Unter Patriotismus (von lat. patria, Vaterland, bzw. von gr. patrios, von einem Vater stammend), auch Vaterlandsliebe genannt, wird eine Haltung verstanden, welche die emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation auf Grund ethnischer, politischer, kultureller oder anderer Merkmale beschreibt. Patriotismus unterscheidet sich in seiner in der Gegenwart allgemein verbreiteten Wortbedeutung von Nationalismus und Chauvinismus, indem der Begriff nach Auffassung derer, die sich zum Patriotismus bekennen, allein die Identifikation mit dem eigenen Land zum Ausdruck bringen soll und damit keine Abwertung anderer Völker und Nationen impliziert werden soll.
Eine wissenschaftlich allgemein gültige Definition des Patriotismus existiert bis in die Gegenwart nicht. Der Begriff wurde zu unterschiedlichen Zeiten kontrovers bewertet und interpretiert. Historisch hat sich der Patriotismus aus der Ideologie des damals als revolutionär verstandenen bürgerlich-liberalen und zunächst demokratisch motivierten Nationalismus im Sinne einer Macht von unten bzw. Volksherrschaft seit der US-amerikanischen Revolution von 1776 und der französischen Revolution von 1789 heraus entwickelt und ist in breiten Bevölkerungsschichten der meisten Nationalstaaten als im allgemeinen positiv verstandener Wert verankert.
Kritiker bemängeln, dass die Grenze zwischen einem „positiv“ verstandenen Patriotismus und einem „negativ“ verstandenen Nationalismus offen verlaufe, weshalb eine exakte Unterscheidung zwischen beiden Termini nicht vorgenommen werden könne: Es bestehe immer die Gefahr, dass heutige Nationalisten ihre als rechtsextrem geltenden politischen Einstellungen durch den Begriff des Patriotismus zu kaschieren versuchen. Außerdem könne es passieren, dass durch einen „auferzwungenen“ Hurra-Patriotismus Patriotismus-kritische Meinungen unterdrückt werden. Vor allem in Deutschland war der Begriff des Patriotismus nach dem Zweiten Weltkrieg negativ konnotiert.
Geschichte
Die Bedeutung und Verwendung des Begriff änderte sich im Wandel der Jahrhunderte. In der moralischen Wochenschrift „Der Patriot“ erklärte 1724 der vielseitige Schriftsteller Michael Richey: ein Patriot sei ein Mensch, dem es um das Beste seines Vaterlandes ein rechter Ernst ist, einer, der dem gemeinen Wesen redlich zu dienen geflissen ist. Im Jahre 1742 übersetzte Richey Patriot mit Stadtfreund, und Johann Moritz Gericke gab 1782 diese Definition von Patriotismus: derjenige starke innere Trieb, der das Beste des Staates zum Augenmerk hat, und seine Wohlfahrt auf alle mögliche Art zu befördern sucht.
Politisch in der Masse der Bevölkerung verankert wurde der Patriotismus und positiv verstandene Nationalismus vor allem durch die französische Revolution von 1789 bis 1799. Spätestens in den napoleonischen Kriegen wurde die Idee des Patriotismus auch in den bürgerlichen Schichten anderer europäischer Länder verbreitet. Diese Idee ging zunächst einher mit den liberalen und demokratischen Idealen der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach dem Sieg über Napoleon von den meisten reaktionären europäischen Fürstentümern in der Zeit der metternichschen Restauration nach dem Wiener Kongress 1814/15 unterdrückt.
Seit der Mitte des 19. Jahrhundert wurde der Begriff des Patriotismus zunehmend verbunden mit Nationalismus und Chauvinismus, d.h. dem Glauben an die Überlegenheit der eigenen Nation und der damit einhergehenden Abwertung anderer Nationen. War der Patriotismus in Deutschland bis zur Märzrevolution noch getragen von dem Wunsch nach nationaler Einheit und der Überwindung alles Trennenden auf dem Gebiet des Deutschen Bundes (Hoffmann von Fallerslebens Deutschlandlied ist durchdrungen von diesem Wunsch), so wandelte sich der Patriotismus im zweiten Kaiserreich von 1871 - auch in der Folge der letztlich gescheiterten patriotischen, liberalen Nationalbewegung in Deutschland seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon Bonaparte bis zur Märzrevolution 1848/49 - hin zu nationaler Überheblichkeit („Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“). Besonders die Faschisten bzw. Nationalsozialisten Europas beriefen sich auf den Patriotismus, um allgemeine Zustimmung für ihre verbrecherischen Ziele zu bekommen.
Formen
Im heutigen Sprachgebrauch wird zumeist zwischen Patriotismus und Nationalismus bzw. Chauvinismus unterschieden. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau hat diesen in der deutschen Umgangssprache allgemein verbreiteten Unterschied folgendermaßen formuliert: „Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“
Dennoch wird eine patriotische Einstellung von Kritikern oft mit Nationalismus gleichgesetzt, oder als Tarnung für nationalistische Ansichten betrachtet, da auch Nationalisten für sich den Anspruch erheben, Patrioten zu sein.
Ein grundsätzliches Problem des Patriotismus besteht darin, dass der Begriff „Vaterland“ eine willkürliche Abstraktion darstellt und damit jedes politische Spektrum für sich in Anspruch nehmen kann, das Beste für das Land zu wollen.„Konservative“ Patrioten, die einem etablierten Regime wohlgesonnen sind (und zu den Unterstützern einer herrschenden Regierung gehören) können meinen, Patriotismus bedeute die Unterstützung der eigenen Regierung und ihrer Politik. Für andere (kritische und „progressive“ Patrioten) jedoch können die Bestrebungen zum Verbessern der Bedingungen des Vaterlands eine Antriebskraft ihres Patriotismus sein, was sich in einer oppositionellen Haltung gegenüber einer Regierung / einem politischen System niederschlagen kann.
Nach Ansicht von Kritikern des Patriotismus bestehe die Gefahr, dass Patriotismus als Vorwand verwendet wird, um die eigene Meinung als höherwertig darzustellen und andere Vorstellungen als zerstörerisch für das Vaterland zu diffamieren. Oft wird dem gegnerischen politischen Spektrum vorgeworfen, zumal in Konfliktzeiten, kritische Stimmen durch deren Deklarierung als "unpatriotisch" vom öffentlichen Diskurs auszuschließen.
Einen besonders ausgeprägten Patriotismus gibt es in den USA. So müssen dort die Schüler in vielen Bundesstaaten den Treueschwur der USA (Pledge of Allegiance) aufsagen und viele Häuser sind mit der Nationalflagge versehen. Merkmal des amerikanischen Patriotismus ist die starke Verknüpfung mit religiösen Symbolen, Ritualen und Werten des meist protestantischen Christentums. Besonders kontroverse Entscheidungen der Regierung wurden oft mit Appellen an den Patriotismus untermauert (z.B. der U.S. Patriot Act). Damit verbunden ist der Versuch, möglichst breite Zustimmung zu erhalten. Kritiker behaupten, der Patriotismus werde dazu genutzt, öffentliche Kritik bereits im Vorfeld als un- bzw. antiamerikanisch darzustellen und so vom Diskurs auszuschließen.
Zitate
- Patriotismus und Weltoffenheit sind keine Gegensätze - sie bedingen einander! (Horst Köhler (CDU), Bundespräsident, Rede vom 23. Mai 2004)
- Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt. (Johannes Rau (SPD), Altbundespräsident, Rede vom 23. Mai 1999)
- Achte jedes Mannes Vaterland, doch das deinige liebe! (Theodor Storm)
- Mir ist nicht bange, daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das ihrige tun. Vor allem aber sei es eins in Liebe untereinander! und immer sei es eins gegen den auswärtigen Feind. Es sei eins, daß der deutsche Taler und Groschen im ganzen Reich gleichen Wert habe; eins, daß mein Reisekoffer durch alle 36 Staaten ungeöffnet passieren könne. Es sei eins, daß der städtische Reisepaß eines weimarischen Bürgers von den Grenzbeamten eines großen Nachbarstaates nicht für unzulänglich gehalten werde, als der Paß eines Ausländers. Es sei von Inland und Ausland unter deutschen Staaten überall keine Rede mehr. Deutschland sei ferner eins in Maß und Gewicht, in Handel und Wandel und hundert ähnlichen Dingen, die ich nicht alle nennen kann und mag. (Johann Wolfgang von Goethe)
- Patriotismus ist Liebe zu den Seinen; Nationalismus ist Hass auf die anderen. (Richard von Weizsäcker (*1920), dt. Politiker (CDU), Bundespräsident v. 1984-94)
- Nicht so sehr jenen Patriotismus liebe ich, der unsere Söhne auf das Schlachtfeld jagt und sie dort sterben heißt, sondern jenen, der für das Vaterland leben lehrt. Peter Rosegger
- Der Patriotismus verdirbt die Geschichte. (Johann Wolfgang von Goethe)
- Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau (Gustav Heinemann (SPD), Bundespräsident 1969 - 1974, auf die Frage, ob er Deutschland liebe)
- Patriotismus, der: Entflammbarer Müll, der für die Fackel des Ehrgeizlings bereit liegt, welcher seinen Namen ins rechte Licht gerückt sehen will. (Ambrose Bierce, Aus dem Wörterbuch des Teufels )
- Patriotismus ist die Tugend der Bosheit! (Oscar Wilde)
- Von Zeit zu Zeit muss der Patriotismus mit Blut genährt werden! (George Washington)
- Die billigste Art des Stolzes ist hingegen der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. (Arthur Schopenhauer, Philosoph)
Siehe auch
Literatur
- Günter Birtsch (Hrsg.): Patriotismus. Hamburg: Meiner, 1998. - ISBN 3-78730-978-0
- Arnold Ruge/Peter Wende: Der Patriotismus. Frankfurt a.M.: Insel Verlag, 1968.
- Theorie-Wegweiser (Teil 1). Nation: Begriffsklärung und Darstellung verschiedener Analyseansätze. In: arranca! Nr. 15 (online)
- Klaus Wagenbach, Winfried Stephan, Michael Krüger, Susanne Schüssler (Hrsg): Vaterland, Muttersprache - Deutsche Schriftsteller und ihr Staat seit 1945 (Offene Briefe, Reden, Aufsätze, Gedichte, Manifeste, Polemiken zahlreicher namhafter Schriftsteller und Dichter der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts - mit einem Vorwort von Peter Rühmkorf); Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1994, 476 Seiten, ISBN 38031-3110-3
- Hermann L. Gremliza: Krautland einig Vaterland (zehn Patriotismus-kritische Kolumnen aus der Zeitschrift konkret zwischen Januar 1989 und Februar 1990); Konkret Literatur Verlag Hamburg, 1990, 55 Seiten, ISBN 3-922144-83-7
- Wolfgang Pohrt: Der Weg zur inneren Einheit - Elemente des Massenbewußtseins BRD 1990 (soziologische Studie, erstellt im Auftrag der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur); Konkret Literatur Verlag Hamburg, 1991, 318 Seiten, ISBN 3-89458-103-4
Weblinks
- Wolfgang Schäuble: "Stolz, Vaterlandsliebe, Patriotismus – eine deutsche Diskussion"; (pdf-Datei)
- zeit.de: Artikelsammlung zur Patriotismus-Debatte
- Emma Goldman: "Patriotismus - Eine Bedrohung der Freiheit"; Aufsatz aus dem Jahr 1911
- Max Horkheimer: "Hinter der Fassade"; Kommentar aus dem Jahr 1959
- verschiedene Kurzdefinitionen des Begriffs "Patriotismus" mit lexikalischem Anspruch
- wissenschaft.de: Auswertungszusammenfassung einer internationalen Meinungsumfrage des nationalen Meinungsforschungsinstituts der Universität Chicago zum Thema Patriotismus - Meldung vom 1. März 2006
- Volker Kronenberg (auf einer Seite der Konrad-Adenauer-Stiftung): "Patriotismus in Deutschland - Eine Nation auf der Suche nach sich selbst"; Artikel aus dem Jahr 2004 incl. Auszug aus einem Interview der Zeitung Die Welt mit Angela Merkel zu deren Patriotismus-Verständnis (pdf-Datei)