Radovan Karadžić
Der Montenegriner Radovan Karadžić [ ] (* 19. Juni 1945 in Petnica/Montenegro) war zunächst Politiker und dann Präsident der Republika Srpska Bosnien.
Im Zusammenhang mit dem Bosnienkrieg liegt seit 1996 gegen ihn ein internationaler Haftbefehl des Haager Tribunals vor. Ihm wird vorgeworfen, als Präsident der Republika Srpska Kriegsverbrechen befohlen haben.
Ausbildung und Beruf
1960 ging er nach Sarajevo, machte dort das Abitur und begann, Medizin zu studieren. Das Studium schloss er 1971 als Doktor der Medizin ab. Danach begann er als Psychiater zu arbeiten, zunächst im Krankenhaus von Sarajevo. Später gründete er eine eigene Praxis in Pale, 20 km östlich von Sarajevo. Karadžićs Mentor war Jovan Rašković.
Bereits früh begann Radovan Karadžić Kindergedichte zu schreiben und im Stil serbischer Volksmusik zu komponieren. Von 1968 bis 1990 veröffentlichte er vier Gedichtbände, wobei bereits der erste, Ludo koplje (deutsch: Verrückte Lanze), vom Kampfgeist der Serben handelt.
Karadžić und der bosnische Bürgerkrieg
Nach dem Ende des Einparteiensystems in Jugoslawien gründete Rašković im Juli 1990 die Serbische Demokratische Partei (SDS) in Bosnien-Herzegowina. Deren erster Vorsitzender wurde Radovan Karadžić. Bei den ersten freien Wahlen in Bosnien-Herzegowina am 18. November und 2. Dezember 1990 erringt die SDS unter seiner Führung 72 der 240 Sitze der ersten Kammer des bosnischen Parlaments und wird damit zweitstärkste Fraktion. Mit seinen Schriften und Reden schafft es der Psychiater Karadžić, das Feindbild, das manche Serben von ihren früheren Besatzern, den Osmanen, haben, systematisch auf die Bosniaken zu übertragen.
Nach den im Frühjahr und Sommer 1991 in Kroatien entflammten Kämpfen und der Bildung der Republik Serbische Krajina werden unter seiner Herrschaft im September 1991 in Bosnien-Herzegowina die Serbischen Autonomen Regionen Bosnische Krajina, Herzegowina und Romanija ausgerufen. Im Laufe der stattfindenden Diskussionen um die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas, das zu diesem Zeitpunkt noch Teil Jugoslawiens ist, organisiert Karadžić am 9. November 1991 in den serbischen Regionen ein Referendum über einen gemeinsamen Staat der bosnischen Serben mit Serbien, Montenegro und der Republik Serbische Krajina, dem 90% der bosnischen Serben zustimmen. Am 9. Januar 1992 wird dann die Republika Srpska gegründet, deren erster Präsident Radovan Karadžić wird.
Am 25. Januar 1992 wird im bosnischen Parlament eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit beschlossen. Dies wird von Karadžić als "Kriegserklärung an die Serben" bezeichnet. Das am 29. Februar und 1. März durchgeführte Referendum, das eine überwältigende Zustimmung zur Unabhängigkeit ergibt, wird nach Aufrufen von Karadžić und anderen serbischen Führern von der serbischen Bevölkerung boykottiert. Nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas am 3. März 1992 brechen in ganz Bosnien Kämpfe aus. Am 1. April zieht die SDS auf Anweisung Karadžićs ihre Mitarbeiter aus dem Innenministerium von Bosnien-Herzegowina zurück, konzentriert ihre Macht in Pale und beginnt einen Krieg gegen die anderen bosnischen Bevölkerungsgruppen. Unter Ausnutzung der auch zwischen den bosnischen Kroaten und Bosniaken bestehenden Spannungen traf sich am 6. Mai 1992 in Graz Radovan Karadžić mit dem Führer der bosnisch-herzegowinischen Kroaten, Mate Boban, um mit ihm Gespräche über die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zu führen, die aber, auch auf internationalen Druck hin, nicht erfolgreich abgeschlossen wurden.
Bis zum Dezember 1992 gelang es den bosnischen Serben unter Karadžićs Präsidentschaft und der militärischen Führung von Ratko Mladić mit Unterstützung Serbiens 70 Prozent des Gebiets von Bosnien-Herzegowina unter ihre Kontrolle zu bringen sowie die Hauptstadt Sarajevo permanent zu belagern (siehe: Belagerung von Sarajevo). Karadžić wird dabei auch beschuldigt, die so genannten ethnischen Säuberungen und Übergriffe auf bosniakische und kroatische Zivilisten geplant und befohlen zu haben.
In den beiden folgenden Jahren kommt es zu keiner wesentlichen Veränderung der Situation. Zwar gab es einige internationale Bemühungen, zu einer Friedenslösung zu kommen und es wurden UN-Schutzzonen für eingekesselte Städte wie Srebrenica und Goražde eingerichtet. Aber besonders die Maximalforderungen der bosnischen Serben unter Karadžić verhinderten den Abschluss eines Friedensvertrages. Erst 1995 gibt es wieder substanzielle Bewegungen. Nach einigen militärischen Rückschlägen und dem Ende eines vereinbarten viermonatigen Waffenstillstands ordnet Karadžić am 27. März 1995 die totale Mobilmachung in der Republika Srpska an.
Nachdem Sarajevo am 9. April von serbischen Truppen schwer beschossen worden war, gibt am 24. April das UN-Kriegsverbrechertribunal bekannt, dass es gegen Karadžić und Ratko Mladić ermittelt. Im Mai gelingt es Kroatien mit westlicher Unterstützung zunächst große Teile des bis dahin von Serben gehaltenen Gebiets West-Slawonien unter seine Kontrolle zu bringen. Daraufhin beginnen die bosnischen Serben auch verstärkt UN-Soldaten der UNPROFOR-Einheiten als Geiseln zu nehmen, deren Zahl zeitweise auf über 300 anschwillt. Auf Befehl Karadžićs wird am 11. Juli 1995 die UN-Schutzzone Srebrenica mit über 40.000 muslimischen Einwohnern von serbischen Truppen ohne Widerstand der niederländischen UN-Truppen eingenommen. Während Frauen und Kinder in Richtung Tuzla vertrieben werden, wird der größte Teil der männlichen Bevölkerung (bis zu 8.000 Menschen) ermordet (siehe: Massaker von Srebrenica). Am 20. Juli erleidet die Stadt Žepa ein ähnliches Schicksal, hier werden aber alle Einwohner vertrieben. Auf Grund der trotz der Einnahme der Stadt schwieriger werdenden militärischen Lage (Kroatien hat inzwischen auch die zur selbsternannten "Republik Serbische Krajina" gehörenden Gebiete zwischen Knin und Slunj zurückerobert) kommt es nun auch zu einem Machtkampf zwischen Karadžić und seinem General Mladić. Am 23. August fordert Karadžić als Basis für neue Friedensverhandlungen 63 Prozent des Gebiets von Bosnien-Herzegowina für die Serben.
Das Ende des Krieges und Untertauchen Karadžićs
Durch die zunehmenden Landgewinne der kroatischen, aber auch der bosnisch-muslimischen Truppen muss Karadžić schließlich hinnehmen, dass die weiteren Friedensverhandlungen ohne ihn, sondern direkt mit den Präsidenten Bosnien-Herzegowinas, Serbiens und Kroatiens, Izetbegović, Slobodan Milošević und Tuđman geführt werden, die am 21. November in Dayton abgeschlossen werden. Es wird darin festgelegt, dass die nun so genannte Entität der Republika Srpska 51 Prozent des Territoriums Bosnien-Herzegowinas ausmacht und zwischenzeitlich von den Serben gehaltene Gebiete, so zum Beispiel Ilidža, ein Vorort von Sarajevo, an die Bosniakisch-Kroatische Föderation abgegeben werden müssen. Karadžić organisiert daraufhin noch ein Referendum in diesen Orten, das zwar nahezu 100-prozentige Ablehnung der Übergabe ergibt, schließlich kann aber auch das die Unterzeichnung des Dayton-Vertrags am 14. Dezember 1995 in Paris und damit das Ende des Bürgerkrieges nicht mehr verhindern. Am 20. Februar 1996 ordnet schließlich Karadžić die Evakuierung der noch verbliebenen 50.000 Einwohner dieser Orte an, der die meisten auch Folge leisten.
Auf anhaltenden internationalen Druck hin muss Karadžić am 30. Juni 1996 als Präsident der Republika Srpska abtreten. Dies hatte zuletzt sogar Milošević gefordert. Neue Präsidentin wird – die später vom UN-Kriegsverbrechertribunal verurteilte – Biljana Plavšić. Am 11. Juli erlässt das UN-Kriegsverbrechertribunal (ICTY) in Den Haag, das bereits am 24. Juli 1995 erstmals gegen Karadžić und Mladić Anklage erhoben und am 14. November eine erweiterte Anklageschrift eingereicht hatte, einen internationalen Haftbefehl. Nachdem die OSZE, die die Verantwortung für die Einhaltung des Dayton-Abkommens übernommen hatte, drohte, die SDS nicht zu den bevorstehenden Wahlen zuzulassen, musste Karadžić schließlich am 19. Juli auch den Vorsitz der SDS abgeben.
Trotz des Haftbefehls unternimmt aber zunächst weder die neue Regierung der Republika Srpska noch die nunmehr IFOR genannte internationale Friedenstruppe ernsthafte Anstrengungen, Karadžić zu verhaften. So kann er noch im Februar 1997 mit erneuter Gewalt für den Fall drohen, dass die Stadt Brčko, deren Status im Dayton-Abkommen noch nicht geklärt war, nicht in die Republika Srpska eingegliedert würde.
Zwar gab es in den Folgejahren immer wieder einzelne, teils halbherzige Bemühungen, die nunmehr untergetauchten Karadžić und Ratko Mladić ausfindig zu machen und zu verhaften, aber auch durch die Unterstützung von Regierungsbeamten der Republika Srpska und zunächst wohl auch seitens Miloševićs konnten sie sich immer wieder dem Zugriff entziehen. Dies auch, weil sie möglicherweise von Teilen der Bevölkerung besonders im Osten Bosniens gedeckt werden. Auch eine von den USA ausgerufene und bis heute gültige Belohnung von jeweils fünf Millionen Dollar für Hinweise zur Verhaftung von Radovan Karadžić als auch von Ratko Mladić haben nicht zur Festnahme weder Karadžićs noch Mladićs geführt. Erst im Juni 2004 gibt es ernsthafte Anzeichen, dass der internationale Bosnien-Beauftragte Paddy Ashdown mit Hilfe der SFOR ihn zu finden und zu verhaften gedenkt. Dazu setzte er am 30. Juni 59 Amtsträger der Republika Srpska, unter anderen den SDS-Vorsitzenden Dragan Kalinić ab, die im Verdacht stehen, Karadžić zu decken und ihn weiterhin logistisch und finanziell zu unterstützen. Es kursieren Verschwörungstheorien, die besagen, dass sein Rücktritt als Präsident der Republika Srpska mit einem Geheimvertrag erkauft wurde, der ihn von der Rechenschaft vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag befreit. Ende Juli 2005 appellierte Karadžićs Ehefrau Ljiljana Zelen-Karadžić im bosnischen und serbischen Fernsehen an ihren Mann, sich freiwillig dem ICTY zu stellen. Als Gründe hierfür gab sie den "permanenten Druck von allen Seiten"[1]
an. Karadžićs Aufenthaltsort wird von der EUFOR in der Republika Srpska vermutet, und es gibt immer wieder Berichte verschiedener Zeitungen, wonach er in der Republika Srpska, in Belgrad oder am 7. Mai 2005 sogar in Niksić in Montenegro bei der Beerdigung seiner Mutter gesehen wurde. Radovan Karadžić lebt jedoch bis heute weiter in der Illegalität.
Siehe auch
Literatur
- Dunja Melčić (Hrsg.): Der Jugoslawien-Krieg, Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen, Westdeutscher Verlag: Opladen/Wiesbaden 1999. ISBN 3-531-13219-9
Quellen
Weblinks
- Anklageschrift des UN-Kriegsverbrechertribunals (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia) gegen Radovan Karadžic und Ratko Mladic (englisch)
- Trial Watch der Schweizerischen Gesellschaft gegen Straflosigkeit TRIAL
- Marc Wiese: Die Freiheit eines Mörders Artikel in der Zeit 37/2004 zur Suche nach Karadži?
- Radovan Karadžić blog (englisch)
- Human Rights Watch-Seite über die erfolglose Suche nach Karadžic (englisch)
- Vorlage:PND
Personendaten | |
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NAME | Karadžić, Radovan |
ALTERNATIVNAMEN | Радован Караџић (serbisch-kyrillisch) |
KURZBESCHREIBUNG | bosnisch-serbischer Politiker |
GEBURTSDATUM | 19. Juni 1945 |
GEBURTSORT | Petnica/Montenegro |