Kurfürstendamm-Krawall von 1935

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Beim Kurfürstendamm-Krawall vom 15. Juli 1935 und Folgetag kam es zu antisemitischen Übergriffen, die der Regierung wegen ihrer negativen außenpolitischen Wirkung nicht genehm waren und zur Ablösung des Berliner Polizeipräsidenten Levetzow führten. Die Ausschreitungen von radikalen antisemitischen Parteigängern erzeugten nach Ansicht einiger Historiker einen Handlungsdruck, der den Erlass der Nürnberger Gesetze beeinflusste.

Jahre zuvor, am 12. September 1931, war es in Berlin-Charlottenburg zu antisemitischen Ausschreitungen gekommen; auch diese werden in nichtdeutschen Publikationen teils als Kurfürstendamm-Krawall bezeichnet.

Ausgangslage

Bereits seit der Jahreswende 1934 auf 1935 war es auf lokal begrenzter Ebene zu antisemitischen Übergriffen und Beschädigungen jüdischer Läden gekommen. Derartige Ausschreitungen gingen von radikalen Antisemiten der Parteibasis aus. Erst im April 1935 griff ein Teil der NS-Presse diese Grundstimmung auf und berichtete gezielt über "jüdische Rasseschänder" und „artvergessene deutsche Frauen“. Aufsehenerregende Vorfälle kamen der Regierung wegen ihrer Wirkung im Ausland ungelegen. Unerwünscht war auch die Wirkung im Inneren, wenn Übergriffe für Unruhe sorgten und der Autorität des Staates schadeten. Daher riefen Rudolf Hess als Stellvertreter Hitlers und Hjalmar Schacht als Reichswirtschaftsminister öffentlich zur Mäßigung auf. Mehrere Parteidienststellen rügten die Unruhestifter mit scharfen Worten.

Krawalle in Berlin

Dennoch fanden im Juni 1935 in zwei Berliner Bezirken fast täglich antijüdische Kundgebungen vor einigen jüdischen Geschäften statt, bei denen sich HJ-Angehörige hervortaten. Im Juli verlagerten sich die Aktivitäten in den Kurfürstendamm. Dort lief in einem Kino der antisemitische schwedische Spielfilm „Petterson und Brendel“. Es wurde das Gerücht verbreitet, dass jüdische Zuschauer die Filmvorführung gestört hätten. Diese Nachricht veröffentlichten auch die von Joseph Goebbels gelenkten Berliner Tageszeitungen.

Am 15. Juli 1935 versammelte sich vor dem Lichtspielhaus am Kurfürstendamm eine Menschenmenge, griff jüdisch aussehende Passanten tätlich an und drang auch in umliegende Lokale ein, um Juden zu verprügeln. Die Krawalle setzten sich am 16. Juli unvermindert fort. Den verunsicherten Polizeikräften gelang es nicht, die Ruhe wieder herzustellen. Erst am 19. Juli erklärte Goebbels als Gauleiter von Berlin die Krawalle als beendet.

Konsequenzen

Die unerwünschten Schlagzeilen in der internationalen Presse, das Versagen der Polizei bei der Herstellung von Ruhe und Ordnung und der damit verbundene Gesichtsverlust der Regierung forderten Konsequenzen. Goebbels verschleierte seine Mitwirkung und verlagerte die Schuld auf den Polizeipräsidenten Werner von Levetzow. Dieser wurde kurz darauf abgelöst.

Ohne weitere Rücksichtnahme auf die Berichterstattung im Ausland nahm die von Goebbels gelenkte nationalsozialistische Presse die antisemitische Hetze verstärkt wieder auf und bediente damit die radikalen Parteigänger, die als Zeugen des „Volkswillens“ instrumentalisiert werden konnten. So behauptete Gauleiter Adolf Wagner im Vorfeld des Nürnberger Parteitags 1935, die Mehrheit des Volkes „dränge nach Lösung der Judenfrage im Sinne des Parteiprogramms, dem müsse die Reichsregierung Rechnung tragen, sonst erleide sie eine Einbuße an Autorität.“

Bewertung

Nach einer Aufzeichnung von 1937, die Adolf Eichmann zugeordnet wird, habe der Kurfürstendamm-Krawall langanhaltend gewirkt. Der „Volkszorn, der sich in Ausschreitungen ergeht,“ sei „das wirksamste Mittel, um den Juden das Sicherheitsgefühl zu nehmen.“[1]

Unter Historikern ist strittig, ob der im Krawall zu Tage getretene „Druck der Parteibasis“ ein ausschlaggebender Grund war, der zum Erlass der Nürnberger Gesetze führte, die - für viele Beobachter überraschend - auf dem Nürnberger Parteitag 1935 beschlossen wurden. Ebenfalls vertreten wird die Ansicht, dass einflussreiche Parteiführer wie Joseph Goebbels die „Volkszorn“ absichtlich geschürt, gelenkt und instrumentalisiert hätten.

Krawall von 1931

Am Abend des 12. September 1931, dem jüdischen Neujahrsfest, kam es in der Nähe des Kurfürstendamms zu antisemitischen Ausschreitungen. Dabei wurden Juden beim Verlassen der Synagogen beschimpft, tätlich angegriffen und einige sogar schwer verletzt.

Während blutige Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und SA an der Tagesordnung waren, stellte dieser Angriff auf Juden eine Ausnahme dar. Er wurde sogar von der deutschnationalen Presse scharf getadelt. Die 33 ermittelten Täter, die meist der SA angehörten, wurden in Schnellverfahren zu Freiheitsstrafen nicht unter 12 Monaten verurteilt. Außerdem wurden im Oktober einige Sturmlokale der SA polizeilich geschlossen. Damit fielen die Sanktionen bedeutend härter aus, als die Täter bei den weitaus blutigeren Straßenschlachten üblicherweise zu erwarten hatten.[2]

Während insbesondere zionistische Gruppierungen die pogromartigen Ausschreitungen als bedrohlichen Höhepunkt des wachsenden Antisemitismus ansahen, traten andere Juden dieser Auffassung entgegen[3], betonten die Einmaligkeit des Vorfalls und verwiesen auf das rasche Durchgreifen der Staatsorgane.

Belegstellen

  1. Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942. dtv 30605, München 2002, ISBN 3-423-30605-X S.74
  2. Weblink: Michael Mayer: NSDAP und Antisemitismus 1919-1933 [1]
  3. Weblink: sehepunkte[2]

Literatur

  • Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945. München 2006. ISBN 3-88680-843-2