Damnatio memoriae

Verfluchung und demonstrative Tilgung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt
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Damnatio memoriae (lat. „Verdammung des Andenkens an...“) ist ein aus dem Lateinischen stammender Ausdruck, der die völlige Auslöschung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt bedeutet.

Die Namen besonders verachteter und verhasster Personen wurden aus sämtlichen Annalen getilgt, sämtliche erreichbaren Bildnisse und Inschriften wurden zerstört, und in der Zukunft wurde es tunlichst vermieden, den Verurteilten betreffende Details auch nur zu streifen. Diese Maßnahmen sollten zu einem weitgehenden Vergessen des Betreffenden führen und haben – für Historiker bedauerlich – oft auch diesen Erfolg gehabt.

In Ägypten waren die Pharaonin Hatschepsut und der Pharao Echnaton von dieser Art der Rache betroffen. Von ihnen sind daher nur wenige Abbildungen und keine Mumien erhalten.

Der römische Senat ließ auf diese Weise die tyrannischen Kaiser Caligula, Nero, Domitian, Commodus, Caracalla sowie dessen Mitregenten Geta bestrafen. Ihre Bildnisse (Statuen, Büsten, Hermen, Münzen etc.) wurden eingezogen und in Bildnisse anderer Persönlichkeiten umgearbeitet. Spuren von den Umarbeitungen lassen sich noch heute an den Statuen finden. Auffälliges Merkmal für eine solche Umarbeitung ist z.B. ein proportional zu kleiner Kopf für den Körper, mit auffallend großen oder abstehenden Ohren. An den Bildnissen des Kaisers Nero sind im Nacken der umgearbeiteten Porträts noch Spuren der Locken zu sehen, da sich Nero selbst als großen Künstler sah und sich dementsprechend mit langem Haar in der Tracht der Künstler abbilden ließ.

Einige der Kaiser, deren Andenken die damnatio auferlegt worden war, wurden jedoch durch die sog. restitutio memoriae wieder rehabilitiert, so z.B. Nero unter Otho und Vitellius sowie Commodus unter Septimius Severus, der eine vollständige restitutio einschließlich Apotheose durchsetzte. Eine römische damnatio memoriae ist auch aus propagandistischen Gründen bekannt. So erfuhr selbst Julius Caesar unter seinem Adoptivsohn und Nachfolger Octavian eine teilweise damnatio memoriae: unliebsame Jugendgedichte des verstorbenen Dictators wurden verboten und vernichtet, da sie Caesars neue Stellung als Staatsgott hätten schwächen können.

Analoge Verfahren nachträglicher Ächtung finden sich bis zur Gegenwart. Im großen Rahmen wurden unter Stalin Fotografien und Gemälde nachträglich verändert, um Personen, mit denen der Diktator zwischenzeitlich nicht mehr abgebildet werden sollte, aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Vielfach handelte es sich dabei um Personen, die den Stalinschen Säuberungen zum Opfer fielen oder wie Leo Trotzki in deutlicher Opposition zu Stalin standen.

Doch auch Stalin war im Rahmen der Entstalinisierung von der damnatio memoriae betroffen: Beispielhaft ist die Geschichte des Gemäldes des Malers Wladimir Serow im Jahre 1947, welches mit dem Stalinpreis ausgezeichnet wurde. Das Werk "Lenin proklamiert die Sowjetmacht" zeigte Stalin im Gefolge Lenins. Zehn Jahre später veränderte Serow das Werk nach den neuen offiziellen Richtlinien, indem er Stalin durch eine andere Person ersetzte.

Literarische Umsetzung

Literarische Umsetzung findet die Thematik u.a. in George Orwells 1984, in dem sogenannte Unpersonen nach ihrer Ermordung rückwirkend aus Zeitungen und anderen Medien entfernt werden.

Literatur

  • Vittinghoff, Friedrich: Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur "damnatio memoriae". Berlin, 1936.
  • King, David: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion., HIS Verlagsgesellschaft, Hamburg, 1997 ISBN 3-930908-33-6