Autorenfilm

Gattungsbezeichnung für Filme, in denen der Regisseur alle Aspekte der Produktion betreut
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Der Begriff Autorenfilm bezeichnet in der Regel Filme, in denen Autor (Drehbuchautor) und Regisseur identisch sind und das Drehbuch möglichst keine Adaption, sondern die originäre Schöpfung des Autors darstellt. Diese Definition ist allerdings, wie auch der Begriff selbst, unter Filmforschern umstritten. So ist es eine verbreitete Meinung, dass ein Film als Gesamtkunstwerk auch ohne die Drehbuch-Autorenschaft des Regisseurs realisierbar ist, denn nicht wenige Filmemacher des Autorenkinos betrachten ihre Filme als Kunstwerke mit literarischem Ausdruck. Viele Filmexperten sehen als das wichtigste Element des Autorenfilms eher die persönliche Handschrift eines Filmemachers, die vor allem durch eine ähnliche Grundtendenz („Werkzusammenhang“) mehrerer seiner Filme erkannt werden kann, meist verbunden mit audiovisuellen Ausdrucksformen, die ihm als typisch zugeordnet werden (Personalstil).

Mediengeschichtlich betrachtet wendet sich der Begriff Autorenfilm gegen die Vorstellung, dass Film als modernes Medium anonymer sei als traditionelle Darstellungsformen wie Literatur und Theater und fordert die Nennung des Regisseurs als Autor seiner Filme ein. Folgerichtig sind Autorenfilme selten Auftragsprojekte großer Filmstudios – mit Ausnahme des Falls, dass das Studio dem Beauftragten größtenteils freie Hand gewährt. Ein Autorenfilmer wird auch oft mit dem französischen Wort auteur bezeichnet, das sich mit der französischen Auteur-Theorie und der Nouvelle Vague durchgesetzt hat. Vorbild für die Auteur-Bewegung war und ist Alfred Hitchcock.

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Alfred Hitchcock (1963)

Historischer Kontext

Die Anfänge

Die ersten Filme, die jemals gedreht wurden, waren im Grunde Autorenfilme, da sie nichts als den Willen ihres Urhebers repräsentierten. Die Brüder Skladanowsky drehten – wenn auch ohne erkennbare Dramaturgie eines Drehbuchs – kleine Szenen von turnenden Menschen, die sie am 1. November 1895 im Berliner Varieté „Wintergarten“ vor 1500 Zuschauern präsentierten. Fast zwei Monate später, am 28. Dezember 1895, führten die Gebrüder Lumière ihren ersten Film im Pariser Grand Café auf.

In dieser Pionierzeit des Kinos ging es den Filmemachern vordergründig um den kuriosen Schaueffekt der bewegten Bilder. In der Folgezeit entstanden viele kleine Einakter, die alltägliche Szenen und kleine humoristische Farcen zum Inhalt hatten.

Als einen der ersten Regisseure mit Tendenz zum Autorenfilmer kann man Georges Méliès – den Urvater des fantastischen Films – ansehen. Er betrieb in Paris ein Zaubertheater, besuchte die erste Kinovorführung der Gebrüder Lumière im Pariser Grand Café und erkannte die Möglichkeiten des neuen Mediums (s. Publikationsform). Sogleich begann er, neben seiner Bühnenarbeit mit trickreichen Filmen zu experimentieren, die sich schon bald regen Publikumsinteresses erfreuten. Diese ersten fantastischen Filme von Méliès waren kurze, karikaturistisch übersteigerte Farcen, die sich selbst nicht ernst nahmen, aber umso mehr Faszination und Begeisterung für zukünftige Technologien zeigten. In dem Kurzfilm „Les Rayons Roentgen“ (Die Röntgenstrahlen, Frankreich 1897, 1 min) wird ein Patient vom Arzt geröntgt, worauf sein Skelett sich vom Körper löst und zu Boden fällt. Der erboste Patient beginnt mit dem Arzt zu streiten, bis dieser schließlich explodiert.

Solche Schaueffekte haben zwar mit den heute gängigen Definitionen des Begriffs „Autorenfilm“ kaum etwas gemein, sie sind aber in erster Linie von der Intention der Einzelpersonen geleitet. Dies liegt hier jedoch in der Natur der Sache: Eine produktionsteilige Arbeitsweise existierte damals noch nicht. Allzu aufwändige persönliche Botschaften einer später als „auteur“ agierenden Person waren nicht zu finden.

Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg

In den umfangreichen filmtheoretischen Debatten in Deutschland vor 1914 wurde der Begriff in einem anderen als dem heutigen Sinne gebraucht: Autorenfilme nannte man jene Filme, die einen Bezug zu einem möglichst renommierten literarischen Autor hatten – entweder als Originaldrehbuch eines Schriftstellers (z. B. „Der Student von Prag“ von Hanns Heinz Ewers) oder als Adaption eines literarischen bzw. dramatischen Werkes (z. B. „Atlantis“ nach Gerhart Hauptmann).

Die Filmindustrie

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35 mm Filmkamera Arriflex 300

Im Zuge der Verbesserungen der Filmtechnik (Edison) und des Aufkommens einer regelrechten Filmindustrie (Nickelodeons, Filmpaläste, Ateliers) waren sehr bald lange Spielfilme möglich (60 bis 90 min), die nun nicht mehr von Einzelpersonen bestritten werden konnten. Auch wurden Filme zunehmend als Politikum eingesetzt, beispielsweise in der Sowjetunion als Agitationspropaganda (Panzerkreuzer Potemkin, UdSSR 1925, von Sergej Eisenstein) oder als Kriegspropaganda. Die letzten bedeutenden Stummfilme mit Autorencharakter waren Fritz Langs Metropolis (1926) und Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu (1922), ebenso die Filme Charlie Chaplins und Buster Keatons.

Während der kurzen Zeit des „New Deal“ (1929-1941) – der amerikanischen Wirtschaftsdepression – entstand in den USA ein neues Kino, das sich sozialkritischen und gesellschaftlichen Themen widmete und sehr stark vom französischen kritischen Realismus beeinflusst war (Marcel Carné, Jean Renoir, Julien Duvivier); zum Beispiel John Fords Früchte des Zorns (The Grapes of Wrath) (1940), nach einem Roman von John Steinbeck.

Nach zwei Weltkriegen versank die europäische Filmindustrie in der Bedeutungslosigkeit, während in den USA sehr produktive und auch aggressive Oligopole (Trusts) entstanden, die mittels Studio-, Starsystem, Verleihmonopolen und Lizenzen einen Weltmarkt eroberten. Die neuen Produktionsweisen bedeuteten vorübergehend das Aus für den Autorenfilm in seiner ursprünglichen Form, und erst Einflüsse aus dem wiedererstarkten Europa – vor allem den französischen Film (Film Noir) und italienischen Film (Neorealismus) betreffend – riefen in den USA kurzfristig einen kleinen Boom des Autorenkinos hervor, an dem in erster Linie immigrierte Filmemacher beteiligt waren (Ernst Lubitsch, Billy Wilder, Otto Preminger) und der frühe Alfred Hitchcock.

Die Übermacht der US-amerikanischen Filmindustrie (Hollywood) mit ihren Majors und dem eingeführten Prinzip des Casting-Systems führte zur Entwicklung einer stereotypen Filmsprache, in der sich der Filmautor nicht mehr als primär unabhängiger Künstler sah. Er war nurmehr zum Drehbuchlieferanten eines Filmprojektes abgesunken und musste den Erfordernissen und Gesetzmäßigkeiten einer filmindustriellen Produktion nachkommen.

Nouvelle Vague

 
Orson Welles, fotografiert von Carl van Vechten 1937

Erst in der nächsten großen Epoche des Autorenfilms, der Nouvelle Vague („Neue Welle“) aus Frankreich, die wiederum sehr stark von den Filmen Alfred Hitchcocks beeinflusst war, gewann der Autorenfilmer seinen künstlerischen Stellenwert wieder zurück. Alfred Hitchcock wurde hier vor allem von François Truffaut als Vorbild betrachtet, obwohl viele seiner Drehbücher Adaptionen literarischer Vorlagen waren. Doch er entwickelte eine eigene Filmsprache, über die er persönliche Anliegen formulierte, und trat als Starregisseur in den Vordergrund. Truffaut tat in der Folge viel für die Anerkennung des „auteurs“ als Künstler, der seine persönliche Intention in die Filme einschreibt (siehe: „Die Auteur-Theorie“). Ebenso dürfte auch in der frühen Phase des amerikanischen Kinos der Autorenfilmer Orson Welles als singuläre Erscheinung gesehen werden. Zum ersten Mal wurden beim Film Citizen Kane (1941) alle wesentlichen Produktionsschritte dem Autor überlassen: Drehbuch, Regie, Kamera, Schnitt (Final Cut) und sogar die Hauptrolle. Auch der Einfluss des japanischen Autorenfilmers Akira Kurosawa mit seinen zwei Filmen Die sieben Samurai (1954) und Rashomon (1952) auf das amerikanische Hauptgenre Western soll hier nicht unerwähnt bleiben. Die Nouvelle Vague des französischen Films der 50er und 60er Jahre glänzte mit bedeutenden Filmemachern wie eben François Truffaut, Jean-Luc Godard, Louis Malle, Jacques Rivette, dem Spanier Luis Buñuel und Eric Rohmer.

New Hollywood

Der Vietnamkrieg und dessen verheerende Auswirkung auf die amerikanische Gesellschaft, vor allem aufgrund der großen ersten Medienpräsenz eines Krieges, führte zur Entstehung eines „unabhängigen Kinos“ (New Hollywood, die wilden 70er), welches gegen den Kitsch rebellierte und einen neuen Realismus einforderte. Autorenfilmer wie Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Dennis Hopper, Peter Bogdanovich, Robert Altman und John Cassavetes können als Exponenten dieser Zeit gelten. Als Einzelphänomen ist seit langen Jahren der Autorenfilmer Woody Allen zu sehen. Schon früh von der Nouvelle Vague beeinflusst und begeistert von Ingmar Bergmans Filmen, hat er mit seinen geistreichen und scharfsinnigen Komödien einen eigenen, unnachahmlichen Stil entwickelt. Der Präsident von United Artists und späterer Mitbegründer der Orion Pictures Corporation Arthur Krim ermöglichte Allen vollständige künstlerische Freiheit. Nur wenige Filme Allens waren auch kommerzielle Erfolge – zu diesen Ausnahmen zählen zum Beispiel Der Stadtneurotiker, Manhattan und Hannah und ihre Schwestern.

Wie Alfred Hitchcock nutzte auch der amerikanische Filmemacher Stanley Kubrick adaptierte Drehbücher, die teilweise gemeinsam mit den Originalautoren erarbeitet wurden, beispielsweise mit Arthur C. Clarke bei 2001: Odyssee im Weltraum (1965) oder mit Vladimir Nabokov in Lolita (1961). Dennoch hat er mit neuer Bild-, Filmsprache und neuen Techniken das Kino revolutioniert. 2001 gilt nach wie vor als Meilenstein des Science-Fiction-Films.

Europa

Als weitere bedeutende Gegenbewegungen zum Mainstream des Kinos können noch das „New British Cinema“ (mit den wichtigsten Vertretern Peter Greenaway und Ken Loach), das „British Cinema of the Sixties“ und der „Neue deutsche Film“ genannt werden, durch den vor allem der Filmemacher und Autor Alexander Kluge bekannt wurde. Als Gegenentwurf zum gefälligen deutschen Kino der Wirtschaftswunderjahre fanden sich 26 Filmautoren, die das so genannte „Oberhausener Manifest“ formulierten und damit eine fruchtbare Zeit für den deutschen Autorenfilm einleiteten. Bedeutende Vertreter sind Volker Schlöndorff, Alexander Kluge, Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Hark Bohm.

Selten in Betracht gezogen – und von der Filmliteratur sträflich vernachlässigt – sind die hervorragenden Autorenfilme der DDR. Trotz des Diktats der Agitationspropaganda und anderer politischer Zwänge und Einschränkungen entstanden einzigartige Autorenfilme (Die Legende von Paul und Paula (1973) von Heiner Carow/Ulrich Plenzdorf; Spur der Steine (1966) von Frank Beyer), die nicht nur junge Filmemacher aus der BRD beeinflussten (Rainer Werner Fassbinder), sondern auch den russischen Film, dessen unangefochtene Ikone des Autorenfilms der „Filmphilosoph“ Andrei Tarkowski war.

Der Autorenfilm heute

Rege Aktivitäten des Autorenkinos können derzeit in aufstrebenden europäischen Ländern beobachtet werden: in Spanien mit seinen Starfilmemachern Pedro Almodóvar und Alejandro Amenábar, in Belgien mit Benoît Poelvoorde, in Dänemark mit der programmatischen Gruppe Dogma 95 und vor allem deren Initiator Lars von Trier, sowie hierzulande mit dem Regisseur von Lola rennt, Tom Tykwer, Oskar Roehler und dem „enfant terrible“ Christoph Schlingensief. Auch in den USA sind seit den 1990ern einige unabhängige Filmemacher zu beobachten: zum Beispiel Quentin Tarantino, Jim Jarmusch, Darren Aronofsky, Paul Thomas Anderson, Todd Solondz, der Franzose Luc Besson und die Coen-Brüder Ethan und Joel. Ein Phänomen, das in den letzten Jahren häufiger zu beobachten war, ist die amerikanische Wertschätzung für europäische Autorenfilme. Nicht selten wurden Autorenfilme adaptiert und neu verfilmt:

Die Auteur-Theorie

Die Auteur-Theorie ist die theoretische Grundlage für den Autorenfilm – insbesondere den französischen – in den 1950er-Jahren in Abgrenzung zum Produzenten-Kino. Auch heute noch wird die Definition des auteur-Begriffs ständig weiterentwickelt.

Geschichte der Auteur-Theorie

Ende der 1940er-Jahre wurde eine erste Auteur-Theorie von dem französischen Filmkritiker Alexandre Astruc formuliert, indem er die Frage nach dem geistigen Besitz eines Films aufwarf. Im traditionellen Schaffensprozess lassen sich die Anteile von Drehbuchautor, Kameramann und Regisseur am Gesamtwerk nur schwer zuordnen. Durch die Zuteilung der Teilaufgaben als Honorartätigkeit durch die Filmgesellschaften leide die Kreativität, so die These. Im Umkehrschluss fordert diese Theorie die Zusammenführung der Tätigkeiten zu einer kreativen Einheit.

Doch durchgesetzt haben sich solche und ähnliche Ideen der Auteur-Theorie erst in den 1950er Jahren. Deren gängiger Begriff als Wegbereiter für die heutige Auteur-Theorie lautete zunächst politique des auteurs (Autoren-Politik), was erst im Laufe der Zeit zur Theorie umgeformt wurde. Das Wort politique bzw. Politik stand hier also eher für Parteilichkeit, welche für filmwissenschaftliche Diskussionen eher hinderlich ist (siehe unten).

Die politique des auteurs wurde zu dieser Zeit von einer Gruppe von jungen Filmkritikern um André Bazin entwickelt, die für die Filmzeitschrift Cahiers du cinéma schrieben. Eine wesentliche Rolle spielte dabei François Truffaut: Im Januar 1954 veröffentlichte er seinen Aufsehen erregenden Aufsatz Une certaine tendance du cinéma français (Eine gewisse Tendenz im französischen Film), in dem er sich mit scharfer Polemik gegen den etablierten französischen „Qualitätsfilm“ wandte. Bei diesem trat der Regisseur gegenüber dem Drehbuchautor und dem Autor der literarischen Vorlage oft in den Hintergrund. Truffaut plädierte dagegen für einen Film, bei dem Form und Inhalt vollständig vom Regisseur selbst als dem eigentlichen „auteur“ des Films bestimmt werden, und er fand das eher bei in Hollywood arbeitenden Regisseuren (Alfred Hitchcock, Howard Hawks, Fritz Lang), aber auch bei europäischen (Luis Buñuel, Roberto Rossellini).

Das Konzept des Regisseurs als auteur seiner Filme wurde nicht nur für die Filmkritik der Cahiers du cinéma bestimmend, sondern auch für die Regisseure der Nouvelle Vague, die daraus hervorgingen, neben Truffaut etwa Jean-Luc Godard, Jacques Rivette oder Claude Chabrol – Filmemacher, die sich zur Umsetzung ihrer künstlerischen Ziele einer jeweils ganz eigenen filmischen Form bedienten.

Während bis in die 1970er die Auteur-Theorie prägend für den europäischen Film war, setzte sich danach wieder eine Abkehr von der „verhängnisvollen Macht der Regisseure“ (Günter Rohrbach) durch. Wirtschaftlicher Druck zwang zur Rückkehr zu einer arbeitsteiligen Produktionsweise, wie sie für den Produzenten-Film charakteristisch ist. Damit einher ging notwendigerweise auch wieder die Einigung aller Beteiligten auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner und somit auch häufig eine gewisse Banalisierung der Filminhalte, die um so stärker zu Tage tritt, je weniger der Produzent als Projektverantwortlicher in den eigentlichen schöpferischen Prozess eingebunden ist.

Durch das Aufkommen digitaler Aufnahmetechniken wie Digital Video seit Ende der 1990er Jahre sehen viele Filmemacher, wie etwa Wim Wenders, wieder günstigere Bedingungen für individuelle, subjektive Produktionen gegeben.

Kritik und Diskussion

Die von François Truffaut und Jean-Luc Godard proklamierte „politique des auteurs“ (Autorenpolitik) der fünfziger Jahre war ursprünglich ein Versuch, bestimmte Regisseure wie Alfred Hitchcock als Künstler anzuerkennen, die ihre völlig eigene Bildsprache entwickelten oder, wie Truffaut selber, sämtliche Aspekte ihrer Filme selbst bestimmten. Ein Autorenfilmer ist demnach ein Regisseur, der einen Film – möglichst ohne Kompromisse – so gestaltet, wie er ihn selbst haben möchte.

Die „politique des auteurs“ geriet schnell in die Kritik. Kritiker wie Andrew Sarris und Peter Wollen wiesen auf ein empirisches Problem hin: Niemand kann beweisen, wie viel Einfluss der Regisseur wirklich auf seine Filme hatte bzw. welchen Einfluss Form und Inhalt wirklich auf das haben, was wir als Autorenschaft wahrnehmen. Als Beispiel gilt der Vorspann von Vertigo, den Hitchcock nicht selbst angefertigt hat, oder die Tatsache, dass viele seiner Filme auf einer Buchvorlage fremder Autoren basieren und selbst die Drehbücher selten von ihm selbst stammten. Gerade Hitchcock aber ist eine zentrale Figur in der „politique des auteurs“. Wie der Name „politique des auteurs“ sagt, handelte es sich um eine Politik, eine gezielte polemische Intervention. Andrew Sarris übersetzte „politique des auteurs“ jedoch 1962 mit „auteur theory“, wobei unklar blieb, in welchem Sinne es sich hier tatsächlich um eine Theorie handelt. Sarris popularisierte diese 'Theorie' im englischen Sprachraum, benutzte sie jedoch vor allem, um die absolute Überlegenheit des Hollywood-Kinos darzulegen, war er doch davon überzeugt, es sei „the only cinema in the world worth exploring in depth beneath the frosting of a few great directors at the top“. Nun war die Frage: Wo ist die Grenze? Was nehmen wir als Autor wahr?

Soziologisch gesehen war die Autorentheorie eine Distinktionsstrategie junger Kritiker, die auf sich aufmerksam machen wollten. Godard hat dies später offen zugegeben: „Wir sagten von Preminger und den anderen Regisseuren, die für Studios arbeiteten, wie man heute fürs Fernsehen arbeitet: ‚Sie sind Lohnempfänger, aber gleichzeitig mehr als das, denn sie haben Talent, einige sogar Genie …‘, aber das war total falsch. Wir haben das gesagt, weil wir es glaubten, aber in Wirklichkeit steckt dahinter, daß wir auf uns aufmerksam machen wollten, weil niemand auf uns hörte. Die Türen waren zu. Deshalb mußten wir sagen: Hitchcock ist ein größeres Genie als Chateaubriand.“

In den siebziger Jahren folgte dann die stärkste Kritik an der „politique des auteurs“. Roland Barthes proklamierte bereits 1968 vor einem poststrukturalistischen Hintergrund den „Tod des Autors“. Der Autor wurde nun aufgrund des empirischen Dilemmas der Beweisbarkeit von Autorenschaften als Image-Figur erkannt, die sich aus ihrer Umwelt formt und in die Werke einschreibt. Auch von feministischer Seite wurde die „politique des auteurs“ scharf angegriffen, diene sie doch dazu, den kollektiven Charakter des Filmemachens zu verdecken und in der Tradition patriarchaler Heldenverehrung Männer zu Superstars zu stilisieren. Claire Johnston verteidigte den Ansatz insofern, als dieser einer zu monolithischen Sicht des Hollywood-Kinos entgegen wirke.

In den neunziger Jahren schließlich ging die Tendenz zu der Annahme, dass Autorenschaften zum Großteil (z. T. kommerziell) konstruiert sind. Timothy Corrigan nennt dies den „commercial auteur“. Es wird damit gerechnet, dass das Publikum den Film eines als Autor bekannten Regisseurs als z. B. „Der neue Woody Allen!“ wahrnimmt, ohne wirklich zu wissen, wie viel Einfluss Woody Allen tatsächlich auf den Film hatte. Dana Polan verfolgte einen weiteren interessanten Ansatz: Sie sieht den „auteurist“ als Hauptverantwortlichen für konstruierte Autorenbilder. Das sind Kritiker, die den Autor als höchste Instanz suchen und damit – wie François Truffaut – auf einen Filmemacher als Künstler hinweisen wollen und nebenbei ihre eigene Erkenntniskraft zelebrieren. Der Begriff dafür lautet „auteur Desire“. Dieser Ansatz zeigt noch einmal den größten Vorwurf gegenüber der „politique des auteurs“ auf. Doch trotzdem ist die Nennung eines Regisseurs parallel zu – beispielsweise – einem Buchautor als Schöpfergeist auch unter reflektierten Filmkritikern- und Wissenschaftlern weiterhin außerordentlich beliebt. Steckt also doch mehr dahinter?

Ein neuerer Ansatz, die kontextorientierte Werkanalyse von Jan Distelmeyer, versucht diese Frage zu klären. Als Grundlage dienen Publikums- und Kritikerrezeption auf der einen Seite und die Konstruktion des Autors aus Biografie, Filmindustrie und kulturellem Umfeld auf der anderen Seite. Diese zweiseitige Annäherung erkennt das empirische Dilemma der Definition von „auteur“ an und maßt sich auch keine Bestimmung dessen an, was jetzt eigentlich das Werk von Autor XYZ ist. Viele andere Filmtheoretiker verfolgen heutzutage ähnliche Konzepte. Doch auch eine solch freie Handhabung kann das Problem nicht vollständig lösen, da die wichtigsten Elemente variabel sind und sich so einer eindeutigen Aussage verschließen.

Der Schwerpunkt kritischer Tendenzen liegt also zum Großteil in der Empirie. Einen Filmemacher als „auteur“ anzuerkennen fordert uneingeschränktes Vertrauen in seine Aussagen, wie viel Einfluss er auf seine eigenen Filme hatte. Da dies in Zeiten einer sehr starken Vermarktung aller möglichen mehr oder weniger (un)abhängigen Regisseure seitens von Filmindustrie und Verleih ein fast aussichtsloses Unterfangen ist, ist ein Restzweifel und das stete Hinterfragen der „auteur“-Definition angebracht. (Alle Quellenangaben zu diesem Abschnitt Kritik und Diskussion im Literaturverzeichnis)

Wichtige Auteur-Theoretiker

Bedeutende Filmautoren

Und eine Auswahl ihrer wichtigsten Filme (auch Adaptionen berücksichtigt) Hinweis: Diese Liste enthält Namen bekannter Filmemacher, denen generell ein eigener Stil, eine eigene Formsprache und/oder eigene Themenfelder zugestanden werden. Wer nun als Autorenfilmer im strengeren Sinne oder eher doch als weniger innovativer Regisseur oder gar als künstliches Produkt für das Marketing von Filmen betrachtet werden kann, ist jeweils Auslegungssache und setzt eine genauere Benennung der herangezogenen Definition voraus. Dies wurde in den Kapiteln zur Auteur-Theorie näher erläutert. Die gelisteten Namen können und sollen also nur eine Diskussionsgrundlage sein.

USA

 
Oliver Stone bei der Premiere von Alexander in Köln

Frankreich

Italien

Deutschland

Großbritannien

Andere Länder

Literatur

Zu „Geschichte“

  • Helmut Diederichs: The Origins of the Autorenfilm. 1895-1920. Hrsg. v. P. Cherchi Usai u. L. Codelli. Pordenone 1990, S.380-401.
  • Leonardo Quaresima: Dichter, heraus! The Autorenfilm and German Cinema of the 1910s. In: Griffithiana. 1990,38/39, S.101-120.
  • Deniz Göktürk: Atlantis oder: Vom Sinken der Kultur. Die Nobilitierung des frühen Kinos im Autorenfilm. In: Schwarzer Traum und weiße Sklavin. M.Behn (Red.). München 1994, S.73-86.
  • Hermann Kappelhoff: Der möblierte Mensch. Berlin 1995.
  • Gustav Ernst: Autorenfilm, Filmautoren. Wien 1996.
  • Corinna Müller: Das andere Kino? Autorenfilme in der Vorkriegsära. In: Die Modellierung des Kinofilms. hrsg. v. C. Müller u. H. Segeberg. München 1998, S.153-192.
  • Marcus Stiglegger (Hrsg.): Splitter im Gewebe. Filmemacher zwischen Autorenfilm und Mainstreamkino. Mainz 2000.

Zu „Die Auteur-Theorie – Kritik und Diskussion“

  • François Truffaut: Une certaine tendance du cinéma français. In: Cahiers du cinéma. 1954,31 (Januar). – Übersetzung: A Certain Tendency of the French Cinema. In: Bill Nichols (Hrsg.): Movies and Methods. Berkeley 1976, S. 224-237.
  • Jean-Luc Godard: Godard/Kritiker. München 1974, S. 38-56.
  • Jean-Luc Godard: Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos. Frankfurt am Main 1984.
  • Andrew Sarris: Towards a Theory of Film History. In: Bill Nichols (Hrsg.): Movies and Methods. Berkeley 1976, S. 237-251.
  • Peter Wollen: The auteur theory. In: Signs and Meaning in the Cinema. London 1969, S.74-115.
  • Roland Barthes: Der Tod des Autors. In: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Mathias Martinez, Simone Winko (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000, S. 185-193.
  • Timothy Corrigan: A Cinema without Walls. Movies and Culture after Vietnam. New Brunswick 1991, S. 101-136.
  • Dana Polan: Auteur Desire. In: Screening the Past – An International, Refereed, Electronic Journal of Visual Media and History. Nr. 12 („Auteurism 2001“)
  • Jan Distelmeyer: Vom auteur zum Kulturprodukt. Entwurf einer kontextorientierten Werkgeschichtsschreibung. In: Andrea Nolte (Hrsg.): Mediale Wirklichkeiten. Dokumentation des 15. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums. Marburg 2003, S. 86-97.

Allgemeine Literatur

Wiktionary: Autorenfilm – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen