Rangierbahnhof m., abgeleitet von "Rang(ordnung)"; englisch: hump yard, marshalling yard, (USA:) classification yard; französisch: gare de triage f., (Belgien:) gare de formation; italienisch: scalo di smistamento m., stazione di smistamento f.; spanisch: estación de clasificación f.; niederländisch: rangeerterrein n., (Belgien:) voormingstation n.
Rangierbahnhöfe sind die Zugbildungsbahnhöfe des Wagenladungsverkehrs (das heißt: Transport einzelner Waggons in gemischten Zügen statt Ganzzugverkehr) im Güterverkehr. Es handelt sich um die größten Bahnhöfe überhaupt. Die offizielle Abkürzung ist in Deutschland "Rbf" und in der Schweiz "RB". Bis 1901 schrieb man "Rangirbahnhof", weiter waren die veralteten Begriffe "Verschubbahnhof" und "Verschiebebahnhof (Vbf)" in Gebrauch, letzteres einerseits vor allen Dingen in Norddeutschland bis 1960 und andererseits nach wie vor als offizieller Begriff in Österreich.
Die im Wagenladungsverkehr beförderten einzelnen Waggons müssen für den Transport zu Zügen zusammengestellt und die Züge wieder zerlegt werden. Daher ist ein im Wagenladungsverkehr aufgegebener Waggon in der Regel mehrere Male zu rangieren, und zwar einereseits im Start- und Zielbahnhof und andererseits während des Laufweges in Rangierbahnhöfen.
Standorte
Rangierbahnhöfe wurden vor allem in oder am Rande von Industriegebieten, großstädtischen Ballungsräumen, großen Hafenstädten und weiteren Eisenbahnknotenpunkten angelegt, sowie in geringerer Anzahl an Grenzübergängen und in Spurwechselbahnhöfen, darüber hinaus in den USA auch an Betriebsmittelpunkten ("hub") der Netze der dort seit jeher privat betriebenen Eisenbahngesellschaften. Die größte Anzahl und Dichte von Rangierbahnhöfen bezogen auf die Streckenlänge der Eisenbahnen befindet sich in Mitteleuropa, gefolgt von den übrigen Teilen Europas, den USA hauptsächlich in der Osthälfte, in Rußland und China sowie früher auch in Japan, also mehrheitlich in überwiegend industriell geprägten Gebieten. Rangierbahnhöfe befinden sich innerhalb des Knotenbereiches entweder direkt neben dem Personenbahnhof, oder entlang einer der den Personenbahnhof verlassenden Strecken oder an einer nur dem Güterverkehr dienenden Umgehungs- oder Ringbahn. Weiter besitzen insbesondere in Europa sehr große Industrieanlagen (vor allem Eisenhütten und Chemiewerke) und sehr große Häfen eigene Rangierbahnhöfe, die von diesen selbst und nicht von der öffentlichen Eisenbahn betrieben werden.
Bauweise und Betrieb
In den Rangierbahnhöfen werden die Waggons entweder mit Lokomotiven ohne Anwendung der Schwerkraft im Gleisfeld bewegt oder durch Ablaufenlassen mittels Schwerkraft.
In Bahnhöfen ohne Ausnutzung der Schwerkraft werden die Waggons aus dem/den Ausziehgleis(en) (Stumpfgleis an einem oder beiden Bahnhofsenden) heraus entweder abgestoßen oder mit der Lokomotive punktgenau im Gleisfeld rangiert. Dieses Verfahren ist in Europa, der ehemaligen Sowjetunion und China mehrheitlich nur in kleineren Anlagen üblich (in Italien auch in wenigen größeren), während es in vielen anderen Ländern (besonders in Südamerika) auch in größeren Rangierbahnhöfen angewendet wird. Es ist umständlich, arbeitsintensiv, wenig leistungsfähig und daher teuer und für Anlagen mit großem Verkehrsaufkommen ungeeignet.
Rangierbahnhöfe, in denen zum Rangieren die Schwerkraft benützt wird,
werden in zwei Typen unterschieden: die meisten sind Flachbahnhöfe,
hinzu kommen wenige Gefällsbahnhöfe (oder Gefällebahnhöfe). Beiden gemeinsam ist die Geleiseanordnung in mehreren Gruppen: eine Einfahrgruppe; danach oder daneben die Richtungsgruppe, worin die Waggons nach Zerlegung des eingefahrenen Zuges nach den Zielbahnhöfen rangiert werden und aus der die Züge entweder direkt ausfahren oder, sofern vorhanden, in der anschließenden Ausfahrgruppe den Bahnhof verlassen. Viele Rangierbahnhöfe haben noch eine Nachordnungsgruppe zum endgültigen Zusammenstellen von Zügen, die aus Waggons für mehrere Zielbahnhöfe bestehen.
Im Flachbahnhof werden die Waggons aus der Einfahrgruppe oder dem Ausziehgleis heraus zum Rangieren nach den Zielbahnhöfen über ein erhöhtes ausgerundetes Gleis in die Richtungsgruppe rangiert. Dieses Gleis nennt man Ablaufberg, Ablaufrücken oder Eselsrücken (in Österreich: Rollberg). In Hochleistungsanlagen besitzt der Ablaufberg häufig zwei Berggleise statt einem. In Deutschland ist in manchen Rangierbahnhöfen stattdessen der gesamte Weichenkopf an dem entsprechenden Ende der Einfahrgruppe in Form eines mehrgleisigen Ablaufberges ausgerundet angelegt. Die Waggons werden von einer Rangierlokomotive auf den Ablaufberg geschoben, um sie von dort entweder einzeln oder bei gleichem Zielbahnhof in kleinen Gruppen ablaufen zu lassen, und auf dessen Spitze an den erforderlichen Stellen entkuppelt, und rollen dann mithilfe der Schwerkraft vom Ablaufberg in die den Zielbahnhöfen entsprechenden Geleise der Richtungsgruppe hinab. Am Fuße des Ablaufberges muß die zunächst nicht kontrollierbare Geschwindigkeit der ablaufenden Waggons reguliert werden, damit sie je nach Gewicht, Windverhältnissen und benötigtem Laufweg im leeren oder vollen Gleis zielgenau bis zum letzten bereits im Gleis stehenden Waggon ablaufen können. Diese Geschwindigkeitsregulierung erfolgte in älteren Rangierbahnhöfen manuell, und zwar üblicherweise in Europa mit Hemmschuhlegern und in den USA mit Waggonbremsern. Seit den zwanziger Jahren des XX. Jahrhunderts wurde dieses sukzessive durch ein neues Verfahren ersetzt, bei welchem die ablaufenden Waggons in den ersten Weichen nach dem Ablaufberg mit mechanischen Gleisbremsen für jeweils etwa 6 bis 12 Richtungsgleise abgebremst werden (mechanisierter Ablaufberg). Diese Gleisbremsen werden wie die nachfolgenden Weichen vom Stellwerk am Ablaufberg aus bedient und entweder überwiegend hydraulisch (z.B. in Deutschland, der Schweiz, Italien oder den Niederlanden) oder überwiegend pneumatisch (z.B. in Frankreich, Rußland, China oder den USA) angetrieben; in manchen Ländern sind beide Systeme in Gebrauch. Die Steuerung der Gleisbremsen und Weichen im Ablaufstellwerk erfolgte zunächst manuell, während dafür in modernen automatischen Anlagen Computertechnik benützt wird und die einzelnen Richtungsgleise für die Feinregulierung der Ablaufgeschwindigkeit weitere Gleisbremsen unterschiedlicher Bauart besitzen, was früher im Richtungsgleis auch in mechanisierten Bahnhöfen noch durch Hemmschuhleger besorgt wurde. Die Richtungsgruppe besitzt in Europa in der Regel nach je einer Gleisbremse je 8 Gleise in symmetrischer Weichenanordnung, häufig 32 Richtungsgleise mit vier Gleisbremsen. Abweichend hiervon folgen je einer Gleisbremse meistens in China 6, in Rußland 7 sowie in den USA 9 oder 10 Richtungsgleise.
Gefällsbahnhöfe unterscheiden sich von Flachbahnhöfen dadurch, daß in ihnen nicht nur der auf die Spitze des Ablaufberges folgende Gleis- und Weichenbereich im Gefälle liegt, sondern der gesamte Bahnhof. Diese Bauart hat bei hoher Personalintensität eine sehr hohe Leistungsfähigkeit. Rangierlokomotiven werden darin, wenn überhaupt, nur zum Hinaufziehen eines zu rangierenden Zuges vor die im durchgehenden Gefälle liegende Ablaufanlage benützt. Bis zum Beginn des Ablaufenlassens werden die zu zerlegenden Züge darin durch Gleisbremsen zurückgehalten. Ansonsten entspricht die Anlage und Arbeitsweise der Gefällsbahnhöfe derjenigen der Flachbahnhöfe. Die meisten Gefällsbahnhöfe wurden in Deutschland (besonders in Sachsen) errichtet, sodann mehrere in England, und noch einige wenige in einigen anderen Ländern. Sie wurden insbesondere bei entsprechenden topographischen Verhältnissen am gewählten Standort angelegt, aber zu ihrer Entstehungszeit unabhängig davon auch aus Kostengründen anstelle von Flachbahnhöfen errichtet, da damals Personal billig und Technik teuer war. Da diese Kostenverhältnisse sich später umgekehrt haben, ist diese Bauart heute veraltet und es wurden deshalb auch seit Jahrzehnten keine neuen Gefällsbahnhöfe mehr errichtet. Der weltweit größte heute noch in Betrieb befindliche Gefällsbahnhof ist Nürnberg Rbf.
Rangierbahnhöfe können einseitig oder zweiseitig angelegt sein. Der weit überwiegende Anteil ist einseitig, das heißt, daß in diesen Bahnhöfen die Züge beider den Bahnhof durchlaufenden Richtungen in einem gemeinsamen Rangiersystem zerlegt und neu zusammengestellt werden. In zweiseitigen Rangierbahnhöfen besteht dagegen für jede Richtung ein gesondertes Rangiersystem. Waggons, die den zweiseitigen Bahnhof an derselben Seite, von der sie eingefahren sind, wieder verlassen müssen, sind innerhalb des Bahnhofes nach dem ersten Ablauf in das andere Rangiersystem zu überführen, in welchem sie in das eigentliche, für den Zielbahnhof zutreffende Richtungsgleis ablaufen (Eckverkehr). Dies ist gegenüber dem Vorteil der hohen Leistungsfähigkeit ein entscheidener Nachteil zweiseitiger Rangierbahnhöfe. Sie wurden insbesondere angelegt, wenn die erforderliche Leistungsfähigkeit in einem einseitigen Bahnhof nicht mehr bewältigt werden konnte oder wenn zwischen den beiden Fahrtrichtungen nur ein geringer Waggonaustausch erforderlich war; und zwar besonders in Großbritannien, Mitteleuropa, Rußland, Indien, China und den USA; in anderen Ländern dagegen nur selten.
Darüberhinaus wurden auch wenige Rangierbahnhöfe mit mehr als zwei Rangiersystemen (besonders in Deutschland) sowie in Kopfform (besonders in Italien) erbaut.
Geschichte
Bereits im Jahre 1846 wurde im Güterbahnhof Dresden-Neustadt erstmals zum Rangieren die Schwerkraft angewendet, allerdings noch mit einem geneigten Ausziehgleis statt einem Ablaufberg heutiger Bauweise. Nachdem das Rangiergeschäft in der Frühzeit der Eisenbahn noch in einigen den Güterbahnhöfen angeschlossenen Rangiergleisen verrichtet wurde, zeichnete sich in den 1860er Jahren ab, daß diese kleinen Rangieranlagen dem gestiegenen Verkehrsaufkommen nicht mehr genügten und aus diesem Grunde der Bau gesonderter "Rangirbahnhöfe" erforderlich wurde. In diesen frühen Rangierbahnhöfen wurde noch nicht mit Ablaufbergen, wohl aber teilweise mit Pferden oder auch geneigten Ausziehgleisen rangiert, und im Gleisfeld befanden sich oft zahlreiche Drehscheiben. Der erste Rangierbahnhof mit hintereinander angelegten Einfahr-, Richtungs- und Ausfahrgruppen war der Gefällsbahnhof Terre Noire bei Saint-Etienne in Frankreich (1863). Dem folgte 1869 in Nordostengland der Bahnhof Shildon. 1876 wurde im Bahnhof (Mülheim/Ruhr-) Speldorf der erste Ablaufberg mit Gegensteigung, wie er noch heute benützt wird, errichtet. Die heute übliche Anordnung der Geleiseanlagen in den Rangierbahnhöfen hat sich ab Ende der 1880er Jahre durchgesetzt. In dieser Bauweise wurde 1889 in (Oberhausen-) Osterfeld-Süd der erste Hochleistungsrangierbahnhof als zweiseitige Anlage errichtet. Dem folgten in einer ersten großen Neubauwelle ab Ende des XIX. Jahrhunderts in Mitteleuropa sowie ab den ersten Jahrzehnten des XX. Jahrhunderts auch in den übrigen Teilen Europas, den USA, Rußland und Indien zahlreiche weitere (noch nicht mechanisierte) Rangierbahnhöfe. Zu Beginn der zwanziger Jahre des XX. Jahrhunderts wurden die ersten Rangierbahnhöfe mit Gleisbremsen mechanisiert: 1923 in den USA der Bahnhof Gibson bei Chicago noch mit einer komplizierten, mit einer Vielzahl von Gleisbremsen versehenen Ablaufanlage, dann 1924 in Seddin bei Berlin eine modernere Versuchsanlage aus Anlaß der eisenbahntechnischen Ausstellung. Die erste den praktischen Anforderungen vollauf genügende mechanisierte Gleisbremsanlage (vier hydraulische Bremsen Bauart Frölich) wurde dann 1925 in der heute stillgelegten Ablaufanlage Hvw des Bahnhofes Hamm (Westf.) Rbf (war während Jahrzehnten Europas größter Rangierbahnhof) in Betrieb genommen, weitere folgten in den nächsten Jahrzehnten. Der erste automatische Ablaufberg mit Computersteuerung wurde 1958 im Bahnhof Kirk bei Gary im Ballungsraum Chicago eröffnet, worauf ab den 60er Jahren zahlreiche weitere Rangierbahnhöfe automatisiert wurden. Mit der durch Mechanisierung und Automatisierung erreichten Leistungssteigerung bestimmter Rangierbahnhöfe konnte gleichzeitig durch Stillegung anderer Rangierbahnhöfe eine durchgreifende Rationalisierung erzielt werden, dem gleichen Zweck diente auch der Umbau einiger zweiseitiger Bahnhöfe in einseitige sowie in einer zweiten Welle etwa in der Mitte des XX. Jahrhunderts der Neubau großer Rangierbahnhöfe an Standorten, die bisher nur veraltete Rangierbahnhöfe besessen haben, welche dann stillgelegt wurden. Diese Neubautätigkeit erreichte zum Beginn der achtziger Jahre ihren Höhepunkt. Es entstanden als größter Rangierbahnhof der Welt der zweiseitige Bahnhof Bailey Yard bei North Platte (64 und 50 Richtungsgleise), gelegen nahezu im Herzen der USA an der Transkontinentalbahn von San Francisco nach Chicago; sowie als größter Rangierbahnhof Europas der zweiseitige Bahnhof bei Hamburg Rbf südlich Hamburg (64 und 48 Richtungsgleise). In Südafrika wurde der Bau des Rangierbahnhofes Sentrarand nordöstlich von Johannesburg begonnen, der mit vier Systemen à 64 Richtungsgleisen noch größer werden sollte, allerdings wurde davon nur ein System verwirklicht. Der größte einseitige Rangierbahnhof ist zur Zeit der Bahnhof Young Yard bei Elkhart am äußersten südöstlichen Rand des Knotenbereiches Chicago mit 72 Richtungsgleisen.
Mit diesen Bahnhöfen wurde der Höhepunkt und gleichzeitig im wesentlichen auch der Abschluß der Entwicklung erreicht, und es begann ab den 80er Jahren nunmehr ein dramatischer Niedergang des Wagenladungsverkehrs infolge Desindustrialisierung, Ersatz durch Containerisierung und Ganzzugbetrieb sowie vor allem Verlagerung erst des Stückgutverkehrs und dann auch zunehmend des übrigen Wagenladungsverkehrs auf die kostengünstigere Straße. Dieser Prozeß wurde durch falsche Verkehrspolitik beschleunigt, welche die bestehenden, dem Gemeinwohl dienenden staatlichen Eisenbahnen privatisiert und somit durch ausschließlich am Gewinn orientierte Bahnbetriebe ersetzt sowie den Straßenverkehr steuerlich begünstigt hat. Der Wagenladungsverkehr wurde daher von den Eisenbahngesellschaften wegen fehlender Wirtschaftlichkeit entweder stark eingeschränkt oder ganz aufgegeben. Die einst die Betriebskosten des Wagenladungsverkehrs vermindernden modernen Rangierbahnhöfe wurden deshalb selbst unwirtschaftlich. So wurden bis 1984 in Großbritannien und Japan alle Rangierbahnhöfe stillgelegt, danach in Australien und Dänemark, zum Jahresende 2003 folgt Norwegen. In allen anderen Ländern, welche Rangierbahnhöfe besessen haben, wurde deren größter Teil ebenfalls stillgelegt, außerdem wurde in manchen zweiseitigen Rangierbahnhöfen ein System stillgelegt. Ehemalige Rangierbahnhöfe werden manchmal in Containerbahnhöfe oder Abstellbahnhöfe für Personenzüge umgebaut, meistens aber nach der Stillegung noch für einige Zeit ohne Benützung des Ablaufberges im Ortsverkehr oder zum Abstellen von Waggons verwendet und später vollständig abgebrochen, so zum Beispiel 1986 der einst zweitgrößte Rangierbahnhof Deutschlands in Hohenbudberg (zwischen Duisburg und Krefeld). Neue Rangierbahnhöfe werden dagegen heute im wesentlichen nur mehr in China errichtet, dessen Eisenbahnnetz noch immer durch größere neue Strecken auch für den Güterverkehr ergänzt wird.