelebten Archaismen und Fachwörtern andererseits recht schwierig. Besonders Textkorpora, die den aktuellen Sprachgebrauch dokumentieren, leisten bei der Erfassung und Beschreibung von Neologismen nützliche Dienste.
Typen von Neologismen
Folgende Arten von Neologismen lassen sich unterscheiden:
- Neuwörter: Bei diesen Neologismen sind sowohl der Ausdruck als auch die Bedeutung neu. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist das Verb simsen, mit dem das Versenden von Kurznachrichten bezeichnet wird.
- Neubedeutungen: Hier ist lediglich die Bedeutung neu, einem bestehenden Ausdruck wird also eine neue Bedeutung zugeschrieben. Ein etwas älteres Beispiel ist die Bedeutung „technisches Gerät, Teil der Computerperipherie“ für den Ausdruck Maus.
- Neue Wortkombinationen: Dabei kann das Zusammenziehen von gebräuchlichen Wörtern (Internetcafe, Laptop-Tasche, auch als Retronym: Analoguhr) von metaphorischen Neubildungen unterschieden werden. Bei letzteren ist für die Verwendung eines der Wörter nicht die tatsächliche Bedeutung, sondern eine charakteristische Eigenschaft entscheidend (Modezar, Literaturpapst, Börsenzwerg, Wirtschaftsauguren).
Neologismen und Sprachnorm
Wenn ein neues Wort in Gebrauch kommt, dann gibt es bei den Sprechern, die diesen Ausdruck verwenden wollen, oft Normunsicherheiten. Diese Unsicherheiten betreffen u. a.:
- Die Rechtschreibung. Schreibt man Spinoff, Spin-off oder Spin-Off?
- Die Aussprache. Dies ist besonders kompliziert bei Lehnwörtern, deren Aussprache sich oft, aber nicht immer dem Phonemsystem der entlehnenden Sprache anpasst. Ein Beispiel ist Download, das sich von / / nach / / entwickelt.
- Das Genus. Heißt es der Blog oder das Blog?
- Die Flexion. Heißt es des Piercing oder des Piercings? Heißt es im Plural die PC oder die PCs?
Oft muss sich eine Norm auch erst etablieren. Dies gilt zum Beispiel für das Genus von Lehnwörtern aus dem Englischen, wo das Genussystem nur schwach ausgeprägt ist.
Sprecher, die ein Neuwort verwenden, signalisieren manchmal, dass sie das entsprechende Wort noch nicht als Teil der Sprachnorm akzeptieren. Häufig dafür verwendete Mittel sind Anführungszeichen (der »Breakeven« sei noch nicht erreicht) oder abgrenzende Ausdrücke (der sog. Breakeven, der Breakeven, wie man heutzutage sagt).
Der pragmatische Wert von Neologismen
Nicht immer besteht die Hauptfunktion eines Neologismus darin, einen neuen Sachverhalt zu bezeichnen. Mit der Verwendung von Neologismen möchte man oft etwas signalisieren: Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Modernität, oder einfach nur Aufmerksamkeit erregen. Diese beiden pragmatischen Funktionen sind die Ursache dafür, dass Neuwörter vor allem in der Sprache der Werbung verwendet werden. Die Signalfunktion neuer Wörter wird bis dahin ausgereizt, dass gegen grammatische Regeln verstoßen wird (unkaputtbar, hier werden Sie geholfen).
Neologismen werden auch als ersetzende Bezeichnungen verwendet, wenn dem Bezeichneten eine andere Wertung oder ein anderes Ansehen gegeben werden soll. Beispiel für eine solche Sprachpolitik ist die Deutsche Bahn AG: (Schaffner >> Zugbegleiter; Schalter >> Servicepoint, neuerdings Counter).
Zugleich entzündet sich an Neologismen als Symptom oft ein sprachkritischer Diskurs. Konservative Sprachkritiker machen an Neologismen, und vor allem an Lehnwörtern, einen von ihnen behaupteten Verfall der Sprache fest. Dagegen wird an den Neologismen ebenfalls die Wandlungsfähigkeit einer Sprache und ihre Fähigkeit, den ständig sich wandelnden Benennungsanforderungen gerecht zu werden, festgemacht.
Neologismen sind auch ein häufiges Instrument von Propaganda. Beispielhaft dafür die 1942 erstmalig verwendete Bezeichnung gesetzloser Kämpfer (unlawful combatant) zur Einführung einer Klassifizierung von Kriegsgefangenen, die das Völkerrecht umgeht. Weitere Beispiele: internationales Finanzjudentum, Islamo-Faschismus, sozialbehinderte Jungmigranten.
Quellen von Neuwörtern
Eine Quelle von Neologismen, die Entlehnung aus anderen Sprachen, wurde bereits genannt. Ein Sprachsystem stellt aber noch eine Reihe weiterer Mittel für die Neuwortbildung bereit. Hierzu gehören unter anderem:
- Komposition. Die Zusammensetzung neuer Wörter aus existierenden ist im Deutschen der produktivste Wortbildungsprozess und entsprechend auch eine ergiebige Quelle für Neologismen (Dosenpfand, Genmais).
- Derivation. Die Ableitung mittels Affixen (insbesondere Präfixe oder Suffixe) ist ebenfalls eine ergiebige Quelle. Dabei können Affixe selber Neuprägungen sein (z. B. Cyber-) und eine größere Gruppe von Neuwörtern prägen (Cyberpunk, Cyberkriminalität).
- Abkürzungen sind ein wichtiges Mittel sprachlicher Ökonomie. Verfestigt sich ihr Gebrauch, dann können auch sie als Neologismen betrachtet werden (SMS, Hiwi).
- Zusammenziehungen, im Englischen auch portmanteaus genannt. Diese werden aus dem ersten Teil einen Wortes und dem zweiten Teil eines zweiten Wortes gebildet. Beispiel: education + entertainment >> Edutainment. Zusammenziehungen sind im Deutschen selten, sie werden meist aus anderen Sprachen entlehnt.
- Verballhornungen
- Sulikowski analysierte in seinem Buch Neologismen in der polnischen Dichtung und ihre Übersetzung bei Karl Dedecius das Wesen des poetischen Neologismus und seine Übersetzungsmöglichkeiten in der Dichtung. Siehe Online [1]
Beispiele
- Das Wort Neologismus ist ein Beispiel für sich selbst!
- Politesse, aus Polizei und Hostess
- sitt, als Anlehnung an satt: nicht mehr durstig. Im Rahmen eines Wettbewerbs zur Suche eines entsprechenden Wortes erfunden.
- Meloneologie (Begriffserklärung)
- Blog, Vlog, abgeleitet von web-log bzw. video-log (engl. für Internet-/Video-Tagebuch) - häufig aktualisierte Homepage im Internet.
- Folksonomy, Kollaborative Praxis und (Selbst-)Organisationsform von Menschen. (Zum Beispiel in der Arbeit von Wikipedia!)
- Gammelfleisch
- Staatenverbund
- Ablicht
- springbar
Siehe auch
Literatur
Wörterbücher
- John Algeo: Fifty years among the new words: a dictionary of neologisms, 1941 - 1991, CUP, Cambridge, 1991, ISBN 0-521-41377-X
- Alfred Heberth: Neue Wörter. Neologismen in der deutschen Sprache seit 1945, Verl. d. Wiss., Wien, 1977
- Dieter Herberg, Michael Kinne, Doris Steffens: Neuer Wortschatz. Neologismen der 90er Jahre im Deutschen, Berlin, De Gruyter, 2004, ISBN 3-11-017751-X
Darstellungen
- Robert Barnhart, Clarence Barnhart: The Dictionary of Neologisms, - in: Franz J. Hausmann (Hrsg.): Wörterbücher, Dictionaries, Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie, Berlin, De Gruyter,
- Teilband 2, 1990, ISBN 3-11-012420-3, S. 1159-1166
- Wolfgang Teubert (Hrsg.): Neologie und Korpus, Narr, Tübingen, 1990, ISBN 3-8233-5141-9 (Studien zur deutschen Sprache 11)
- 1975 bis 1983: Neue Wörter und ihre Bedeutungen; in: Meyers Großes Jahreslexikon (jeweils unter dem Stichwort "Wort")
- Wolfgang Müller: Neue Wörter und neue Wortbedeutungen in der deutschen Gegenwartssprache; in: Universitas 8/1976, Seite 867 bis 873
- 1994 bis 2005: "Neue Wörter"; in: Brockhaus Enzyklopädie Jahrbuch (jeweils unter dem Stichwort "Wort")
- Wolfgang Müller: "Schlammschlacht". Schon gehört? Ein Desiderat: Das deutsche Neologismenwörterbuch; in: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht, 60/1987, Seite 82 bis 90