Pfälzische Sprachinsel am Niederrhein

Gebiet am linken Niederrhein, in dem ein Migrantendialekt gesprochen wird, der mit dem Pfälzischen in Verbindung gebracht wird
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Die pfälzische Sprachinsel am Niederrhein liegt am linken Niederrhein auf einem glazialen Höhenzug zwischen Goch, Kalkar und Kleve. Das Gebiet wurde von kurpfälzischen Auswanderern besiedelt, welche sich wegen ihres protestantischen Glaubens über Jahrhunderte hinweg nicht mit der bodenständigen katholischen Bevölkerung vermischten und daher in der Lage waren, Aspekte ihrer kulturellen Eigenständigkeit, wie ihre Mundart und ihr Brauchtum, bis auf den heutigen Tag zu erhalten [1].

Der Ausdruck „pfälzisch“ trügt; mit der heutigen Pfalz und deren Mundart hatten die Auswanderer lediglich die Wittelsbacher Herrschaft (Linie Pfalz-Simmern) gemeinsam.

Geschichte

Im Mai 1741 wollte eine größere Gruppe von Aussiedlern aus den kurpfälzischen Oberämtern Kreuznach und Simmern im Hunsrück über Rotterdam nach Pennsylvania (USA) auswandern [2]. Sie versuchten damit der schlechten wirtschaftlichen Lage, den kriegerischen Auseinandersetzungen und der religiösen Unterdrückung ihrer Heimat zu entgehen.

Auf Grund des Seekrieges zwischen England und Spanien erhielten jedoch seit 1740 nicht mehr alle Ausreisewilligen eine Passage nach Amerika. Dies führte zu Überbevölkerung und Verelendung in den Hafenstädten. Die niederländischen Grenzposten wurden daher angewiesen, nur noch Auswanderer ins Land zu lassen, die eine Schiffspassage nach Nordamerika nachweisen konnten. Die pfälzische Aussiedlergruppe wurde daher an der niederländischen Grenzfeste Schenkenschanz angehalten. Verhandlungen mit einem englischen Schiffskapitän scheiterten, da die Pfälzer den Preis für zu hoch hielten [1] [2].

Die Rheinschiffer, welche die Auswanderergruppe nach Rotterdam bringen sollten, wollten nicht so lange mit ihren Schiffen an der Grenze festliegen und verlangten ihre Bezahlung. Die Aussiedler besetzten daraufhin die Schiffe. Nach einer Räumungsaufforderung durch die Kriegs- und Domänenkammer in Kleve baten 20 Familien mit etwa 120 Personen um Übertragung von Siedlungsland. Dieses Gesuch wurde an die Magistrate und Richter von Emmerich, Goch, Huissen und Kleve weitergeleitet. Die Stadt Goch verfügte über die Gocher Heide, ein 10.000 Morgen großes Gelände, welches ihr 1458 von Arnold von Egmond Herzog von Geldern geschenkt worden war [2]. Dieses Land wurde den Pfälzern zur Verfügung gestellt.

In den folgenden Jahren hatten die Emigranten mit finanziellen Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen, die zu wiederholten Landesverweisungen führten. Sie wandten sich daher mit einer Bittschrift an den König Friedrich den Großen, der am 30. April 1743 der Kriegs- und Domänenkammer Kleve und dem Magistrat Goch in einem Spezialbefehl aufgab, die Siedler zu unterstützen.

Nach den ersten Erfolgen der Kolonisten auf der Gocher Heide, die seit 1749 Pfalzdorf genannt wird [3], entwickelten die preußischen Behörden Interesse an der weiteren Ansiedlung von Auswanderern. Bis 1771 siedelten sich weitere Kolonisten an, die fast ausschließlich aus dem Hunsrück-Raum stammten. Danach war der Heidegrund fast restlos vergeben [1].

Da der Erbpachtvertrag der Siedlungsstellen keine Veräußerung oder Teilung ermöglichte, sahen viele nachgeborene Kinder den einzigen Ausweg in der Auswanderung. Die erste Auswanderungswelle erfolgte in die Bönnighardt bei Sonsbeck, die Königshardt bei Oberhausen, die Asperheide bei Goch [3] und nach Ostfriesland. Da zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch der ostfriesische Siedlungsraum erschöpft war, das Problem aber fortbestand, wurde eine Besiedelung des Kalkarer Waldes vorgeschlagen. Am 30. September 1820 unterzeichnete Friedrich Wilhelm III. die Kabinettsorder, wonach die Anlage der Kolonie rechtskräftig wurde. Auf Wunsch der Kolonisten sollte die neue Siedlung Louisendorf nach Königin Luise heißen [1].

Da bei der Besiedlung Louisendorfs nicht alle Siedlungswilligen bedacht werden konnten, wurde 1826 ein weiteres Waldstück zur Besiedelung vorgeschlagen. Am 31. Dezember 1827 unterschrieb König Friedrich Wilhelm III. die Kabinettorder zur Gründung von Neulouisendorf. Am 4. Juni 1832 wurden die Kolonate vergeben und mit der Besiedlung begonnen. Entgegen der Planung als Erweiterung der Siedlung Louisendorf, wurde Neulouisendorf eine eigenständige Siedlung.

Pfalzdorf wurde noch vor 1800 eine Mairie. Bereits 1775 war eine reformierte Kirche, am 29. Oktober 1779 eine lutherische Kirche und am 11. September 1811 eine katholische Kirche eingeweiht worden. Dies trug zur einer weitgehenden Autonomie bei. Louisendorf gehörte seit seiner Gründung zum Amt Till. Es etablierte sich aber eine eigene evangelische Pfarrgemeinde, deren Kirche am 13. November 1861 eingeweiht wurde. Neulouisendorf war Teil der Stadt Kalkar. Auch hier entstand eine eigene evangelische Pfarrgemeinde. Die evangelische Kirche in Neulouisendorf wurde am 7. Juni 1898 eingeweiht. Mit dem 1. kommunalen Neugliederungsprogramm in Nordrhein-Westfalen am 1. Juli 1969 wurde Pfalzdorf wieder ein Ortsteil von Goch, und Louisendorf gehörte zu dem Teil des Amts Till, der zu Bedburg-Hau eingemeindet wurde.

Eigenständigkeit

Religion

Die protestantische Religion trennte die Pfälzer vom katholischen Umland. Es kam kaum zu konfessionsverschiedenen Heiraten, so dass sich traditionelle „pfälzische“ Familiennamen, wie Puff, Hans, Saueressig, Imig und Thomas, bis heute erhalten haben. Es wurden auch Elemente des Brauchtums weitergegeben, wie die Nennung des Nachnamens vor dem Vornamen (also Imigs, Fritz und nicht Fritz Imigs). Andererseits wurden am Niederrhein verbreitete katholische Bräuche, wie das Sternsingen am Dreikönigstag oder das Feiern des Karnevals, nicht angenommen [1].

Sprache

Durch die Ansiedlung auf engem Raum wurden die „Pfälzer“ zu einer Minoritätengruppe, die ihre eigene Mundart pflegte. Durch die bereits erwähnte Heiratspolitik und die Einrichtung eigener Volksschulen, die bis in die 1940er Jahre bestanden, konnten die Siedler ihre Mundart pflegen. Die ursprünglichen durch die Herkunft bedingten Sprachunterschiede entwickelten sich mit der Zeit zu einem „pfälzischen“ Generaldialekt. Ins „Pälzersch“ wurden aber auch Merkmale der umliegenden niederfränkischen Dialekte aufgenommen. Das Pälzersch wird in der heutigen Zeit noch regelmäßig von den älteren Einwohnern gesprochen. Die jüngere Bevölkerung wechselt in der Regel mit der Einschulung zum Hochdeutsch und verliert ihre Dialektkompetenz. Daher ist das Pälzersch in seinem Erhalt bedroht.

Quellen

  1. a b c d e Barbara Mott: Pfälzer am Niederrhein, 1989
  2. a b c Emil Böhmer: Sprach- und Gründungsgeschichte der pfälzischen Colonie am Niederrhein, 1909
  3. a b Helmut Lange: Die Wüste wird zum Acker werden, 23. Juni 2006

Literatur

  • Emil Böhmer: Sprach- und Gründungsgeschichte der pfälzischen Colonie am Niederrhein. Diss. Marburg 1909
  • Peter Honnen, Cornelia Forstreuter: Sprachinseln im Rheinland. Eine Dokumentation des Pfälzer Dialekts am unteren Rhein und des "Hötter Platts" in Düsseldorf-Gerretsheim. Rheinland-Verlag, Köln 1994, ISBN 3-792-71456-6
  • Barbara Mott: Pfälzer am Niederrhein. Die Geschichte der Pfälzersiedlungen Pfalzdorf, Louisendorf und Neulouisendorf im Rahmen der preußischen Binnenkolonisation des 18. und 19. Jahrhunderts. Völkersche Buchdruckerei und Buchhandlung GmbH, Goch und Kalkar 1989
  • René Schiering: Zur Dokumentation des Pälzersch in Pfalzdorf, Louisendorf und Neulouisendorf (Niederrhein). Bericht eines zweiwöchigen Feldforschungsaufenthaltes. In: GBS Bulletin 10, Gesellschaft für bedrohte Sprachen, S. 7-15