Der Verkehrsturm am Potsdamer Platz prägte von Ende 1924 bis Oktober 1937 den damals verkehrreichsten Platz Europas in Berlin.

Geschichte
Der Potsdamer Platz wurde Anfang der 1920er Jahre von 26 Straßenbahnlinien und 5 Omnibuslinien befahren. Außerdem nahm der private und gewerbliche Autoverkehr immer mehr zu, rund 20.000 Autos überquerten täglich den Platz. Die starke Verkehrsbelastung des Platzes führte zu ständigen Unregelmäßigkeiten und Verspätungen im Linienverkehr, gleichzeitig bemängelte die Polizei den hohen Personalbedarf zur Verkehrsregelung. Abhilfe sollte eine zentral gesteuerte Signalisierung der Verkehrströme schaffen, wie sie bereits von den Eisenbahnen bekannt war und in einigen Fällen für den Straßenverkehr eingeführt und erprobt wurde.
Der Bauantrag für den Verkehrsturm wurde am 25. August 1924 von der Berliner Straßenbahn-Betriebs-GmbH bei der Baupolizei der Stadt Berlin, Bezirksamt Tiergarten, gestellt. Der Entwurf stammte von Jean Krämer, der auch als Bauleiter verantwortlich war.[1] Der Entwurf orientierte sich an den Ampeltürmen, die in den USA gerade aufgestellt worden waren. Im November 1924 war das Turmbauwerk bereits weitgehend fertiggestellt, die Holzschalung für den fünfeckigen Betonsockel war noch nicht entfernt.[2] Die mit dem Antrag eingereichte statische Berechnung des Bauingenieur-Büros G. Mensch wurde zunächst nicht akzeptiert und musste mit einem Nachtrag vom 8. Dezember 1924 ergänzt werden.[3] Die elektrische und signaltechnische Ausstattung stammte von Siemens & Halske. Anfang 1925 wurde schließlich die Bau- und Betriebsgenehmigung erteilt. Der Berliner Verkehrsturm wurde somit noch vor der ersten Hamburger Verkehrsampel an der Kreuzung Mönckebergstraße und Glockengießerwall fertiggestellt, für die eine Inbetriebnahme am 14. November 1925 angegeben wird.[4]
Der Berliner Verkehrsturm war insgesamt 8 1⁄2 Meter hoch, hatte einen Durchmesser von 2 1⁄2 Metern und ein Gewicht von 5,5 Tonnen.[5] Er bestand aus fünf Stahlsäulen und einer fünfeckigen überdachten Kanzel, in der ein Verkehrspolizist den Verkehrsfluss beobachtete und die Lichtsignale steuerte. Außen waren an jeder Seite der Kanzel je eine Uhr und drei nebeneinander angeordnete Lichtsignale in den Farben Grün, Gelb und Rot angeordnet, die mit Abschirmblenden zum Vermeiden von Blendwirkungen versehen waren. Die Kanzel war neben der Steuereinrichtung für die Lichtsignale mit einem Telefon ausgestattet. Der Turm wurde auf einer Verkehrsinsel in der Mitte des weitläufigen Platzes errichtet, der von dem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßenzug Budapester Straße – Königgrätzer Straße (heute: Ebertstraße – Stresemannstraße) sowie dem in Ost-West-Richtung verlaufenden Straßenzug Leipziger Straße – Potsdamer Straße gekreuzt wurde. In beiden Straßenzügen verliefen in dichter Folge befahrene Straßenbahntrassen, zusätzlich existierten noch Verbindungskurven zwischen den Straßenbahnstrecken. Außerdem mündete von Nordwesten die Bellevuestraße in den Potsdamer Platz.
Der Verkehrsturm war rund 13 Jahre in Betrieb, auch nach Beginn der Bauarbeiten für den unterirdischen S-Bahnhof Potsdamer Platz im Jahr 1935. Erst in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober 1937 wurde er entfernt und durch eine fünfseitige Hängeampel ersetzt, die an gespannten Drahtseilen in der Mitte des Platzes hing.[6]
Im Jahr 1997 wurde auf dem Potsdamer Platz ein Nachbau des Verkehrsturms aufgestellt. Er steht vor der südlichen Eingangshalle zum neuen Regionalbahnhof Potsdamer Platz und zeigt wechselnde Lichtzeichen, steuert aber nicht mehr den Verkehrsablauf. Der Nachbau des Verkehrsturms geriet im Dezember 2010 in Brand und wurde erheblich beschädigt, konnte aber am am 1. September 2011 wieder repariert der Öffentlichkeit übergeben werden.[7]
Im Juni 2018 wurde am Verkehrsturm eine Gedenktafel für Jean Krämer angebracht.[8][9]
Funktionsweise
Die Lichtsignale des Berliner Verkehrsturms hatten damals bereits die gleiche Bedeutung wie die heute bekannten Verkehrsampeln. Die beiden gegenüberliegenden Arme der beiden Hauptverkehrsstraßenzüge bekamen zeitgleich grün, die kreuzenden Arme rot. Links- und Rechtsabbieger mussten sowohl die Verkehrsströme der in der Straßenmitte befindlichen Straßenbahnstrecken, als auch den Gegenverkehr und den Fußgängerverkehr beachten und Vorrang einräumen. Anschließend wurde eine Gelbphase geschaltet, um den Kreuzungsbereich zu räumen, bevor der kreuzende Verkehr grün erhielt. Für die Bellevuestraße als fünften Arm der Kreuzung wurde ein Einfahrverbot in den Platz ausgesprochen und ein Dauer-Rot angezeigt, der Verkehr konnte nur vom Platz in die Bellevuestraße einfahren.[10]
Rezeption
Der Verkehrsturm am Potsdamer Platz war ein Sinnbild des modernen Berlin der späten 1920er und der frühen 1930er Jahre und war auf zahlreichen Fotografien und Ansichtskarten abgebildet.
In der Verfilmung von 1931 des Romans von Erich Kästners Emil und die Detektive schwebt der berauschte Hauptdarsteller Emil Tischbein um den Verkehrsturm herum, nachdem er vom Betrüger Grundeis präparierte Bonbons annahm.
Auch die Spielwarenhersteller aus dem Erzgebirge griffen das Thema auf und fertigten Holzminiaturen des Verkehrsturms.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Akteneinsicht im Landesarchiv Berlin, Akte B Rep. 202 / 5154, Blatt 1
- ↑ Bundesarchiv Bild 102-00843 vom November 1924, kein Autor angegeben: „Der Verkehrsturm ist bereits weitgehend fertiggestellt, die Holzschalung für den fünfeckigen Betonsockel ist noch nicht entfernt.“
- ↑ Akteneinsicht im Landesarchiv Berlin, Akte B Rep. 202 / 5154, Blatt 10 und Blatt 15
- ↑ 1925: Hamburgs erste Ampel geht in Betrieb. In: Hamburger Morgenpost vom 8. Februar 2016, abgerufen am 19. Mai 2019.
- ↑ Berlin in historischen Aufnahmen Der Ampelturm vom Potsdamer Platz In: Berliner Zeitung vom 12. April 2018, abgerufen am 19. Mai 2019.
- ↑ Auswertung von historischen Ansichtskarten und Fotografien der Jahre 1938–1940.
- ↑ Der historische Verkehrsturm am Potsdamer Platz blinkt wieder. Pressemitteilung des Bezirksamtes Mitte von Berlin vom 24. August 2011, abgerufen am 19. Mai 2019.
- ↑ Gedenktafel für Jean Krämer am Verkehrsturm vom Potsdamer Platz enthüllt. Pressemitteilung Nr. 8445 des Bezirksamtes Reinickendorf von Berlin vom 29. Juni 2018, abgerufen am 18. Mai 2019.
- ↑ Gedenktafel für Jean Krämer am Verkehrsturm vom Potsdamer Platz enthüllt. In: Berliner Woche, 10. Juli 2018, abgerufen am 18. Mai 2019.
- ↑ Schaubild der Lichtzeichenphasen des Verkehrsturms von Oberingenieur K. A. Tramm, Berlin, Vom Wegweiser zum modernen Verkehrsturm. In: Das neue Universum, Band 47, 1926, Seite 106ff
Koordinaten: 52° 30′ 34″ N, 13° 22′ 36″ O