Arkto-alpine Disjunktion wird eine auffällige Arealaufspaltung einer Gruppe von Tieren und Pflanzen genannt, die in Lebensräumen der Tundra oder Kältesteppe, einerseits in Hochgebirgen der temperaten Zone (seltener subtropisch-mediterranen Gebirgen) und andererseits der Arktis, auftritt. In den zwei Teilarealen, die durch eine breite Lücke im mitteleuropäisch-osteuropäischen Flach- und Hügelland voneinander getrennt sind, kommen dann eine Vielzahl gleicher Arten vor. Dieses Verbreitungsbild geht meist auf ein ehemals, im Eiszeitalter zusammenhängendes Areal der kälteliebenden Arten zurück, das durch die seitherige Erwärmung verkleinert und dabei in Teilareale aufgespalten worden ist[1]. Vorkommen von Tieren und Pflanzen in isolierten, kleinen Habitaten, etwa einzelnen Berggipfeln, sind dann als Relikte der Eiszeiten aufzufassen. Der Arealtyp, der sowohl in der geobotanischen, wie auch in der zoogeographischen Literatur gründlich untersucht wurde, ist vor allem in Eurasien zu finden, da hier die Gebirge latitudinal von West nach Ost verlaufen, und zusätzlich zwischen den arktischen und temperaten Regionen Flachländer vorherrschen. In Nordamerika tritt die arkto-alpine Disjunktion nicht auf, da die Gebirgsketten überwiegend in longitudinaler Erstreckung vorlaufen.[2]

Klimageschichte
Die Gemeinsamkeit der Arealform bei verschiedenen Gruppen von Lebewesen kann auf einen gemeinsamen klimageschichtlichen Hintergrund zurückgeführt werden. Da sich bei vielen Artgruppen eine positive Korrelation zwischen der Ausdehnung der paläarktischen, eurasiatischen und holarktischen Teilareale feststellen lässt, muss in der Vergangenheit eine zonale Ausbreitungsmöglichkeit bestanden haben. Dies wird durch die Ausdehnung der Periglazialgebiete im Pleistozän erklärt, die in den Kaltzeiten des Glazials eine zusammenhängende Großlandschaft zwischen Atlantik und Pazifik gebildet hatten. So sind arkto-alpine Arten von den Picos de Europa in Nordspanien bis in die Japanischen Alpen verbreitet. Nicht alle der kaltzeitlichen Arten haben jedoch ein arkto-alpines Areal gebildet. Ein Großteil der Tundrenarten besiedelt nur eines der Areale und sind dadurch jeweils in alpine oder arktische Arealgruppen getrennt. Durch ihre Isolation und weite Trennung der Arealteile in einzelnen Hochgebirgen finden sich bei arkto-alpinen Arten oft Unterarten, die erst nach den Eiszeiten durch geographische Trennung entstanden sind. Auch unter diesen gibt es Disjunktionen nur zwischen den im gleichen Zonobiom liegenden Gebirgen und Landschaften. Eine alpine Verbreitung zeigen Arten, die in einzelnen Hochgebirgen Eurasiens verbreitet sind, aber nicht in der Arktis auftreten. Ein Beispiel hierfür ist Boloria pales. Dieser in alpinen Tundren lebende Schmetterling tritt vom Kantabrischen Gebirge bis nach Taiwan in den einzelnen Hochgebirgen auf, er erreicht noch die Gebirge Süd-Sibiriens (Altai, Sajangebirge) ohne in die Arktis vorzudringen.
Die Adamović-Linie
Eine strenge Grenze nach Süden besitzen die Arten, die zur arkto-alpinen Arealgruppen zählen, in der sogenannten Adamović-Linie. Diese scharfe Trennungslinie tritt auf der Balkanhalbinsel in Erscheinung. Sie ist die Trennungslinie zwischen der mitteleuropäischen und mediterranen Vegetationszone.[3]Südlich der Adamović-Linie treten praktisch keine arkto-alpinen Elemente mehr auf. De Lattin hatte diese von Lujo Adamović 1907 aufgrund pflanzengeographischer Grundzüge postulierte Grenze als Stauungszone sibirischer Faunenelemente erkannt. Der ungarische Entomologe Zoltán Varga hat die Adamović-Linie als Grenze zwischen alpinen und xeromontanen Schmetterlingsarealtypen weiter bekräftigt. Neben den klimatischen Ursachen sind Substrattypen, Geomorphologie und Bodenverhältnisse und dadurch bedingte Unterschiede in der Vegetation für diese faunistischen Unterschiede verantwortlich.
Habitattypen
Arkto-alpine Arten sind immer an waldfreie Habitate gebunden.[4] Sie besiedeln oft Fels- und Schuttstandorte oder Hochmoore, die zumeist durch periglaziale Prozessdynamik, also ständigen Wechsel zwischen Tau- und Frostperioden, geprägt werden. Das Verbreitungsbild dieser Tundrenarten entstand durch Expansion während der Kaltzeiten mit anschließendem Zurückweichen in der nacheiszeitlichen Klimaerwärmung. Ursprünglich besiedelten die arkto-alpinen Arten weite Gebiete der zur Eiszeit baumfrei gewordenen Tundren in Mittel- und Osteuropa. Diese Gebiete zwischen den Vereisungszentren in den Alpen und Nordeuropas besaßen weite Urstromtäler mit periglazialen Frostschuttzonen, in denen sich die eiszeitlichen Tierarten aufhielten. Nach Abschmelzen der Inlandgletscher sowie dem Zurückweichen der Alpengletscher wichen die kälteliebenden Arten sowohl in höhere Breiten als auch, im Süden, in höhere Lagen aus.
Beispiele
Bekannte Beispiele sind im Pflanzenreich unter anderen Silberwurz (Dryas octopetala), Kraut-Weide (Salix herbacea), Einköpfiges Berufkraut (Erigeron uniflorus), Schnee-Enzian (Gentiana nivalis), Dreiblatt-Binse (Juncus trifidus), Nacktried (Kobresia myosuroides), Alpen-Spitzkiel (Oxytropis campestris), Alpen-Rispengras (Poa alpina), Knöllchen-Knöterich (Bistorta vivipara), Stängelloses Leimkraut (Silene acaulis) oder Zweiblütiges Veilchen (Viola biflora). Insgesamt sind in Europa 136 Pflanzenarten als arkto-alpine Elemente einzustufen. 131 kommen in den Alpen, 110 in den Karpaten, 92 in den Pyrenäen, 77 auf der Balkanhalbinsel und 58 im Apennin vor.[2]
Im Tierreich kommen in fast allen Gruppen arkto-alpine Arten vor. Insbesondere sind sie bei den Schmetterlingen gut untersucht. Darunter fallen unter anderen Pyrgus andromedae, Boloria napaea und Erebia pandrose.[5] Für viele Schmetterlingsarten mit arkto-alpiner Disjunktion sind enge Verbindungen zwischen Larvalhabitat, Futterpflanze sowie biogeomorphologischer Interaktionen anzunehmen. Die Raupen von Pyrgus andromedae, ernähren sich monophag von der Silberwurz. Daher ist diese Schmetterlingsart schon aufgrund der Verbreitung der Futterpflanze kaum außerhalb periglazialer Schuttstandorte anzutreffen.[3]
Bei den Vögeln ist das Alpenschneehuhn in den Hochgebirgen Pyrenäen und Alpen sowie disjunkt zirkumpolar verbreitet. Ähnlich, aber ohne ein Teilareal in den Pyrenäen, ist bei Säugetieren der Schneehase verbreitet. Neben der zirkumpolaren Verbreitung besteht bei ihm in den Alpen ein glaziales Reliktareal.
Hauptzentren der arkto-alpinen Disjunktion sind die Alpen, Karpaten, Pyrenäen und die höchsten Gebirge der Balkanhalbinsel (ausschließlich des Olymp). Auf der Balkanhalbinsel treten, da es dort keine durchgehenden Hochgebirge gibt, arkto-alpine Elemente nur lokal auf, insbesondere in Montenegro (Durmitor, Prokletije), Kosovo (ebenfalls Prokletije), im nördlichen Nordmazendonien (Šar Planina) sowie im westlichen Bulgarien (Rila und Pirin).
Literatur
- Vladimir Stevanović, Snežana Vukojičić, Jasmina Šinžar-Sekulić (2009): Distribution and diversity of Arctic-Alpine species in the Balkans. Plant Systematics and Evolution 283 (3/4): 219-235.
Referenzen
- ↑ Lexikon der Biologie: arktoalpine Formen, Spektrum.de
- ↑ a b Vladmir Stevanović, Snežana Vukojičić, Jasmina Šinžar-Sekulić, Maja Lazarević, Gordana Tomović, Kit Tan: Distribution and diversity of Arctic-Alpine species in the Balkans. Plant Systematics and Evolution, Dezember 2009, 283.219, (PDF)
- ↑ a b Zoltan Varga (2014): Biogeography of the high mountain Lepidoptera in the Balkan Peninsula. Ekologija Montenegrina 1: 140-168. (PDF)
- ↑ Eintrag arktisch-alpin in Lexikon der Biologie, Spektrum.de
- ↑ Zoltan Varga (1996): Biogeography and evolution of boreal Lepidoptera in the Palaearctic. Acta Zoologica Academiae Scientiarum Hungaricae 42: 289-330.