Die Nelkenrevolution (portugiesisch: Revolução dos Cravos oder einfach 25 de Abril) bezeichnet den Aufstand der Armee in Portugal am 24. und 25. April 1974 gegen die herrschende Diktatur.
Die Nelkenrevolution verdankt ihren Namen einem Foto, das um die Welt geht: Eine Kellnerin, die gerade von der Arbeit kommt, steckt in Lissabon einem aufständischen Soldaten - im Rahmen des allgemeinen Volksfestes angesichts der Ereignisse - eine Nelke in den Gewehrlauf.
Die Nelkenrevolution ist ein zentrales Ereignis in der Geschichte Portugals. Sie beendet die Diktatur und eröffnet den Weg zur Demokratie. Sie verläuft beinahe unblutig. Es gibt "nur" vier Tote, als verbleibende regimetreue Truppen vor dem Sitz der verhassten Geheimpolizei auf unbewaffnete Demonstranten feuern.
Die "Nelkenrevolution" markiert aus heutiger Sicht den Anfang vom Ende des ursprünglichen Nachkriegseuropas. Es folgen weitere Demokratisierungen in Griechenland (1974) und in Spanien (1975); Anfang der achtziger Jahren werden mit den Protesten und Aufständen der Werftarbeiter in Polen die Fundamente für den Zusammenbruch der sozialistisch-kommunistischen Struktur in den Ländern des früheren sog. "Ostblocks" gelegt. Das Europa des 21. Jahrhunderts entsteht.
Vorgeschichte
In Portugal kam 1926 eine Militärjunta unter General Carmona durch einen Putsch an die Macht. Mehr als Spanien bemühte sich auch Portugal besonders ab 1932 unter Carmonas Nachfolger António de Oliveira Salazar um eine Distanzierung vom italienischen Faschismus und vom deutschen Nationalsozialismus. 1933 baute Salazar seine Macht durch eine neue Verfassung und die Abschaffung des Parlamentarismus aus. Portugal verbündete sich im 2. Weltkrieg mit Spanien zum Bloco Ibérico. Die Diktatur blieb aber von den Alliierten unangetastet und bestand fort. 1949 wird Portugal Gründungsmitglied der NATO.
1968 wird Salazar von Marcello Caetano abgelöst. Am Charakter der Diktatur ändert sich nur wenig. Sie ähnelt der von Spanien unter Franco, trotz einer leichten Verbesserung unter Caetano. So gab es keine freien Gewerkschaften. Nach Berufsständen organisierte Scheingewerkschaften wurden jedoch von zumeist kommunistischen Mitgliedern zur Untergrund- und Widerstandsarbeit genutzt. Dies bedeutete große Opfer unter den Bedingungen der Folter und Repression. Diese Aufbauarbeit machte jedoch den Erfolg der Nelkenrevolution möglich.
Begleitet von Instrumenten wie Pressezensur und Folter versuchte Salazar ein System zu verwirklichen, das als Quinta (ein gegen äußere Einflüsse abgeschlossenes Landgut) bezeichet wurde. Innerhalb dieser statisch-geschlossenen Gesellschaft sollte die Elite herrschen. Aus dieser Geisteshaltung wird die Abwehr gegen moderne Entwicklungen wie Industrialisierung, Tourismus, und Bildung verständlich. Die vierjährige Grundschule für das Volk verstand er als Zugeständnis. So hielt das Regime, der so genannte "Estado Novo" (Neuer Staat), das Volk bewusst in Armut und Unwissenheit, über ein Drittel des Volkes waren unter Salazar Analphabeten. Intellektuellen blieb nur die äußere oder innere Emigration.
Dem Rechtsanwalt Peter Benenson kam die Idee zur Gründung von Amnesty International 1961, als er von dem Fall zweier portugiesischer Studenten las, die in einem Lissabonner Restaurant kritische Worte über den Diktator Salazar fallen ließen, daraufhin verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurden.
Verlauf
Das Signal: Grândola, Vila Morena
Am 24. April 1974 um 22:50 Uhr spielt der portugiesische Rundfunk das Liebeslied E depois do adeus (Nach dem Abschied) von Paulo de Carvalho. Das ist das verschlüsselte Signal an die aufständischen Truppen. Weltweit berühmt wird aber ein anderes Lied: Grândola, Vila Morena (Grândola, braune Stadt) des antifaschistischen Protestsängers José Afonso. Es wird gegen 0:30 Uhr am 25. April gesendet und signalisiert den Portugiesen: Der Aufstand hat begonnen. Dieses Lied war unter der Diktatur verboten.
Folgen
Für alle militärischen Einheiten, die sich zum "Movimento das Forças Armadas" (kurz: MFA), das heißt zur "Bewegung der Streitkräfte", bekannten, waren die Verse das vereinbarte Zeichen zum bewaffneten Aufstand. Knapp 18 Stunden später hatte die "Bewegung der Streitkräfte" Europas älteste Diktatur gestürzt. Die Bewegung bestand vornehmlich aus jungen Offizieren der unteren Ränge. Seit Beginn der Kolonialkriege in den afrikanischen Provinzen (1961) wurden auch einfache Soldaten aus dem Volke zu Offizieren ausgebildet. Diese Männer aus dem Volk waren es, die den diensthabenden Kommandanten festsetzten, sich über die Autobahn auf den Weg nach Lissabon machten, um die Ministerien Rundfunk- und Fernsehsender und den Flughafen zu besetzen. Die Mehrheit der angerückten Regierungstruppen lief zu den Aufständischen über.
Gewehre und Nelken
Tausende von Lissabonern säumen den Weg der Kolonne, jubeln den Befreiern zu, laufen neben den Armeefahrzeugen her, springen auf. Die ersten roten Nelken, die der Revolution den Namen geben sollten, tauchen auf, leuchten an den Uniformen der Soldaten und aus ihren Gewehrläufen.
Marcello Caetano flüchtete sich hinter die Mauern der Kaserne der bewaffneten Polizeistreitkräfte, der Guarda Nacional Republicana (GNR), am Largo do Carmo. Die Belagerung dauerte bis zum Abend, bis der Diktator sich bereit erklärte die Regierung General Spínola, dem ehemaligen Gouverneur der Provinz Guinea-Bissau zu übergeben. Dies war nicht der Wunschkandidat der Aufständischen und das zornige Volk forderte die vollständige Erhebung. Der unblutigen Übergabe wegen akzeptierten die MFA-Führer um Otelo Saraiva de Carvalho aber dieses Angebot.
Bei der Erstürmung der Festungen der Folterknechte der PIDE/DGS (der berüchtigten, nach Gestapo-Methoden arbeitenden Geheimpolizei) durch das Volk fielen Schüsse auf die Heranstürmenden. Hier starben die vier Menschen, die bei der Nelkenrevolution ihr Leben lassen mussten. Das Volk verharrte dennoch mit "Morte à PIDE" und "Assassinos" (Mörder)-Rufe vor dem Gebäude. Am Morgen ergaben sich die Folterknechte. Das Schnüffelarchiv, die Folterwerkzeuge und die moderne Waffenausrüstung fielen in die Hände der Aufständischen.
Neben der Tafel mit dem Straßennamen "Rua António Maria Cardoso" brachten Antifaschisten ein zweites Schild an: "Avenida dos Mortos pela PIDE" (Straße der Opfer der PIDE), was sich sowohl auf die Opfer vom Vorabend bezog als auch auf die zahlreichen Ermordeten von dem oppositionellen General Humberto Delgado (er wurde 1965 bei Badajoz/Spanien von der PIDE ermordet) bis zu mutigen Antifaschisten oder Kommunisten aus dem Volk.
Das Volk spürte viele PIDE-Agenten und Informanten in den öffentlichen Einrichtungen, Universitäten und Schulen auf. Der letzte Chef der Geheimpolizei, Major Silva Pais, wurde in seiner Wohnung verhaftet, während sich eine erregte Menge vor dem Haus versammelte.
In der Nacht zum 27. April wurden die politischen Gefangenen aus dem berüchtigten PIDE-Kerker in Caxias befreit. Ihre Verwandten und Freunde empfingen sie auf der Straße. Jahrelang waren die Gefangenen dort ohne Gerichtsverfahren Folter, Isolationshaft und Demütigung ausgesetzt.
Bekannt geworden ist das Foto der antifaschistische Abendzeitung ,,República" von Hermínio da Palma Inácio, wie er nach der Befreiung in einer Gebärde der Freude und des Triumphs beide Arme emporreckt. Der Gründer der aktiven antifaschistischen Widerstandsgruppe LUAR (Liga für revolutionäre Einheit und Aktion) war einer der kühnsten, populärsten und vom Regime gefürchtetsten Widerstandskämpfer. Er entführte 1961 ein Flugzeug, um antifaschistische Flugblätter abzuwerfen.
Noch vor dem 1. Mai kehrten viele Verbannte und politisch Verfolgte aus dem Exil zurück. Mário Soares (Sozialistischen Partei) kehrte aus Paris nach Hause zurück und Álvaro Cunhal von der Kommunistischen Partei (PCP), der 13 Jahre in PIDE-Kerkern verbringen musste, bis ihm 1960 die Flucht aus Peniche gelang, hatte seitdem in Moskau und Prag gelebt.
Aus dem brasilianischen Exil, wo er seit 1958 lebte, kam der bekannte Mathematiker und republikanische Präsidentschaftskandidat von 1951, Rui Luís Gomes. Aus Algerien kamen zwei bekannte und tatkräftige Widerstandskämpfer, Fernando Piteira Santos und der Dichter Manuel Alegre, die die Patriotische Front für Nationale Befreiung (FPLN) mitbegründet und über den Freiheitssender "Voz da Liberdade" (Stimme der Freiheit) die Antifaschisten in der Heimat ermutigt hatten.
Forderungen
Sofortiges Ende des Kolonialkrieges - Generalamnestie für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer lauteten die Kundgebungsparolen von Vereinigungen, die für rund 100.000 Fahnenflüchtige und Kriegsdienstverweigerer sprachen, die vielfach ins Exil gegangen waren. Das Amnestiegesetz wurde am 1.Mai 1974 erlassen, das Ende des Krieges ließ noch auf sich warten, doch erste Schritte waren eingeleitet.
Die Zeitung República ließ sich keine Zensur mehr gefallen und berichtete ausführlich.Am Nachmittag des 26. April zog ein Demonstrationszug vor das "República"-Haus und dankte der Redaktion durch das Singen der Nationalhymne für ihren unermüdlichen Kampf um Meinungs- und Pressefreiheit.
Der 1. Mai 1974 im befreiten Lissabon
Am 1. Mai gehört die Straße dem Volk. Die Rote Nelke wird zum Symbol der Freiheit. Die zum Schutz der ersten freien Maikundgebung abkommandierten jungen Infanteristen und Marinesoldaten stecken sie auf die Gewehrläufe. Der Demonstrationszug glich einer Mischung aus Volksfest und politischer Manifestation.
Parolen:
- "Livres do Fascismo - lutemos por um Portugal melhor" (Frei vom Faschismus - kämpfen wir für ein besseres Portugal!)
- "Pão - Paz - Liberdade" (Brot - Friede - Freiheit)
- "Forca à Pide" (Den Galgen für die Pide)
- "Fim à Guerra Colonial - Regresso dos Soldados" (Schluß mit dem Kolonialkrieg - Heimkehr der Soldaten)
- "Luta pelo direito à greve" (Kampf fürs Streikrecht)
- "Sindicatos saudam filhos do povo armado" (Gewerkschaften grüßen Söhne des bewaffneten Volkes)-
- "As nossas armas são as flores" (Unsere Waffen sind die Blumen).
Der Zug geht zum Lissaboner Sportstadion, dass seit heute den Namen "Estádio 1º de Maio" trägt. Mehr als 100000 Portugiesen wollen dort die Befreiung feiern. Nach den Gewerkschaftern sprechen Mário Soares von den Sozialisten und Álvaro Cunhal, der Vorsitzender der Kommunistischen Partei, die demonstrativ gemeinsam ins Stadion einziehen.
Mário Soares betont, dass die Kommunistische Partei die meisten Opfer in der Zeit des Faschismus bringen mußte und ruft aus: Hier und heute haben wir den Faschismus endgültig besiegt. Dieser Sieg ist der Sieg des Volkes.
Soares wie Cunhal verlangen eine Regierung von der Mitte über die Sozialisten bis zu den Kommunisten. "Unidade" (Einheit) ist die Parole der Stunde. Die Masse antwortet mit dem berühmt gewordenen Ruf
"O povo unido / jamais será vencido"
(Das einige Volk wird niemals besiegt werden).
Im Gegensatz zu Militärputschen in anderen Ländern hatte der Aufstand der Offiziere in Portugal durch diese Massenbekundungen der Bevölkerung seine demokratische Legitimation erhalten.
Weblinks
- "Mit einer Nelke im Gewehr" Artikel aus der "Zeit" zum 30. Jahrestag