Der Naturalismus im engeren Sinn ist eine Strömung in Literatur, Kunst und Theater von ca. 1880 bis 1900. Schon Im 18. Jahrhundert allerdings wurde Jean-Jacques Rousseaus "Zurück zur Natur" als Naturalismus bezeichnet (siehe Naturalismus (Philosophie)).
Der Naturalismus des 18. Jahrhunderts fordert den unverbildeten Künstler ("Als Sänger ist er Naturalist" hieß: Er hat nie akademischen Gesangsunterricht genossen.), während der Naturalismus des späteren 19. Jahrhunderts den Experten als Naturbeobachter voraussetzt. Dem älteren wie dem neueren Naturalismus gemeinsam ist das Bemühen, dem Ungeschliffenen, Unterprivilegierten, "Hässlichen" einen Platz in der Kunstwelt zu verschaffen.
Die Abgrenzung des Naturalismus vom Realismus ist oft problematisch.
Literatur und Theater
Geschichte
Ende des 19. Jahrhunderts prägten große gesellschaftliche Veränderungen Europa: Die Industrialisierung, der Imperialismus, die Verstädterung und das damit verbundene Elend. Auf diesem Boden entstand der Naturalismus. Naturalistische Künstler behaupten, die Wirklichkeit möglichst genau darzustellen, und arbeiten mit exakten, gleichsam naturwissenschaftlichen Methoden. Diese Wissenschaftlichkeit berechtigt und verpflichtet sie, auch das Hässliche und Verdrängte abzubilden. Emile Zola orientierte den literarischen Naturalismus in seiner Schrift Le roman expérimental (1880) an der experimentellen Medizin. In seinen Romanen entwickelte er "dokumentarische" Erzählformen wie den Sekundenstil oder die akribische Beschreibung von Räumen, um ein soziales Milieu zu charakterisieren. Ein Hauptwerk des literarischen Naturalismus ist Zolas Romanzyklus Les Rougon-Macquart.
Ein führender naturalistischer Dramatiker war Gerhart Hauptmann mit dem Drama Die Weber, in dem Arbeiter als tragische Figuren erscheinen. In Russland prägte sich unter dem Einfluss der "Meininger", die sich um historisch getreue Theateraufführungen bemühten, ein naturalistischer Schauspielstil aus. Konstantin Stanislawski, der modellhafte Inszenierungen von Tschechows Dramen schuf, gilt als sein Begründer.
Interessant ist an der Bewegung des Naturalismus, dass sie in Deutschland den Begriff der Moderne schuf. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert verlor der Naturalismus an Einfluss. Doch die sozialen Themen, die er literaturfähig gemacht hatte, die Präzision der Darstellung und die Verwendung der Umgangssprache zur Charakterisierung sozialer Schichten behielten in neuen Ausprägungen ihre Bedeutung.
Naturalismus ist scheiße und interessiert keine Sau!!Nur den Markus weil der ne gute Note will
Kennzeichen des Naturalismus
- Der Naturalismus ist eine gesamteuropäische literarische Strömung der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Impulse für die deutschen Autoren kommen aus den psychologischen Romanen Iwan Sergejewitsch Turgenews, Lew Nikolajewitsch Tolstois und Fjodor Michailowitsch Dostojewskis, aus den sozialen "Experimentalromanen" Zolas sowie den gesellschaftskritischen Dramen Henrik Ibsens und August Strindbergs.
- Der Naturalismus versteht sich als literarische Revolution, weil er mit dem Tradierten bricht und den (poetischen) Realismus überwindet, weil er auf dessen verklärende Tendenzen verzichtet ebenso wie auf die Deutung der Wirklichkeit durch den Dichter.
- Die naturwissenschaftlich exakte Gestaltung der empirischen Wirklichkeit gilt als Ideal. Die Welt wird untersucht und naturgetreu, wissenschaftlich exakt abgebildet. Die Kunst ist der Rationalität, Kausalität, dem Determinismus und der Objektivität verpflichtet, auf Subjektivität und Individualität des Dichters gilt es zu verzichten.
- Charakter und Schicksal des Menschen werden durch die historische Zeit, in der er lebt, das physische und das psychische Erbgut sowie das Milieu determiniert gesehen (vgl. Karl Marx, Auguste Comte, Hippolyte Taine und Charles Darwin).
- Die soziale Thematik, die Darstellung sozialer Not äußert sich weniger als sozialpolitischer Kampf mit parteipolitischer Bindung, sondern eher als eine Art soziales Mitgefühl am Beispiel gesellschaftlicher Außenseiter im Geflecht von Großstadt (Anonymität, Entindividualisierung) oder moderner Technik.
- Das soziale Drama stellt Charaktere in den Vordergrund, in ihrer Bedingtheit durch Milieu und Vererbung, wobei die wenigen handelnden Figuren durch detaillierte szenische Anmerkungen und Regieanweisungen geleitet werden.
- Gegen alle Konventionen des Verses und der Strophe, gegen Tradition und Epigonentum in Thematik und im Formalen wendet sich die "Revolution in der Lyrik" (Arno Holz) und orientiert sich stattdessen an einer Prosalyrik, die einem natürlichen Rhythmus gehorchen soll.
- Besonders konsequenter Naturalismus findet sich im so genannten "Sekundenstil". Dabei gilt es, jedes noch so banale Detail geradezu protokollarisch festzuhalten, dem natürlichen Sprechen möglichst nahezukommen (Stottern, Stammeln, Dialekt, Ausrufe, unvollständige Sätze, Atempausen, Nebengeräusche...), um dadurch mehr vom Milieu zu zeigen und zu vermitteln als über Raumbeschreibungen.
- Assoziative Motivverknüpfungen lassen vielschichtige Sinnebenen entstehen (vgl. die Montagetechnik Alfred Döblins).
- Die den Naturalismus ablösenden Kunstströmungen (Impressionismus, Symbolismus, Expressionismus) bedienen sich ob der modernen komplexen Welt differenzierterer, verfremdender Ausdrucksmittel statt des begrenzten Zugriffs der bloßen Wirklichkeitsabbildung.
- Kunst = Natur - x (von Arno Holz definiert), wobei x die künstlerische Darstellung sei und möglichst minimal gehalten werden soll, um die Differenz Kunst und Natur klein zu halten.
- Verwendung der "phonografischen Methode", welche, um das natürliche Sprechen wiederzugeben, folgende Mittel aufnimmt:
- Dialekt (geografische Ausdrucksweise) - Soziolekt (schichtspezifische Ausdrucksweise) - Psycholekt (situationsbedingte Ausdrucksweise) - Ideolekt (individuelle Ausdrucksweise)
Wichtige Autoren
- Henrik Ibsen (1828-1906)
- Emile Zola (1840-1902)
- Max Bernstein (1854-1925)
- Carl Hauptmann (1858-1921)
- Clara Viebig (1860-1952)
- Johannes Schlaf (1862-1941)
- Gerhart Hauptmann (1862-1946)
- Arno Holz (1863-1929)
- Frank Wedekind (1864-1918)
- Max Halbe (1865-1944)
Bildende Kunst
Als Epochenbegriff ist der Naturalismus in der Bildenden Kunst weniger scharf als in der Literatur. Wie dort ist das Ziel des naturalistischen Künstlers eine Abbildung der gegenständlichen Welt, ohne das sozial Niedrige auszusparen. Die äußere Richtigkeit, die der Photorealismus auf die Spitze trieb, bietet allerdings keine Garantie für innere Wahrheit. Daher ist der bildnerische Naturalismus des 19. Jahrhunderts ebenso wie der literarische mit sozialem Engagement gekoppelt. Ein Wegbereiter war der Maler Gustave Courbet.
Weitere Verwendungen des Begriffs
- Realistischer Naturalismus: griechische Klassik, italienische Kunst (14./15. Jh.), deutsche und niederländische Kunst (15. Jh.).
- Realistischer Antinaturalismus: Abbau der einzelnen Elemente des Naturalismus (Rembrandt van Rijn, Vincent van Gogh, Paul Klee).
- Idealistischer Antinaturalismus: Maya, Inka, archaische/frühchristliche/byzantinische Kunst (frühe Hochkulturen).
- Idealistischer Naturalismus: Widerspruch zwischen künstlerischem Mittel und Gesinnung: Kitsch.
Darstellungsmittel
- Räumlichkeit (Zentral-, Farb-, Luftperspektive, Schlagschatten etc.)
- Körperlichkeit (Linearperspektive, Schattenmodellierung)
- Stofflichkeit (korrekte Darstellung des Stoffes, Materials etc.)
- zeichnerische Richtigkeit (Schärfegrad des Auges)
- anatomische Richtigkeit (Einzel- und Gesamtform)
- farbliche Richtigkeit (Gegenstands-/Lokalfarbe (bei neutralem Licht); Erscheinungsfarbe)
Literatur
- Ronald Daus: Zola und der französische Naturalismus. Stuttgart: Metzler 1976. (= Sammlung Metzler; 146) ISBN 3-476-10146-0