Polnisch-Sowjetischer Krieg
Im Polnisch-Sowjetischen Krieg von 1920 versuchte einerseits das wiedererrichtete Polen im Osten den historischen Grenzverlauf von 1772 wiederherzustellen, während Sowjetrussland andererseits bestrebt war, seine Einflussphäre tiefer in den Westen zu verschieben. In der Ukraine wurde Polen von nationalistischen Kräften unterstützt, die zuvor von den Bolschewiki von der Macht vertrieben worden waren.

Die anfänglichen Erfolge der Polen unter Marschall Piłsudski, die große Landstriche einschließlich Kiew besetzen konnten, wurden durch die sowjetrussische Rote Armee nach einiger Zeit zunichte gemacht: Sie warf die polnische Armee so weit hinter die Landesgrenzen Polens zurück, dass eine Okkupation Polens drohte. Erst ein Aufruf zur Gegenwehr ermöglichte es der polnischen Kavallerie mit mehr als 15.000 Soldaten die Rote Armee vor Warschau vernichtend zu schlagen. Obwohl Polen bis zu dieser Schlacht an der Weichsel kurz vor der Niederlage stand, gelang es, die sowjetischen Truppen wiederum weit nach Osten zu treiben.
Im Frieden von Riga, der am 18. März 1921 unterzeichnet wurde, stimmte die Sowjetunion einem Waffenstillstand und Friedensvertrag zu, der einen erheblichen Gebietszuwachs für Polen bedeutete. Die neue polnisch-sowjetische Grenze verschob sich daraufhin um stellenweise bis zu 250 km Richtung Osten.
Benennungen und Definitionen
Der Krieg selbst hat mehrere Benennungen. "Polnisch-sowjetischer Krieg" ist hierbei der gebräuchlichste. Allerdings trifft er nicht ganz zu, da die Sowjetunion offiziell erst im Dezember 1922 gegründet wurde. Die Encyclopædia Britannica spricht hierbei von einem Polnisch-Russischen Krieg. In polnischen Quellen wird meist vom "Bolschewikischen Krieg" (Polnisch Wojna bolszewicka) Krieg gesprochen. Des Weiteren existiert in Polen die Bezeichnung "Krieg von 1920" Polnisch Wojna 1920 roku). Das offizielle Geschichtsbild der Sowjetunion sah den Krieg als Teil der ausländischen Interventionen während des Russischen Bürgerkriegs, der zeitgleich im Gange war. Um den Krieg begrifflich damit in Verbindung zu bringen firmiert er in sowjetischen Quellen als Krieg gegen Weiß-Polen.
Eine weitere Kontroverse betrifft das Datum des Kriegsausbruch. Manche Autoren bezeichnen die Offensive polnischer Streitkräfte gegen Kiew 1920 als Beginn des Krieges. Andere Historiker siedeln den Kriegsausbruch schon im Jahre 1920 an. Da dem Krieg ein schwelender Grenzkonflikt voranging haben beide Ansichten ihre Berechtigung. Desweiteren gibt es Unterschiede über das Ende des Krieges. Einige Quellen setzen das Ende des Krieges mit dem Waffenstillstand gleich, der im Herbst 1920 getroffen wurde. Andere Autoren sehen den Krieg erst mit dem Friedensschluss von Riga im Jahr 1921 für beendet.
Vorgeschichte
Der Erste Weltkrieg hatte die politische Landkarte Osteuropas grundlegend verändert. Der Zerfall des russischen Reiches im Zuge der Niederlage in der Oktoberrevolution und der Untergang Österreich-Ungarns ließen Raum für neue Nationalstaaten. Neben Finnland, Estland, Lettland, Litauen und der Tschechoslowakei machte auch Polen erfolgreich den Schritt zur Eigenstaatlichkeit. Seit den Teilungen Polens 1795 war das Land unter deutscher, österreichischer und russischer Fremdherrschaft. Allerdings hatten sich die Polen eine kulturelle Eigenständigkeit bewahrt. Dies hatte sich schon während des Weltkrieges manifestiert. Das Deutsche Reich hatte sogar versucht durch die Einrichtung eines pro-forma unabhängigen polnischen Königreichs Polen diese Tendenzen für sich zu nutzen. Nach der Kapitulation Deutschlands erklärte sich Polen am 7. November 1918 unabhängig. Unter anderem auf Druck der Ententemächte wurde der Status Polens in den Pariser Vorortverträgen als unabhängiger Nationalstaat von der Weimarer Republik 1919 und von Österreich 1918 anerkannt.
Russland, durch die Oktoberrevolution vorzeitig aus dem Krieg ausgeschieden nahm an diesen Verhandlungen nicht teil. Somit war eine Grenzregelung zwischen Polen und dem nunmehr kommunistischen Staat nicht getroffen worden. Gleichzeitig betrachtete Russland die erneut unabhängigen Staaten Mittel- und Osteuropas als rebellierende, für die russische Sicherheit notwendige, russische Provinzen. Durch den Ersten Weltkrieg und den folgenden Bürgerkrieg geschwächt sah sich Russland jedoch nicht in der Lage "rechtzeitig" zu reagieren.
Ziele
Das Hauptmotiv der polnischen Führung, allen voran des Staatsoberhauptes Josef Pilsudski, war die Erlangung einer möglichst starken Position gegenüber den ehemaligen Besatzern Polens. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit deutschen Freikorps zogen sich sogar bis 1921 hin. Den größten Spielraum sah die polnische Führung allerdings im Osten. Einem möglichen Wiedererstarken Russlands, diesmal unter kommunistischer Führung, setzte Pilsudski die Idee einer von Polen geführten osteuropäischen Konförderation entgegen. Als historisches Vorbild diente hierfür die Republik beider Nationen zwischen Polen und Litauen, die bis 1791 bestand hatte. Sie sollte Polen, die Ukraine, Weißrussland und Litauen umfassen. Dieser Politik stellten sich zwar einflußreiche polnische Politiker wie Roman Dmowski entgegen, da sie einen vergrößerten polnischen Nationalstaat anstrebten, Pilsudksi konnte sich allerdings durchsetzen. Pilsudski begründete außerdem ein anti-russisches geopolitisches Projekt namens Prometeismus.
Die politischen Gedanken auf sowjetischer Seite waren maßgeblich vom Marxismus geprägt. Gemäß dieser Theorie würde die Revolution zuerst in den Industriestaaten Europas ausbrechen. Sie war allerdings in Russland als erste aufgetreten. Lenin folgerte daraus, daß die Weltrevolution von Russland aus auf Europa übergreifen würde. Lenin selbst glaubte, daß Russland als einziger kommunistischer Staat nicht bestehen könne, somit sah er den Export der Revolution nicht nur als Option sondern auch als Notwendigkeit seiner Politik an. Die bestehende Instabilität in Deutschland förderte diese Ansicht. Die junge Republik hatte bis 1920 drei Putschversuche von rechts, vier Generalstreiks und fünf Regierungschefs erlebt. Desweiteren wurde das Reich durch separatistische Bestrebungen, gefördert durch die harten Bedingungen des Versailler Vertrages weiter unter Druck gesetzt. Zahlreiche kommunistische Aufstände, die zwar durch den Einsatz von Freikorps niedergeschlagen wurden bestärkten die Bolschewiki in ihrem Glauben an einen revolutionären Umbruch. Zwar waren Versuche die 1918 bereits die Innenpolitk Deutschlands zum Vorteil der Kommunisten zu beeinflussen fehlgeschlagen. Durch die Erfahrungen des Bürgerkrieges lernte die kommunistische Partei allerdings ihre politischen Ziele durch militärische Methoden durchzusetzen. Dies sollte ein Leitmotiv des russischen Handelns in der Eskalation zum Krieg mit Polen werden.
Generell sah sich die kommunistische Führung isoliert und im Bürgerkrieg zuerst durch eine Intervention der Mittelmächte, dann durch das Eingreifen der Entente, bedroht von Feinden umgeben. Ihr militärisches Vorgehen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in den baltischen Staaten und der Ukraine hatte sie ebenso mit allen westlichen Nachbarstaaten in einen schwelenden Grenzkonflikt gebracht. Als der Krieg zwischen Russland und Polen schließlich ausgebrochen war, wurde er von der russischen Führung auch als ideologische Auseinandersetzung präsentiert: Im Westen wird das Schicksal der Weltrevolution entschieden. Über der Leiche Weißpolens verläuft die Straße zum Weltenbrand. Auf Bajonetten werden wir der arbeitenden Menschheit Frieden und Glück bringen.[1] Diese Parole gab der revolutionäre Militärrat des Sowjetsstaates im Juli 1920 in einer Proklamation an Soldaten der Roten Armee aus.
1919
Chaos in Mittel- und Osteuropa
Als die Deutschen Soldaten unter der Führung von Max Hoffmann 1918 begannen sich aus Mittel- und Osteuropa nach Westen zurückzuziehen, befahl Vladimir Lenin der West Armee der Roten Armee nach Westen vorzudringen. Das Hauptanliegen dieser Operation war durch Mittel- und Osteuropa zu ziehen und in den unabhängig gewordenen Staaten sowjetische Regierungen zu installieren und die kommunistischen Revolutionen in Deutschland und Österreich-Ungarn zu unterstützen.
Gleichzeitig entwickelten sich Grenzkonflikte zwischen allen unabhängig gewordenen Staaten Mittel- und Osteuropas: Rumänien kämpfte mit Ungarn um Transilvanien, Jugoslawien kämpfte mit Italien um Rijeka, Polen kämpfte mit der Tschechoslowakei um Tesin, mit Deutschland um Posen (Großpolnischer Aufstand), und mit der Ukraine um Ost-Galizien (Polnisch-ukrainischer Krieg). Die Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Estonier, und Letten bekämpften sich gegenseitig und die Russen. Winston Churchill kommentierte diese Situation wie folgt: Der Krieg der Giganten ist zu Ende, die Kriege der Pygmäen haben begonnen.
Eskalation
Im Februar 1919 kam es zu dem ersten Zusammentreffen polnischer Truppen und Vorauseinheiten der Roten Armee. Im weißrussischen Bjaroza entwickelte sich ein Feuergefecht zwischen beiden Parteien. Der Zusammenstoß stellte allerdings eine ungeplante Aktion beider in Kompaniestärke Seiten dar. Beide Seiten waren bisher gegen die ukrainischen Nationalisten unter Petljura vorgegangen.
Die Sowjets führten starteten im März eine erfolgreiche Offensive auf Wilna und Hrodna, formell zu Litauen gehörig aber ethnisch damals mehrheitlich polnisch. Gleichzeitig griffen die Polen entlang des Njemen an und nahmen die Kleinstädte Pinsk und Lida in Weißrussland ein. Die polnischen Soldaten hatten oft auf beiden Seiten im Weltkrieg gedient. Ebenso wurden sie durch eine Mission von französischen Offizieren in der Ausbildung ihrer Truppen unterstützt. Während auf sowjetischer Seite in propagandistischen Tönen über den bourgeoisen Charakter der polnischen Streitkräfte hergezogen wurde äußerten sich die Spitzen des Militärs im kleinen Kreis anders. Gegen uns operiert zum ersten Mal eine reguläre Armee, die von guten Technikern geführt wird [2] warnte Trotzki das Zentralkomitte der Partei.
Ein polnischer Vorstoß vertrieb die Bolschewiki am 19. April aus Wilna. Politisch bedeutete dies für die Polen enormen Gewinn, da dadurch auch die Hauptstadt der von Sowjetrussland installierten weißrussisch-litauischen Republik in polnische Hand fiel. Der Vorstoß nach Osten ging allerdings weiter. Am 28. August setzten die Polen erstmals Panzer ein um Babruisk zu erobern. Damit waren sie bereits tief nach Weißrussland vorgedrungen. Im Oktober hielten die polnischen Truppen eine Front vor Daugavpils im südlichen Lettland bis zur Desna in der nördlichen Ukraine.
Die Sowjetführung befand sich während des Jahres 1919 in einer bedrängten Lage und konnte auf den Vormarsch der Polen nicht entsprechend reagieren. Der kommunistische Staat war durch die Offensiven dreier Weißer Armeen unter Denikin in Südrussland, Koltschak in Sibirien und Nikolai Judenitsch im Baltikum bedroht. Lenin gelang es die polnische Regierung durch das Versprechen großer territorialer Zugeständnisse, die fast ganz Weißrussland in polnische Hand gebracht hätten zu beschwichtigen. Pilsudksi selbst hatte weitere Gründe um seine Offensive nicht weiter fortzuführen. Die weiße Bewegung vertrat das Ziel eines geeinten, ungeteilten Russlands, was auch die neuen Nationalstaaten Mittel- und Osteuropas mit einschloß. Der polnische Staatschef wartete deshalb ab mit der Absicht beide Bürgerkriegsparteien sich gegenseitig weiter schwächten.
Diplomatische Bemühungen
Im Jahr 1919 wurden mehrere Versuche zu Friedensverhandlungen zwischen Polen und den Sowjets unternommen. Sie scheiterten allerdings, da sich beide Seiten noch militärisch Gewinne versprachen und somit zu wirklichen Zugeständnissen nicht bereit waren. Währenddessen verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Polen und Litauen. Der baltische Staat drängte auf seine volle politische Unabhängigkeit, was den polnischen Konföderationsplänen widersprach. Desweiteren beharrte Litauen auf der historischen Hauptstadt Wilna, in der allerdings eine polnische Bevölkerungsmehrheit lebte. Mehr Erfolg hatten die polnischen Integrationsbestrebungen mit Lettland. Die dortige provisorische Regierung entschloss sich, sich mit Polen gegen Russland zusammenzuschliessen und führte Anfang 1920 bereits gemeinsame Militäroperationen durch.
Die polnische Regierung nutzte die relative Ruhe, die sich nach den ersten Kampfhandlungen ergeben hatte, intensiv um durch Diplomatie in der Ukraine Fuß zu fassen. Ein Haupterfolg war die Einigung mit dem ukrainischen Nationalistenführer Symon Petljura, den die Polen im selben Jahr noch bekämpft hatten. Petljura war vor dem Druck der Bolschewiki aus der Ukraine geflohen und war mit seinen verbliebenen Truppen nach Polen emigriert. Petljura akzeptierte die territorialen Gewinne Polens auf Kosten der Ukraine und stimmte einer großzügigen Grenzregelung zu. Die polnische Seite versprach im Gegenzug militärische Hilfe und die Wiedereinsetzung von Petljuras Regime im Falle eines Erfolgs gegen Sowjetrussland. Dies war ein großer Schritt in Richtung der polnischen Konföderationspläne, im Falle eines militärischen Sieges würde die Ukraine als mit Polen verbündeter Pufferstaat gegen Russland dienen. Petljura ergriff damit die letzte Chance die Eigenstaatlichkeit der Ukraine wieder herzustellen. Beide Politiker ernteten bei den eigenen Leuten heftige Kritik. Pilsudksi wurde von Dmowskis Nationaldemokraten angegriffen, die die Unabhängigkeit der Ukraine vollkommen ablehnten. In der ukrainischen Bevölkerung war die Annäherung an Polen weitgehend unpopulär. Die polnische Armee hatte 1919 noch gegen die ukrainischen Nationalisten Krieg geführt. Die Ukrainier in Galizien, deren Staat nach der militärischen Besetzung in Polen eingegliedert worden war, sahen in dem Abkommen einen regelrechten Verrat ihrer Interessen. So kam es mitte 1920 sogar zu einer Spaltung der ukrainischen Nationalbewegung. Petljuras Soldaten blieben loyal im Bündnis mit Polen, während die galizischen Ukrainer auf dei Seite der Rote Armee überwechselten.
1920
Vorbereitung
Bis zum Jahresbeginn 1920 hatten die sowjetischen Truppen im Bürgerkrieg die meisten Armeen zerschlagen. Nur noch eine rund 20.000 Mann starke Streitmacht unter Pjotr Wrangel hatte sich auf die Halbinsel Krim, fernab des russischen Kernlands zurückgezogen. Ebenso gelang es der Führung in Moskau sich durch Friedensverträge mit Estalnd und Litauen militärisch zu entlasten. Im Januar 1920 folgte eine Umgruppierung der Roten Armee. Vorgesehen war eine 700.000 Mann starke Armee entlang der Beresina zu versammeln um eine Offensive gegen die polnischen Truppen Ende April einzuleiten. Die Rote Armee hatte damals bereits eine Stärke von nominell fünf Millionen Mann. Diese Übermacht täuschte allerdings. Die Truppen waren schlecht ausgebildet und teilweise unzureichend bewaffnet. Schon im Bürgerkrieg hatte sich gezeigt, daß Einheiten der Roten Armee oft gegen zahlenmäßig stark unterlegene weiße Truppen chancenlos waren. Zwar hatte die Armee einige Waffendepost der deutschen Armee erbeuten können, sowie einige französische Panzer von den Weißen erbeutet. Dies wirkte sich allerdings nur geringfügig aus. In einer Sache waren die Russen allerdings durch den Bürgerkrieg im Vorteil. Sie hatten bereits 1919 im Kampf gegen die Kosaken erkannt, daß im Kampf zwischen gering technisierten Armeen in den Weiten Russlands die Kavallerie ein entscheidender Faktor war.
Ihr polnischen Gegenspieler gingen in dieser Hinsicht einen anderen Weg. Die meisten Offiziere hatten aus den Erfahrungen des den Schluß gezogen, daß die Kavallerie den materiellen Aufwand, den ihr Unterhalt erforderte nicht rechtfertigte. Trotzdem ging der Aufbau der Armee schnell voran. Zu Beginn des Jahres 1920 zählte sie bereits rund 500.000 Soldaten. Die meisten hatten im Weltkrieg gedient. Allerdings gab es auch unerfahrene Freiwillige, unter anderem 20.000 Polen aus den USA die sich der Truppe angeschlossen hatten. Ein Problem war, daß die Bewaffnung der Truppe aus verschiedenen Ländern stammte. Somit musste die Logistik der Truppen verschiedene Munitionsarten und Ersatzteilstandards bei der Versorgung berücksichtigen. Insgesamt waren die polnischen Truppen materiell besser ausgerüstet als die Rote Armee.
Vom März 1919 an berichteten polnische Nachrichtendienstquellen über Offensivpläne seitens der Sowjetunion. Das polnische Oberkommando zog daher eine Präventivoffensive in Betracht. Der Plan für die Operation Kiew war die Zerschlagung der Roten Armee an Polens rechter Flanke. Das politische Ziel der Offensive war die Einsetzung einer pro-polnischen Regierung unter Petljura in Kiew.
Polnische Offensive
Die erste nennenswerte Offensivoperation des Jahres war die Eroberung von Daugavpils am 21. Januar 1920. Die 1. und 3. Division der Polnischen Division unter Rydz-Śmigły konnte die Stadt in heftigen zweiwöchigen Kämpfen von der Roten Armee erobern. Die Stadt selbst war strategisch von untergeordneter Bedeutung. Allerdings hatte die lettische Regierung die Hilfe der polnischen Streitkräfte angefordert um die mehrheitlich lettische Stadt an den neuen Nationalstaat anzugliedern. Nach der Eroberung durch polnische Truppen wurde die Stadt auch an den verbündeten Staat übergeben. Somit stellte die Operation einen Gewinn politischer Prestige für Polen dar. Im März 1920 unternahmen die polnischen Armeen zwei simultane, erfolgreiche Vorstöße in Weißrussland und der Ukraine. Damit wurde die Fähigkeit der Roten Armee ihre geplante Offensive durchzuführen erheblich gemindert.
Am 24. April begannen die polnischen Streitkräfte schließlich ihre Hauptoffensive mit dem Ziel Kiew. Unterstützt wurden sie dabei von den Truppen der ukrainischen Nationalisten unter Petljura. Die polnische 3. Armee unter Rydz-Śmigły führte von Westen den Hauptstoß auf die ukrainische Hauptstadt. An ihrer südlichen Flanke drang die 6. Armee unter W. Iwaszkiewicz in der Ukraine vor. Nördlich von der Hauptstoßrichtung führte die 2. Armee unter Listowski eine weitere Offensive durch.
Zwar wurde Kiew am 7. Mai erobert, doch die eigentlichen Ziele des Unternehmens wurden verfehlt. Die Rote 12. und die Rote 14. Armee zogen sich nach einigen Scharmützeln an der Grenze schnell zurück. Den polnischen Streitkräften war es also nicht gelungen die Truppen ihres Gegners einzuschließen und ernsthaft zu dezimieren. Dies wäre wohl nebensächlich gewesen, wenn das politische Ziel der Offensive erfüllt worden wäre. Pilsudski erhoffte sich starke Unterstützung von den ukrainischen Nationalisten, denn er wußte, daß die polnische Armee allein das große Land weder besetzen noch wirksam gegen die Rote Armee verteidigen konnte. Eine politische Kampagne in der Ukraine versuchte durch Appelle an den ukrainischen Patriotismus Unterstützung für die Streitkräfte Petljuras zu werben. Die Ukraine war allerdings seit 1917 Kriegsschauplatz, die Bevölkerung war der Kämpfe müde und Petljura war schon einmal im Kampf gegen die Sowjets gescheitert. Infolgedessen blieb die Resonanz auf die Rekrutierungsbemühungen gering. Die ukrainischen Nationalisten konnten nur zwei Divisionen ins Feld stellen und waren somit keine nenneswerte Hilfe.
Pilsudkis Vorstoß auf Kiew war somit in jeder Hinsicht ein Pyrrhussieg. Militärisch gesehen standen die polnischen Truppen nun in einer sehr exponierten Position fern ihrer Nachschubbasen in Kiew. Die roten Truppen waren durch ihren frühen Rückzug intakt geblieben und konnten sich zu einer Gegenoffensive neu formieren. Politisch gesehen war die Operation ein voller Mißerfolg. Nicht nur fehlte die Unterstützung der Ukrainer, sondern auf internationalem Parkett konnte die Sowjetunion Polen als Aggressor darstellen. Dies führte dazu, daß die Entente, allen voran Frankreich weniger Bereitschaft zeigten Polen materiell zu unterstützen.
Sowjetische Gegenoffensive
Die Rote Armee hatte ihre Truppen bereits zu Beginn des Jahres für eine Offensive in den ukrainischen Grenzgebieten gruppiert. Um Kiew stand die Südwestliche Armeegruppe unter Alexander Jegorow. Seine Front umfasste die 12. und 14. Rote Armee. Zusätzlich war ihr das 1. Kavalleriekorps unter Budjonny als Offensivkapazität zugewiesen worden. In Weißrussland hatten die Sowjets die Westliche Armeegruppe aufgestellt. Sie stand unter dem Befehl von Michail Tuchatschewski. Sie umfasste die 3., 4., 15. und 16. Armee. Ebenso verfügte sie mit dem 3. Kavalleriekorps über eine berittene Offensivformation.
Bei der Gegenoffensive zeigte sich das die Entscheidung Jegorows sich zurückzuziehen und die polnischen Armeen sozusagen ins Leere laufen zu lassen richtig war. Am 15. Mai startete er seine Gegenoffensive. Er ließ seine 12. Armee nördlich, seine 15. Armee südlich von Kiew vorgehen. Unterstützt wurde sein Angriff vom 1. Kavalleriekorps südlich von Kiew. Die Polen hatten nicht die Kärfte beide Seiten gleichzeitig ausreichend zu verteidigen. Ebenso fehlte ihnen die Kavallerie, die sie bei dem Aufbau ihrere Armee nicht berücksichtigt hatten. Am 12. Juni wechselte Kiew wieder die Seiten. Die polnischen Truppen schafften es allerdings sich trotz der sowjetischen Zangenbewegung zurückzuziehen und entkamen ihrerseits der Vernichtung.
Die Westliche Armeegruppe der Roten blieb allerdings auch nicht untätig. Sie begann ihren Vorstoß am 14. Mai. Dieser Angriff scheiterte allerdings. Eine Wiederaufnahme der Angriffe nach Verstärkungen am 4. Juli brachte allerdings den gewünschten Erfolg. Am 11. Juli eroberten Tuchatschewskis Soldaten Minsk. Die polnischen Truppen zogen sich vor den vorrückenden Sowjets zurück, doch ihre Defensivstrategie erwies sich als Nachteil. Analog der Westfront im Ersten Weltkrieg versuchten die Polen eine durchgehende Verteidigungslinie durch eingegrabene Infanterie zu schaffen. Die Front gegen Tuchatschewski war allerdings 300 km breit. Die Polen hatten 120.000 Soldaten und 460 Geschütze zur Verfügung. Ein koordiniertes Stellungssystem hätte allerdings mehr Soldaten, mehr Artillerie und vor allem strategischer Reserven bedurft, die man an kritischen Punkten einsetzen konnte. Somit konnten die Roten die Stärke ihrer Kavallerie ausspielen, die sich gegen eine überdehnte gegnerische Front als erfolgreiche Offensivwaffe erwies. Durch den Mangel der polnischen Armee an berittenen Einheiten waren auch etwaige Gegenangriffe zum Scheitern verurteilt, da sie nicht in der nötigen Geschwindigkeit ausgeführt werden konnten.
Tuchatschewskis Front bewegte sich im Juli am Tag durchschnittlich 30 Kilometer auf das polnische Kernland zu. Am 14. Juli fiel Wilna. Wenige Tage später Grodno. Schließlich eroberte die Rote Armee am 1. Juli Brest-Litowsk. Damit standen die roten Truppen nur noch 100 Kilometer östlich der polnischen Haupstadt Warschau.
Im Süden war währenddessen Jegorows westliche Armeegruppe nicht minder erfolgreich gewesen. Seine Truppen hatten die Polen aus der Ukraine gedrängt und waren nach Südpolen vorgerückt. Im Juni begannen sie mit der Belagerung des Industriezentrums Lwow. Der Rest seiner Front drehte sich nordwestlich um Tuchatschewski beim Angriff auf Warschau zu unterstützen.
Politische Spielchen und Diplomatie
Als sich das Blatt gegen Polen wendete, begann der politische Einfluss Pilsudskis zu sinken, während seine Gegner, einschließlich Roman Dmowski, an Einfluss gewinnen konnten. Pilsudski gelang es jedoch seinen Einfluss, insbesondere über das Militär, im letzten Moment wiederzuerlangen - als die sowjetischen Truppen bereits vor Warschau standen, die politische Szene in Panik geriet, und die Regierung unter Leopold Skulski Anfang Juli zurückgetreten war.
Währenddessen wuchs das Selbstbewusstsein der sowjetischen Führung. Es zeichnete sich der Beginn des sowjetischen Vordringens, und die Expansion der bolschewistischen Revolution nach ganz Europa ab. In einem Telegramm erklärte Lenin: "Wir müssen unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Verstärkung der Westfront richten. Der kommunistische Denker Nikolai Iwanowitsch Bucharin, schrieb in der Prawda zu den Soldaten, sie sollten die Kampagne über Warschau hinaus "nach London und Paris tragen". Am 2. Juli 1920 sagte General Tuchatschweski: "Nach Westen! Über der Leiche von Weiß-Polen liegt der Weg zur Weltrevolution. Marschiert nach Vilnius, Minsk, Warschau und weiter nach Berlin über die Leiche Polens!" Aufgrund des immer sicheren sowjetischen Sieges, wuchsen jedoch die Intriegen zwischen den sowjetischen Befehlshabern, was sich negativ auf die Zusammenarbeit der einzelnen sowjetischen Verbände auswirkte.
Auf Befehl der Sowjetischen Kommunistischen Partei (KPdSU) wurde am 28. Juli in Bialystok eine polnische Marionetten-Regierung installiert, das "Provisorische Polnische Revolutions Kommitte" (polnisch: Tymczasowy Komitet Rewolucyjny Polski, TKRP). Sie sollte die Verwaltung der durch die Rote Armee eroberten polnischen Gebiete übernehmen. Diese Marionetten-Regierung hatte so gut wie keinen Rückhalt in der polnischen Bevölkerung.
Im Juli 1920 erklärte Großbritannien, dass es große Mengen überschüssigen militärischen Materials aus dem Ersten Weltkrieg zur Unterstützung nach Polen schicken werde. Doch ein drohender Generalstreik des Trade Union Congress, der Einwände gegen die Unterstützung der Polen durch Großbritannien erhob, führte dazu, dass dieses Vorhaben nie realisiert wurde. Der britische Premierminister David Lloyd George war von der Unterstützung der Polen selbst nie überzeugt gewesen, sondern wurde eher von dem rechten Flügel seines Kabinetts, allen voran Lord Curzon und Winston Churchill dazu gedrängt. Am 11. Juli 1920 stellte Großbritannien den Sowjets ein Ultimatum, in dem es die Beendigung der Feindseeligkeiten gegen Polen und die Russische Armee (die Weiße Armee in Süd-Russland mit Baron Wrangel als Oberbefehlshaber) forderte, sowie die Akzeptierung der Curzon-Linie als eine vorübergehende Grenze zu Polen, solange nicht eine dauerhafte Grenzziehung verhandelt werden könnte. Im Falle der sowjetischen Weigerung drohte Großbritannien damit, Polen mit allen möglichen Mitteln zu unterstützen (tatsächlich waren diese Mittel wegen der politischen Lage in Großbritannien jedoch eher begrenzt). Am 17. Juli lehnten die Sowjets die britischen Forderungen ab, und machten ihrerseits ein Gegen-Angebot zur Verhandlung eines Friedensvertrages direkt mit Polen. Die Briten antworteten mit der Drohung die laufenden Gespräche über ein Handelsabkommen zu beenden, wenn die Sowjets die Offensive gegen Polen weiter vorantrieben. Diese Drohung wurde von den Sowjets ignoriert. Der drohende Generalstreik war für Lloyd George ein gelegener Vorwant für den Rückzug aus seinen Versprechungen. Am 6. August 1920 verkündete die Labour Party, dass britische Arbeiter niemals als Verbündete Polens an dem Krieg teilnehmen würden, und drängte Polen dazu einen Frieden auf der Grundlage sowjetischer Bedingungen zu akzeptieren.
Polen musste weitere Rückschläge aufgrund der Sabotage von Waffenlieferungen erleiden, weil Arbeiter in Österreich, der Tschechoslowakei und Deutschland den Transporten die Durchfahrt verwehrten.
Auch Litauen war überwiegend anti-polnisch eingestellt und schlug sich bereits im Juli 1919 auf die sowjetische Seite. Die litauische Entscheidung war getragen einerseits von dem Wunsch die Stadt Vilnius und die angrenzenden Gebiete in den litauischen Staat zu inkorporieren, und andererseits von dem Druck, den die sowjetischen Seite auf Litauen ausübte, nicht zuletzt durch die Stationierung großer Truppenverbände der Roten Armee nahe der litauischen Grenze.
Polen hatte nur wenige Verbündete. Frankreich, das seine Politik der Rückschlagung des Bolschewismus verfolgte, entsendete 1919 eine 400 Mann starke Gruppe nach Polen. Sie bestand hauptsächlich aus französischen Offizieren, jedoch gab es auch einige britische Offiziere, die von Lieutenant General Sir Adrian Carton De Wiart geleitet wurden. Die französischen Bemühungen zielten darauf ab die Organisation und Logistik der polnischen Armee zu verbessern. Unter den französischen Offizieren befand sich auch der spätere französische Präsident Charles de Gaulle, der während des Krieges den höchsten polnischen Militärorden, den Virtuti Militari, bekam. Zusätzlich entsendete Frankreich die sog. Blaue Armee nach Polen: eine Truppe, die hauptsächlich aus Polnischstämmigen und einigen internationalen Freiwilligen bestand, und im Ersten Weltkrieg unter französischem Kommando kämpfte. Sie wurde vom polnischen General Józef Haller angeführt. Ungarn bot ein Corps aus 30.000 Kavalleristen an, doch die Tschechoslowakische Regierung erlaubte den Transit nicht, sodass nur einige Züge mit Waffenlieferungen in Polen eintrafen.
Schlacht an der Weichsel
Am 10. August überquerten das III. Kavalerriekorps unter Gai Dimitrejwitsch Gai die Weichsel nördlich von Warschau. Diese Bewegung sollte nach dem Offensivplan Warschau vom polnischen Hafen Danzig abschneiden. Derweil ließ der sowjetische Befehlshaber seine Infanterie der 16. und 3. Armee im Zentrum Druck auf die Hauptstadt ausüben. Tuchatschewski war fest der Ansicht, daß sein Offensivplan mit dem Einbruch der Kavallerie in die linke Flanke der Polen das Schicksal der Hauptstadt besiegelt hätte.
Der sowjetische Offensivplan war allerdings fehlerhaft. Die Ursachen hierfür sind unter anderem in den Erfahrungen des Bürgerkrieges zu suchen. In den innerrussischen Kämpfen war die Rote Armee gegen Rebellen angetreten, deren Stärke im Rückzug abnahm. Je weiter die Weißen Armeen von ihrem Ziel, der Hauptstadt Moskau abgedrängt wurden, desto mehr bröckelte der innere Zusammenhalt ihrerer Truppen. Die polnische Armee wurde allerdings im Rückzug stärker. Sie verkürzte dadurch ihre Nachschubwege und Kommunikationslinien. Desweiteren sorgte die Verteidigung der eigenen Hauptstadt für eine Stärkung der Truppenmoral. Tuchatschewski rechnete damit gegen einen demoralisierten Gegner vorzugehen. Er traf allerdings auf eine gutorganisierte und hochmotivierte Armee.
Ein noch gravierenderer Fehler ist allerdings im höchsten Kommando der sowjetischen Armee zu suchen. Wähend Tuchatschewski mit seiner Nordwestfront auf Warschau vorrückte wurde der Südwestfront unter Jegorow der Angriff auf Lwow befohlen. Hätte man beide Fronten auf die polnische Hauptstadt konzentriert hätten die Russen die doppelte Stärke inklusive eines weiteren Kavalleriekorps zur Verfügung gehabt. So wurde allerdings Tuchatschewskis linke Flanke vollkommen entblößt, da er sie aus eigenen Kräften decken musste und keinen Kontakt zur Südwestfront hatte. Für diese Entscheidungen wird von einige Historikern Josef Stalin verantwortlich gemacht, der als Politkommissar der Südwestfront großen Einfluß auf deren Ziele hatte.
Bereits vier Tage nach dem Übergang der sowjetischen Kavallerie begann der polnische Gegenangriff. Pilsudski hatte eine Zangenbewegung geplant. Am 14. August griff die polnische 5. Armee unter Władysław Sikorski nördlich von Warschau an. Ihr gegenüber stand Gays III. Kavalleriekorps und die 3. und 15. Armee der Sowjets. Trotz dieser zahlenmäßigen Unterlegenheit gelang es den Polen den russischen Vorstoß zurückzuschlagen und nach wenigen Tagen ergriffen sie selbst die Offensive. Am 16. August startete die 4. polnische Armee unter Pilsudski selbst einen Angriff südlich von Warschau. Die Truppen waren während des sowjetischen Vormarsches eilig mit Freiwilligen verstärkt worden. Die Zangenbewegung erwies sich als erfolgreich als Pilsudskis Truppen zwei Tage später das rückwärtige Gebiet der Russen aufrollten. Tuchatschewski befahl am selben Tag den Rückzug seiner Soldaten, doch war es für die Schlüsseleinheiten zu spät. Mit dem III. Kavalleriekorps verlor die Nordwestfront ihre größte Offensivkraft und auch zahlreiche Infanteriedivisionen blieben im Kessel zurück.
Tuchatschewski versuchte seine Truppen entlang des Bug und noch einmal entlang des Njemen zu konsolidieren. Der rasche polnische Vormarsch, schlechte Kommunikationseinrichtungen und die starken Verluste in der Schlacht um Warschau verhinderten aber den Aufbau einer neuen Verteidigungslinie.
Während sich Tuchatschewskis Nordwestfront bereits im Rückzug befand, wankte auch die Position von Jegorows Südostfront. Die Polen hatten nach den Erfahrungen im Krieg selbst Kavalerrietruppen aufgestellt. Diese setzten sie gegen die verbliebenen russischen Truppen ein. Außerdem drohte Jegorow durch den Rückzug Tuchatschewskis selbst abgeschnitten zu werden. Somit blieb ihm nichts anderes übrig als seine Truppen ohne große Gefechte zurückzunehmen.
In die polnische Geschichte ging diese Schlacht als Wunder an der Weichsel ein.
Frieden von Riga
Da sich das Blatt so gründlich zugunsten der Polen gewendet hatte, zogen diese wieder gen Osten. Die Sowjetunion erkannte die Zeichen der Zeit und bot Polen einen Frieden an, der für den jungen Staat große Gebietszugewinne und damit fast das Erreichen der Kriegsziele bedeutete. Einzige Bedingung der sowjetischen Seite: Frieden in zehn Tagen. Denn die Bolschewiki hatte dringendere Sorgen. Im Süden der Ukraine stieß der weiße General Wrangel von der Krim aus in die Ukraine vor. Die Verhandlungen zwischen Sowjetrussland und Polen begannen am 21. September 1920 in Riga, der Friedensvertrag wurde dort am 18. März 1921 unterzeichnet und am 20. April in Minsk ratifiziert. Die Polen gewannen 135.000 km² Land mit einer Tiefe von bis zu 250 km östlich der Curzon-Linie mit 3.600.000 Menschen, von denen nur eine Million Polen waren. Der überwiegende Teil der neuen Bevölkerung setzte sich aus Ukrainern, Weißruthenen (Weißrussen), Wolhyniern, Galiziern und Juden zusammen.
Folge
Die junge polnische Republik hatte ihr Staatsgebiet erheblich ausweiten können. Mit dem Zuwachs an litauischem Territorium (Wilna-Gebiet, 1921) war Polen auf gutem Wege, in den Grenzen von 1772 wiederzuerstehen. Die Sowjets, die nicht nur dem gebietsraubendem Frieden zustimmten, sondern auch ihre Hoffnungen darauf, die Weltrevolution über Polen nach Westeuropa exportieren zu können, begraben mussten, vergaßen diese Niederlage nie. Der bolschewistische Kommandeur Leo Trotzki gab nach dem Rückzug unumwunden zu Protokoll, was für die Bolschewiki in Polen auf dem Spiel gestanden hatte: „Wäre Polen ein Sowjetstaat geworden, so wäre der Versailler Frieden zunichte gemacht worden, und das ganze internationale System, das ein Ergebnis des Sieges über Deutschland ist, wäre zusammengebrochen. Frankreich hätte dann nicht mehr den Pufferstaat, der Deutschland von Sowjetrussland trennt ...“ Im Geheimvertrag mit Deutschland von 1939 sicherte sich die Sowjetunion fast exakt die Gebiete, die sie 1920 den Polen hatte überlassen müssen.
Die Ukraine wurde durch den Frieden von Riga praktisch geteilt, Galizien hingegen unter polnischer Flagge vereint. Weißrussland gab Gebiete ab. Nachdem Polen den östlichen, größeren Teil der Ukraine den Bolschewiki überlassen musste, konnten diese dort ihre Terrorherrschaft zügellos ausbauen. Mehrere Bauernaufstände wurden mit überlegener militärischer Gewalt durch die Rote Armee niedergeschlagen, besonders Bauern aus der westlichen Ukraine, die oft noch Bindungen nach Polen oder dem nun polnischen Teil hatten, waren schweren Repressalien ausgesetzt. Viele der ersten Insassen der Gulags waren neben Balten Ukrainer. Erst die durch die Kollektivierung ausgelöste Hungersnot von 1933 konnte den letzten Widerstand gegen die Sowjetisierung brechen.
Siehe auch
Zitatangaben
- ↑ Übersetzung eines Zitats aus einer Proklamation des Revolutionären Militärrats der RSFSR aus Mawdsley, Evan The Russian Civil War, Edinburgh 2005, S. 250 : Originaltext: "In the West the fate of the world revolution is decided. Over the corpse of White Poland lies the road to world conflagration. On bayonets we will bring happiness and peace to labouring humanity"
- ↑ Zitat Trotzkis aus Mawdsley, Evan : The Russian Civil War, Birlinn Ltd.,Edinburgh 2005 S. 257. Originalzitat in Englischer Sprache : "We have operating against us for the first time a regular army, led by good technicians."
Literatur
- Isaak Babel: Die Reiterarmee (Budjonnys Reiterarmee). Malik, Berlin 1926; aus dem Russischen neu übers., herausg. u. komment. v. Peter Urban. Friedenauer Presse, Berlin 1994 (Origausg. I. Babel: Konarmija. Moskva - Leningrad 1926). ISBN 3-921592-84-4
- Leo Trotzki (Lev Davidovič Trotzkij): Mein Leben. Versuch einer Autobiographie. Aus dem Russ. übertr. v. Alexandra Ramm. S. Fischer, Berlin 1929, Fischer Taschenbuch, Frankfurt M 1974. ISBN 3-436-01965-8
Weblinks
- Der Frieden von Riga: Seiten 1-8, Seiten 9-16, Seiten 17-23, Anhänge und Zusatzprotokoll (Polnisch)