Baudolino ist der Titel eines historischen Romans von Umberto Eco und erschien 2000 im Original und 2001 in deutscher Übersetzung.
Inhalt
Handlungstechnisch legt der im Mittelalter unter der Herrschaft des Stauferkaisers Friedrich I. Barbarossas spielende Roman eine Zweiteilung nahe.
Erster Teil
Der in die Jahre gekommene Baudolino erzählt 1204 nach der Eroberung und Plünderung Konstantinopels durch Kreuzritter des vierten Kreuzzugs dem Geschichtsschreiber Niketas Choniates sein Leben: Als Jugendlicher begegnet er 1155 dem verirrten Barbarossa und erzählt diesem eines seiner Lügenmärchen: der Heilige Baudolino habe ihm die Einnahme der nahe gelegenen Stadt Tortona durch Kaiser Barbarossa prophezeit. Friedrich ist von ihm angetan, adoptiert ihn und nimmt ihn mit zur Kaiserkrönung nach Rom. Bischof Otto von Freising kümmert sich um Baudolinos Ausbildung. Am Sterbebett bittet er ihn, die Geschichte vom Priesterkönig Johannes fortzuführen. Baudolino beginnt ein Studium in Paris und lernt dort erste Freunde kennen: den Poeten (Archipoeta), Abdul, Boron, Kyot (der nach Wolfram von Eschenbach die Vorlage für dessen Parzival verfasst haben soll), Solomon. Baudolino nimmt Einfluss auf den Verlauf der Weltgeschichte: Er begleitet den Kaiser auf Feldzügen, dient als gewiefter Unterhändler, beschafft nützliche Reliquien und tut alles, um die Macht und das Ansehen seines Ziehvaters zu fördern.
In Anlehnung an Sindbads Abenteuer in Indien erfinden die Freunde einen Brief des Presbyters Johannes adressiert an Friedrich, und lösen damit die erste große Ente der Weltliteratur aus. Denn ein Spion namens Zosimos kopiert den Text, modelt ihn um und widmet ihn dem Basileus von Byzanz, plötzlich taucht der Brief aber, an Papst Alexander gerichtet, in Rom auf. In den verschiedenen, den jeweiligen Herrschern angepassten, Versionen wird stets ausführlich von der großen Macht und dem edelsteinbewehrten Reichtum des fernen Landes berichtet. Das von Baudolino geplante Geschenk des Johannes für Friedrich sollte der Heilige Gral sein. In Ermangelung des Originals gibt Baudolino fröhlich die Holzschüssel seines Vaters als "den" Gral aus. Denn, wie Niketas bereits früher dazu bemerkt: "Es ist der Glaube, der die Reliquien echt macht" (S.142).
Doch weder der Gral noch Baudolino kann den Tod der Kaisers auf einem Kreuzzug gen Jerusalem verhindern. Barbarossas Tod liest sich in Baudolinos Erinnerungen ganz anders als in der Geschichte und der mysteriöse Badeunfall Friedrichs im Fluss Saleph wird Baudolino noch lange begleiten und erst spät eine (mögliche) Erklärung finden.
Zweiter Teil
Nach Friedrichs Ende bricht Baudolino mit seinen Freunden und Getreuen auf, um das Reich des Presbyters Johannes zu finden. Diese Expedition führt die Gruppe in Gegenden, die bevölkert sind mit kuriosen Menschen- und Fabelwesen - ein Streifzug durch die mittelalterliche Mythologie. Die Gefährten erreichen Pndapetzim, den Vorposten zum Land des Johannes. Von dort fliehen sie nach dem folgenreichen Angriff der Hunnen zurück nach Konstantinopel. Baudolino muss in Pndapetzim seine große Liebe Hypatia zurücklassen. Nachdem Baudolino seinem Chronisten die Geschichte seines bisherigen Lebens erzählt hat, und Friedrichs Todesumstände aufgeklärt werden, bricht er noch einmal auf, um doch noch sein verheißenes Land zu finden.
Anmerkungen
Brechung traditioneller Motive aus dem Historien- und Abenteuerroman
Eco durchsetzt den Roman mit postmoderner Ironie
- In der Tradition des Schelmenromans ist Baudolino eine aufgeklärte Picaro-Figur, die Eco die Ereignisse der offiziellen Geschichtsschreibung des Mittelalters miterfinden und neu verknüpfen lässt. Baudolino "erschafft" den Gral und historisch dokumentierte Schriften, ist treibende Kraft hinter Barbarossa und veranlasst dessen kluge politische Schachzüge, wie die Heiligsprechung Karls des Großen. Dabei entwickelt er sich nicht in Bezug auf die Lügnerei. Eco lässt den Roman mit einem metafiktionalen Kommentar enden, wenn er den (historisch verbürgten) Geschichtsschreiber Niketas Choniates sich mit einem Freund unterhalten lässt:
"Es war eine schöne Geschichte. Schade, dass sie nun niemand erfährt." "Glaub nicht, du wärst der einzige Geschichtenverfasser in dieser Welt. Früher oder später wird sie jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino." (Baudolino, S. 633)
- Elemente aus dem Abenteuerroman wie Schatzsuche, Reisen, Kriege, und Kämpfe gegen Fabelwesen behandelt Eco sehr ironisch: der Heilige Gral ist ein von vornherein erfundenes Objekt, Kriege enden als Posse (Rettung der Stadt Alessandria durch eine Kuh; die Bewohner des Pndapetzim gehen weniger an der Aggression von Außen als an ihrer eigenen Zerstrittenheit zugrunde).
- Fantastische Elemente stehen besonders im zweiten Teil des Romans gleichberechtigt neben historischen "Tatsachen": es tauchen vermehrt Fabelwesen (Basilisken, Mantikore, Einhörner) auf, Baudolino verliebt sich in die Satyrin Hypatia, die den Namen der berühmten Philosophin Hypatia trägt. Ironischerweise werden manche Monster nach ihrem Ableben verspeist, und Baudolino wird von der Frage getrieben, wo das Geschlechtsteil bei den Skiapoden sitzt.
- Der in der ersten Hälfte des Romans beschworene Orientalismus, der die Exotik ferner Länder, Kulturen (Stichwort: Essen) und Weltanschauungen zum Thema hat, erlebt am Ende eine starke Brechung: in Pndapetzim will der Orient vom Okzident gerettet werden.
- Selbst die Befassung mit semiotischen Elementen, der Eco mit Der Name der Rose ein Denkmal gesetzt hat, wird lange nicht mit der gewohnten Ernsthaftigkeit dargestellt: der Mord an Friedrich in einem geschlossenen Raum, ein vertrauter Topos aus Kriminalromanen (siehe John Dickson Carrs The Hollow Man (1935)), wird letztendlich gerade von dem Menschen begangen, der ihn verhindern wollte.
Pndapetzim
Als von dem Diakon Johannes (der durch seine Krankheit Ähnlichkeit mit Balduin IV. (Jerusalem) aufweist) regierter Stadtstaat ist Pndapetzim dem letztendlich unzugänglichen utopischen Reich des Priesterkönigs Johannes vorgeschaltet. Die Stadt ist bevölkert von einer unüberschaubaren Anzahl mittelalterlicher Fabelwesen (wie Skiapoden, Panothier und Blemmyer), die die ganze Fülle historischen christlichen Dogmatismus repräsentieren. Durch die innere Zerstrittenheit ist Pndapetzim Angriffen von außen schutzlos ausgeliefert und wird von den weißen Hunnen problemlos erobert.
Sonstiges
- Eine Hörspielbearbeitung von Leonhard Koppelmann, der sich auch für die Regie beim Hörspiel von Ken Follets "Die Säulen der Erde" verantwortlicht zeichnet, wurde 2002 im "Hörverlag" veröffentlicht. Jens Wawrczeck spricht Baudolino.
- Eco nimmt in diesem Roman wie auch in Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana Bezug auf einen seiner eigenen Romane. Hier wird Der Name der Rose referenziert: "... und wie jener andere sagte der daumen schmerzt mich." (zitiert nach der deutschen Ausgabe, Seite 19) Das letzte Kapitel von "Der Name der Rose" beginnt: "Kalt ist's im Skriptorium, der Daumen schmerzt mich."
Literatur
- Bremer, Thomas (Hrgs.): Siebzig Jahre Umberto Eco. Zibaldone, Bd. 33. Tübingen, 2002.
Weblink
- ausführliche Inhaltsangabe mit Kommentar von Dieter Wunderlich
- Rezension von Michael Matzer
- Rezension von Walter Laufenberg
- Rezension von Klaus Nüchtern