Reichsland Elsaß-Lothringen
Reichsland Elsass-Lothringen ist die Bezeichnung für ein aus Teilen der alten Landschaften Elsass und Lothringen gebildetes Verwaltungsgebiet des Deutschen Reiches seit 1871.
Geographie
Fläche: 14522 km² Einwohnerzahl (1905): 1.815.000. Hauptstadt: Straßburg im Elsass. Größte Städte: Straßburg (Landeshauptstadt), Kolmar (Colmar) (Sitz des Oberlandesgerichtes), Metz
Geschichte
Vorgeschichte bis zur Gründung des Reichslandes
Historisch geht das Reichsland Elsaß-Lothringen, das seit dem Vertrag von Mersen im Jahr 870 zum Deutschen Reich (seit 962 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation) gehörte, zurück auf das Herzogtum Lothringen und die Landschaft Elsass, in der verschiedene reichsstädtische, geistliche und reichsherrliche Traditionen bestehen. Kennzeichnend ist die Rolle als eine Art "Zwischenland" seit dem territorialen Ausgreifen Frankreichs unter Ludwig XIV. in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Elsaß mit Straßburg wurde 1681 von Truppen Ludwigs XIV. besetzt und annektiert.
In der französischen Revolutionszeit wurde die Region vollständig Teil der französischen I. Republik und blieb auch während des I. Kaiserreiches, der Restaurationszeit, der Julimonarchie, der II. Republik und des II. Kaiserreiches ein Teil Frankreichs. Es war - wie das übrige französische Staatsgebiet - in Départements unterteilt, deren Grenzen sich nicht mit den späteren Grenzen des Reichslandes deckten.
Elsaß-Lothringen im Deutschen Reich
Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde das Gebiet mit dem Frieden von Frankfurt wieder dem Deutschen Reich angegliedert. Die Grenzziehung in Lothringen folgte im Wesentlichen der Sprachgrenze. Aus militärischen Gründen wurde jedoch auch die Festung und Stadt Metz samt Umgebung dem Reich zugeschlagen, obwohl dort Französisch gesprochen wurde. Schon 1871 gab es Pläne für eine strategische Eisenbahnlinie von Berlin über Wetzlar und Koblenz nach Metz, um das neue Reichsland auch militärstrategisch einzubinden. Die Kanonenbahn wurde dann in den 1870er Jahren realisiert.
Der Status „Reichsland“
Da das neue Reich ein Bundesstaat aus verschiedenen Ländern, darunter Königreichen wie Bayern, Württemberg und Preußen, war und man dem Neugewinn zunächst keine Eigenständigkeit zugestehen wollte, wurden verschiedene Möglichkeiten zur Eingliederung diskutiert:
- Angliederung als preußische Provinz
- Eingliederung nach Bayern (die damals noch bayerische Pfalz wäre mit Lothringen verschmolzen worden, das Elsass wäre zu Baden gekommen)
- Neuschaffung eines „Reichslandes“, das dem Reich (also keinem bestimmten Bundesstaat) zugeordnet ist und das vom Kaiser direkt verwaltet wird.
Vor allem die "preußische Lösung" wurde anfangs von verschiedenen Seiten sehr lebhaft vertreten. Der Historiker Heinrich von Treitschke plädierte 1871 im Reichstag für diese Lösung mit folgender Begründung: "Die Aufgabe, diese entfremdeten Stämme deutscher Nation unserem Lande wieder einzufügen, ist so groß und schwer, daß man sie nur erprobten Händen anvertrauen darf, und wo ist eine politische Kraft im Deutschen Reiche, die die Gabe, zu germanisieren, erprobt hat, wie das alte glorreiche Preußen".
Bismarck setzte sich im Reichstag für die Lösung ein, dass Elsaß-Lothringen an den Gemeinschaftsstaat überging, nicht zuletzt, weil er vor allem auf die Interessen der süddeutschen Bundesstaaten Rücksicht nehmen musste.
Die Möglichkeit, Elsaß-Lothringen den Status eines Bundesstaats des Deutschen Reiches mit eigenem Landesherrn und eigener Verfassung zuzugestehen, wurde nicht erwogen, nicht zuletzt deshalb, weil man in Preußen der Überzeugung war, dass die Bevölkerung des Landes doch zuerst germanisiert werden müsste. Deshalb wurde das Reichsland zunächst als besetztes Gebiet behandelt und unmittelbar durch das Reich verwaltet. Viele sich zu Frankreich gehörig fühlende, insbesondere französischsprachige Einwohner, verließen die Region und zogen nach Frankreich, insbesondere nach Belfort.
Immerhin erhielten die Einwohner das Wahlrecht zum deutschen Reichstag, in dem sie fortan vertreten waren.
Sprachenfrage
Die Sprachenfrage wurde in einem Gesetz vom März 1872 so geregelt, dass grundsätzlich die amtliche Geschäftssprache deutsch war, jedoch in den Landesteilen mit überwiegend französisch sprechender Bevölkerung den öffentlichen Bekanntmachungen und Erlassen eine französische Übersetzung beigefügt werden sollte. In einem weiteren Gesetz von 1873 wurde für die Bezirksverwaltungen von Lothringen und die Kreisverwaltungen derjenigen Kreise, in denen die französische Sprache ganz oder teilweise Volkssprache war, der Gebrauch des Französischen als Geschäftssprache zugelassen.
In einem Gesetz über das Unterrichtswesen von 1873 wurde geregelt, dass in den Gebieten mit Deutsch als Volkssprache diese auch ausschließliche Schulsprache war, während in den Gebieten mit überwiegend französisch sprechender Bevölkerung der Unterricht ausschließlich in französischer Sprache gehalten wurde.
Politische Eigenständigkeit
1874 wurde hier die reichsdeutsche Verfassung eingeführt. Das Land erhielt im Deutschen Reich ab 1877 das Recht, Gesetze vorzuschlagen.
Es besaß nunmehr eine gewisse Eigenständigkeit. Ein beratender Landesausschuss wurde eingerichtet. 1879 wurde das Amt des Statthalters eingeführt, der als Oberhaupt das Reichsland Elsaß-Lothringen repräsentierte.
Ein Staatssekretär im Ministerium für Elsaß-Lothringen leitete die Regierung des Reichslandes. 1884 wurde die Universität Straßburg zur Reichsuniversität.
Während dieser Zeit erlebte das Elsass eine wirtschaftliche Blütezeit, viele neue Errungenschaften wie die Sozialversicherung und Krankenversicherung wurden entsprechend der Entwicklung in den übrigen Teilen des deutschen Kaiserreichs eingeführt.
Erst im Jahre 1911 wurde Elsaß-Lothringen den übrigen deutschen Bundesstaaten gleichgestellt und erhielt eine eigene Verfassung und ein eigenes, frei gewähltes Parlament, eine eigene Fahne und drei Vertreter im deutschen Bundesrat. Das Parlament bestand aus zwei Kammern: die erste Kammer bestand aus Abgeordneten der Handels- und Landwirtschaftskammern, der Städte und Religionsgemeinschaften, der Universität und des Oberlandesgerichts, während die 60 Abgeordneten der zweiten Kammer in freier, gleicher und geheimer Wahl für fünf Jahre gewählt wurden. Dennoch empfanden viele Bewohner die Deutschen jenseits des Rheins, insbesondere die preußischen Verwaltungsbeamten und Militärs, als Besatzer, wie die Vorgänge um die Zabern-Affäre zeigten.
Zwischenkriegszeit – zurück zu Frankreich
Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte sich das Elsass unter Eugen Ricklin im November 1918 zunächst für unabhängig. Dies war die einzige, sehr kurze Zeit in der Geschichte des Elsass, in der die dort wohnenden Menschen allein über ihre Geschicke bestimmen durften. Nach etwa einer Woche rückten französische Truppen ein und beendeten die Unabhängigkeit. Anfangs reagierten einige Bevölkerungsteile enthusiastisch auf die Rückkehr nach Frankreich. Dies ließ nach, als die Franzosen ihre Assimilationspolitik durchsetzten. Die Bewohner des Elsass wurden nach dem Ende dieser Zeit des "Reichslands Elsaß-Lothringen" in vier Gruppen eingeteilt, je nach Abstammung: Franzosen (oder Elsass-Lothringer vor 1871), Teilfranzosen, (nach 1871 eingewanderte) Deutsche und Ausländer. Nach 1870 eingewanderte Personen deutscher Abstammung und deren Nachkommen mussten das Land verlassen.
Das Reichsland Elsaß-Lothringen wurde am 17. Oktober 1919 aufgelöst und fortan von einer Generaldirektion in Paris verwaltet. Aufgrund der Assimilierungspolitik wuchs innerhalb der elsässischen Bevölkerung der Missmut. Dies hatte eine starke autonomistische Bewegung zur Folge. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung erzielten die elsässischen Autonomisten, die mit der kommunistischen Partei sowie den bretonischen und korsischen Nationalisten kooperierten, in allen elsässischen Wahlkreisen die absolute Mehrheit der Stimmen. Die Abgeordneten und Politiker, die sich für Autonomie aussprachen, wurden vom französischen Staat oft zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, der Führer der Autonomistenpartei, Karl Roos, am 7. Februar 1940 in Nancy wegen angeblicher Spionage hingerichtet.
Zweiter Weltkrieg – deutsche Besatzung
Ab dem 19. Juni 1940 besetzte die Wehrmacht das Elsass.
Unter den Nationalsozialisten wurde Elsaß-Lothringen faktisch dem Großdeutschen Reich eingegliedert, offiziell blieb Elsaß-Lothringen jedoch französisch. Denn nach dem Sieg über Frankreich hoffte man auf einen Frieden im Westen, der durch eine direkte Annexion Elsaß-Lothringens zusätzlich erschwert worden wäre.
1941 wurde die nationalsozialistische Reichsuniversität Straßburg gegründet.
Ab 1942 wurden Elsässer und Lothringer nach Einführung der allgemeinen Wehrpficht zwangsweise zum Kriegsdienst bei der deutschen Wehrmacht eingezogen.
Nachkriegszeit in Frankreich
siehe auch: Elsass, Geschichte des Elsass
Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb die französische Regierung sprachlich eine Assimilierungspolitik (c'est chic de parler français), da in der Schule und im Berufsleben nur Französisch verwendet wurde, war die Nachkriegsgeneration regelrecht gezwungen, diese Sprache zu erlernen. Dadurch kam die Elsässische Sprache so ins Hintertreffen, dass die Mehrheit der jungen Elsässer (die nach etwa 1970 Geborenen) sie heute nicht mehr sprechen kann (Quelle: Sondages de 2001 des DNA "Dernières Nouvelles d'Alsace"), auch die Hochdeutschkenntnisse sind trotz der grenznahen Lage eher gering.
Seit 1972 gibt es im Elsass und in Lothringen wieder regionale Parlamente. Heutzutage erzielen autonomistische Parteien (beispielsweise Alsace d'Abord oder das Nationalforum Elsaß-Lothringen) nur noch 2% der abgegebenen Stimmen, sie betreiben jedoch einige Webseiten, in denen sie die Geschichte Elsass-Lothringens aus ihrer Sicht präsentieren.
Kreise im Reichsland Elsaß-Lothringen 1918
Bezirk Lothringen
Stadtkreis
Übrige Kreise
Bezirk Oberelsaß
Kreise
- Altkirch
- Colmar
- Gebweiler
- Mülhausen
- Rappoltsweiler
- Thann
Bezirk Unterelsaß
Stadtkreis
Übrige Kreise
- Erstein
- Hagenau
- Molsheim
- Schlettstadt
- Straßburg, Land
- Weißenburg
- Zabern
Literatur
- Hans-Ulrich Wehler: Elsaß-Lothringen von 1870 bis 1918. Das "Reichsland" als politisch-staatsrechtliches Problem des zweiten deutschen Kaiserreichs, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 109, 1961, S. 133ff.
- Stefan Fisch, Das Elsaß im Deutschen Kaiserreich (1870/71-1918), in: Michael Erbe (Hg.), Das Elsaß. Historische Landschaft im Wandel der Zeit, Stuttgart 2003, S. 123-146.
Weblinks
- Reichsland Elsaß-Lothringen
- Reichsland Elsaß-Lothringen (Kreise und Gemeinden) 1910
- Statistiken usw.
- Die Geschichte von Elsass-Lothringen in deutscher Sprache
- Die Geschichte von Elsass-Lothringen in französischer Sprache
- Frankreich, Deutschland und der Kampf für die Krieg-bildenden Naturresourcen des Rheinlands (Auf English)