Lokalisation (Akustik)

Richtungshören und Entfernungshören
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Lokalisation von Schallquellen

 
Benennung der drei Ebenen
oben: 1. Horizontalebene (Transversalebene)
 mitte: 2. Medianebene (Sagittalebene)
unten: 3. Frontalebene

Unter Lokalisation versteht man das Erkennen von Richtung und Entfernung einer Schallquelle. Die Lokalisation von Schallquellen ist ein Ergebnis des beidohrigen (binauralen) Hörens. Dieser Artikel beschreibt die Lokalisation von Schallquellen beim Menschen. Bei Tieren spielen z.T. noch andere Effekte eine Rolle (z.B. Einfluss von Ohrbewegungen)

der Lokalisation im Raum

Im Bild sind die möglichen Ebenen dargestellt, die zur Lokalisation einer Schallquelle im Raum genutzt werden können. Für eine eindeutige Lokalisation sind aber nur folgende Angaben erforderlich:

  • ein Einfallswinkel in einer Halbebene
  • ein Einfallswinkel in einer vollen Ebene
  • eine Entfernung

Mit den ersten beiden Angaben kann man winkelmäßig den gesamten Raum aufspannen (Drehen der Halbebene um den Winkel der Vollebene). Dies entspricht auch dem Zusammenspiel der Mechanismen, die das Gehör zur Lokalisation von Schallquellen benutzt.

Je nach den Mechanismen, die das Gehör zur Lokalisation benutzt, sind folgende Kategorien zu unterscheiden (Halbebene, Vollebene und Entfernung):

  • Bestimmung der seitlichen Einfallsrichtung des Schalls.

Hierzu wertet das Gehör Laufzeitdifferenzen und Pegeldifferenzen zwischen beiden Ohren aus. Unterschieden werden hierdurch die Richtungen links, geradeaus, rechts. Diese Mechanismen des Gehörs können nicht zwischen vorne und hinten unterscheiden (mit geradeaus ist hier nicht vorne gemeint). Ein Einfallswinkel für die gesamte Horizontalebene kann vom Gehör mit diesen Mechanismen nicht bestimmt werden.

  • Bestimmung der medianen Einfallsrichtung des Schalls in der Medianebene.

Hierzu wertet das Gehör Resonanzen des Außenohrs aus. Unterschieden werden hierdurch die Richtungen vorn, oben, hinten und unten - aber nicht rechts und links.

Mit Hilfe der ersten beiden Mechanismen lässt sich der Raumwinkel bestimmen, unter dem der Schall einfällt und mit Hilfe des letzten Mechanismus die Entfernung.

Für die Auswertung einer Einfallsrichtung in der Frontalebene besitzt das Gehör keine direkten Mechanismen. Schallquellen in der Frontalebene werden über die Kombination der Mechanismen für horizontalen Einfallswinkel und Medianebene lokalisiert. mohoin na ihr pimmelzz was macht ihr???

Bestimmung der seitlichen Einfallsrichtung: links, geradeaus, rechts

Zur Bestimmung der seitlichen Einfallsrichtung (Schall links, geradeaus, rechts) wertet das Gehör folgende Informationen aus:

  • Laufzeitunterschiede zwischen beiden Ohren (ITD: interaural time difference)

Schall von rechts erreicht das rechte Ohr eher als das linke Ohr. ITDmax>=0,63 ms.
Hierbei unterscheidet man zwischen der

Schall von rechts besitzt am rechten Ohr einen höheren Pegel als am linken, da der Kopf das Signal am linken Ohr abschattet. Diese Pegelunterschiede sind stark frequenzabhängig und nehmen mit steigender Frequenz zu.

Bei tiefen Frequenzen unterhalb von ca. 800 Hz werden vor allem Laufzeitunterschiede ausgewertet (Phasenlaufzeiten), bei hohen Frequenzen oberhalb von ca. 1600 Hz vor allem Pegelunterschiede. Dazwischen liegt ein Überlappungsbereich, in dem beide Mechanismen eine Rolle spielen. Die Qualität der Richtungsbestimmung wird hiervon aber nicht beeinträchtigt.

Auswertung bei tiefen Frequenzen

Bei tiefen Frequenzen sind die Abmessungen des Kopfes mit einer Wegstrecke d = 21,5 cm von Ohr zu Ohr, entsprechend einer Laufzeitdifferenz von 0,63 ms, kleiner als die halbe Wellenlänge des Schalls. Hier kann das Gehör Phasenlaufzeiten zwischen beiden Ohren sehr exakt auswerten. Diese Laufzeitunterschiede werden mit ITD = Interaural Time Differences bezeichnet. Die Pegelunterschiede sind hierbei so gering, dass sie keine genaue Auswertung gestatten. Frequenzen unterhalb von 80 Hz sind nicht mehr in ihrer Richtung zu lokalisieren.

Auswertung bei hohen Frequenzen

Bei hohen Frequenzen sind die Abmessungen des Kopfes größer als die Wellenlänge des Schalls. Hier kann das Gehör aus Phasenlaufzeiten die Richtung nicht mehr eindeutig bestimmen. Dafür werden Pegelunterschiede größer, die dann auch vom Gehör ausgewertet werden. Diese stark frequenzabhängigen Pegelunterschiede werden mit ILD = Interaural Level Differences bezeichnet.

Zusätzlich werden (auch bei höheren Frequenzen) Gruppenlaufzeiten zwischen beiden Ohren ausgewertet: Das heißt, setzt ein Schall neu ein, lässt sich aus der Verzögerung des Schalleinsatzes zwischen beiden Ohren die Richtung bestimmen. Dieser Mechanismus ist besonders in halliger Umgebung wichtig. Bei Einsatz des Schalls gibt es einen kurzen Zeitraum, in dem schon der Direktschall den Hörer erreicht, aber noch kein reflektierter Schall. Das Gehör nutzt diesen Zeitraum der Anfangszeitlücke (ITDG = "Initial Time Delay Gap") zur Richtungsbestimmung und behält die erkannte Richtung bei, solange aufgrund der Reflexionen keine eindeutige Richtungsbestimmung mehr möglich ist.

Diese Mechanismen können nicht zwischen vorne und hinten unterscheiden. Entsprechend kann durch diese Mechanismen auch nicht die gesamte Horizontalebene aufgespannt werden.

Bestimmung der Einfallsrichtung in der Medianebene: vorn, oben, hinten und unten

Das Außenohr des Menschen, das heißt die Ohrmuschel und der Anfang des Gehörgangs wirken als richtungsselektive Filter. In der Struktur der Ohrmuschel werden je nach Schalleinfallsrichtung in der Medianebene unterschiedliche Resonanzen angeregt. Dieses führt dazu, dass jede dieser Richtungen (vorne, oben, hinten, unten) ein unterschiedliches Resonanzmuster besitzt. Das heißt, dass der Frequenzgang der Ohren richtungsspezifische Muster eingeprägt bekommt, die vom Gehör-Gehirn-System ausgewertet werden.

Diese Muster im Frequenzgang sind individuell, je nach Form und Größe der eigenen Ohrmuschel. Bekommt man Schall über Kopfhörer dargeboten, der von einem anderen Kopf mit anderen Ohrmuscheln aufgenommen wurde, wird die Erkennung der Richtung in der Medianebene nicht mehr problemlos möglich. Beispiel: Das überwiegende Hinten-Lokalisieren von Kunstkopfaufnahmen und die „Im-Kopf-Lokalisation (IKL)“.

Bestimmung der Entfernung der Schallquelle

Die Bestimmung der Entfernung der Schallquelle ist beim Menschen nur eingeschränkt möglich. Als Indizien für die Entfernungsbestimmung im Nahbereich dienen z.B. extreme Pegelunterschiede (z.B. beim Flüstern in ein Ohr), spezielle Resonanzmuster der Ohrmuschel im Nahbereich.

Im Fernbereich ist eine Entfernungsbestimmung nur über Indizien möglich, z.B. Verhältnis von Direktschall D und Raumschall R in Räumen (Reflexionen), oder anhand der Klangfarbe des Schalls. Bei weit entfernten Schallquellen werden Höhen stärker als Bässe durch die Luft gedämpft, was zu spezifischen Klangmustern führt, die für die Entfernungsbestimmung genutzt werden.

Signalverarbeitung

Die Lokalisation von Schallquellen erfolgt in sogenannten Frequenzgruppen. Der Hörbereich ist in ca. 24 Frequenzgruppen eingeteilt, mit jeweils einer Breite von 1 Bark oder 100 Mel. Zur Richtungsbestimmung werden die Signalanteile innerhalb einer Frequenzgruppe gemeinsam ausgewertet.

Das Gehör kann die Schallsignale einer lokalisierten Schallquelle aus Umgebungsgeräuschen extrahieren. Zum Beispiel kann sich das Gehör auf einen Sprecher konzentrieren, wenn gleichzeitig andere Sprecher dazwischen reden. Durch diesen auch als Cocktail-Party-Effekt bezeichneten Mechanismus werden Geräusche aus anderen Richtungen, die die Wahrnehmung der gewünschten Schallquelle stören könnten, stark abgeschwächt. Das Gehör erzielt hierbei Verbesserungen des Störabstands von etwa zu 9 bis 15 dB. Störgeräusche aus anderen Richtungen werden hierdurch nur noch halb bis ein Drittel so laut wahrgenommen, wie sie in Wirklichkeit sind.

Lokalisation in geschlossenen Räumen

In geschlossenen Räumen wirkt nicht nur der Schall aus der Richtung der Schallquelle auf das Gehör ein, sondern auch von den Wänden reflektierter Schall. Zur Richtungsbestimmung wird aber nur der zuerst eintreffene Direktschall, nicht aber der später eintreffende reflektierte Schall vom Gehör ausgewertet (Gesetz der ersten Wellenfront). Hierdurch bleibt eine korrekte Richtungsbestimmung der Schallquelle möglich.

Hierzu wertet das Gehör starke zeitliche Änderungen der Lautstärke in verschiedenen Frequenzgruppen aus. Kommt es zu einem starken Anstieg der Lautstärke in einer oder mehreren Frequenzgruppen, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Direktschall einer Schallquelle, die neu einsetzt oder deren Signal die Eigenschaften verändert. Dieser kurze Zeitraum wird vom Gehör zur Richtungsbestimmung (und auch Lautheitsbestimmung) genutzt.

Später eintreffende Reflexionen erhöhen die Lautstärke in den betroffenen Frequenzgruppen nicht mehr so stark, so dass hier keine neue Richtungsbestimmung erfolgt.

Die einmal erkannte Richtung wird dann so lange als Richtung der Schallquelle benutzt, bis aufgrund von stärkeren Lautstärkeanstiegen wieder eine neue Richtungsbestimmung möglich ist. Siehe Franssen-Effekt.

Abgrenzung zu anderen Begriffen

In die tägliche Umgangssprache ist das Wort "Lokalisation" aus der Akustik kaum eingegangen. Alles, was mit der Feststellung der Richtung zu tun hat, wird umgangssprachlich undifferenziert mit Ortung bezeichnet. Bei den Fachleuten der Akustik und Tontechnik hat sich jedoch "lokalisieren" und "Lokalisation" für das menschliche Richtungshören durchgesetzt.

Orten hat mit "Peilen", wie beim Radar zu tun, wobei immer ein Primär-Signal ausgesendet wird, dessen schwacher, vom Hindernis reflektierter Schall als Sekundärsignal erst zur Richtungs- und Entfernungsmessung herangezogen wird. So ist es auch bei den Fledermäusen: diese orten aktiv, da sie Ultraschall-Laute ausstoßen und die dabei entstehenden Reflexionen zur zur Hinderniserkennung auswerten. Dieses ist beim binauralen Hören des Menschen eindeutig nicht der Fall. Darum orten wir Menschen auch nicht, sondern wir lokalisieren beim Richtungshören.

Mit Lateralisation bezeichnet man die Erforschung der Merkmale der Pegel- und Laufzeitdifferenz an den Ohren einzeln und unabhängig voneinander. Die Angabe der Lateralisation ist insbesondere dann sinnvoll, wenn durch eine Beschallung Hörereignisse im Kopf auftreten (z.B. Darbietung von reinen Pegel- und Laufzeitdifferenzen zwischen beiden Ohren über Kopfhörer). In einigen Veröffentlichungen wird die seitliche Auslenkung einer Phantomschallquelle bei Lautsprecher-Stereofonie unrichtig mit "Lateralisation" bezeichnet, anstatt das geeignete Wort "Lokalisation" dafür zu verwenden.

Wenn Hörereignisse außerhalb des Kopfes auftreten, ist der Begriff Lokalisation zur Beschreibung der Richtung und Entfernung des Hörereignisses sicherlich sinnvoller.

Lokalisation bei der Stereo-Lautsprecherwiedergabe

Beim Stereohören im Stereodreieck werden die Orte der Phantomschallquellen auf der Lautsprecherbasis durch die Hörereignisrichtung als Auslenkung in Prozent aus der Mitte (Center) lokalisiert und angegeben. Frequenzneutrale Pegeldifferenzen und Laufzeitdifferenzen führen durch Summenlokalisation zu verschiebbaren Phantomschallquellen. Bei der Lautsprecherstereofonie sind frequenzabhängige Pegeldifferenzen zu vermeiden, das sind Spektraldifferenzen, weil diese zu Klangverfärbungen bei seitlichen Schalleinfallsrichtungen führen.
Bei der Stereo-Lautsprecherwiedergabe wird für eine Hörereignisrichtung 100%, entsprechend 30°-Auslenkung aus der Richtung eines Lautprechers eine Pegeldifferenz von etwa Δ L = 18 dB (16 dB bis 20 dB) benötigt. Die Pegeldifferenzstereofonie erzeugt die größte Lokalisationsschärfe.
Bei der Stereo-Lautsprecherwiedergabe wird für eine Hörereignisrichtung 100%, entsprechend 30°-Auslenkung aus der Richtung eines Lautprechers eine Laufzeitdifferenz von etwa Δ t = 1,5 ms (1 ms bis 2 ms) benötigt.

Siehe auch

Akustik | Ohr | Kunstkopf | Hörversuch | Hörereignisrichtung | Phantomschallquelle | Stereofonie | Unschärfe |