Domenico Losurdo

italienischer Publizist und Philosoph
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Domenico Losurdo (* 14. November[1] 1941 in Sannicandro di Bari, Italien; † 28. Juni 2018[2]) war ein italienischer Publizist und Professor für Philosophie an der Universität Urbino, bekannt für seine Apologie des Stalinismus.[3][4]

Domenico Losurdo (2011)

Leben

Losurdo schloss sein Philosophiestudium 1963 an der Universität Urbino mit einer Dissertation über den Hegel-Schüler Karl Rosenkranz ab und arbeitete dort als Hochschullehrer für Geschichte der Philosophie. An der Universität Urbino war er Dekan der Philosophischen Fakultät. Losurdo war Präsident der Internationalen Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Zusammen mit Hans Heinz Holz († 2011) gab er die philosophische Halbjahresschrift Topos heraus.

In den 1960er Jahren trat er der Kommunistischen Partei Italiens bei, nach deren Auflösung im Jahr 1991 wurde er Mitglied der Partito della Rifondazione Comunista. Zuletzt gehörte er der Partito dei Comunisti Italiani an.[5] Er war Präsident der Associazione Politica e Culturale MARX XXI, die unter anderem die kommunistische Zeitschrift Marx Ventuno herausgibt.[6]

Losurdo wird mitunter als einer der produktivsten marxistischen Autoren der vergangenen Jahrzehnte bezeichnet. Losurdo schrieb mehr als 50 Bücher auf italienisch, war Herausgeber und veröffentlichte auch zahlreiche Arbeiten auf deutsch.[7] Er wird gelegentlich als neostalinistischer Denker gekennzeichnet.

In seinem Buch Die Gemeinschaft, der Tod, das Abendland verdeutlichte er die allgemein positive Haltung der deutschen Geisteswissenschaftler gegenüber dem Ersten Weltkrieg.

Kampf um die Geschichte – Abriss

Das 1996 und in Neuauflage 2002 in Italien erschienene Il revisionismo storico. Problemi e miti wurde 2007 in deutscher Übersetzung unter dem Titel Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen – Nolte, Furet und die anderen veröffentlicht.[8] Hierin kritisiert Losurdo den seiner Auffassung nach bestehenden Geschichtsrevisionismus vieler Autoren.

Ähnlich wie Enzo Traverso im Anschluss an Arno J. Mayer von einem Zweiten Dreißigjährigen Krieg spricht und dabei vom Jahr 1914 mit Beginn des Ersten Weltkrieges unter Einbeziehung der so genannten Zwischenkriegszeit bis zum Kriegsende 1945 rechnet, benutzt Losurdo durchgängig das Bild vom Zweiten Dreißigjährigen Krieg, „um einen Ausdruck zu benutzen, auf den die Historiker oft zurückgreifen, um die Periode der kolossalen Umwälzungen zwischen 1914 und 1945 zu bezeichnen“ (S. 12). Losurdo wirft nämlich vor allem Ernst Nolte und François Furet vor, sie würden den Ersten Weltkrieg als Auslöser der Russischen Revolution von 1917 übergehen und erst 1917 als Ausgangspunkt für ihre These vom „Europäischen Bürgerkrieg“ wählen, um ausschließlich Bolschewismus und Nationalsozialismus als konfliktträchtig aufeinander beziehen zu können. Dabei unterschlagen sie nach Losurdo zwei Hauptmomente, die zum Verständnis des „Zweiten Dreißigjährigen Krieges“ unabdingbar gehören: nämlich den „totalen Krieg“ als eine von allen am Krieg Beteiligten geteilte Erfahrung einerseits und den Kolonialismus als gemeinsames neuzeitliches europäisches Phänomen andererseits. So habe Adolf Hitler in zahlreichen Aussagen gezeigt, wie er den Kampf um Lebensraum im Osten mit dem Erwerb eines „Deutschindien“ oder dem „Far West“ der amerikanischen Eroberung bis zum Pazifik verglichen habe (S. 236). In dieses kolonialistische Szenario seien schließlich die europäischen Juden als „Eingeborene“ geraten: „Die Tatsache, dass das Schicksal der Juden durch ihre doppelte Stigmatisierung als orientalische ‚Eingeborene‘ und als Überträger des orientalischen Bolschewismus besiegelt worden ist, wird überhaupt nicht in Betracht gezogen“ (S. 282).

Diese Sichtweise findet sich ähnlich bei Enzo Traverso, der 2002 (dt. 2003) schrieb: „Sicherlich stellte Osteuropa den ‚Lebensraum‘ dar, den man kolonisieren wollte, doch diese Eroberung implizierte die Vernichtung der UdSSR und des Bolschewismus, eines Staates und einer Ideologie, die die Nazis als Produkt einer Verbindung zwischen ‚jüdischer Intelligenz‘ und slawischem ‚Untermenschentum‘ ansahen“. So sei dieser totale Krieg gleichzeitig ein Eroberungskrieg, ein Rassenkrieg und ein Kolonialkrieg gewesen.[9]

Schriften (Auswahl)

  • Immanuel Kant – Freiheit, Recht und Revolution, Köln 1987.
  • Philosophie als Verteidigung des Ganzen der Vernunft, Köln 1988.
  • Hegel und das deutsche Erbe, Köln 1989.
  • Fichte – die Französische Revolution und das Ideal vom ewigen Frieden, Berlin 1991.
  • Zwischen Hegel und Bismarck, Berlin 1993.
  • Die Gemeinschaft, der Tod, das Abendland. Heidegger und die Kriegsideologie, Metzler, Stuttgart 1995.
  • Geschichtsphilosophie und Ethik, Frankfurt 1998.
  • Flucht aus der Geschichte? Essen 2000.
  • Hegel und die Freiheit der Modernen, Frankfurt 2000.
  • Der Marxismus Antonio Gramscis, Hamburg 2000 (vollständige Neuausgabe 2012).
  • Die Linke, China und der Imperialismus, Essen 2000.
  • (mit Erwin Marquit) Zur Geschichte der kommunistischen Bewegung, Essen 2005.
  • Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen Papyrossa, Köln 2007.
  • Demokratie oder Bonapartismus : Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts ebd. 2008.
  • Nietzsche, der aristokratische Rebell. Intellektuelle Biographie und kritische Bilanz. Argument, Hamburg 2009. ISBN 3886193381.[10]
  • Freiheit als Privileg. Eine Gegengeschichte des Liberalismus. Übersetzt von Hermann Kopp. Papyrossa, Köln 2010.
  • Die Deutschen. Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes? Berlin 2010. ISBN 978-3-89706-415-7.[11]
  • Stalin. Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende. Mit einem Essay von Luciano Canfora, Papyrossa, Köln 2012 (3., durchgesehene Auflage 2017).
  • Gewaltlosigkeit. Eine Gegengeschichte, Argument, Hamburg 2015.
  • Der Klassenkampf oder Die Wiederkehr des Verdrängten? Eine politische und philosophische Geschichte. Papyrossa, Köln 2016.
  • Wenn die Linke fehlt ... Gesellschaft des Spektakels, Krise, Krieg. Papyrossa, Köln 2017.

Einzelnachweise

  1. Eintrag bei prabook.com, abgerufen am 28. Juni 2018
  2. Todesmeldung, abgerufen am 28. Juni 2018
  3. Christoph Jünke: Der lange Schatten des Stalinismus: Sozialismus und Demokratie gestern und heute. ISP, Köln 2007, ISBN 978-3-89900-126-6, S. 123–132.
  4. Domenico Losurdo (1941–2018). Abgerufen am 20. März 2019 (amerikanisches Englisch): „"While he recognized the exorbitant, paranoid aspects of Stalin’s leadership, his efforts to relativize it were often governed by a polemical zeal unjustified by the evidence marshaled. This made his reframing of Stalinism more 'interesting' than necessarily persuasive."“
  5. Domenico Losurdo: Perchè iscriversi al Pdci, 21. März 2013.
  6. Associazione Politica e Culturale MARX XXI – Consiglio Direttivo (Memento des Originals vom 1. Oktober 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.marx21.it, Zugriff 1. Oktober 2015.
  7. Arnold Schölzel: Ein Brocken im Vorgarten Nachruf in Junge Welt vom 30. Juni 2018
  8. Domenico Losurdo, Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen – Nolte, Furet und die anderen, Köln (Papyrossa) 2007, ISBN 978-3-89438-365-7.
  9. Enzo Traverso, Moderne und Gewalt. Eine europäische Genealogie des Nazi-Terrors, Köln (Neuer ISP Verlag) 2003, S. 80. ISBN 3-89900-106-0.
  10. Kurt Flasch: Und er war doch ein Zerstörer der Vernunft. FAZ, 21. Februar 2003. (Rezension von Domenico Losurdo: Nietzsche, il ribelle aristocratico. Biografia intellettuale e bilancio critico. Bollati Boringhieri, Turin 2002.)
  11. dazu eine Rezension von Richard Albrecht: http://soziologieheutenews.wordpress.com/2010/04/24/die-deutschen-2010/ oder http://www.infopartisan.net/trend/trd0610/t030610.html.